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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 16
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Stahl, Fritz: Die Internationale Kunstausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0282

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o—H Die Kunst-Palle.

Nr. s6

gleichg:lt:g. Ginnial tritt Stenzel in ihren Kreis, er
hat Manches mit ihnen gemein, nur fehlt ihnen seine
Größe. Gr ist der einzige Künstler, der in Berlin
zum Künstler geworden ist, die einzige große persön-
lickkeit. Alles Andere, was in der Malerei hier ge-
schaffen ist, ist bessere oder- schwächere Nachahmung
von Richtungen, die draußen herrschten. Mit der
Plastik ist es besser gegangen, wie man weiß.
Erst seit in den letzten Jahrzehnten man wieder
die Fühlung mit dem Ausland gewonnen hat, sind
neue Anregungen gekommen, den Boden fruchtbar
zu machen für eine eigene Kunst. Man wird sich
nicht wundern dürfen, daß die nun nicht mit einen:
Schlage da ist, daß man noch überall die fremden
Ginflüsse erkennen kann. Jedenfalls haben wir heute
schon Künstler in größerer Anzahl als je in Berlin,
die in dem Wettstreit nicht nur der deutschen Stämme,
sondern aller Nationen mitrechnen. Man braucht
nur in der historischen Abtheilung einmal die zu
suchen, von denen inan das früher behaupten konnte,
und man wird den großen Fortschritt freudig be-
greifen und frohen Zukunftshoffnungen sich nicht mehr-
spröde verschließen.
Der wesentliche Zweck der „internationalen"
Ausstellung ist erreicht, trotzdem die Franzosen und
Engländer sehr schwach und von den anderen Völkern
auch die guten Meister nicht immer mit bedeutenden
Werken vertreten sind. Ich glaube nicht, daß irgend
eine bezeichnende Erscheinung des zeitgenössischen
Kunstlebens völlig fehlt. Selbst das Fernbleiben der
Münchener Sezession veranlaßt keine Lücke in dem
Bilde, da die gleichstrebenden Genossen aus den:
Auslande sowohl wie aus Berlin, Dresden, Düfiel-
dorf, Karlsruhe und Weimar ausgestellt haben. So
kann man, wenn auch nicht die pöhe, so doch die
Ausdehnung unseres Kunstlebens hier wohl kennen
lernen.
Nun kann sich der Charakter unserer Kunst nicht
von Jahr zu Jahr ändern. Und wenn man eine
Zeit lang wirklich beinahe jährlich eine neue Richtung
glaubte konstatiren zu dürfen, so war das mehr der
krampfhaften Neusucht einiger aufdringlichen Gerne-
große zu verdanken, als daß wirklich etwa eine so
rapide Entwicklung stattgefunden hätte. Man faßte
eigentlich immer nur die paar Leute in's Auge, die
als Fabrikanten verblüffender Nouveautes sich einen
Namen gemacht hatten, und machte zu jeder spiele-
rischen Extravaganz ein System. Ich empfinde es
als einen wesentlichen Fortschritt, daß von irgend
etwas derartigem dieses Mal garnicht die Rede ist,
daß man die Jüngsten und ihre Wortführer klagen
hört, es fehle eigentlich das „perbe und Kantige",
das, was man in den letzten Jahren als das eigent-
lich Interessante zu bezeichnen pflegte. Das Gesund-
Frische fehlt nämlich nicht.

Wenn überhaupt von etwas Neuem, das eine
Ausstellung zeigt, gesprochen wird, so kann das immer
nur den Sinn haben, daß es merklicher, also in mehr
Werken als bisher oder in bedeutenderen Werken
hervortritt. Und nur in diesem Sinne will ich es
aufgefaßt wissen, wenn ich meiner Empfindung Aus-
druck gebe, daß das Stilbedürfniß und das Stil-
gefühl in Plastik und Malere: in so entschiedenem
Wachsen begriffen sind, daß die zukünftige Entwick-
lung kaum noch zweifelhaft sein kann. Den: so oft
mit Emphase ausgerufenen durchaus Neuen gegen-
über hat dieses bedingt Neue jedeufalls den Vorzug,
daß es nicht irgend läppische Äußerlichkeiten, sondern
das Wesentliche des künstlerischen Schaffens betrifft.
Der Rückschlag gegen die Detailschilderung des
Naturalismus ist ja schon viele Jahre alt. Und in
der Plastik hat er fast sofort gesunde Formen ange-
nommen: die Werke der belgischen Bildhauer, die ja
gut vertreten sind, legen Zeugniß davon ab. Und
auch bei uns ist mancher denselben Weg gegangen.
Freilich ist zu erwägen, daß in der Plastik doch das
äußere Auge nicht so geherrscht hat, wie lange Zeit
in der Malerei. Und dann hatte man Pilse bei den
Alten gesucht und gefunden. Und zwar hatte das
gesteigerte Naturgefühl, das ohne Zweifel der mo-
derne Naturalismus geweckt hat, sie verhiudert, au
irgend welche Epigonen anzuknüpfen, sie gingen zur
Kunst der Griechen. Sie hatten auch von der feineren
historischen Auffassung, dem Erwerb dieses Jahr-
hunderts, zu viel, um die fertigen Formen nachzu-
ahmen, sie bemühten sich vielmehr, die Natur ebenso
einfach und groß anschauen zu leruen.
In der Malerei dagegen ging die Sache nicht
so gut. Man hatte sich in die Idee, daß die Kunst
eigentlich erst anfange, so verbissen, daß man nicht
nur schlechtweg Stil, sondern daß man einen neuen
Stil anstrebte. Nun giebt es aber in: Grunde nur
einen Stil, wenn man das Wort als Gegensatz gegen
den Naturalismus gebraucht: und die Großen unter
den Modernen stehen denn auch den Alten viel näher,
als bei der äußeren Verschiedenheit die Meisten
glauben. Und an diesen: Stil zwang sie ihre Ueber-
zeugung, vorüberzugehen und verurtheilte sie dadurch
zu fruchtlosen: irren Umhertappen. In der Wirk-
lichkeitskunst sollte die brutale Mache, die skizzenhafte
Andeutung die Rettung von: Uebel bringen, in der
Traumkunst ein scheinnaiver, ausgetüftelter Symbolis-
mus. Das einfache Mitgefühl, das von jeder natür-
lichen Anschauung aus zu großer Auffassung führen
kann, wurde gewaltsam unterdrückt, weil es immer-
zu Diugen führte, die nicht schroff genug der Tra-
dition widersprachen. Von einer Anlehnung an die
Tradition war erst recht nicht die Rede.
Mit diesen Vorurtheilen haben einzelne Küustler
schon früher gebrochen, aber in den Werken unserer
Ausstellung so viele, daß ich hier das Neue finde.
 
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