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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 14
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Schmidkunz, Hans: Die Umgebung des Kunstwerkes
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0244

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2f0 -->-H Die Kunst-Halle.

Nr.

Stücke zeigen, beispielsweise einige der dortigen Grab-
denkmäler. Allein indem jedes Stück an einem ihn:
passenden Platz, in einer individuellen Umgebung
stand, blieb es ein Werk für sich und ein leichter
verfügbares Besitzthum der Erinnerung. Daß es
nicht zumeist die räumliche Größe des Altarwerkes
war, die einen solchen Eindruck bewirkte, bezeugt der
Umstaud, daß wir das weit kleinere Altarwerk von
Hans Memling in einer Kapelle des Donis zu Lübeck
(ca. fVO auf ähnliche Weise kennen lernten und
genossen.
Indem mir noch jetzt nach einer Reihe von
Jahren jener Schleswiger Eindruck nachklingend und
im Wesentlichen unvernüscht vor dem inneren Auge
steht, hat er mir wie nicht bald ein anderer Eindruck
gezeigt, welche Bedeutung für ein Kunstwerk die Um-
gebung besitzt. Man denke sich dagegen unseren
Brüggemann neben vielen anderen ähnlichen oder
unähnlichen Kunstwerken in einer Sammlung von
Holzschnitzereien oder künstlerischen Schöpfungen über-
haupt, durch die man zwischen sonstigen Genüssen
einer Stadt hindurchwandert, stolz auf die Anzahl der
Gegenstände, die man in einer Zeiteinheit „erledigt";
und nran frage sich, ob dann noch jener dem Geist
des Künstlers getreue Eindruck wahrscheinlich oder
gar nur möglich ist, den jenes Schauen im Dom zu
Schleswig hervorgebracht hat.
Die Schaustellungen von der Art unserer Samm-
lungen sollen deshalb keineswegs aus den: gegen-
wärtigen Leben zu streichen sein. Sie sind aus zwei
Gründen unentbehrlich: aus einem theoretischen und
einem praktischen. Theoretisch gewähren sie eine
Kenntniß des gegenwärtigen oder vergangenen Standes
der künstlerischen nicht nur, souderu auch der geschicht-
lichen, kulturellen und anderen Dinge, für die Allge-
meinbildung sowohl wie auch für engere Studien,
praktisch sind sie zunächst aus geschäftlichen Gründen,
unentbehrlich als Kunstmarkt; dann aber auch als
Gelegenheit zum eigenen Lernen der Künstler, obschon
diese Gelegenheit für sie wohl nicht in erster Reihe
steht. Die praktische Bedeutung der Galerien für
allgemeine Geschmacksbildung und Kunstgenießung
dürfte hingegen recht gering sein. Nicht nur, daß
ein Bild das andere schlägt, sondern auch, daß keines
eine ihm eigenthümliche Umgebung besitzt, vermindert
einerseits die Wirkung und gewöhnt andrerseits unter
dem Anschein einer unverminderten Wirkung das
Publikum daran, auf jene Umgebung zu verzichten,
also einen Theil seines natürlichen Geschmacks preis-
zugeben. Allerdings läßt sich auch in einer Aus-
stellung manches daran besser machen. Ein hervor-
ragendes Beispiel dafür ist die Galerie Schack in
München: ihre ganze bauliche Anlage giebt ihr, zumal
weun nran sich in die Erinnerung an ihren Schöpfer
versenkt, ein eigenthümliches Gepräge; außerdem ist
in der Neuordnung seit der kaiserlichen Uebernahme
den Bilderir mehr Raum als sonst gegeben, sie sind

„auseinandergehängt" und dadurch von einander
unabhängiger. Auch sonst besteht in jüngster Zeit
wenigstens hie und da die Vorliebe für ein derartiges
Einrichten der Ausstellungen, beginnend mit einer
möglichsten Beschränkung der Bilderzahl und dann
namentlich gestützt auf eine Wahrung eigenen Raumes
für einzelne Bilder oder für Bildergruppen. Schon
länger besteht in der Dresdener Galerie die Ab-
sonderung der sixtinischen Madonna von den übrigen
Bildern in einem eigenen kapellenartigen Raum, wo-
durch man deutlich herausfühlt, wie sehr die Ab-
souderung zur Wirkung des Bildes beiträgt.
Eine gleiche Bewandtniß wie mit den Ausstellungen
bildender Kunst hat es mit den Aufführungen tönen-
der Kunst, also mit Theater und Konzert. Wie dort
im Nebeneinander, ist es hier im Nacheinander. Auch
hier dräugt sich in bunter Menge Stück an Stück,
sowohl innerhalb mancher einzelnen Ausführungen,
namentlich in Konzerten, als auch im Repertoire eiuer
Reihe von Vorführungen, zumal im Theater. Dies
einerseits. Andererseits fehlt auch hier dem einzelnen
Kunstwerk eine ihm eigenthümliche Umgebung. Mitten
von unserem Alltagstreiben, von unseren Tages interessen
her eilen wir abgespannt an einen Ort, der sich ledig-
lich durch seine technische Einrichtung von den uns
sonst gewöhnten Orten und Bauten unterscheidet und
der jedem aufgeführten Stück die gleiche Umgebung
darbietet. Ganz anders die wenigen Fälle von Auf-
führungen, die sowohl durch ihre Seltenheit als auch
durch die ganze ihnen dargebotene und von ihnen
geschaffene Atmosphäre wirken. So zuvörderst jene
religiösen und Volksfest-Aufführungen, aus denen ja
wohl überall die entwickeltere Theaterkunst hervor-
gegangen ist; so noch heute die verschiedenen Passions-
spiele in den Alpen, die sonstigen Bauernspiele, die
eigens eingerichteten Aufführungen zu Gedenktageu
uud sonstigen Festen.
In besonderer Weise hat auf deu Werth der
Umgebung für ein künstlerisches Reproduziren Richard
Wagner von vornherein losgearbeitet. Seine Bay-
reuther Schöpfung ist gerade durch die ihr mit-
gegebene individuelle Atmosphäre so bedeutend. Der
Phantasie-Tharakter der künstlerischen Welt wird dort
nicht am wenigsten durch kleine scheinbar lächerlich-
eigensinnige Griffe so glücklich herausgearbeitet. Man
achte darauf, daß diese Griffe zum Teil negativer
Art sind, wie namentlich die Deckung und Dämpfung
des Orchesters, die Schlichtheit und Verdunklung des
Zuschauerraumes und dergleichen mehr. Es ist kaum
zu ermessen, wie sehr an einer künstlerischen Wirkung
manches Nichts betheiligt sein kann. Von Pausen
ganz abgesehen ist es namentlich die nächste Um-
gebung eines sichtbaren oder hörbaren Kunstwerkes,
die durch ihre völlige Iudifferenz ebenso zu wirken
vermag, wie die weitere durch eine besondere Eigen-
art. völlige Ruhe der Seele wie des Körpers unmittel-
bar vor und nach einer Aufführung oder einem Anblick
 
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