Die Kunst-Halle — 1.1895/1896
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0196
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Nr. 11
DOI article:Berliner Kunstschau
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s68
Die K u n st - H a l l e.
Nr. U
Blättern oft die innere Einheitlichkeit, inan könnte aus
manchen zwei oder gar drei machen. Aber er beherrscht
die Mittel vortrefflich und hat feines Naturgefühl, und durch
diese Vorzüge sind seine glücklichen Blätter sehr eindrucksvoll.
Im Salon Gurlitt ist ein neues Bild von Lesser-
Ury ausgestellt. Ls zeigt eine Gruppe armer Juden von
modernem Typus, aber zum Theil nicht in moderner Tracht.
Ihre Geberden deuten auf eine fast schmerzhafte Sehnsucht.
Das Ziel dieser Sehnsucht giebt uns der Titel des Bildes
an: „Jerusalem!" An eine bestimmte Zeit hat der Künstler
wohl nicht gedacht. Ich weiß nicht, was er eigentlich mit
dieser zeitlosen Darstellung symbolisiren will. Und wenn es
andere zu wissen vorgeben, so fürchte ich, sie haben es vom
Künstler erfahren und nicht aus dein Werke. Für jede
Deutung, die ich nur denken kann, wäre das Bild immer
ein schiefer Ausdruck. Noch weniger begreife ich die fast
wüthende Begeisterung für das Bild, wenn ich die Durch-
führung ansehe. Einzelne Gestalten sind allerdings ungemein
ausdrucksvoll und lebendig. Dafür sind dann andere wiederum
nicht einmal richtig gezeichnet, wie überhaupt in Zeichnung
und Farbe geradezu Rohes neben Feinem steht. Daß dein
Künstler, der meines Wissens noch nie ein Bild mit lebens-
großen Figuren geinalt hat, das erste ^mißlungen ist, ist
übrigens gar kein Wunder. Da macht sich der Mangel an
Schulung natürlich bemerkbar, den man in kleinen skizzen-
haften Landschaften leicht durch die Feinheit des Auges und
der Empfindung wett machen kann. Große Bilder malen
kann auch das größte Genie nicht nur aus sich heraus lernen.
Martin Brandenburg und Lsans Baluschek
gehören zu den ernsthaften Hoffnungen der Berliner Kunst.
Sie sind beide noch sehr jung, und ihre Arbeiten zeugen
meist stark davon, freilich in verschiedener Weise. Bei
Brandenburg offenbart sich die Unreife darin, daß er
glaubt, gerade das darstellen zu sollen, was mit den Mitteln
seiner Kunst sich nicht darstellen läßt. Bezeichnend dafür
ist z. B. das Bild „Töne". Unten ein Trio von Spielern,
ganz vertieft in ihre Musik, oben phantastische Farbenfiecken,
aus denen wir die Stimmung dieser Musik empfinden sollen.
Außer dem Maler hat sie aber sicher Niemand empfunden.
„Ausklingen": ein Zimmer, im Dämmerlicht, am Klavier
ein Spieler, der den letzten Akkord angeschlagen hat, das
Fräulein in Weiß hat den letzten Ton verhallen lassen.
In Beiden wie in den zwei Hörern klingt die Empfindung nach.
Das Bild ist bis auf ein paar Stellen fein und giebt die
volle Stimmung. Der Maler aber glaubt, das Ausklingen
der Töne malen zu können und zu müssen und umzieht
das Bild mit grünblauen Schlangenwindungen, die nur
stören und nichts sagen. Auch in den reinphantastischen
Kompositionen tritt dies Zuviel hervor. „Reif im Früh-
ling": Line blumige wiese am Waldesrand. Blauer
Himmel darüber von strahlender Helle, mit weißen Wölkchen.
Lin junges Weib pflückt Blumen. Da braust ein Sturm
heran, der dunkles Gewölk und raschelndes Laub vor sich
herjagt und mit kaltem Reif das junge Grün tötet. Der
Maler verdirbt sich die Wirkung des Werkes, weil er das
Wetter glaubt durch ein rothhaariges Weib symbolisiren zu
müssen, deren Erscheinung die ganz klare Idee wieder un-
klar macht. Am reinsten wirkt der „Ritter mit den Rosen".
Am Meeresstrand. Dunkel und Sturm. Ein jugendlicher
Held in goldener Rüstung, mit Rosen geschmückt, liegt tot
am Boden. Sein schwarzes Roß, das mit Rosenketten ge-
schmückt ist wie sein Herr, steht wie trauernd neben dem
Todten. Es ist ein echtes Märchenbild, und wir empfinden
ohne zudringliche Symbolismen die herbe Tragik dieses
Untergangs. Es ist in den: höchsten Sinne symbolisch, daß
es, während es nichts weiter scheinen will als ein Märchen,
in Wahrheit ein Stück Leben ist. Man weiß auch im Leben
ja nie, wer die „Ritter mit den Rosen" vernichtet, die ausziehen
Großes zu thun und untergehen, bevor sie etwas erreichten.
Baluschek will im Gegensatz garnicht alle Mittel seiner Kunst
anwenden. Er ist als Maler noch nicht erwacht. Er macht
ganz Ernst mit dem Naturalismus in dieser Hinsicht: jede
Absicht auf Schönheit, auf dekorative Wirkung liegt ihm
fern. Aber er ist nicht von dem Dogma beeinflußt, sondern
er folgt offenbar nur seiner Natur. Ich glaube deshalb
auch nicht, daß er auf irgend äußere Einflüsse hin seine
Art ändern wird. Er wird sie in sich überwinden müssen,
vorläufig ist er mit seinen zeichnerisch zwar mitunter noch
unbeholfenen, aber scharf charakterisirenden, malerisch recht
nüchternen Bildern der einzige Vertreter einer echten au-
tochthonen Berlinmalerei. Er ist allerdings einseitig, ihn
interessirt zunächst nur das Volk, wie es arbeitet und sich
erholt. Daneben hat er noch eine besondere Vorliebe für
die „entarteten" Töchter des Volkes. Uebrigeus schmeichelt
er nicht, er hat auch die „Tanzmädchen" nur mit den Augen
der künstlerischen Liebe angesehen. Mitunter wirken seine
Bilder geradezu karrikirt: ich glaube, das hat seinen Grund
darin, daß er nicht nach Modellen arbeitet, sondern die be-
zeichnenden Typen aus dem Gedächtnis; giebt, und nun
lauter bezeichnende Typen neben einander stellt, während in
der Wirklichkeit die nichtssagenden Gestalten immer mildernd
dazwischen stehen. Den tiefsten Eindruck hatte ich von dein
Bild „Kleine Fuhren". Ein Stück märkischer Heide. Etwa
bei Rirdorf. Die Sonne brennt auf den Sand. Ein halb-
wüchsiger Bursche, der einen kleinen wagen zu ziehen hat,
zündet sich eine Ligarre an. Gelangweilt und gleichgiltig
wird er dann den wagen weiterziehen, — auf dem ein
Kiudersarg festgebunden ist.
Mit einer größeren Anzahl von Bildern tritt Edmund
Edel auf den plan. Entweder hat er früher absichtlich,
„modernen" Ueberzeugungen zu Liebe, sein Können ver-
heimlicht, oder er hat sehr viel gelernt. Namentlich in der
Skizze eines Herrn tritt eine kecke Sicherheit der Zeichnung
hervor, die übrigens auch die Karikaturen zeigen, die er in
letzter Zeit für ein Berliner Journal geliefert hat. Die
Porträts, meist in Pastell, sind nicht gleichmäßig, die besten
sind auch koloristisch gut durchgeführt. Nur fehlt oft die
psychologische Vertiefung, wie in den beiden Landschaften
zeigen sie mehr Schule als Persönlichkeit. K. 8t.
Es geht jetzt wieder ein idealer Zug durch das
Kunstschaffen. Besonders die graphischen Werke er-
scheinen dadurch ivie verklärt. Und das ist nur zu begreif-
lich. Denn je mehr es der mechanischen Photographie mit
ihren neuen verfeinerten Apparaten und Hilfsmitteln ge-
lingt, die realen Lebensäußerungen wiederzuspiegeln, die
frischesten Momentszenen aus der Wirklichkeit zu bannen,
um so weniger fühlt der Graphiker ein verlangen, kon-
kurrirend mit der Photographie auf den Pfaden des be-
schränkten Realismus zu wandeln. Er zieht sich jetzt immer
mehr in jene höheren Regionen zurück, wo kein photographi-
scher Apparat droht und die freie künstlerische Phantasie
kühn und selbstherrlich lebt. Er huldigt von Neuem einem
Die K u n st - H a l l e.
Nr. U
Blättern oft die innere Einheitlichkeit, inan könnte aus
manchen zwei oder gar drei machen. Aber er beherrscht
die Mittel vortrefflich und hat feines Naturgefühl, und durch
diese Vorzüge sind seine glücklichen Blätter sehr eindrucksvoll.
Im Salon Gurlitt ist ein neues Bild von Lesser-
Ury ausgestellt. Ls zeigt eine Gruppe armer Juden von
modernem Typus, aber zum Theil nicht in moderner Tracht.
Ihre Geberden deuten auf eine fast schmerzhafte Sehnsucht.
Das Ziel dieser Sehnsucht giebt uns der Titel des Bildes
an: „Jerusalem!" An eine bestimmte Zeit hat der Künstler
wohl nicht gedacht. Ich weiß nicht, was er eigentlich mit
dieser zeitlosen Darstellung symbolisiren will. Und wenn es
andere zu wissen vorgeben, so fürchte ich, sie haben es vom
Künstler erfahren und nicht aus dein Werke. Für jede
Deutung, die ich nur denken kann, wäre das Bild immer
ein schiefer Ausdruck. Noch weniger begreife ich die fast
wüthende Begeisterung für das Bild, wenn ich die Durch-
führung ansehe. Einzelne Gestalten sind allerdings ungemein
ausdrucksvoll und lebendig. Dafür sind dann andere wiederum
nicht einmal richtig gezeichnet, wie überhaupt in Zeichnung
und Farbe geradezu Rohes neben Feinem steht. Daß dein
Künstler, der meines Wissens noch nie ein Bild mit lebens-
großen Figuren geinalt hat, das erste ^mißlungen ist, ist
übrigens gar kein Wunder. Da macht sich der Mangel an
Schulung natürlich bemerkbar, den man in kleinen skizzen-
haften Landschaften leicht durch die Feinheit des Auges und
der Empfindung wett machen kann. Große Bilder malen
kann auch das größte Genie nicht nur aus sich heraus lernen.
Martin Brandenburg und Lsans Baluschek
gehören zu den ernsthaften Hoffnungen der Berliner Kunst.
Sie sind beide noch sehr jung, und ihre Arbeiten zeugen
meist stark davon, freilich in verschiedener Weise. Bei
Brandenburg offenbart sich die Unreife darin, daß er
glaubt, gerade das darstellen zu sollen, was mit den Mitteln
seiner Kunst sich nicht darstellen läßt. Bezeichnend dafür
ist z. B. das Bild „Töne". Unten ein Trio von Spielern,
ganz vertieft in ihre Musik, oben phantastische Farbenfiecken,
aus denen wir die Stimmung dieser Musik empfinden sollen.
Außer dem Maler hat sie aber sicher Niemand empfunden.
„Ausklingen": ein Zimmer, im Dämmerlicht, am Klavier
ein Spieler, der den letzten Akkord angeschlagen hat, das
Fräulein in Weiß hat den letzten Ton verhallen lassen.
In Beiden wie in den zwei Hörern klingt die Empfindung nach.
Das Bild ist bis auf ein paar Stellen fein und giebt die
volle Stimmung. Der Maler aber glaubt, das Ausklingen
der Töne malen zu können und zu müssen und umzieht
das Bild mit grünblauen Schlangenwindungen, die nur
stören und nichts sagen. Auch in den reinphantastischen
Kompositionen tritt dies Zuviel hervor. „Reif im Früh-
ling": Line blumige wiese am Waldesrand. Blauer
Himmel darüber von strahlender Helle, mit weißen Wölkchen.
Lin junges Weib pflückt Blumen. Da braust ein Sturm
heran, der dunkles Gewölk und raschelndes Laub vor sich
herjagt und mit kaltem Reif das junge Grün tötet. Der
Maler verdirbt sich die Wirkung des Werkes, weil er das
Wetter glaubt durch ein rothhaariges Weib symbolisiren zu
müssen, deren Erscheinung die ganz klare Idee wieder un-
klar macht. Am reinsten wirkt der „Ritter mit den Rosen".
Am Meeresstrand. Dunkel und Sturm. Ein jugendlicher
Held in goldener Rüstung, mit Rosen geschmückt, liegt tot
am Boden. Sein schwarzes Roß, das mit Rosenketten ge-
schmückt ist wie sein Herr, steht wie trauernd neben dem
Todten. Es ist ein echtes Märchenbild, und wir empfinden
ohne zudringliche Symbolismen die herbe Tragik dieses
Untergangs. Es ist in den: höchsten Sinne symbolisch, daß
es, während es nichts weiter scheinen will als ein Märchen,
in Wahrheit ein Stück Leben ist. Man weiß auch im Leben
ja nie, wer die „Ritter mit den Rosen" vernichtet, die ausziehen
Großes zu thun und untergehen, bevor sie etwas erreichten.
Baluschek will im Gegensatz garnicht alle Mittel seiner Kunst
anwenden. Er ist als Maler noch nicht erwacht. Er macht
ganz Ernst mit dem Naturalismus in dieser Hinsicht: jede
Absicht auf Schönheit, auf dekorative Wirkung liegt ihm
fern. Aber er ist nicht von dem Dogma beeinflußt, sondern
er folgt offenbar nur seiner Natur. Ich glaube deshalb
auch nicht, daß er auf irgend äußere Einflüsse hin seine
Art ändern wird. Er wird sie in sich überwinden müssen,
vorläufig ist er mit seinen zeichnerisch zwar mitunter noch
unbeholfenen, aber scharf charakterisirenden, malerisch recht
nüchternen Bildern der einzige Vertreter einer echten au-
tochthonen Berlinmalerei. Er ist allerdings einseitig, ihn
interessirt zunächst nur das Volk, wie es arbeitet und sich
erholt. Daneben hat er noch eine besondere Vorliebe für
die „entarteten" Töchter des Volkes. Uebrigeus schmeichelt
er nicht, er hat auch die „Tanzmädchen" nur mit den Augen
der künstlerischen Liebe angesehen. Mitunter wirken seine
Bilder geradezu karrikirt: ich glaube, das hat seinen Grund
darin, daß er nicht nach Modellen arbeitet, sondern die be-
zeichnenden Typen aus dem Gedächtnis; giebt, und nun
lauter bezeichnende Typen neben einander stellt, während in
der Wirklichkeit die nichtssagenden Gestalten immer mildernd
dazwischen stehen. Den tiefsten Eindruck hatte ich von dein
Bild „Kleine Fuhren". Ein Stück märkischer Heide. Etwa
bei Rirdorf. Die Sonne brennt auf den Sand. Ein halb-
wüchsiger Bursche, der einen kleinen wagen zu ziehen hat,
zündet sich eine Ligarre an. Gelangweilt und gleichgiltig
wird er dann den wagen weiterziehen, — auf dem ein
Kiudersarg festgebunden ist.
Mit einer größeren Anzahl von Bildern tritt Edmund
Edel auf den plan. Entweder hat er früher absichtlich,
„modernen" Ueberzeugungen zu Liebe, sein Können ver-
heimlicht, oder er hat sehr viel gelernt. Namentlich in der
Skizze eines Herrn tritt eine kecke Sicherheit der Zeichnung
hervor, die übrigens auch die Karikaturen zeigen, die er in
letzter Zeit für ein Berliner Journal geliefert hat. Die
Porträts, meist in Pastell, sind nicht gleichmäßig, die besten
sind auch koloristisch gut durchgeführt. Nur fehlt oft die
psychologische Vertiefung, wie in den beiden Landschaften
zeigen sie mehr Schule als Persönlichkeit. K. 8t.
Es geht jetzt wieder ein idealer Zug durch das
Kunstschaffen. Besonders die graphischen Werke er-
scheinen dadurch ivie verklärt. Und das ist nur zu begreif-
lich. Denn je mehr es der mechanischen Photographie mit
ihren neuen verfeinerten Apparaten und Hilfsmitteln ge-
lingt, die realen Lebensäußerungen wiederzuspiegeln, die
frischesten Momentszenen aus der Wirklichkeit zu bannen,
um so weniger fühlt der Graphiker ein verlangen, kon-
kurrirend mit der Photographie auf den Pfaden des be-
schränkten Realismus zu wandeln. Er zieht sich jetzt immer
mehr in jene höheren Regionen zurück, wo kein photographi-
scher Apparat droht und die freie künstlerische Phantasie
kühn und selbstherrlich lebt. Er huldigt von Neuem einem