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Pfälzer Bote für Stadt und Land (25) — 1890

DOI Kapitel:
Nr. 261 - Nr. 270 (14. November - 25. November)
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Wrjheint täglich mit Auznahme der Sonnz und FZeiertage.
SamitagS mit Unterhaltungsbeilage. Preis vierteliährlich
Me. 1.20 ohne Trägerlohn n Poſtanfſchleg Beftelungen
hei den Boftanftalten ı, bei der Expebitiox Zwingerfiraße 7.







Berantwortlicher Redaͤlteur:
Julius Yeder in Heidelberg.







det Leliet MUuguft

ſetzt dem Bauer Hannes und ſeinem Schwager Lorenz


Qorenz: Das iſt ſchön von dir, Vetter Auguſt,
daß du ung auch wieder einmal mit deinem Be—
fuͤche erfreueſt. Gar lange haſt du dich nicht mehr
ſehen lafjen. Wir haben ſchon gemeint, du ſeiſt
bös mit uns.

Augu ſt: Gott bewahr', lieber Lorenz. Hätten
meine Geſchaͤfte es mir erlaubt, wie gerne hätte ich
ſchon lange den Aktenſtaub abgeſchüitelt und der
Stadt den Rücken gekehrt, um mich wieder einmal
zu baden in eurer reinen, würzigen Gebirgsluft.
Nun will ich aber das Verſäunite nachholen. wenn
au nicht im Hohſommer, ſo doch im Martini⸗
ſoͤmmerle. Ich habe Urlaub auf 14 Tage und wenns
euch recht iſt, werde ich ſchon einige Tage bei euch
bleiben.

4 Je länger, je lieber.

orenz: Und jeht kömmſt gerade recht. Seit
dem 1. Oktober ſind alle Zeitungen voll Sozialismus.
Befonders die Centrumsblätter haben eine Reihe v. Artikeln
gebracht, die ich geleſen und wieder geleſen habe
Sie find aber für uns Bauern doch etwas hoch. Ich
kann nicht recht klug daraus werden.

Hannes: Es iiſt mir auch ſo gegangen, und
doch wär's gut, ja nothwendig, wenn gerade unſer—
einer recht genau wüßte, was er von den Sozialiſten
zu halten hätte.

Auguſt! Gaͤnz richtig. Sie wollen ja nächſtens
aufs flaͤche Land hinaus und wollen euch Bauern
für das ſozialiſtiſche Evangelium bekehren.

Lorenz: Ebendrum wär's gut, wenn Einer wie
du, Auguſi, uns aufklären würde. Schau, du haſt
ſtudirt, du haſt die Sozialdemokraten ſchon gehört
und geſehen, du haſt Gelegenheit, ihre Zeitungen zu
fejen, . und daß du, aus dein Bauernſtande herausge—
waͤchſen, es gut mit uns meiſt, wiſſen wir ohnehin.
Du könnteſt uns ein helles Licht aufſtecken.

Au guſt: Daran ſoll's nicht fehlen, und ihr
könnt dann das Licht wieder anderen aufſtecken.

Lorenz: Zum Beiſpiel dem Schuſterſepp und
dem Schloſſerpeter und dem Schneidermoritz und dem
Rafirer. Die ſind, glaube ich, jetzt ſchon halbe Sozia⸗
liſten. Predigi da neulich unſer Herr Pfarrer über
die Sozialiſten. Was thut mein Schuſterſepp? Das
ſei Alles nicht wahr, ſagt er Abends beim Bier in

2 Aus der Freien Stimme.“

__—:_:éi_d)t “;—b Ichatten. (%add. verb)
DOriginal-RNovelle von Han Jordaens.





Landeck pflegte in glüclihem Humor der ihn felten
verließ, jein ‚augenblicliches deben mit dem jenes märcher⸗
haften Grafen in der deutichen Sage zu vergleichen, der
nachdem er alle jeine Güter verloren, ſich ebenfalls aur ein
einjames Waldjhloß zurüdzog, um dort mit feiner FJamilie
zu Haufen;. — und wenn er morgens ſeine Büchfe uͤber
die Schulter warf um jein FJagdrevier zu dDurchfireifen, {0
Ciebte er.e8, jeine Tochter, die ihn ein Stüd Weges in den
Mald bealeitete, mit der ſchexzbaften Drohung zu entlaſſen:
der Teufel würde ihnı wohl ja keinen Lärmprinzen Dder
ein andere8 Ungeheuer in den Weg führen, die Camilla
gegen eine Tonne Goldes zur Frau begehrten, ſonſt fet iht
Loos befiegelt. . ; 7*—

am der Graf um die MittagSzeit wieder nach Hauſe.
ſo beirat er mit feiner Zochter, die ihn ſchon Ddraußen
zwijdhen den Tannen zu begrüßen, pflegie, die Herrenfiube,
raijonnirte je.nach dem guten oder jAhlechten Erfolg der
SKagd,. über die aufaetiſchte frugale Mahlzeit, bedauerte
Camilla, daß fie mit ihm in der verwünſchten MaulwurfS-
Höble wohnen müfje und leste ſich dann in einen der mit
Hirjhgeweihenund Nehköpfen verzierten hochlehnigen Seſſel
um, von.den Armen des Schlafes umfangen, fih bald in
die Tage ſeines jrüheren Glanzes zurücdzuträumen.

Kon der Nußenwelt Iag das Waldjhlößchen ganz un-
berührt, und wenn nicht die täglich einlanfenden Zeitungen
und Briefe, . die der Förfter in der nächften Ortichaft ıu
Holen ‚pflegte, Nachrichten gebracht hätten von dem was in
er Welt vorging, jo würde der Graf gar wenig von Alem
erfahren haben. . f E )

So aber erhielt er durch die Tagesblätter Kenntuiß
von der Lage der Dinge. da Ddraußen und durch den regel-
mäßigen ‚ Briefwechjel . blieb ſeine Tochter im Verkehr mit
Merwandten und Freunden. }

Einez Nachmittag3 — der Graf war in den Wald ge-
gangen, um Bänme ‘ zu ‚bezeichnen, die / gefällt weden
jallten: — joß.+Camila-mit einem duche unter ihrer. Lieb⸗
{ingstanne, nicht allzu weit voͤn dem Waldſchlößchen entfernt.



Sreitog,


*




——

8

der „Krone“. Das ſei erdichtet, ſagt er; ſo ſchlecht
ſind die Soztaliſten nicht, ſagt er: ſo ſchlimme Ab—
ſichten hätten ſie nicht, ſagt er. — Der Schuſterſepp
weiß es natürlich beſſer, wie der Herr Pfarrer.

Hannes! Frag‚ihn, aber einmal, den geſcheidten
Schufterfepp, ob er’8 dir ſagen kann, was die So-
zialiften ſind und was ſie woͤllen, dann ſteht er da,
wie der Ochs am Berg.

Auguſt: Ja, ſo iſt's mit dieſen Leuten. Drum
müßt eben ihr es ihnen ſagen und damit ihr das

könnt, müßt ihr genau wiſſen, wo die Sozia—
liſten hinaus wollen. Das müßt ihr ſogenau
wiſſen und herſagen koͤnnen, wie die 19 Ge—

boie Gottes. Druͤm will ich euch Alles deutlich er⸗
klären Und damit der Schuſterſepp und der Raſirer
nicht mehr ſagen fönnen, daß das den Sozialiften
angedichtet ſei ſo halte ich mich an das Sozialiſten⸗
Brogramm — verftanden! — an das Pro-
gramm, dDa3 die Sozialiſten Anno 1875
in Gotha aufgeftelit, zu dem ſie ſich bis:
her bekannt, Das fie erft vor einigen W o-
chen wieder auf ihrem Parteitag in Halle
al8sdaZ rechteund richtige Sozialtften-
programm anerkannt haben.

Lorenz: Jetzt bin ich aber ſehr gefpannt, Vetter
Auguſt. Alſo waͤs jetzt koͤmmt, iſt aus dem Gothaer
Sozialiſtenprogramm.

MAuguft: Ganz richtig. Nun woͤllen wir aber
zuerſt eine Prieſe nehmen und dann weiterfahren.

u

Auguft: Jetzt bör' weiter, Lorenz, ich erkläre
euch jetzt das Gothaer Sezialiſtenprogramm.

Lorenz: Bin ganz Ohr, Vetter Auguſt.

Auguſſt: Der erſte Hauptſatz und das Funda⸗
ment de? Sozialismus lantet: FJur ſozialiftiſchen
Staate jind alle Arbeitemittel Staatseigenthum.

Hannes: Das verſteh ich nicht recht.

Kuguſt!: Du verſtehſt nicht das Wort: „Ar-
beits mittel“. Alſo paß' auf! Mit was arbeitet
der Handwerker?

Hannes: Ei, mit dem Handwerkerzeug, der
Schuͤſter mit der Ahle, der Schneider mit Nadel und
Scheere, der Schreiner mit dem Hobel, der Schmied
mit Hammer und Zange.

Auguſt: Gut. Das wären alſo die Ar beits:
m itteldes Schuſters, Schneiders, Schreiner3, Schmieds
uſw. Aber der Handwerker arbeitet nicht blos mit
dem Handwerkszeug, ſondern auch mit dem Rohſtoff⸗
das ift mit dem Stoff, den er verarbeitet. So axbeitet
z. B. der Schneider mit dem Tuch, die Näherin mit






Einer der großen Jaodhunde ihres VBaters Lag ichlafend
zu ihren Züßen und die, Sonredie ihre Streiflichter durdh
die dichten Zannenzweige warf, jah mit glühenden Augen
alf die anmuthige Heine Gruppe.

Da nahte ſick der Höriter, der von ſeinem täglichen
Ganhe zur Boft zurückehrte, dem Sige der jungen Gräfin,
und Camila, ‚die der Rückunit des alten Mannes immer
mit einer gewiffen Spannung entgegenjah, rief dem Näher⸗
Fommenden ſchon von Weitem 3zu :
öfpa ſeid Ihr ja, Mertens. — Bringt Ihr mir Briefe

Aurreinen— gnädiges Fräulein,” war die Antwort des
Forſiers der ſeinen Schritt verdoppelte, um ihr ſeine Brief—
tajche zu überreichen.”

_ Camilla nahın die Taſche in Empfang und. fuchte
zwiſchen der Heutigen Poſtſendung nach dem Briefe, der
ihre Wreſſe trug. 7

„Si, von Natalie,“ fagte ſie vergnügt mit einem. Blid
* die Fräftigen. Schriftzüge und entfernte eilig die Um—
ülung.
* Da fiel ein zweites verſchloſſenes Schreiben auf ihren

doß.
Ein alühendes Roth färbte Camillas Geſicht, als ſie
auf dem Couvert dem Stempel New-York. bemerkte und
Fajt aleichzeitig am oberen Rande die Ddeutlich geſchriebenen
Worte 1a : X

Abſender Georg Zur Lenne, Hotel N ; London-Street
New:York.” . 2

Der Brief, der an die Villa Dannenberg gerichtet war,
trug wirklich ihre Adreffe, fo unglaublih das auch Camilla
anfangs ſcheinen wollte.
„ Über wie kannte dieſer Mann es wagen, auch noch an
ſie zu ſchreiben?

Glaubte er am Ende gar,
noch einer Ausdehnung fähig? 5

Sr jollte darüber, wenigſtens nicht lange mehr im Un-
klaren bleiben.

Natalie, die Aralofje, — fie meinte in ibrem Briefe,
nun werde das Mißverfiändniß jenes Abends ja wohl eine
befriedigende Löſung finden.

mit

das gewonnene Spiel ſei







7





Anzeige-Blatt für die Amtsbezirke Heidelberg,
Ladendurg, Weinheim, Scdhwegpingen, Philippsburg,
Wiesloch, Bruchfal, Bretiten, Nedargemünd, Mosbadh,
Cbherbach, Buden, Walldüirn, Z.-Bifhofsh. Werthein x




Druck, Berlag u. Erpedition von Gebr, Yuber
in Heidelberg, Zwingerſtraße 7.







der Leinwand,



dem Leder, der

Au guſt: Gut!
nach
worden.

„ QHannes: Aha! Zetzt verſteh ich's. Jetzt wird
mir’8 klar. Die Arbeitsmittel des Haͤndwerksmannes
wollen die Sozialiſten nicht mehr als Privaͤteigen—
thum des einzelnen Handwerkers gelten laſſen, ſondern
wollen das Alles ſammt und ſonders als Staatseigen⸗
thum erklärt haben.

Au guſt: Ganz richtig! Das Gothaer Sozialiſten—
programm fordert wörtlich „die Verwandlung
der Axbeitsmittel in Gemeingut der
Leſeltſchaft Ddas iſt in Gemeingut des ſozia⸗
liſtiſchen Staates, Alſo alle Arbeitsmittel, Ermerbs-
mittel, Produktionsmittel werden aus Privateigenthum
verwandelt in Staatseigenthum.

Lorenz: Potz tauſend! Ob das der Schuſterſepp
ſich überlegt hat! Dann ſäße er ja nicht einmal
mehr auf eigenem Vechftuhl. Und der Schneider—
moritz hätte keinen eigenen Faden mehr und der
Raſirer keine eigene Seife und Seifenſchüſſel mehr.

Auguſt: Aber du, mein guter Lorenz hätteſt im
ſozialiſtiſchen Staat auch keine Arbeitsmittel mehr.
Denn deine Arbeitsmittel ſind 1) deine Roſſe, Ochſen
und Kühe; 2) dein Wagen, und Pflug, deine Egge
und Dreſchmaſchine; 3) deine Aecker, Wiejen, Gärlen
und Weinberge; 9 deine Kapitalien in der Kaſſe;
5) deine Stallungen und Scheunen; 6) dein Haus
und Hausgeräthe Das alles iſt nothwendig zur
landwirthſchaftlichen Arbeit, alſo auch Arbeitsmittel.
Das Alles wird dir genommen, vielleicht gegen eine

! Alſo: alle Arbeitsmittel ſollen
dem Sozialiſterprogramm Staatseigenthum

kleine Entſchädigung, und wird erklärt als Staats—
eigenthum. ®
‘ Hannes: Oho!

Auguſt: Jawohl! Alle Arbeitsmittel werden

ſozialiſtiſches Staatseigenthum. Alſo der Stuhl, auf
dem du ſitzeſt, der Krug, aus dem du trinkſt, der
Arbeitskittel, den dır anhaft wird Staatseigenthum.

Hannes: Jetzt ſchlag ein Rad! Darnach würde
alſo Grund und Boden einfach zuſammengeworfen
und die Aecker und Wiejen, die Wälder und Wein—
berge würden Staatsdomäne und angebaut durch
ſozialiſtiſche Domäneverwalter?

Auguſt: Freilich Hannes, und dann gibt'


Lalürlich Natalie wußte ja nicht, was ſie wußte.

Wber Camilla war entfchloſſen

Sie ging in’3Haus, machte einen kräftigen Strich durch
ihre Adreife und ſchrieb mit aroßen Buchſtaben das Wort
„retour” auf eine leere Stelle des Couverts,

Der Fölter mußte den Weg zur Boft heute noch ein⸗
mal unternehmen ; denn es durfte nicht ausjehen, als fei
der Brief, auch nur einen Tag in ihren Händen gewejen’
5 Georg3 Schreiben wanderte aljo wieder zurück übers

eer.

_ Camilla aber verſicherte ſich am AWbend diefes Zanes
mit feltiamer Ruhe, e habe, nun mit dieſem Theile ibrer
NVergangenheit vollſtändig abgebroden. — —

22. Kapitel.

Es mochten etwa fechS Wochen feitdem vergangen ſein

Der Spätherbit haite begonnen, und in den Kreiſen der
aroßen Geſellfchaft ſprach man ſchon bviel von den nun bald


und von aller Mühe und Unfirengung, die Daraus noth-
wendigerweije für-Ddie BethHeiligten erwadfen würde

YWuch die Commerzienräthin Zur Lenne zählte zu jenen
Frauen, die mıt Seufzen der herannahenden unrudhigen
Saijon entgegenjahen, jedoch auch wieder auf der andern
Seite fich verpflichtet fühlten, Feine der gebotenen VBergnü-
gungen undenußt vorübergehen zu laffen.

Die Commerzienräthin unterhielt ſchon ietzt _mehvere
Wochen vor Beginn der gefelligen Thee= und Mujikadbende
die eingehenditen Conferenzen mit ihren Kleiderhändlern
und Modijtiunen, und die Toilettenfrage nahm ſie über⸗
haupt devartig in Mnfpruch, daß fie auf die Mittheilung
ihres Satten, ‚der ihr eines Morgens ärgerlich erklärte,
®Seog hHabe noch eine.grüße Keije angetreten und werde
wahrfcheinlich vor dem Sommer nicht zurücfommen, Die
gewiß jeltjiame Erwiederung gab, ſie Halte im Grunde ge-
Hommen' jeßt die Zahreszeit nicht geeignet zum Reifen.

Der Bangquier,: der indeſſen wohl eine andere Untwort
auf jeine ‚Neuigkeıt ‚erwarfet. haben mochte, war bei dem
an fih ganz unfghuldigen Sinwurf, ſeiner Frau zornig aufe

gefahren.
(Fortjeburg: folgt.)


 
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