Die Kunst-Halle — 1.1895/1896
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DOI Heft:
Nr. 21
DOI Artikel:Seidl, Arthur: Von der Dresdner Gewerbe-Ausstellung
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Nr. 2 s
Die Runst - palle.
329
eklatanten Ansstellungsmüdigkeit führen wird — bei solcher
betriebsamen Mode-Erscheinung ist es schon gar nicht mehr
angängig, für alles und jedes ein Interesse beim Publikum
vorauszusetzen, oder auch nur auf besondere Einzelheiten die
Aufmerksamkeit der Zeitungs- und Zeitschriften - Leser mit
Aussicht auf Erfolg hinzulenken. Nur ganz besonders eigen-
artige außerordentliche Spezialitäten dürfen da noch Theil-
nahme zu erwecken hoffen. Port man dann freilich von
allen Seiten immer wieder, daß man wirklich und in der
That im Besitz einer solchen, selbst gegenüber den anderen
Unternehmungen zu Berlin, Nürnberg, Budapest noch sehr
wirksamen und preisenswerthen Spezialität sich befinde, so
muß man schließlich doch selber ernstlich daran glauben, und
fühlt, auch wenn man zu vergleichen nach persönlichem
Augenschein nicht gerade in der Lage sein sollte, allmälich
doch die Verpflichtung, von diesem Sondergut das Wissens-
würdige auch Anderen mitzutheilen. In dieser Verfassung
nun befindet sich ein Dresdener Korrespondent der als
Appendix und Budgetausgleich zur Gewerbe-Ausstellung
aufgeführten traulichen „Alten Stadt" gegenüber, die
wohl den Zauber „zünftiger" Intimität vor der großartigeren
Anlage und der bedeutenderen Sehenswürdigkeit der Berliner-
Ausstellung voraus hat.
„Glaubt, wie mich's freut! Die alte Zeit dünkt mich
erneut!" So möchte man in der That mit Meister pogner
aus den „Meistersingern" hier gern ausrufen, wenn man
— die ehrwürdige Zollbrücke xassirend — vom hochragenden
„Wartthurm" herab auf den wimmelnden Marktplatz mit
seiner eminent malerischen Architekturwirkung heruntersieht.
And fürwahr, den blasirten Berliner möcht' ich doch selber
sehen, der sich dein liebenswürdigen Zauber dieser anheimelnd-
reizvollen Gesammtanlage dauernd zu entziehen vermöchte!
In einen: sehr anschaulichen Bilde läßt sich dieser ver-
blüffende Gegensatz zwischen Dort und Pier, Pente und
Linst, wenn man eben von den großen Maschinenhallen der
Ausstellung herkommt und nun zum alt kostümirten „Lhur-
fürstlich Sächsischen General-Erb-Postamt" schreitet, wohl
recht eindringlich illustriren. Oder ist es nicht, wie wenn
wir dort eben erst noch ein wichtiges Geschäftstelegramm
bekommen, das Papier hastig erbrochen und mit nervös
zitternder pand aufgraschelt, dann gespannten Blickes durch-
flogen und alsbald zerknittert bei Seite geworfen hätten,
dagegen hier nun von einen: wohlvertrauten Boten zu Fuß-
en: liebes inhaltreiches und gemüthvolles Familienschreiben
überbracht erhielten, dessen versiegelt eingeschlagenes Papier
wir sachte mit ruhig-sicherer pand entfalten, zu dessen wieder-
holter, angelegentlich vertiefter Lektüre wir bedächtig erst
unsere Brille herbeiholen und zurechtsetzen müssen und das
wir schließlich liebevoll-beschaulich zusammengelcgt mit hegen-
der Sorgfalt in: Pult oder der Truhe zur Aufbewahrung
hinterlegen würden?
Mit feinem künstlerischen Gefühl für das Stylgerechte
hat inan von dem prunkstyl des — man verzeihe dei: treffeir-
den Ausdruck: „Barokkoko" fürstlich-üppiger, kurfürstlich-
sächsischer und königlich-polnischer Prachtliebe ganz Abstand
genommen und dafür auf die schmucke, an änßeren und
inneren Motivei: so reiche deutsche Renaissance für die
Periode gesund entwickelten Kunsthandwerkes und recht-
schaffen selbstbewußten Bürgersinnes im wesentlichen zurück-
gegriffen. Nicht als ob da und dort nicht einmal gothische
Anklänge hervorträten oder Barock - Neigungen hi:: und
wieder auch sich aussprächen. Das liegt ja schon in der
Natur des Gegenstandes und überhaupt des hier «»gebauten
Gebietes, wie dem: auch die eine Thatsache, daß eine ganze
Stadt nicht an einem Tage noch auch zur selben Zeit erbaut
morden sein kann, bei dem Geschmack ihrer modernen Er-
bauer vollste Berücksichtigung gefunden hat. Auch das läßt
sich kann: leugnen, daß die schon etwas modernisirte „Bel-
vedere"-Anlage auf der „Jungfernbastei" mit ihrem ge-
schwungenen Imitirt-Pattina doch einigermaßen dem einheit-
lichen Eindruck störend dazwischen tritt. Allein die Giebel-
dächer, Erkerchen, Thürmchen und Butzenscheiben, die Stiegen,
Söller und Brunnen, Voluten und Lauben herrschen eben
doch vor, und nur die merkwürdig übergreifenden Stock-
werke, wie man sie in engen Gäßchen alterhaltener Städte,
z. B. Regensburg, noch heute findet, haben wir einiger-
maßen vermissen dürfen. Sonst ist es beinahe ganz die
Zeit, von der Goethe seinen Faust zu Wagner sagen lassen
konnte:
„Aus dem hohlen, finst'ren Thor
Drängt ein buntes Gewimmel hervor . . .
Denn sie sind selber auferstanden
Aus niedriger Päuser dumpfen Gemächern,
Aus pandwerks- und Gewerbesbandcn,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge. . .
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt;
(R6. weg über die Zugbrücke hinaus nach dem „wendischen
Dörfchen"!)
wie der Fluß, in Breit' und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Rahn . . .
Ich höre schon des Dorfs Getümmel;
Pier ist des Volkes wahrer Pimmel,
Zufrieden jauchzet Groß und Klein:
Pier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!"
Man weiß schier nicht, was man mehr bewundern soll,
den Typus, den hier Altmeister Goethe mit Schilderung des
Treibens einer „Alten Stadt" getroffen, oder aber die Richtig-
keit der Anwendung des Lxempels, mit der sich dieser Typus
wieder auf die neuerbaute „Altstadt" der Dresdener Aus-
stellung übertragen läßt! Und merkwürdig, gerade der
blasirte, verwöhnte Städter scheint sich in jenen dunklen
Stuben wieder besonders wohl zu fühlen, just der moderne
Nomade ist's, welcher an Stelle des entschwundenen, aus-
geflogenen und ausgestorbenen „Mittelalters", von den trau-
lichen Winkeln und „zünftigen" Stuben der engen Stadt
nun Besitz ergreift und sich mit einem „Pier ist gut sein —
da lasset uns Pütten bauen!" behaglich niederläßt und gar
wohnlich einrichtet.
Der vollendete, radikale Gegensatz zu seinen: unruhig-
hastenden Nomadenthum, das Beharrende, Seßhafte, in sich
Beschlossene und Lngumfriedete — das ist's offenbar, was
an dieser putzig - eigenwilligen, den individuellen Zweck-
bedürfnissen frei angepaßten und dabei doch schmuck gearteten
Bauweise den Kasernements- und Großstadt-Menschen des
Iahrhundertsendes so lebhaft anzieht. Jeder einzelne Paus-
besitzer wird hier gleichsam zum Burgherrn seines eigenen
verließes, nach dem altgermanischen Leitspruch: „Mein Pein:
hat seinen besonderen Burgfrieden". Keine langweilige
Symmetrie, im Gegentheil die größte selbstherrliche Unregel-
Die Runst - palle.
329
eklatanten Ansstellungsmüdigkeit führen wird — bei solcher
betriebsamen Mode-Erscheinung ist es schon gar nicht mehr
angängig, für alles und jedes ein Interesse beim Publikum
vorauszusetzen, oder auch nur auf besondere Einzelheiten die
Aufmerksamkeit der Zeitungs- und Zeitschriften - Leser mit
Aussicht auf Erfolg hinzulenken. Nur ganz besonders eigen-
artige außerordentliche Spezialitäten dürfen da noch Theil-
nahme zu erwecken hoffen. Port man dann freilich von
allen Seiten immer wieder, daß man wirklich und in der
That im Besitz einer solchen, selbst gegenüber den anderen
Unternehmungen zu Berlin, Nürnberg, Budapest noch sehr
wirksamen und preisenswerthen Spezialität sich befinde, so
muß man schließlich doch selber ernstlich daran glauben, und
fühlt, auch wenn man zu vergleichen nach persönlichem
Augenschein nicht gerade in der Lage sein sollte, allmälich
doch die Verpflichtung, von diesem Sondergut das Wissens-
würdige auch Anderen mitzutheilen. In dieser Verfassung
nun befindet sich ein Dresdener Korrespondent der als
Appendix und Budgetausgleich zur Gewerbe-Ausstellung
aufgeführten traulichen „Alten Stadt" gegenüber, die
wohl den Zauber „zünftiger" Intimität vor der großartigeren
Anlage und der bedeutenderen Sehenswürdigkeit der Berliner-
Ausstellung voraus hat.
„Glaubt, wie mich's freut! Die alte Zeit dünkt mich
erneut!" So möchte man in der That mit Meister pogner
aus den „Meistersingern" hier gern ausrufen, wenn man
— die ehrwürdige Zollbrücke xassirend — vom hochragenden
„Wartthurm" herab auf den wimmelnden Marktplatz mit
seiner eminent malerischen Architekturwirkung heruntersieht.
And fürwahr, den blasirten Berliner möcht' ich doch selber
sehen, der sich dein liebenswürdigen Zauber dieser anheimelnd-
reizvollen Gesammtanlage dauernd zu entziehen vermöchte!
In einen: sehr anschaulichen Bilde läßt sich dieser ver-
blüffende Gegensatz zwischen Dort und Pier, Pente und
Linst, wenn man eben von den großen Maschinenhallen der
Ausstellung herkommt und nun zum alt kostümirten „Lhur-
fürstlich Sächsischen General-Erb-Postamt" schreitet, wohl
recht eindringlich illustriren. Oder ist es nicht, wie wenn
wir dort eben erst noch ein wichtiges Geschäftstelegramm
bekommen, das Papier hastig erbrochen und mit nervös
zitternder pand aufgraschelt, dann gespannten Blickes durch-
flogen und alsbald zerknittert bei Seite geworfen hätten,
dagegen hier nun von einen: wohlvertrauten Boten zu Fuß-
en: liebes inhaltreiches und gemüthvolles Familienschreiben
überbracht erhielten, dessen versiegelt eingeschlagenes Papier
wir sachte mit ruhig-sicherer pand entfalten, zu dessen wieder-
holter, angelegentlich vertiefter Lektüre wir bedächtig erst
unsere Brille herbeiholen und zurechtsetzen müssen und das
wir schließlich liebevoll-beschaulich zusammengelcgt mit hegen-
der Sorgfalt in: Pult oder der Truhe zur Aufbewahrung
hinterlegen würden?
Mit feinem künstlerischen Gefühl für das Stylgerechte
hat inan von dem prunkstyl des — man verzeihe dei: treffeir-
den Ausdruck: „Barokkoko" fürstlich-üppiger, kurfürstlich-
sächsischer und königlich-polnischer Prachtliebe ganz Abstand
genommen und dafür auf die schmucke, an änßeren und
inneren Motivei: so reiche deutsche Renaissance für die
Periode gesund entwickelten Kunsthandwerkes und recht-
schaffen selbstbewußten Bürgersinnes im wesentlichen zurück-
gegriffen. Nicht als ob da und dort nicht einmal gothische
Anklänge hervorträten oder Barock - Neigungen hi:: und
wieder auch sich aussprächen. Das liegt ja schon in der
Natur des Gegenstandes und überhaupt des hier «»gebauten
Gebietes, wie dem: auch die eine Thatsache, daß eine ganze
Stadt nicht an einem Tage noch auch zur selben Zeit erbaut
morden sein kann, bei dem Geschmack ihrer modernen Er-
bauer vollste Berücksichtigung gefunden hat. Auch das läßt
sich kann: leugnen, daß die schon etwas modernisirte „Bel-
vedere"-Anlage auf der „Jungfernbastei" mit ihrem ge-
schwungenen Imitirt-Pattina doch einigermaßen dem einheit-
lichen Eindruck störend dazwischen tritt. Allein die Giebel-
dächer, Erkerchen, Thürmchen und Butzenscheiben, die Stiegen,
Söller und Brunnen, Voluten und Lauben herrschen eben
doch vor, und nur die merkwürdig übergreifenden Stock-
werke, wie man sie in engen Gäßchen alterhaltener Städte,
z. B. Regensburg, noch heute findet, haben wir einiger-
maßen vermissen dürfen. Sonst ist es beinahe ganz die
Zeit, von der Goethe seinen Faust zu Wagner sagen lassen
konnte:
„Aus dem hohlen, finst'ren Thor
Drängt ein buntes Gewimmel hervor . . .
Denn sie sind selber auferstanden
Aus niedriger Päuser dumpfen Gemächern,
Aus pandwerks- und Gewerbesbandcn,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge. . .
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt;
(R6. weg über die Zugbrücke hinaus nach dem „wendischen
Dörfchen"!)
wie der Fluß, in Breit' und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Rahn . . .
Ich höre schon des Dorfs Getümmel;
Pier ist des Volkes wahrer Pimmel,
Zufrieden jauchzet Groß und Klein:
Pier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!"
Man weiß schier nicht, was man mehr bewundern soll,
den Typus, den hier Altmeister Goethe mit Schilderung des
Treibens einer „Alten Stadt" getroffen, oder aber die Richtig-
keit der Anwendung des Lxempels, mit der sich dieser Typus
wieder auf die neuerbaute „Altstadt" der Dresdener Aus-
stellung übertragen läßt! Und merkwürdig, gerade der
blasirte, verwöhnte Städter scheint sich in jenen dunklen
Stuben wieder besonders wohl zu fühlen, just der moderne
Nomade ist's, welcher an Stelle des entschwundenen, aus-
geflogenen und ausgestorbenen „Mittelalters", von den trau-
lichen Winkeln und „zünftigen" Stuben der engen Stadt
nun Besitz ergreift und sich mit einem „Pier ist gut sein —
da lasset uns Pütten bauen!" behaglich niederläßt und gar
wohnlich einrichtet.
Der vollendete, radikale Gegensatz zu seinen: unruhig-
hastenden Nomadenthum, das Beharrende, Seßhafte, in sich
Beschlossene und Lngumfriedete — das ist's offenbar, was
an dieser putzig - eigenwilligen, den individuellen Zweck-
bedürfnissen frei angepaßten und dabei doch schmuck gearteten
Bauweise den Kasernements- und Großstadt-Menschen des
Iahrhundertsendes so lebhaft anzieht. Jeder einzelne Paus-
besitzer wird hier gleichsam zum Burgherrn seines eigenen
verließes, nach dem altgermanischen Leitspruch: „Mein Pein:
hat seinen besonderen Burgfrieden". Keine langweilige
Symmetrie, im Gegentheil die größte selbstherrliche Unregel-