Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land (25) — 1890

DOI Kapitel:
Nr. 241 - Nr. 250 (21. Oktober - 31. Oktober)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44151#0973

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

















U Sriheint taglich mit Anskabme der Sonn- und Feiertage.
Saomfiaa8 mit Unterhaltungsbeilage, Preis vierteljährlich
. 120° vhne Trägerlohn u. Poftanffhlag. Beftellungen
bei den Poftanftaltem u. bei der Expedition Zwingerſnaße.







Verantwortlicher Redakteur:
Jultus Yeder in Heidelberg.











Seidelberg,

— ——









Anzeige-Blatt für die Amtsbezirke Heidelderg,
Ladenburg, WeinhHeim,.. Schweßingen,. Nhilippsburg,
Wieskoch, Bruchjak, Bretten, Nedargemünd, Mosbach
Eberbach Büchen Waͤlldürn T Biſchofeh Werthein 2c.







2 8



Druek, Berkag ı. Erpedition-von Gekr. Huber
in-Heibelberg, Awingerftrake.7.










ſtattfindenden






z Das wahre heſicht

haben die Sozialdemokraten in Halle allmählich zu zeigen
begonnen. Bekanntlich iſt auch die Frage der Neligion
zur Beſprechung gelangt, und wir müſſen dieſem Theil
des Berichtes unjere beſondere Aufmerkſamtkeit ſchenken.
Die Delegirten theilten ſich in aufrichtigere und heuch—
Eriſche, die Heuchler bildeten die weitaus größte
Mehrzahl. Dieſe letztere Sorte, welche einem an-
{tändigen Menſchen widerlich ſein muß, bittet und be—
ſchwört die „Genoffen“, doch vor Allem nicht die
Ziele der Sozialdemokratie gegen die Religion zu
verrathen, vielmehr die Leute zu belügen ihnen Un-
waͤhrheiten vorzuſchwätzen, nach dem Grundſatze, daß
der Zweck die Mittel heilige, durch Hülfe von Un—
Hrlichkeiten die Maſſen heranzuziehen Und dennoch


rothen Gewande ihre ganze Heuchelei offen geſtehen
mußzten, aus ihren Aeußerungen geht deutlich genug
herbor, daß fie zwar in der Thal Feinde aller Re-
ſigion und des Gottesglaubens ſind, aber um die
Maſſen zu ködern, dies ableugnen, alſo im Intereſſe
der Propaganda mit frecher Stirne Lügen ſagen,
wie ja die Fanze Sozialdemokratie in ihren Confequen-
zen eine einzige große Lüge ijt. Die Religions—
ſtürmerei bringt die Provinzgenoſſen in's Gedraͤnge!,
klagt einer dieſer Phariſäer, ein anderer Tartüffe
fiſtelt: „Man glaubt, die Sozialdemokratie neige dem
Atheismus — der Gottesleugnung — zu, dadurch
treibt man die Hälfte der Sozialiſten dem Pfaffen—
thum zu.“ Vergebens mahnt einer der Aufrichtigeren,
man ſolle „nicht heucheln, daher der Kampf gegen
die Dogmen“ — die Mehrzahl entſcheidet ſich für
das Phariſäerthum und den Bauernfang und Gimpel—
fang. Nächſtens werden alſo die Aßitatoren aufs
Land gehen, um ſozialdemokratiſche Bauern zu ſchaffen
— bis jetzt ſind nach dem Geſtändniſte in Halle
noch keine da — dann kommen ſie in Schafskleidern,
wollen natürlich die Religion nicht antaſten, ach nein,
ſie ſind ja ſelbſt Katholiken und Chriſten, nur um
irdiſche Fragen handelt es ſich, wer's ihnen nicht
glaubt, iſt ein dummer Teufel und verdient den Glanz
des ſozialdemokratiſchen Lichtes nicht, das ungeſtüm
in alle Schädel hineinfährt, welche hohl genug ſind,
um es aufzufangen. Und doch iſt in Halle deutlich
genug zugegeben worden, daß die Sozialdemokratie
jeder Keligion feindfjelig ift, daß ſie den


deſſen Stelle zu ſetzen. Zuerſt nannte Liebknecht
Wiſſenſchaft und Religion Gegenſätze, ſpäter ſprach
er ſich ſich klarer aus, wir ſetzen die Stelle hier wörtlich
her, wie ſie nach dem Stenogramm lautet:

„Der Paſſus in dem Programm: Religian iſt
Privatjache“ iſt vielfach angegriffen worden Ahein
zunächſt muß ich bemerken, daͤß die freireligibſe Be—
wegung in den Zeiten der Revolution nicht die ge—
Tingjte Rolle gejpielt hat. Diejenigen, die ſo ge—
waltig gegen die Religion ankämpfen, haben eben
noch ein Stück „SFehovah“ in ſich, das ſie nicht los
werden können. Die Kirche, die proteſtantiſche wie



u. Buol. Dold.

Hutter.

w Liſcher.

Gerber. Dr. Gulmann. Hennig. Hiß.


— —









die Fatholijdhe, hat nicht die mindeſte Macht ohne—
den Staat. Dadurch, daß man einem Gläubigen
gegenüber auf die Religion ſchimpft, bekehrt man ihn
nicht, Wenn man gegen die Religion ankämpfen
will, dann muß man Wiſſen verbreiten Die Schule
und die Erziehung können am erfolgreichſten gegen
die Religion anfämpfen. Diejenigen, die den Kampf
gegen die Religion führen, begehen denſelben Fehler
wie die preußiſche Regierung, als ſie den Kampf
gegen die katholiſche Kirche führte! Dadurch wird
der Feind blos geſtärkt! Wenn wir genen den hen—
tigen Staat ankämpfen und die Arbeiter für den
Klaſſenkampf gewinnen, arbeiten wir gleich—
zeitig gegen den Gottesglauben Wenn
wir aber den Atheismus den Arbeitern -vD 1
vorn herein zur Pflicht machen, dann werden


Sorgen wir Dafür, daß „im Volte Wiſſen ver—
breitet werde, daß die Schulen beſſer werden,
dann werden wir am erfolgreichſten gegen
die Reli gion anfämpfen. Deshalb bin ich
dafür, daß wir den Punkt unſeres Programms Re—
ligion iſt Privatſache einfach ſtehen laſſen. Wir
wollen Niemanden ſeinen Glauben nehmen. Wir
wollen die Maſſen zu uns heranziehen, ſie über ihre
Klaſſenlage aufklären, dann werden ſie ſich
ganz von ſelbſt von dem Gottesglauben
abwen den.“

Selten hat wohl Jemand die nackte Heuchelei
offener gepredigt, als Liebknecht in dieſen wenigen
Worten. An drei Stellen ſagt er, daß die Sozial—
demokratie gegen die Religion und den Gottes-
glauben anfämpft, aljo dieſelben vernichten
will, aber es ſoll nicht „von vorn hHerein“ geſchehen,
alſo durch Hinterthüren, durch Heuchelei, durch Phari—
ſäismus, kurz durch Betrug. Die Arbeiter und wer
ſonſt den ſozialiſtiſchen Agitatoren Gehör ſchenkt,
ſollen um ihren Glauben betrogen werden, ohne daß
ſie es wiſſen, ganz allmählich, aber um ſo ſicherer.
Iſt das ehrlich, iſt das anftändig, iſt das eines
Charakter beſitzenden Mannes würdig? Dieſe Frage
möge ſich jeder ſelbſt beantworten, auch die ſozial—
deniokratiſchen Agitatoren, welche unſere Gegend „be—
fehren“ möchten, wenn ſie dann über ſich ſelber nicht
mehr roͤth werden, können ſie ſich nicht beklagen,
wenn ſie mit Bezeichnungen belegt werden, die für
ordentliche Menſchen als Beleidigungen gelten, für
ſie aber eine gelinde Charakteriſtik ſind.

Deutſches Reich.

— Berlin, 21. Okt. Im Kriegsminiſterinm trat
heute die Komiſfion für die neue Mikitär-Siraf-
Prozeß ⸗ Ordnung zuſammen, um die Vorſchläge
der Subkommiſſion zu prüfen und den definitiven Ent⸗
wurf für den Bundesrath und Reichstag feſtzuſtellen.
Den Vorſitz führt Generalauditeur Itteibach Der
Halle ſche S ozialiſten Kongreß wird von der
Preſſe faſt einhellig dahin beſprochen, daß er den vor⸗
ausgegangenen Erwartungen nicht. entſprochen, daß







die Verhandlungen und Beſchlüſſe dürftig ausgefallen
und daß die vorhandenen Gegenſätze nicht ausgeglichen
wurden — Für die Moltkeſtiftung ſind 34,188
Mark beiſamnien ohne die von der Stadt Berlin ge-
ſtifteten 10,000 Mart Die „Pojlt“ meldet, Dder
Kaiſer habe Moltke zum 90. Geburtstag eine
Ehrung zugedacht, wie ſie noch keinem preußiſchen
Unterthan zu Theil geworden — Die Hochzeit der
Prinzeſſin Viktoria, des Kaiſers Schweſter iſt auf 19.
Novbendgiltig feſtgeſetzt Kaiſerin Friedrich geht dieſen.
Winter nicht nach Rom, ſondern verlebt ihn in Berlin.

— Allerlei Antijeſuiten⸗Broſchüren kommen jetzt
heraus. Die Jeſuitengegner müſſen wohl ſehr ſchwaͤche
Argumente haben, indem ſie längſt abgethane Lügen
aufwärmen, ſie kommen ſogar mit Ddem _uralten
Schmöcker: Blaiſe Pascals Briefe über die Moral
der SFejuiten“, einem Lügenwerke von 1657!
Drei Garnituren! Lientenants,
Paul de Lagarde, der bekannte Göttinger Theologe,
erzählt in den „Göttinger gelehrten Anzeigen“ eine
für die Auffaſſung preußiſcher Behörden kennzeichnende
Aeußerung des Kriegsminiſters v. Ik von. Lagarde
ließ im Jahre 1862 durch den befreundeten General H.
.Braudt dem Kriegsminiſter ſeine Bedenken gegen
das Bexechtigungsweſen an den Ghmnaſien vortragen,
in welchem ‚er ſchon damals einen der Hauptſchäden
der hoͤheren Schulen erkanule Sowohl v. Roon als
die beiden Alveus leben beſchieden damals den
Beſchwerdeführer, das Berechtigungsweſen müſſe bleiben,
weil ſonſt dem Heere die nöthigen Subalteroffiziere
fehlen würden. Bei der eifrigſt betriebenen Verbeſſe—
rung der Feuerwaffen und Dder ſtets zunehmenden
Wirkſamkeit des Feuergefechts könne man mur ſiegen,
zwenn man zwei Garnituren Lieutenants .
todt oder wund ſchießen zu laſſen in der Lage
ſei, um dann mittels eines noch vorhandenen Dritten
Satzes den Lohn der Todestreue jener einzuheimſen.“
Bedarf es wirklich dazu der Unterſekunda ein huma—
niſtiſchen Gymnaſiums? fragt Lagarde erſtaunt. Die
merkwürdige Aeußerung des geweſenen Kriegsminiſters
verdient in weiteren Kreiſen bekannt werden

— Eine unglaubliche Geſchichte wird der
Cobl. VBolfsztg.“ aus der Eifel, 19. d M,, mitge-
theilt: Vor einigen Monaten ſtarb die Tochter einer
armer Wittwe und fanden ſich einige Freundinnen
veranlaßt, unter ſich eine Sammlung für Abhaͤltung
einer hl. Meſſe zu veranftalten. Der hieſige Gendarm
brachte die Betreffenden wegen unbefugten Sam—
melns zur Anzeige, doch erfolgte am Amtsgericht zu
Hillesheim Freiſprechung. Auf Einſpruch der Staats—
anwaltſchaft hin fand heute die Sache nochmalige
Abhandlung am Gericht in Trier und wurde nun
jeder der Freundinnen 1 M, zudiektirt Somit hat
der alte Gebrauch, der Jaͤhrhuͤnderte hier exiſtirte,
aufgehört, ſtraflos zu ſein. So geſchehen im Ausgang
des 19. Jahrhunderts!

Ausland.
Brüſſel, 20. Olt. Der heutige Wahltag,
der die Stimmung des ganzen Landes widerſpiegeln






 
Annotationen