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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 9
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Semper, Hans: Gypsmuseen neuerer Plastik, [2]
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Stahl, Fritz: Die Ausstellung im Atelier
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0156

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s32

Die K u n st - H a l I e.

Nr. 9

modernen Skulptur in Berlin kund — eines
Museums, in welchem unsere Bildhauer auch ihre
Hilfsmodelle unterbringen könuten, die sie jetzt der
theuren platzmiethe wegen zerschlagen mussen. Hern: an
Grimm sprach zugleich die Besürchtung aus: mau
werde aus der Sache, falls sie wirklich erusthast in
Frage käme, wieder wie stets zunächst Kapital für
ein großartiges Bauunternehmen herausschlagen; und
an den Schwierigkeiten der doch ganz nebensächlichen
architektonischen Vorfrage werde die eigentliche Sache,
die Anlage der Gypssammlung, entweder scheitern
oder aber in's Unbestimmte hinausgeschoben werden.
Statt dessen sollte man zunächst einfach mit vor-
handenen geeigneten bescheidenen Räumen fürlieb
nehmen; auch sei gar keine kostspielige Verwaltung
und Leitung erforderlich. Mit einem vernünftigen
Sammlungsdiener, der das Gypsmusenm täglich zu
öffnen und zu schließen hätte, ließe sich einstweilen
ganz gut auskommen.


Die Ausstellung im Atelier,
von Fritz Stahl.

(7^n unser Kunstleben in gewissem Grade die Ar-
sA beit „auf Bestellung" einzuführen, so daß der
Künstler nicht mehr für das räthselhafte Publi-
kum, sondern für den Einzelnen schafft, das hatte ich
als das Problem hingestellt*), das gelöst werden
muß, will man wieder zu gesunden Zuständen
kommen.
Ich sehe nur ein Mittel, um das, wenn auch
nicht mit einem Schlage, aber doch in absehbarer
Zeit zu erreichen: die Ausstellung im Atelier.
Es ist nichts durchaus Neues, was ich da vorschlage,
Paris hat diese Ausstellungen seit Langen:. Zn
Deutschland hat meines Wissens nur Franz von Len-
bach etwas Aehnliches versucht, der stäudig in seiner
Werkstatt eine Anzahl fertiger Werke zur Schau stellt.
Unsere Massenausstellungen verderben den
Künstler und den Beschauer. Darüber, scheint mir,
ist ein Zweifel garnicht möglich. Will der Künstler
in dein lauten Stimmengewirr, das da herrscht, über-
haupt gehört werden, so muß er schreien. Lieber
mißtönig schreien als schön singen, ist schon heute die
stehende Losung geworden. Und dabei sehen wir es
von Zahr zu Jahr schlimmer werden. Es kommt
garnicht darauf an, ein Kunstwerk zu geben, das
tiefgehender Prüfung Stand hält. Denn außer ein
paar Kritikern, denen die Sache heiliger Ernst ist,
fällt es Niemandem ein, tief zu prüfe,:. Und selbst

*) vergl. „Kunst-Halle", Nr. 7: „Die Kunst als Er-
werb".

die können es bei der Lage der Dinge nur zu einem
gewissen Grade. Also giebt man an: besten Neues,
möglichst Unerhörtes, das wenigstens eine flüchtige
Aufmerksamkeit erzwiugt. Die Beschauer werden
durch die Masse verwirrt. Sie eilen fast im Ge-
schwindschritt durch die Säle, um wenigsteus ober-
flächlich Alles zu sehen. Und natürlich fesseln sie da-
bei die Blender, die für den ersten Blick gearbeitet
sind, gearbeitet, um dem Philister zu schmeicheln oder
ihn zu ärgern. Diese Art zu sehen, ist der Tod jedes
Kunstempfindens. Was verborgnere Vorzüge hat,
ist wie nicht vorhanden, was bei flüchtigen: Sehen
befremdet, wird mit höhnischen: Witzwort abgethan.
Wie würde sich das ändern, wenn der Beschauer
der Gast des Künstlers wäre. Die bloße Pflicht der
Höflichkeit würde ihn zwingen, die drei oder vier
Bilder, die da vor ihn: stehen, genauer anzuschauen.
Das scheint wenig. Zn Wirklichkeit ist viel damit
gewonnen, wenn sich die Leute daran gewöhnen, ein
Kunstwerk ruhig auf sich wirken zu lasseu, und nicht
vor Allen: möglichst schnell in's Blaue hinein zu
schwatzen. Sie würden dabei sehen lernen, besonders
aber lernen, die Absicht des Künstlers sich klar zu
machen, bevor sie von ihrem Geschmacksstandpunkt
aus das letzte Wort sprechen. Die aller vornehmen
Sitte spottende Brutalität des Tons, die man sich
heute den: unpersönlichen Kunstwerk gegenüber er-
laubt, würde von selbst verschwinden, wenn man
der Persönlichkeit des Künstlers Auge in Auge gegen-
übersteht. Man schilt oft den Ton eines Kritikers,
der doch nur seine Pflicht thut und öffentlich mit
seinem Namen für sein Urtheil eintritt. Aber die-
selben Leute scheuen sich nicht, ohne Nothwendigkeit,
ohne Beruf und ohne Prüfung ihre Aeußerungen
laut in die Welt zu schleudern. Keine Kritik kann
den Künstler so schädigen wie diese anonyme münd-
liche. Wer hat nicht schon in unseren Ausstellungen
gesehen, wie ein lauter „Witz" eine ganze Schaar
von Menschen an einen: bedeutenden Kunstwerk vor-
übertrieb ?
Und es könnte nicht nur der Beschauer von:
Künstler, auch der Künstler könnte vom Beschauer
lernen. Und vielleicht an: meisten von den: unbefangen-
sten. Heute hört der Künstler nur die Meinung des
Künstlers und die des Kritikers. Beides kommt ziem-
lich auf eins heraus, dem:, wem: der Kritiker etwas
von der Sache versteht, ist er ein halber Künstler.
Wenn nicht, rechnet er nicht mit und wird von:
Künstler nicht gelesen. Der Künstler selbst kann aber
sein Werk nicht beurtheilen, er weiß, was er wollte,
aber er kann nie wissen, ob er seine Absicht erreicht
hat. Von: Künstler, der nur für sich schafft, wird
bei uns zwar viel geredet, aber er ist ein Wider-
spruch in sich. Er wäre wie ein Prediger, der
Monologe hält. Für sich selbst ist der „kleine Moritz"
ein ebenso vollendeter Meister wie der größte Zeichner.
Er versteht sich. Es gäbe dann überhaupt keinen
 
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