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Pfälzer Bote für Stadt und Land (25) — 1890

DOI Kapitel:
Nr. 251 - Nr. 260 (1. November - 13. November)
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Erjcheint tägli mit Auszahme der Somn- unb Feiertage.
SamfiagS mit Unterhaltungsbeilage, Preis vierteljährlich
, 1.20 ohne Trägerlohn n. Boftanfihlag. DBeftellungen
bei ben Boftanfialten u. bei der Expedition Zmwingerfitaße 7.



ür Stadt





3! 259 Berantwortlcher Redaktenr :
— — * Julius Yeder in Heidelberg.












— 12 Yoender 1









— die OGausinduftrie,

In demſelben Augenblick, in welchem die Reichz⸗
tags Kommiſſion ihre Arbeiten über die Arbeiterſchutz⸗
geſetzgebung wieder aufnimmt, in welchem ihr von den
derſchiedenften Seiten der Vorwurf entgegengebracht
wird, daß ſie in blinder Popularitätshaſcherei, wenn
nicht gar in höswilliger Abſicht die Lebensbedingungen
der deutichen Induſtrie außer Acht laſſe, — in demſelben
Augenblick, Dd. H. gerade zur rechten Beit, erſcheint
ein Buch, welches allen Denjenigen, die an der Ge—
ſehaͤebung betheiligt ſind, eine ernite Mahnung werden
muß, auf dem Gebiete des Arbeiterfchubes energiſch
und auch rückfichtslos vorzugehen Wir meinen den
vierten Band der vom Verein für Sozialpolitik her—
ausgegebenen Berichte über die deutſche Hausinduftrie,
weldhe Berſin und Umgegend, Osnabrück, das
Fichtelgebirge und Schleſien behandeln, Dieſelben be—
weijen, daß die Charakteriſirung der hausinduſtriellen
Zuſtände mit dem Worte Elend“ ſicherlich nicht
jcharf genug iſt, daß vielmehr die Zuſtande in
manchen Gebieten geradezu grauenvoll genannt werden
müflen. Es iſt die Darſtellung eines Elendes, welches
umjomehr jeden empfänglichen Beobachter erſchüttern
muß, al8 Dder davon betroffenen Bevölferung jede
materielle wie geiftige Kraft fehlt, ſich dem über fie
hereingebrochenen Schickſal zu entziehen. Sehen wir
im Einzelnen zu.

Die Hausinduſtrie Schleſiens iſt zunachſt derjeni⸗
gen in der Rheinprovinz die auoͤgedehndeſte in
Breußen. Die kahlen, unfruchtbaren Abhänge der
Sudelen, des Riejen-, Iſer und Eulengebirges und
des mährijchen Geſenkes ſind mit einer Beyölferung
befetzt. welcher der Boden die genügende Nahrung
nicht bietet, die vielmehr nur durch eine unmenſchlich
Yange und aufreibende Arbeit ſich vor dem VBer-
hungern ſchützen kann, ohne. jedoch trotz der laugen
und aufreibenden Arbeit dem Schickſale des langſgnen
und . almählidhen Verhungerns zu entgehen. Man
braucht nur an die Weber des Eulengebirges und
ihren herzzerreißenden Nothſchrei an den Kaiſer zu
erinnern, um des Nachweiſes im Einzelnen enthoben
zu ſein.! Bei einer Arbeitszeit, die Lag umDd Nacht
umfaßt, und der nur das unumgänglich nothwendige
DQuantum Nachtruhe entzogen wird, bei intenſiper An—
firengung des Körpers bringt es die gefammte Familie,
Frau, Mann und Kinder, nur auf einen Wochenver—
dienft von höchſtens 6 dis 8 Mark — das ſagt
eigentlich genug! Und wenn nur noch immer Ver⸗
dienit, D. H. Beſchäftigung vorhanden wäre! Aber
— —— RRRNNNtRt R 4 tSSo.





die verſchiedenſten Uniſtände, Mode, Kleider „reform“
und nicht zuletzt die unheilvolle amerikaniſche Ab—
ſchließungsbill bedrohen jene arme Gegend noch mit
den furchtbarſten Geſpenſt, Dem der Arbeitsloſigkeit.
Iſt jetzt eine 14—16ftündige Arbeitszeit erforderlich,
um einen täglichen Verdienſt von 0,60 Mark für den
männlihen Krbeiter zu ermöglichen, ſo kann man ſich
die Entwickelung der Dinge vergegenwärtigen, wenn,
wie beabfichtigt, die Arbeitszeit unter entfprechender
Lohnkürzung eingeſchränkt wird Gewaltige Sterblichkeit
der Säuglinge, erſchreckende Höhe der unehelichen Ge—
duͤrten Herabdrückung des durchſchnittlichen Lebenalters
unter daͤs 35. Jahr.

Das ſind die Folgen, Wwelche die Statiſtik ver⸗—
zeichnet. Die Wahlitatiftik wird bei den Anſtrengungen,
welche die Sozialdemokratie jeßt macht, woͤhl ebenfalls
einen deutlichen Beitrag zur Charaktiſirung der ſchleſi—
ſchen Zuſtände liefern Und wie in Schleſien — 10
in Dden meiften anderen Gebieten, in Ddenen die
Hausinduſtrie „zZU Hauſe? ift. In Chüringen, wo
Ddas Dreijährige Kind ſchon Gräſer zun Trocknen
fammeln muß, welche ſpater die alte gebrechliche Groß—
mutter in den Topf voll giftiger Farbe taucht, — in
der. fränktjchen Korbmachergegend, Elſaß Lothringen
und der Eifel und nicht zum mindeſten in der
Großftadt, find die Verhältniſſe Ahnlich, wenn auch
nicht ganz {o jchlimm, wie in Schleſien! In der
Großftadt freilich tritt der Nothſtand der Hausindu⸗
ſtrie nicht ſo deutlich zu Tage, weil es hier meiſt
weibliche Perſonen find, denen der Geſchäftsgenoſſe des
jetzigen Führers! der Sozial⸗Demokratie, Singers,
einen leider uur zur oft betretenen Weg zur Er-
hoͤhung ihres Einfonmens gewieſen hat. — Doch was
hilft die Klage, Die bereits oft laut geworden iſt,
wenn man nicht zu helfen weiß? Nun, einige Mittel
zur Abhülfe ſind in letzter Zeit ſchon genannt worden.
Dahin gehört vor allen Dingen die Lusdehnung des
Krankenbetſicherunszwanges auf alle Hausinduſtriellen
und Ddie Unterftellung derſelben unter das Fabrikin—
jpeftorat. Ob es möglich und nöthig ſein wird, auch
die Hausinduftrielle Arbeitszeit, die Frage der Schlaf',
MArbeitaräume 1t. f. w. geſetzlich zu Tegeln, laſſen wir
einſtweilen dahingeftellt. Uns am e& vornehmlich
darauf an, bei der Wiederaufnahme Der Arbeiten der
Arbeiterſchutzkonferenz an ein Gebiet zu erinnern,
welches niehr wie manches audere Beachtung verdient,
den jedoch bisher bei den Berathungen der Arbeiter⸗
ſchützborlage unſeres Erachtens nicht die gebührende
Mufmerffanfeit zugewendet worden iſt Auch hier ſtehen
große Intereſſen auf dem Spiele!











Anzeige-Blatt für die Aıntsbezirke Heidelberg,
£adenburg, Weinheimt, Schwegingen, Philippsburg,
Wiesloch, Bruchfal, Bretten, Nedargemiünd, MoSbach,
Cberbach, Buchen, Waldürn, TBiſchofsh. Wertheim 2c.









in Geidelberg, Zwingerfraße 7.









Deutſches Reich.

* Berlin, 10. Nov. Der Reichskanzler, Genexal
v. Caprivi traf heute Nachmittag wieder Berlin ein.
— Der Präſident des Reichstags benachrichtigte die
Mitglieder des letzteren davon, Da er beabſichtigte,
den Reichstag zwiſchen dem 25 und 27. November,
ſpäteſtens aber am 2. Dezember wieder zuſammen⸗
treten zu laſſen.

Münſter, 9. Nov. Die heutige B o1 ksver⸗
ſam mlun g im Rathhaus-Saale war überfüllt. Frhr.
v. Heeremann führte den Vorſitz. Abg. Brandenburg
beſprach die rechtliche, Nechtsanmalt Dr. Wuermeling
die ſociale, und Hauptredakteur Dr. Marcour die cul⸗
turgeſchichtliche Seite der Jeſuitenfrage Stadtdechant
Kappen verbreitete ſich über die Thätigkeit der Jeſuiten.
Der Wortlaut der Münſterländer und Kölner Petition
wurden unter großem Beifall angenommen.

Ausland.

»Prag, 10. Nov. Heute Vormittag ſtürzte ein
Dachgeſims eines Neubaues am Kohlmarkte ein 11. Ddurch-
ſchlug ein Gerüſt, wodurch der Einſturz von 4 Stock⸗
werken herbeigeführt murde. Bisher ſind 5 Todte
und 6 Verwundete aus den Trümmern hervorgeſchafft
worden.









Aus Baden.
Heidelberg, 11. November.

® Wie die Landesztg. berichtet fand die Landes
verſainmlung der wat.=1ib. Delegirten und
Nertrauen3männer am letzten Samiſtag in KarlS-
ruhe ſtatt. Die Verſammlung ſoll aus allen Theilen
des Landes „rege beſucht“ geweſen ſein. Leiter der
Verfammlung war Bankdirektor Eckhardt. Derſelbe
theilte in ſeiner Begrüßungsanſprache die zu behan⸗
delnden Gegenſtände der Tagesordnung mit. Vorerſt
ſtand zur Bexathung die Frage der Parte iorgani—
jation. Es wurde bejchloffen, die Zahl der Mit⸗
glieder des engeren Ausſchuſſes von d auf 10 zu
erhöhen, welche Erhöhung durch Cooptation dem wider-
geivählten früheren Ausſchuß überlaſſen wurde. Die
„alternden“ Führer werden aiſo bleiben, mit dem Auftrag
fich die „richtigen Männer als Nachmuchs! zu wählen.
Ferner wurde die Eintheilung dex Partei in Bezirke
deſchloſſen. Der zweite Gegenſtand der Tagesorduung
war die Erörieruͤng der Stellung der Uberalen
Partei zu allen übrigen im Lande Nach der Heid.
Ztg. wuͤrde bei dieſer Gelegenheit die Agitation der
Ültramontanen und der Sozialdemokraten von Freund

















52 Licht und Ichatten. —— verb.)

Driginal-Novelle von HanZ Jordaens.



Einen famoſen Kopf hat doch dieſer Iunge,” fagte er
bhefriedigt. Wirtlich! o viel Genie hätte ich ihm nicht zu⸗
getraut. — Ich bin erſt in viel ſpäteren Jaͤhren zu dieſer
Srfenntniß gelangt.“ ; '

„SFedenfalz tirägt fein Hofmeiſter die größte Schuld
an der Berkehriheit der Anfichten, die der Kleine bezeigt;
denn ich vermuthe, daß der Haupilehrer zu den Atheilten,
pder wie die Unhänger jener Sekte fihH nennen, zählt Und
da habe ich nun gebacht,“ fuhr die Commerzienräthin mit
fteigender Srregung fort,” als ſie das ſeltſame Lächeln ge-
wahrte, Das Ddie Züge ibres Eheberrn umfpielte, „Wir
würden gut daran rhun, den Kleinen vieleicht einmal auf
gin halbes Sahr zu einem BPfarrer auf3 Land zu fchiden,
Ddamit er jeine wunderlihen Ideen doch wieder verliert,“

„So? — Oder damit ihın dert erſt recht grillenhafte
Ideen eingetridhtert mürden,” fagte der Hauguier ſich ener
gilh aufrichtend. — „Dummes Zeug!” — entfchied er
beftig, al8 Jie wie bittend ſeine Hand erfaſſen zu wollen
Ichien, „der Junge thuͤt nichts Unrechte8, aliv. jehHe ich nicht

ein, wmarum man ihn in ein Correktionshaus ſchicken ſollte

— So lange er unter meiner Aufſicht {teht, übernehme ich
$ie Verantwortung für ihn; — im Nebrigen ſoll ſein Heiſt
fich frei entwideln fönnen; dafür werde ich Jorgen.“

„Correttionshaus !“ mwiederholte bie_@lommergienrätbin
ganz entjeßt. „ bejchwöre Dich, wie Kannit Du Dich
{olcher Ausdrüce bedienen, wenn es ſich um den Kleinen
handelt!

„Ausdrüce hin, Auzdrücke her war die von einen
Achjelzucken begleitete Erwiderung des BanquierS, „man
muß daz Ding bei dem rechten Namen nennen, WENN MAaN
verftanden jein wil. Aber nun dächte ich wäre Diefje
Sache genug abgehandeit, und wir fönnten wohl auf ‚ein
anderes Thema. übergehen. — Bei Deinem Einiriti war ih
eben damit beichäftigt, auSzurechnen, wie viel Perfonen wir
zu einem größeren Feſte hier oben bequem placiren Fönnten. “

Du willit ein Fejt aeben, und ein groBeS ?" fragte ſie
mit begreifligem Intereffje. Ü ;








„Nun ja, haſt Du noch nie daran gedadt, daß Seorg
ſich endlich einmal vermählen würde?

Die Commerzienräthin jah erftaunt auf ihren Gemahl.

aber — 4 —

„Aber Du Haft bi3 jeßt nicht geglaubt, daß Diefer
nabheligende (Gedantke ſich jo bald verwirklichen würde, nicht
mahr? — Nun, einfimeilen ſind wir auch noch nicht 10
weit, aber e3 lönnte ſich doch eveignen, daß wir in einigen
Tagen Georas Verlobung feiern müßten.“

„Und mit wem? — Dhue Zweifel mit Natalie von
Dannenberg ?” fragte die Commerzienräthin erwartungs⸗
voll und das freudige Lächeln, welches dabei ihre Livven
umjfpielte, bemwie3 zur Genüge, daß die Genannte ihr als
Schwiegertcchter {chr wilfiommen gewejen wäre.

Doch der Barquier verfcheuchte durch ſeine Antwort
ſchnel alle in Gedanken Ichon al8 richtig befundenen Ver⸗
muthungen jeiner Gemahlin.

„Dummez Zeug,“ Jagte cr mit einer abwehrenden Hand-
bemwegung, „die Präfidententochter mag eine Schönhett und
nebenbei auch eine nanz interefjante Dame jein, aber als
Seorg3 Krau wäre fie mir trotzdem nicht erwünifcht. — In
Bezug auf ihn hHabe ich nämlich meine ganz beſonderen
Alane. — Mie würde e& Dir gefallen,“ fragte der Ban—
quier jOmunzelnd, „wenn man Sich bei Georgs VBermäh-
hung zum Beijpiel „ra Baronin“ anredete? — He?"

Joͤch die Commerzienräthin war offenbar nicht im
Stande, den Sınn dieſer Rede. zu entziffern, und da fie
Nich!3 jo jehr liebte, alz Bequemlichfeit ın allen Dingen,
fo {chloß He auf einen Momnt die Augen und erwiderte

maif :

„eich, ſprich nicht ſo in NRäthjeln 3zu mic. — Du weißt,
daß der Arzt mir wegen meines AopjleivensS jede geiſtige
MAnitrengung unterfagt hat! ;

„Nun, fo werde ich mih Dir zu Liebe alfo beftimmter
au8dtücen. — Geora wird ſich vermuthlich in den nächften
Tagen mit der Gräfin Landec verloben, Ddie bei Dannen-
berg8 zu Bejuch ijt. — YWIS ich - idm vor Wochen eine Ver⸗
bindung mit..der @räfin vorjchlug, hHat er Nichts davon
Hören wollen und jeßt ift er bis die Ohren in {ie
verliebt. — E3 traf ſich aber auch Alles ganz famoS. —



Der Graf, dem ih meine Vorſchläge machte, thHeilte mir
mit, Daß jeine Toͤchter die von alledem, was zwijdhen uns
verhandelt worden jet, Richts ahne und auch Nichts ahnen
{olle, unter allen: Umitänden zum Behuche der ihnen be—
jreundeten Familie von Dannenberg nach hier gefommen
jein würde und daß, wenn mein Sodhn ebeufall3 dort be-
fannt fei, in der Villa des Rräſidenten vielleicht die erite
Anndäherung ftattfinden könnte So ijt bis jeßt Alles in
der erwünſchten Weiſe verlaufen, und ich zweitle nicht, daß
aucd) der Reit des Knäuels ſichin derfelben Weiſe wird ab-
wickeln lajjen.”

Waͤhrend der Banquier zum Schluſſe feiner Gemahlin
noch von den ehrgeizigen Wlänen und, Hoffnungen ſprach,
die er für jich und fjeine übrige Zamilie an dieſe Werbin-
dung mit dem alten gräfliden Haufe Fnlüpfte, war die
Commerzienräthin, Ddie den Auseinanderjegungen ihres
Gatten vol Interefie gefolgt war, in Gedanken mit H zu
Raihe gegangen, bis zu weldhent Grade von Herablaffung
ſie ohne Bedenken ihr BenehHmen einrichten önne, wenn ſie
denmnächit al3 Schwiegermutter einer @räfin und als Dame
von hHohem Wdel mit ihren jeßigen Bekannten verkehrte.

— Ou ihrer Unterhaltung jahen die beiden Chegatten ſich
plüglich geßort Ddurch den unerwarteten Sintritt ihres
älteiten. SohneS, der ein zujammengefaltes Papier in den
Händen Irug.

Was bringſt Du Veues Georg ?” fragte der Ban⸗
quier munter, den die Ausſicht auf die nahe Erfüllung
jeiner Pläne in die roſiaſte Laune verjeßt hatte.

„Wir. erhHalten foeben Ddiejfes Telegramm au Itew-
York,“ erwiderte der junge Manı, odne daß der Ernuit auf
jeinen Bügen fih im SGeringften vermindert hHätte. Man
£heilt ung mit, daß das Haus Brilen & Comp. fallirt habe
und die Bafi va fih auf mehrere Hunderttauſende belaufen
jollen. — €& wäre daher nothwendig, daß wir die geeig-
neten Schritte thäten, unı den ung daraus erwachſenden
Verluſt ermöglichft zu deden.“

Der Banaquier griff haftig nach dem Papier

Fortſetzung folgt.)


 
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