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Pfälzer Bote für Stadt und Land (25) — 1890

DOI Kapitel:
Nr. 251 - Nr. 260 (1. November - 13. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44151#1009

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erſchemt täglich mit Ausnahme der Somn- und Feiertage.
SamftagS mit Unterhaltungsbeilage. Preis vierteljährlich
. 1.20 ohne Trägerlohn u. Poftanfichlag. Beſtellungen
bei den Poftanftalten u. bei der Expedition Zwingerſnaße?.



Berantwortlidher Redalteur:
Zaline Jeder in Heidelberg.



.O”0.0MOOÖO.@
Beſtellungen


November und Dezember werden noch immer bei

ſammtlichen Poſtanſtalten, ſowie in unſerer Expedition

Heidelberg, Zwingerſtraße 7 entgegengenommen.
Die Erpedition.

Kede des Reichs- und Landtagsabgeordneten
Frhr. v. Bnol über die „ſoziale Frage.“
Schluß.)

In dieſer Beziehung ſind die Regierungen vielleicht
nicht ſehr geneigt darauf einzugehen Wenn in katho—
liſchen Orten vielfach der ohnedies viel geplagte Geiſt⸗
liche genöthigt iſt, um es dem Arbeiter zu ermöglichen
an einem nicht geſetzlichen katholiſchen Feiertage den
Gottesdienſt zu befuchen, von der ihm ſo nothwendigen
Ruhe zwei Stunden abzubrechen, um die heilige Meſſe
um 5 Uhr oder ſchon um 4 Uhr zu leſen, ſo iſt das
traurig. Aber auch traurig iſt es, wenn der Geiſtliche
es ermöglichen will, daß die Leute in die Kirche gehen,
die Erlaubniß des Arbeitgebers dazu mangelt, der
doch an einem nicht geſetzlichen Feiertage Stunde
oder 1'/2 Stunde pauſiren könnte — geſetzliche Feier—
tage ſind die vier hohen, vielleicht noch der Himmel—
fahrtstag —, er würde im Jahre nicht viel Zeit ver-
lieren. Hier iſt ein reiches Feld für die Privatthätig—
reit von Vereinen, das Geſetz kann nicht alles machen,
erwarte man von der Geſetzgebung nur nicht zu viel.
Aber von den Vereinsmitgliedern könne man erwarten,
daß Jeder ſeine Pflicht thut, wie päter vorgeſchlagen
werden wird Wenn ſich überall Vereine bilden, dann
fann ſchön etwas geholfen werden, namentlich, wenn
es geſchieht in größeren katholiſchen Induſtrieorten.
Wenn ein ſolcher katholiſcher Männerverein 100 Mit-
glieder hat, ſo bin ich überzeugt, daß in 4 Wochen
die Leute die Erlaubniß hHaben, um eine Pauſe zu
machen und an nicht geſetzlichen kathoͤliſchen Feiertagen
die hl. Meſſe zu befuchen. Alſo die Arbeiter ſollen
geſchützt werden. In der betreffenden Kommiſſion des
Reichstags hat man beſchloſſen, daß Arbeiterinnen,
ledige ſowohl als verheirathete, nie Nachts arbeiten
dürfen, und die verheirathete Frau nicht länger als
10 Stunden. Für Frauen haben wir alſo ſchon den
Maximalarbeitstag. Aus den Berichten der Fabrik—
inſpektoren geht hervor, daß in den letzten zwei Jahren
die Frauenaͤrbeit in erſtaunlicher Weiſe Jugenommen
yat. Verſtehen Sie wohl, ich bin nicht da, um die

45 7 Eicht und Ichatten. (Radd. verb.)
Oxiginal⸗ Novelle von Hans Jordaen38.









Baͤhrend Letztere mit Roland noch in dem Zimmer
zurücblıeb, flog Camilla mit ihren Blumen die Stiegen
hinauf, um oben die verbannte Maype, jowie die nothwen-
digen Stifte wieder aus dem Dunkel berborauziehen und
fich mit brennendem Sijer an ihre Arbeit zu geben.

Wenn jie bei der Rückehr des Herrn Zur Lenne nur
etwag annähernd Fertiges vorzeigen koͤnnen wollte, ſo mußte
fie fich möglichit beeilen. *

Über etwagz Anderes wer es ob fie überhaupt, ſeinen

Wunich erfülen und diefe Roſen nachzeichnen follte.
; Gamilla hatte ihre Mappe geöffnet vor ſich Liegen, und
was waͤr naͤtürlicher al3 daß ſie ſich beim Anblid des von
ihr gezeichneten Blumenkranzes mit deutlicher Genauigkeit
der tadelnden Worte erinnerte, die Georg geſtern darüber
geiproden. i ; ;

Dieje Kofjenknospe ſollie nicht weich genug fein, und
das Blattwerk wuͤnſchte er Fräftiger {chattirt zu haben.

. Würde ſie einem ſo pedantiſchen Kritiker iemals etwas
zu Dank machen können?

Es war nicht anzunehmen.

Herr Zur Lenne mochte ſagen, waS er wollte, die ge-
tadelten Bartien ihrer Zeichnung waren ſo ſchon und correkt
ausgeführt, mwie e3 fih bei ihrem Talente gar nicht anderz
erwarten ließ. Wenn er Diejes oder Jenes ‚anders
münichte, I0 lag das ganz einfach an jeiner bherfünlichen
. Auffofjlung; denn die Menjhen ſehen ja bekanntlich ein und
diejelbe Sache nicht mit aleichen Augen an. .

Camilla waͤndte die Zeichuuns umund blätterte weiter
in ihrer Mappe ; aber immer war es der getadelte Blumen⸗
Iranz, der ihre.®edanken gefangen hielt.“ _ V

Wie, wenn fie verjuchte, den Kranz im Sinne des Herrn
Bur Lenne zu ändern?

Nein, das ging nicht an. E

NachH ihHvem gefirigen entſchiedenen Auftreten Hätte das
nur wie Renue oder allzu große Nachgiebigkeit ausgelegt
werden fönnen. } . } '
ber fie brauchte ia nur im Geheimen einen Verſus









für Sfadt







badiſchen Zuſtände ſchwarz zu machen, das fällt mir
im Traume nicht ein, das Gute, was die Fabrikin—
ſpektoren geleiſtet haben, erkenne ich voll und ganz
an und ich bin gerne bereit zu gelegener Zeit dieſes
Gute hervorzuheben, aber Heute iſt es meine Aufgabe,
dem Grundfaͤtzẽ unſerer Gegner zu Leibe zu gehen,
die ſagen, das ſind nicht Auswüchſe, ſondern Konſe—
quenzen. Das ſollen Konſequenzen ſein, was ich Ihnen
vorgehalten habe! Nein, dagegen proteſtiren wir.
Das follen Konſequenzen der chriſtlichen Weltordnung
ſein, die wir aufrecht erhalten follen? Es ſind Miß—
ſtände, Auswüchſe, denen zu Leibe zu gehen, unſere
Aufgabe iſt. Die Kinder ſollen geſchützt werden!
Wiſſen Sie, daß die Kinder unter 16 Jahren, die in
Baden in den Fabriken zur Arbeit verwendet werden,
in den 2 letzten Jahren um 2000 zugenommen haben
und die Kinder unter 14 Jahren um 600? Aller—
dings hat die Induſtrie übexhaupt einen Aufſchwung
genbmnien, wie viel darauf fällt und wie viel auf
den Auswuchs kann nicht konſtatirt werden, das können
auch die Fabrikinſpektoren nicht, aber die Zahlen ſind
richtig. Es wird in dieſen Berichten mit Bedauern
konſtaͤtirt, daß an manchen Orten — nicht blos an
einem — Kinder bis zu 10 Jahren bei Bauten zum
Steinetragen beſchäftigt werden, und daß, wenn ein
Unglück paſſirt, der Verſuch gemacht wird, ſie in das
Unfallverſicherungsgeſetz hineinzuſchmuggeln unter An—
gabe eines höheren Alters. Das ſollen Konſequenzen
des chriſtlichen Staates ſein? Dagegen müſſen wir
alle laut und feierlich proteſtiren. Wir haben nicht
nothwendig, um ſolche Mißſtände zu beſeitigen, das
Kind mit dem Bade auszuſchütten und alles auf den
Kopf zu ſtellen. — Hinſichtlich der Arbeitszeit ver—
langt man den zehnſtündigen Arbeitstag, ab e& konımt
vor, daß in dek einen Haͤlfte des Jahres an 2 Tagen
in der Woche noch 5—6 Stunden ſogen Ueberarbeit
ſtattfindet, ſo daß 17—18 Stunden im Tag gearbeitet
werden niuß. Den Kernpunkt der ganzen Arbeiter—
frage bildet nach meiner und nach vieler Anderer
Anſicht die ſogen. Fortbildung des Arbeitsvertrags,
d. 9. des Maßes von Einfluß welcher dem Arbeiter
auf den Arbeitsvertrag eingeräumt wird. Die Fabrik—
ordnung bildet die Grundlage des Vertrags. Bis⸗
lang waͤr es allgemeine Anſchauung, daß dieſer eine
einfeitige Dispofition des Arbeitgebers ſei, denn die
Einwirkung hierauf von Seiten des Arbeiters iſt eine
Forderung der Neuzeit. Das iſt aber in einem katho—
lifchen Bezirk bei Fabrikant Brand vollkommen durch—
geführt. In einem der größten Etahliſſements in
Baden hat bis zum Jahre 1889 eine Fabrikordnung



zu machen; es ſah ſie ja Niemand, und Niemand würde
etwa8 von der Veräuderung erfahren, wenn ſie nicht wollte,

Diefer beruhigenden Erkenntniß zufolae ſetzte Camilla
den Stift an und hegann zuerſt mit zaghaften dann mit
immer träftigern Strichen die getadelten Bartien des Blatt-
werf3 zu {chattiren, bis fie, von der vorthetlhaftern Wir⸗
fung der vertieften Schatten überraſcht, in der einmal be⸗
gonnenen Weiſe vergnlügt weiter arbeitete. }

Indem Camilla ſich ſo mit wachſendem Interrefie ihrer
Befchäftigung hHingab, vergaß ſie vollitändig, wie ungerecht
diejer erbarmungslofe Kritiker geſtern ihre Arbeiten beur-
theilt hatte, und fie dachte nur daran, wie erfreut Herr
Bur Lenue fein würde, wenn ſie ihm bei ſeinem Beſuche die
deränderte Zeichnung vorlege.

Hatte er ihr doch geſtern Abend noch in ſo herzlichen,
anerfennenden Worten gedankt für die Nachgiebigkeit, Ddie
fiz ihnm gegenüber bewieſen hätte, indem fie ſich bei dem
Vortrag ihrer Fantaisie brillante nach ſeiner Auffaſſuns
gerichtet hatte. *

Woher mochte e& nur kommen, daß Herr Zur Lenne,
der fich nicht ſcheute, die Mängel ihrer Arbeiten erbarm-
ungslo3 aufzudeden und uur fehr jelten ein Lob für ſie
—— hatte. daß er geraͤde bei Camilla in ſolchem Anfehen

and ?

Eigentlich war es in bobem Grade auffallend, daß ein
Bürgerliher Kühnheit genug befaß, ihr, der Tochter eines
gräflichen Hauſez, ſo ungefhminkte Worte zu fagen, und
wenn e& nicht‘ eben Herr Bur denne geweſen wäre, Der
diefes Recht für ſich in Unipruch genommen, ſo würde ſie
dem Betreffenden gegenüber ſich mit ihrem eiſiaſten Stolze
gewappnet haben.

Aber Georg3 Auftreten erinnerte durchaus nicht an
einen Ungehörigen der bürgerlihen Kafjte; er mußte in
jeinem Leben viel mit Adeligen verfehrt haben, urtheilte
Camila fehr {charffinnig; — denn SGeorg3 Sprechweife,
jeine Manieren war die eineS Ariftokraten. — Selbit ihr
Bater, der fie fonft gewifjenhaft von, jedem Umgange mit
Benten bürgerlicher Abkunft fern zu halten juchte, hatte ihr
auf Ddiesbezlüiglidhe MitihHeilungen geantwortet, er halte den



Sohn des Commerzienrathz Zur Lenne in der heutigen









Anzeige-Blatt für,die Amtsbezirke Heidelberg,
Ladenburg, Weinheim, Schwetziigen Philipsburg,
WieSloch, Bruchjal, Bretten, Nedargemünd, Mosbadh,
Eberbach/ Buchen/ Walldürn T.-Bijhofsh. Wertheint2c,

96. Jijti.



beſtanden. Die Arbeiter durften nicht ohne Kündi—
gung austreten, die Kündigungsfriſt war bis zu 6
Monaten, aber jeden Lag konnten ſie entlaͤſſen

werden und es waren außerdem dreißig Straſbe—
ſtimmungen enthalten, wovon ich eine erwähnen
will, denn ſie genügt, um einen „tiefen Blik“, um
mit Sabor zu reden, in die ganze Sache zu thum.
Dieſe Beſtimmung lautet: „Murren gegen eine Strafe
hat ſofort deren Verdoppelung zur Folge. (Pfui)
Auch der Schutz der Geſundheit der arbeitenden Be—
völkerung iſt ein Gegenſtand, der nicht durch das Geſetz
allein geregelt werden kann, der kann dem Einzelner,
insbeſondexe der Vereinsthätigkeit anheimgegeben werden.
Es iſt nicht allein, daß die Nächſtenliebe angefenert
wird, ſondern es iſt auch ein gewinnbringendes Ge—
ſchäft. Wenn man da, wo Indüſtrie exiſtirt, Arbeiter—
wohnungen herrichtet, ſo iſt Da ein hübſches Geſchäft
zu machen. In Mannheim ſind in 53 Häuſern nicht
weniger als 100 Wohnungen gefunden worden, die
verboten werden mußten wegen Geſundheitswidrigkeit.
Daͤs Kapital für die Wohnungen, in denen Arbeiter
wohnen, rentirt ſich in einem Bezirke des Oberlandes
zu 12 bis 13 Prozent. Die Frage der Arbeiteraus⸗
ſchüſſe und das Recht der Koalition der Arbeiter er—
kennen wir im Principe an, allerdings aber müſſen
wir verlangen, daß der Vertrag auch gehalten werde.
Ich will das nur nebenbei erwähnen und im Uebrigen
nur darauf hinweiſen, daß dieſe Frage in Halle zu
einem Angriff auf die Geſindeordnung benutzt worden
iſt. Dieſe Frage hat für uns nicht die Bedeutung,
wie ſie es für den Norden hHat. Es wurde nämlich
in Halle erwähnt, daß in der preußiſchen und in der
ſächſiſchen Geſindeordnung Züchtigungsmittel u. |. m.
enthalten ſeien, aber e& wurde ein Antrag angenom—
men, wonach die Regelung des Geſindeweſens der
Gewerbeordnung unterſtellt werden ſoll Es ſind bei
uns auf dem voͤrigen Landtage zahlreiche Petitionen
eingereicht worden, die eine Abänderung unſeres
Dienſtbotengeſetzes vom Jahre 1868 verlangt haben.
Alſo, ich möchte noch einmal darauf hinweiſen, daß
für die Thätigkeit der Vereine ein ungeheuer reiches
Gebiet vorhaͤnden iſt. Es hat die Centralleitung
ſchon bei den Organiſationen, die vorhanden waren,
mehr auf dieſe Idee ihr Augenmerk gerichtet, leider
iſt man nicht überall zu der Einſicht gekommen, daß
hier mit der Wirkſamkeit der chriſtlichen Vereine ein= :
geſetzt werden muß, es wird aber hoffentlich nicht mehr
lange dauern, daß unſerm Wunſche entſprochen wird.
— Wenn ich noch auf das Gebiet der Ethik und
Religion übergehe und da zu Vorſchlägen komme, ſo
— — — r—— —s— — — ⏑—
Zeit durchaus für aleichberechtigt und er würde kein Ber
denken tragen denſelben in ſeine Salons einzuführen

Demgemäß trug auch Camilla kein Bedenken mit dem
Gaſte des Hauſes wie mit ihres Gleichen unbefangen zu
verkehren.

Die nächſten Tage veraingen dem jungen Mädchen im
Fluge; denn die begonnene Zeichnung nahm ſie derart in
Auſpruch daß ſie faſt an nichts Anderes mehr dachte, als
wie ſie dieſelbe bis zur Rückkehr des Herrn Zur Lenne
beendigen lönne.

Natalie fah ſich mährend dieſer Zeit unzäblige Male
genöthigt, ihr Urtheil darüber abzugehen, ob dieſes oder
ſenes Blatt in ſeiner Ausführung aug wohl den Anforde⸗
rungen des Herrn Zur Lenne genügen würde; aber ob⸗—
ſchon der Eifer, den Camilla darin hezeigte, ſich Georas
Zufriedenheit zu erwerben, nur dazu dienen konnte Natalie
die Bitterkeit ihres Verluſtes . immer wieder auf's Neue
fühlbar zu machen 10 verlor dieſelbe doch niemals ihre
außere Ruhe und Freundlichkeit, wenn es galt, dem unge⸗
ſtümen Mädchen zu rathen oder zu helfen.

Noland aber, der den verborgenen Schmerz und die
ſtille Entſaaung mit jedem Zage deutlicher in den geliebten
Zügen ſeiner Freundin zu leſen meinte, glaubte Nataliens
4 Leid nicht länger mehr ſchweigend auſehen zu

nnen.

Sr zürnte auf feine Coufine, deren Gefallſucht das
ganze Unglüg heraufbeſchworen und nicht weniger auf
®Georg Zur Lenne, der erbärmlidh genug war, um des ein⸗
fältinen Mädchens willen Natalie zu vernachläſſigen.

MNatalie, die ihn verehrte!

D, e8 war unglaublich!

Aber vielleicht tonnte ja noch Alles gut werden, dachte
Roland bei ſich!

Er wollte zu Georg hingehen, ihn um ſeine Abſichten
befranen, ihm jagen — —

Roland dachte nicht weiter.

— Er glaubte, ein Fieherfroſt ſchüttelte feine @lieder, als
ſeine Phantaſie bei dieſem Gedanken der Gegenwart vor
augeilte und ihm die veinliche Situation vorfpiegelte, die
er ſich ſelbſt zu ſchaffen gewillt war (Sortf. folgt.)



























 
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