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Pfälzer Bote für Stadt und Land (25) — 1890

DOI Kapitel:
Nr. 261 - Nr. 270 (14. November - 25. November)
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Erſcheint täglich nıit. Ansxahme der Somn- und Feiertage,
SanıftagS 'mit Unterhaltungsbeilage, Prei3 vierteljährlich
H. 1.20 ohne Trägerlohn ı. Poftanffjhlag. Beftelungen
bei den Poſtanſtalten ı. bei der Expedition Zwingerfizaße 7.



fät Stal —







Berantwortlicher Redalteur:
Julius Jeder in Heidelberg.














— — — — — — —

— —







Anzeige-Blatt für die Amtsbezirle Heidelberg
Ladenburg, Weinheim, Schwetzingen! Philippsdburg,
Wiesloch Bruchfal, Bretten, Nedargemüänd, Wosbach
Eberbach/ Buchen, Walldlirn, T Biſchofsh Wertheim 2c.

%. Jan

| Druck/ Berlag ı. Expedition von Gebr. Yuber
in Heidelberg, Zwingerſtraße 7. |





die gegenwärtige Stellung der Gentrumsyartei

wird in der Kreuzzeitung zum Gegenſtand von
Betrachtungen gemacht, weldhe von frühern Aeußer—
ungen des konſervativen Blattes zum Theil vortheil—
hatt ſich unterſcheiden! „Seit dem Beginn dieſes
Jahres,“ ſchreibt fie, „Hat ſich im Deutſchen Reiche
biel geändert. Fürſt Bismarck hat ſein Amt nieder—
gelegt, ein neuer Reichstag iſt gewählt, und in dieſem
bildet das Centrum die Ausſchlaggebende Partei.
„Tempora mutantur.‘‘ Aber wir glauben, das auch
das Centrum ſich mit den Zeiten etwas geändert hat,
wenigſtens in ſeiner Frontſtellung. Bis zum 20.
Februar, ja wir können faſt ſagen bis zum 18. März,
war das Centrum im Weſentlichen eine Partei der

Oppoſitian. Aber eine neue Zeit erfordert neue Auf—
gaben. Das Centrum wurde ſich ſeiner Verantwort—

lichkeit in höherm Grade bewußt, und als die neue
Militär-VKorlage an den Reichstag kam, prüfte es
ſein nationales Gewiſſen und nahm — entgegen der
früher von ihm bei Wilitär⸗Vorlagen beobachteten
Haltung, wo es in der Oppoſition zu ſtehen pflegte —
den Geſetz⸗ Entwurf an, waͤhrend die freiſinnige Partei
auch dieſes Mal nicht verſtand, ſich auf die Höhe
der Situation zu erheben. Zugleich wuchſen auch
die Aufgaben auf ſozialem Gebiete. Der Kaiſer hatte
jeine bekannte Proklamation erlaſſen, die internationale
Arbeiterſchutz Conferenz wurde einberufen und das
Sozialiſtengeſetz fiel. Auch in dieſer Hinſicht erklärte.
ſich das Centrum in thatkräftiger Mitarbeit bereit.
Man gab unzweideutig kund, daß man Willens ſei,
die kaiſerliche Politik nachdrücklich zu vertreten.
Windthorſt ſagte auf der Katholikenverſammlung in
Koblenz: „Wenn die Regierung auf dem bisher
eingeſchlagenen Wege foͤrtfährt ſo werden wir ſie
energiſch unterſtützen.“ Dieſer Tage hat der ſonſt
vielfach als Führer der Centrumslinken genannte
Abg. Jul. Bachem auf einer Verſammlung in Aachen
ſogar in noch wärmerer Weiſe ſeine Zuſtimmung zu
den Grundzügen der kaiſerlichen Politik erklärt! Wir
haben nun auch ſonſt gute Gründe, anzunehmen, daß
der bisher manchmal von uns hervorgehobene Gegen—
Jag zwiſchen dem Flügel Bachem-Lieber
und dem Flügelv Schorlemer v. Huene
nicht mehr — oder ſagen wir kaum noch“ beſteht.
Die Centrumspartei wird natürlich behaupten, daß er
niemals eriftirt habe, aber das wiſſen wir beſſer
Uebrigens iſt auch der Abg. Bachem keineswegs ohne
konſervative Neigungen, und die von ihm inſpirirte
Kölniſche Volkszeitung befleißigt ſich zur Zeit einer
vaan αα pp⏑f⏑f⏑ſ ⏑ T OLTE — ———⏑—⏑—

ſo maßvollen und nationalen Haltung, daß wir ihr
unſere Anerkennung nicht verſagen können. Ueber
frühere Differenzen wollen wir gern mit einem Schwamm
hinwegfahren, aber zu einem reinen Friedens-Aecord
koͤnnen wir doch nicht gelangen; denn es darf nicht
verſchwiegen werden, daß es eine wenn auch in den
parlamentariſchen Fraktionen nur ſporadiſch vertretene
Centrums Clique gibt, mit der wir uns niemals ver—
ſtändigen können, die wir vielmehr unter allen Um—
ſtänden „bis auf's Meſſer! bekämpfen müſſen.“

Folgt ein fulminanter Ausfall gegen „dieje Partei
der Hetzer und Krakehler, das intransigente Jung—
Centrum, ſtudentiſches Landsknechtsthum des Cultur-
fampfes, rothdemokratiſchen Ultramontanismus uſw.
der uns herzlich wenig intereſſirt! Deſto intereſſanter
iſt uns das runde Zugeſtändniß, der Gegenſatz der
berühmten beiden Flügel der Centrumspartei /beſtehe
kaum noch.“ Wenn das Blatt meint, die Centrums—
preſſe werde natürlich behaupten, daß er niemals be—
ſtanden habe, ſo fällt uns das gar nicht ein. Flügel
hat die Partei ſtets gehabt, und ſie iſt leidlich damit.
geflogen; Unterſchiede des Temperaments, in gewiſſem
Sinne auch der politiſchen Yırffaffung, jedenfalls
Meinungs verſchiedenheiten bezüglich der zu befolgenden
Taktik haben ſtets beftanden und werden ſtets beſtehen
— Da8 verſteht ſich ganz von ſelbſt in einer ſogro⸗
ßen Bartei, die ſich aus allen Ständen und allen
Landestheilen recrutirt ſie treten bald ſchärfer,
bald milder hHervor, aber daß ſie früher ſchärfer
hervorgetreten ſeien, als jetzt, könnten wir nicht ſagen.
Die Kreuzzeitung verweiſt auf die veränderte Haltung
der Partet 1n militäriſcher und ſozialer Beziehung
Sie vergift, daß das Centrum ſchon die militäriſchen
Forderungen von 1887 vollſtändig — „jeden Mann
und jeden Groſchen? und einſtimmig bewilligt
hatte, und daß der Konflift damals uur kam, weil
Fürſt Bismarck ihn wollte und deshalb die ſachlichen
Forderungen der Regierung mit der Septennatsfrage
verquickte Noch ſellſamer iſt der Hinweis auf die
Sogial· Politik. Hier erlebte das Centrum die glän—
zende Genugthunng daß die kaiſerliche Arbeiterſchutz⸗
Politik ſich in ihren Grundzügen auf den Boden des
ſozial⸗pliotiſchen Centrums-Programms von 1877
ſtellte; um ſich da nicht „zu thatfräftiger Mitarbeit
bereit zu erflären“, hätte die Partei zuͤerſt den Ver—
ſtand verlieren müſſen Eine „VBeränderung in der
Frontſtellung“ hat ohne Zweifel ſtattgefunden, aber
das geht nun einmal ſo im Krieg! iſt der Feind auf
dem einen Flügel geſchlagen oder abgerückt, ſo läßt
man dort nicht ein Armee-Corps in Parade ſtehen,



* — —

ſondern verwendet es zu nützlicheren Dingen. Das
gilt von der Partei und auch von der „maßvollen
und nationalen Haltıng“, welche die Kreuzzeitung bei
der Kölniſchen Volkszeitung anzuerkennen die Güte
hat! Jawohl ſagt ſehr zutreffend dieſelbe Köln.
Volkszeitung, wir haben unſere Front verändert: Wir
bekämpfen z B. nicht mehr die innere Politik des
Fürſten Bismarck, denn er iſt abgetreten, wir be—
kämpfen nicht mehr die Verſchleppung der ſozialen
Reform, ſolange die Regierung auf dem Wege vor—
wärts geht, den wir ſeit einer Reihe von Jahren als
den richtigen bezeichneten. Dabei aber behalten wir
uns wie der Partei vollkommen freie Hand, in andern
Dingen, ſehr entſchiedene Oproſition zu machen. Das
könnte ſich ſchon bald zeigen, und dann dürften wir
uns mit den „Hegern und Krakehlern“, wie die
Kreuzzeitung einige unſerex Kollegen zu bezeichnen
beliebt! in einem reinern „Friedens-Accord“ aͤls mit
ihr befinden.“ ;



Deutſches Reich.

* Berlin, 12. Nov. Die feierliche Eröffnung
des preuß Landtages im Weißen Saale verlief
unter ungewöhnlicher Betheiligung der Abgeordneten!
Als der Kaijer, aus der Kapelle fommend, den Weißen
Saal durchſchritt, reichte er Herrn v. Huene die
Hand. Von den Prinzen waren Alexander und Leo—
pold anweſend. Der Kaiſer verlas die Thronrede
mit klarer Stimme und betonte auffallend die zuver—
ſichtliche Erwartung auf die Vollendung der Reformen:
Die Stellen betreffend die Entlaſtung der kleineren
Einkommen und die Erhaltung des Friedens wurden
mit lautem Bravo begrüßt Bei Erwähnung der
Landgemeindeordnung herrſchte Stillſchweigen.! Bei
dem Eintritte des Kaiſers brachte der Herzog von
Ratibor das Hoch auf den Kaiſer aus, am Schluſſe
der Feier der Präſident v. Köller.

= Berlin, 12. Nov. Der geſtrigen Sitzung des
Landes Oekonomie⸗Kollegiums im landwirthſchaftlichen
Miniſterium wohnte der Kai ſer bei! Er griff bei
dem Antrag des landwirthſchaftlichen Centralvereins⸗
Königsberg betreffend Schutzmaßregeln bei Landwirth—
ſchaftsmaſchinen (Generalreferent Geheimrath Thieh,
in die Debatte ein und hob die häufig vorkommenden
Verletzungen durch Riementransmiſſionen hervor. Der
Kaifer betonte die Nothwendigkeit eines er höhten
Schutzes für Leben und Geſundheit der
Arbeiter. An dem ſich anſchließenden Diner nahm
der Kaiſer ebenfalls in regſter Unterhaltung theil.. —
Geheimrath Profeſſor Koch erſtattete dem Kaiſer zwei









— —

Eicht und Ichutten. — verb.)

Original Novelle von Han Zordaens



Nach dem plötzlichen und ſo überraſchenden Abſchied
des jungen Mannes Hatte Camilla die ganze Energie, deren
hre fräftige Natur fähig war, zu Hülfe genommen, um
ſich aufrecht zu hHalten; aber fie war fo wentig. Meiſterin
in der Berftelungskunit, daß man fie nur anjehen durfte,
um an dem fchnellen Farbenwechſel des jugendlidhen Ge-
ſichtes auf den erften Blick zuerfkennen, was in ihrer Seele
borging; — und als fie {päter, endlich auf ihrem Zimmer
angelangt, ſich mit Natalie allein jah, brach die mühfam ;
äerbultene Aufregung in einem heftigen Thränenſtrom

ch Bahn.

Es bedurfte Nichts weiter, um die ältere, erfahrene
Freundin auZ dieſen Thränen voll und klar erkennen zu
lafien, was ‚die Lippen ſich doch ausauſprechen ſcheuten

Natalie ſchloß die Zitterude bewegt in ihre Arme,




doch hHatte Camilla keine Ahnung dabon daß Natalie, nicht
Dhne jelbit das ſchwerſte Opfer zu bringen, ı9r die beleben: |
den, ermuthigenden Worte zuflüjterte, die o tröftend ihr
In’s Herz drangen. } S

Mit verhältmßmäßig geringer Mühe gelang eS auch !
NRatalie,. daz junge Möädchen wieder zu beruhigen; denn !
wie bei allen leidenjhaftlidhen, erregbaren Naturen war
er Stimmungswechjel bei ihr ein jehr fchneller.
Yın folgenden Tage Ichon erinnerte bei Camiha außer
der etwas blafjen Gefichtsfarbe Nicht3 mehr an den vor-
Abend; — denn Nataliens glaubmwürdige Ber-
ierung, daß dem fhnellen Abſchied Georgs ein unbegreifs
lihes Mipverfändniß zu @runde Kiegen müffe, welches ſich
jehr balt aufflären werde, hHatte bei ihr fruchtbaren Boden
Gefunden, und fo verlieh die Hoffnung, daß Nataliens Wor-
Ausjagung fich vielleicht ſchon heute erfüllen werde, den

nilig des jungen MähchenS einen Schein freudiger Er-
artung. ; .

Die IJugend ift ſtets bereit! zuHoffen und zu vertrauen
m In Tühnem Gedankenfluge umſpannt fie ungemtfien(e
Weiten und fie bebdarf um ſo meniger feſten @rund‘ und
Yoden ‘für Die Wufbanung ihrer Wünfche, je jeltenec Ddie








das Fundament eines ſchönen Traumes in der jugendlichen
Seele zu untergraben.

Die zwei nächiten Tage verftrichen, ohne daß weder
®eorg, noch ein Lebenszeichen von ihm in der Billa er-


liches Hoffen und Warten Iag Camila am Ddritten. Tage
nach jenem verhängnifvolen Abend auf ihrem Ruhebett,
das fie ihres krauken FußeS wegen bisher noch nicht ver-
laſſen hatte.

Der Präſident hatte ſeine gewohnte Morgenpromenade
angetreten, und Natalie, ihre treue Pflegerin, war ſchon
hinausgegangen, mweil das Hausweſen
deſſen oberite Leitung fie felbſt in Händen hielt, fie auf
kurze Heit in Anipruch nahm. S

_ So jah ſich denn Camilla afein, und ſie benußte die
Zeit des ANeinfeins, um ſich recht lebhaft auszumalen, wie
ſchön e$ fein mürde, wenn Gebra Zur Lenne ietzt ganz
unermwartet bei ihr einträte und ihr jagen wiirde, daß alle
Angit und Sorge der lebten Tage umjonft, geweien fei.

‚Sie hatte ſich 1{0 lebhaft ın ihHre üeblichen Phantafie-
gebilde hineingedacht, daß eS fieganz feltjam berührte, al3
ın Ddiejfem Augenblick plößglihH die Thür geöffnet ward; —
indeffen war 8 nicht der Erjchnte, der eintrat, ſondernein
Diener, des Haujes, der ihr einen Brief überbrackte

.. Camilla ergriff den Brief, und eS überlief ſie ganz
heiß al8 ſie bei cınem Blie auf die Ndrefje erkannte, daß
derjelbe bei der Stadtpoſt aufgegeben jet. }

„ WBWer anders als Georg Zur Lenne: würde der Schreiber
dieſes Bricfes fein, und wie würde ſich das dunkele Räthſel
nun auflöſen?

Mit der Haft, die dieſe Frage erklärlich ſcheinen ließ,
wurde die Umhühung entferut und Camilla öffnete mit
gleicher Eile das zujammengefaltete Papier, welches ſie
dem Couvert entnahm.

Kaum hatte fie indeſſen die wenigen Heilen, die das
Blatt enthielt, mit den Augen überflogen, als ihre Züge
einen Ausdruck des Schredensannahmen ; — wie von einem
böſen Traum befangen, als traue fie ſich ſelbſt nicht, ſo
ſtarrte ſie mehrere Sekunden auf die klaren! deutlichen





Schriftziige,: die 10 entſesliches meldeten : dann Initterte fie,
einer leidenſchaftlichen Aufwalung folgend, das Blattplotz
lich in der Hand zujammen, während ſie Heftig vor ſich
hin ſaate:

„Berrathen! — Slend verrathen! Das mir, einer
Tochter des Hauſes Landek! — Und ich war kindiſch genug,
in die Falle zu gehen !”

Der Inhalt des Schreibens das CamiNa in ſolche Auf⸗
regung verſetzte war kurz folgender:

Mein Fräulein! Georg Zur Lenne hat nie die Ab⸗
ſicht gehabt, ſich ernſtlich um ſie zu bewerben — Er hatte
mit einigen Freunden eine Wette gemacht, auch die Liebe
einer Gräfin mit leichter Mühe gewinnen zu fünnen. —
Als ihm dieſes gelungen war, erfand er einen Grund, um
ſich Ihrer zu entledigen, — Seines Sieges froh, iſt er
heute Morgen nach Soduthampton abgereift, ım ſich dort
zu einer Bergnäügungsreife nach New-Vork einzurchiffen.”

Unterzeichnet war das lügenhaͤfte Schriftſtück nur mit
dem anonYymen Namen:

Ein treuer Freund.”

Camillas Herz klopfte faſt vernehmlich als ſie das
zerknittexte Papier jeBt mit einer entſchloſſenen! Bewegung
in ihre Taſche gleiten ließ

Niemand, ſelbſt Natalie nicht, ſollte jemals eine Ahnung
von dem Inhalte dieſes Briefes haben.

Jeder Gedanke an die kaum erwaͤchte Neigung ſchien
plötzlich erſtickt zu jin vor dem breunenden Gefühl der
ihr miderfahrnen, ſchweren Arankung:

Wie weit mußte die Tunde von der ihr angethanen
Beleidigung ſchon gedrungen ſein wenn ſie auf ſolche Weiſe
davon Nachrich erhielt ! . 8

Nur der Spielball einer flüchtigen Laune war ſie ge⸗
wefen, einer ganzen Geſellſchaft Hatte ſie zum Spotte gedient.

Camilla legte ihre Hand auf ihre brennende Stirn.

„ D, wenn der Bräfident, wenn Natalie wüßten welchem
Elenden fie arglos ihHr Haus geöffnet hHatten! — Ob fie’e8
Natalie fagte ? {

® Da trat legtere, ihHr freundlich zuwinkend wieder bei
ihr ein.

Gorlſebun folgt.)


 
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