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Mannheimer Morgenblatt — 1843

DOI Kapitel:
August (No. 178 - 203)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44564#0779

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niederlegte und der lockere Kammerherr ſah, wie gar noͤthig ſeinem
kieinen Beſitzthum ein ſparſamer wirthſchaftlicher Herr ſeye, und wie
verderblich die Flegeljahre mit ihren Extravaganzen in der Kaſſe ſich
verewigt hatten. Da uͤberkam mich auf einmal der Verſtand — ich
fuͤhlte eben den Durchbruch des letzten Weisheitszahnes — und raſch
entfchloffen, den vaͤterlichen Segenoͤwuͤnſchen und gutgemeinten Rath-
ſchlaͤgen keine Schande zu machen, nahm ich weinen Abſchied, verkaufte
die allzukoſtbare Equipage und fonſtige uͤberfluͤſſige Nothwendigkeiten,
und eilte mit meinem treuen alten Ehrmann auf das Gut zurüd, feſt
entfchloffen, durch weiſe Sparſamkeit, thaͤtige Aufſicht und eigene Kraft
das zerruͤttete Erbtheil wieder „herauszuhauen,“ wie ich mich aͤcht ſol-
daͤtiſch ausdruͤckte; Buͤcher, Jagd, Muſik, Studium der Landwirthſchaft,
der ſchoͤnen Natur ſollten mir die ſinnlicheren eitlen Genuͤſſe der Stadt
erfeßen, und meiner Energie vertrauend, hoffte ich die Sehnſucht naͤch
dem Vergangenen leicht bewaͤltigen zu koͤnnen. Ge ſagt aber war leich-


huͤnderte; doch blieb ich unbeugſam und verharrte vier volle Jahre, nur
noch brieflich mit einigen Freuͤnden verkehrend, die mich hie und da
über die Thorheiten meiner einſtigen Genoſſen berichteten. Wenn der
alte leichfertige Menſch ſich wieder in mir regte, bflegte ich mein Haus-
buͤch hervorzuholen; darin ſtand ſchwarz auf weiß:

Im Monat Mai 1831 an den Grafen

Weiler in Whiſt verloren 85 Dukaten
beim Wettrennen zu X. auf die Andro-
meda gehalten und gegen Baron Stein-
buͤchel verloren ; | 50 “
auf der Steeple-chahe zu Weidenheim
an Oberſt von Treff verloren .. —F1 80 *
auf dem Jahrmarktsballe zu Laubach im
Pharo nur 6 %
der Primadonna Fraͤulein v. Schreien ei-
nen tuͤrkiſchen Shawl an Aaron Levi 40
fuͤr die Regimentsbaͤlle zu Weidenheim
ſubſcribirt mit ——
Taſchengeld fuͤr den Monat Mai 80 5



thuͤt in Einem Monat nur 420 Duͤkaten.

Bei ſolchen Reminiscenzen ſchwieg der lockere Premierlieutenant, und
der Rittmeiſter & la Suitè rieb ſich etwas verlegen die Stirne und
wollte ſeinen Augen kaum mehr trauen.
kalter Ironie: Iſt das auch edelmaͤnniſch gedacht?“ ſo pflegte der
Gutobeſitzer hie und da zu erwiedern: „Hm, dieß vielleicht nicht, aber
doch haus⸗ und ehrenmaͤnniſch!“ — Kurzum, das Hausbuch, welches
gur von Verluſten und Ausgaben nie aber von Einnahmen und Ge-
winn ſprach, lullte die ſtillen Wuͤnſche und lauten Begehren gar manch
_ fiebes Mal in Schlaf, und ließ die „theuren“ Thorheiten vergeſſen. —
Aber langweilig war meine Exiſtenz — bei Gott! gewaltig langwei-
lig; wollte ich mit meinen wackern Ehrmann vom Theater reden, ſo
fhlug er ein Kreuz und brummte: „Suͤnde, Unſinn, Laxifari!“ Sprach
ich von Literatur, ſo ließ er ſich vernehmen; ein vernuͤnftiger Menfch
und Chriſt brauche eigentlich nur dreierlei Buͤcher, ein Brepier, einen


buch von Anno 92 gelten laſſen, die andern aber gehoͤren, als Werk-
zeuge der Ketzerei in's tiefſte Fegfeuer;“ las ich ihm eine ſchoͤne Stelle
aus Schiller, Goͤthe, Tieck, Shakspeare vor, ſo riß er die Augen weit
auf und murrte vernehmlich genug: „Verruͤcktes Zeug! ſo ſpricht kein
Menſch von fünf Sinnen, nur ein Narr oder vagirender Deflamator !
Kam ich auf Muſtk, ſo ruͤhmte er ſeines Vaters Vogelorgeln und
Brummeifen. — Kann man mir's unter ſo bewandten Umſtaͤnden ver-
‘ Denken, wenn ich mir am Morgen meines dreißigſten Geburtstages vor


"waährend voller vier Jahre bewieſen, daß Deine Reue uͤber die fruͤhe-
ven Thorheiten eine wahre geweſen! Du haſt Entbehrung, Muͤhſal und
Langeweile heldenmuͤthig ertragen — Dein Lohn ſoll Dir nun nicht
entgehen! Die Fmanzen ſind ſoweit korrigirt, daß Du eine Gattin mit
befheidenen Anfpruͤchen ernaͤhren und mit weiſer Umſicht noch die al-
ten Suͤnden decken kannſt, auch ſagt die Schrift: es iſt nicht gut, daß
der Menſch allein ſeie. Wenn die Schafſchur ergiebig und der Beizen
woͤhl gediehen iſt, ſo magſt Du ein Hundert Dukaͤtchen zu Dir ſtecken
und eine Reife gen Carlsbad thun, woſelbſt Du die Wahl haben wirſt
ayuter den Damen, ſo ſich fuͤr Dich eignen!“ Mit dieſen Worten that
i& den Ießten Sirich um’s Kinn, und blickte ſelbſtgefaͤllig in den Spie-


gel, findend daß der Rittmeiſter A la Suite zwar etwas mehr Enbon-
point alg der Premierlieutenant des Uhlanenregiments, aber auch weni-
zer Schulden habe, und kam zu dem Reſultate, ein moderner Rock
werde aus dem Einſtedler noch immer einen leidlich huͤbſchen Freies-
mann machen. Gedaͤcht, gethaͤn! die Schaffchur kam und übertraf die
gehegten Erwartungen, der Weizen brachte tauſend Garben mehr als
Ehrmann berechnet und der gute Alte ſtimmte diesmal ſelbſt für ein
Hundert Dukaͤtchen mehr zu der projektirten Reiſe. „Sott’s Blitz!“
rief er jubelnd, „da haben der Herr Baron, mit Salvenia zU reden,
den zweiten vernuͤnftigen Einfall in Dero Leben! Ja, ja! ein Weibchen
war’s, was Hochdenen bis anhero noch abging! Aber, daͤchte idy, e
waͤre doch am Ende beſſer, wenn Dero Gnaden die Zukünftige in Dero
naͤchſter Naͤhe fuchen wollten; der Stamm gedeiht doch immer am be-
ſten da, wo das Reis gewachſen iſt, und die vornehmen Damen, ſagen
Dero Gnaden, verſtehen ja nichts von der Wirthſchaft!“ — „Er ſpricht
wie Er's verſteht, Ehrmann!“ antwortete ich darauf, „glaubt Er denn,
ich waͤre noch iedig, wenn, was ich wuͤnſchte, in der Naͤhe zu finden
waͤre! Die Frau, welche mich gluͤcklich machen ſoll, muß eben ſo ge-
bildet als anfpruchlos, großſtaͤdtiſch erzogen und kleinſtaͤdtiſch haͤuslich,
nicht haͤßlich iind dabei kugendhaft ſein, und ganz ohne den Nervus re-
rum — Er verſteht mich Ehrmann! — darf ſie mir auch nicht ins
Haus kommen! — Wo follte ich einen ſolcheu Engel in dieſen Bergen
uͤnd Waͤldern finden?“ — „Halten zu Gnaden, Herr Baron!“ verfegte
der Verwalter kopfſchuͤttelnd, „wenn Dero Augen nicht mit vorſaͤplicher
Blindheit geſchlagen waͤren, duͤrften Hochdieſelben lange ſchon gefunden
haben, was Ihnen frommt!“ n

Eortſ. folgt.)

Buntesðs.

Ein Beamter in einem fraͤnzoͤſtſchen Departement begehrte die
Tochter eines Pachters zur Frau, uͤnd erhielt von dem Vater die Ein-
willung. Er nahm auf einige Zeit Urlaub, und begab ſich auf den
Pachthof, um ſich auch die Einwilligung der Tochter zu ſichern. Er
wurde anfangs recht gut aufgenommen; die beiden Verlobten fuhren


achtet aller Auͤfuerkfamkeit von Seiten des Bewerbers konnte ſich Die
Paͤchterstochter doch an ſein Geſtcht nicht gewoͤhnen; er hatte die vier-
zig bereits uͤberſchritten, und auf ſeinem Kopfe leuchtete eine dem Voll-
monde nicht undhulihe Glatze. Die Schoͤne entſchioß ſich endlich ei-
nen benachbarten jungen Pachter zu heirathen, welcher erſt 22 Jahre
alt und außerdem fehr reich — an bloͤnden Locken war. Der Beamte
zog ſich zuruͤck, ohne ein Wort zu ſagen, aher am folgenden Tage er-
hielt der Pachter durch den Gerichtsdiener eine lange RNechnung, worin
unter auderen Koſten und Auslagen auch folgende Artikel ſigurirten:
Ein paar Handſchuhe gekaͤuft, um Fraͤulein N. auf die Promenade zu
fuͤhren, 1 Frank 45 Centimes: — Ueberfahrt über den Fluß fuͤr Fraͤu⸗
Jein- N., 20 Cent.; — dem Fraͤulein N. ſowohl muͤndlich als ſchriftlich
ſehr viel Schoͤnes und Schmeichelhaftes geſagt, item ſehr viele Muͤhe
gehabt, um ihre Einwilligung zu erlangen, 20 Franken. 1c. Dieſe No-
ta ward vom Gerichte etwas ermäßigt, aber der Grundſatz der Ente -
ſchaͤdigungsleiſtung wurde dadurch aufgeſtellt, daß die Richter dem Klaͤ⸗
ger einen Schadenerſatz zuerkannten.

Die Leipziger Mode-Zeitung enthaͤlt Folgendes: „Sonſt war es
hiſtoriſch begruͤndet, daß die Toͤchter der Fuͤrſten allein Fraͤulein ge-
nannt wurden; die Toͤchter der Ritter hießen damals: edele Magd.
uud die der andern Freien: Maͤgdlein. Spaͤter maßten ſich alle
Toͤchter der Edelleute an, Fraͤulein genannt zu werden oder vielmehr
die Hoͤflichkeit bediente ſich dieſer Anrede allgemein, bis die Nachah-
mung der franzoͤſiſchen Sitte dieſe deutſchen Worte ganz verdraͤngte und
Madame und Mademoiſelle an deren Stelle ſetzte? — „Unſere Vor-
fahren hatten keine Geſchlechtsnamen, konnten alſo ihre Abfſtammung
uicht urkundlich nachweiſen. Die Zunamen wurden gewoͤhnlich von dem
Woͤhnoͤrte vder dem Beſitzthume angenommen. Noch 1130 hatte ein
Gaugraf Herrmann keinen andern Namen; ja noch bei dem Saͤn—
gerfeſte auf der Wartburg im Jahre 1206 war es an dem Namen nicht
zu erkennen, wer zu dem oder jenem Stande gehörte; denn einer der
Saͤnger war Herrmann pon Ofterdengen, ein Buͤrger aus Eiſenach,
und noch 1352 hieß ein Buͤrger zu Frankfurt an d. O. Heinrich von
Auermünde. Damals hatte das Woͤrtchen „von“ noch keine feſigeſelte
Standesbedeutung. Wilhelm von Eoͤln mar ein Maler aus Coͤln,
und Hermann von Salza ein Ritter aus Salza. —


 
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