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Mannheimer Morgenblatt — 1843

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März (No. 51 - 76)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44564#0302

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Die Stadt Bouc. '
(Epifode aus den Reiſe⸗Exinnerungen von Aler. Dümas, Von A S.)

Zwiſchen Arles und Marfeille dehnt ſich eine weite, theils ſtei-
nige, theils ſumpfige Flaͤche auf welcher das Auge nichts gewahrt,
alg einige Weideblaͤtze voll feinem ſalzizen Grafes, die gleich Oaſen
aus der Wuͤſte hervorſchimmern, und die zerſtreuten Baracken armer
Hirten, die von Vferde und Rinderzucht lehben? Durc dieſe ein foͤr⸗
mige Ebene zieht ſich die Landſtraße, die beide Städte miteinander
verbindet. Sechs Stunden vor Arles macht das Meex einen tiefen
Einſchuitt in die Kuͤſte, anfangs nicht breiter als ein Kanal eindrin-
gend, dann aber ſich zu einem groͤßen See ausdehnend, der zu einem
vortrefflichen ſicheren Hafen wie gemacht ſcheint.

Dort war es, WD gegen zwer Uhr Nachmittags unſer Kutſcher Halt
machte und uns auszuſteigen bat, mit dem Bemerken, daß hier Mit-
tag gehalten werde. Wir folgten ſeinem Geheiße und erhielten auf un-
ſete Frage, wo wir uns denn eigentlich befaͤnden, zur Antwort:
der Stadt Bouc.

Wir ſahen uns nach allen Seiten um, konnten aber nichts erblik-
fen, als daͤs weite Feid und drei Haͤuſer, von denen aber nur das
Eine bewoͤhnt fchien, da die Thuͤren und Laͤden der beiden anderen
alle feſt verſchloſſen waren.
Saale zu ebener Erde nur den Wirth, der ganz allein mit ſich ſelbſt
Billaͤrd ſpielte, um ſich die Zeit zu vertreiben.

Wir fragten den guten Mann, den unfere Ankunft hoͤchlich uͤber-
raſcht hatte ob wir hier zu Mittag ſpeiſen koͤnnten. Er erwiderte,
nichis fei leichter als das, wenn wir nur gefaͤlligſt ein Stuͤndchen Ge-
duld haben wollten.

„Und womit koͤnnen wir uns in der Zwiſchenzeit hier unterhalten?“

„Beſehen ſie unterdeſſen die Stadt!““ ,

„Welche Stadt?“

„Ei die Stadt Bouc!““

Ich war der Meinung, wir haͤtten dieſelbe vielleicht ſchon in un-
ſerem Wagen paſſirt, ohne es bemerkt zu haben, und trat vOr die
Hausthuͤre! um nach dem Wege zu ſchauen, den wir hergekommen



ich ſah nichts weiter, als eine große Flaͤche und die zwei verſchloſſenen
Haͤuſer vor mir, nicht einmal das geringſte Huͤgelchen, hinter dem al-
fenfalls ein Staͤdtchen verſteckt liegen Fönnte. Ich trat wieder in die
Hausflur, wo ich meinen Reiſegefaͤhrten damit beſchaͤftigt fand, ein an
der Wand geklebtes gedrucktes Placat zu leſen.

Dieſes Bouc muß irgend eine unterirdiſche Stadt ſein wie Her-






„Nei, nein, ich habe es ſo eben entdeckt!““ — gab er mir zur
Antwort. 2 ;

Wie ſo? Wo denn?“

„„Hier!““ — verſetzte mein Freund, indem er mit dem Stocke
auf das Placat deutete. Ich ſtellte mich hin und las wie folgt:

„Napoleon, von Gottes Gnaden Kaiſer der Franzoſen, Koͤnig von
Italten 26. Wir haben uns gewogen gefunden und beſchloſſen;

„An dem Einſchnitte, den das Meer zwiſchen Arles und Marſeille
in das Land maͤcht, ſoll eine Stadt nebſt Hafen gebaut werden. Dieſe
Stadt ſoll den Namen „Bouc“” erhalten.

2*

„Unſer Miniſter der oͤffentlichen Arbeiten iſt mit der Vollziehung

„Gegeben in Unferem Schloͤſſe der Tuillerieen, den 24 Juli. 1811.
„Napoleon.“
* dieſem Dekret befand ſich der Plan der neuzuerbauenden
tadt. ;

„Nun, was ſagen Sie dazu?“ fragte mich mein Begleiter.

In der That hatte Napoleon in jenen ſeltenen Mußeſtunden, welche
ihm der Frieden gewaͤhrte, indem er ſeinen Blick auf der Landkarte von
Frankreich ſchweifen ließ , dieſen Punkt am Geſtade des mittellaͤndiſchen
Meeres alg ſehr günftig aufgefaßt und fogleich geſagt: „Hier muß eine
Stadt und ein Hafen errichtet werden!“

Kaum war ihm dieſer fluͤchtige Gedanke gekommen, als er ſich auch
verkoͤrperte und noch denſelben Morgen in Form obigen Decrets vor
ihm lag. Der Plan zur Stadt war bald entworfen und ein Corps


zug, die Moskauer Ungluͤcksgeſchichte; der Winter hatte bereits viel
Menſchen hingerafft. Napoleon brauchte friſche Unterſtuͤtzung, die In-
genieurs wurden zuruͤckberufenz ſte hatten nur ſoviel Zeit gehabt, die

Grundſteine zum Hafen zu legen, den Platz zur Stadt auszumeſſen
und die Straßen und oͤffentlichen Gebaͤude mittelſt Pfaͤhlen anzudeuten,
woͤrauf hin ein zu voreiliger Spekulant ſogleich drei Haͤuſer bauen ließ,
von denen zwei aus Mangel an Miethern geſchloſſen bleiben mußten,
indeſſen das dritte unſer Wirth uͤbernahm und zu einem Gaſthauſe eine
richtete.

Das war alſo die Stadt, die zu beſichtigen er uns rorgeſchlagen
atte.

Ich hatte einen augenblicklichen Schrecken. Mich befiel naͤmlich der
Gedanke: Wer weiß ob das erwartete Mittagseſſen nicht eben. {v-
gut nur eine Illuſion iſt, als der Anblick der Stadt? Mit einem
Sprunge war ich in der Kuͤche. Doch ich hoͤrte das Knarren des
Braͤtfpießes und das Kniſtern des Fetts in den Keffeln. Ich naͤhrte


Phaͤntom einer Hamelskeule und der Schatten eines waͤlſchen Hahnes
fey? Nein, dießmal war es die lautere Wirklichkeit.

„Ah! Sie ſtuͤd's?“ — rief mir der Wirth zu, der herbeikam, nach
dem Bratfpieße zu fehen. — „Gedulden Sie ſich nur noch ein wenig;
machen Sie unterdeſfen eine Tour die Hauptſtraße hinauf bis an’s
Theater; dort will ich ſie abholen, ſobald das Eſſen gar i# ı

Ich glaubte, er habe den Verſtand vorloren. Da ich jedoch eben
ſo viel Reſpekt vor Verruͤckten habe als Mitleid mit den Dummen,
hing ich mich in den Arm meines Reiſegefaͤhrten und ſchleuderte mit
ihm eine Strede weit hinaus, um die Haͤuptſtraße zu fuchen. Wir
fanden diefelbe bald. Einige Schritte weit vom Gaſthauſe naͤmlich
ſtund ein Pfahl aufgerichtet mit folgender Inſchrift: „Hauptſtraße
oder Hafenſtraße“ Wir folgten dieſem Wegweiſer Hundert Schritte
weiter traffen wir einen zweiten Pfahl; dieſer trug die Juſchrift: „Thea-


Wahrſcheinlichkeit nach, wo uns unſer Wirth abholen wollte.

Sn der That, ein Viertelſtuͤndchen darauf fand er ſich bei uns ein.

Der guͤte Mann war ungeheuer zuvorkommend. Mit der unermüde
lichen Gelehrſamkeit eines Eicerone fuͤhrte er uns eine ganze Stunde
laug von einem Ende der Stadt bis zu andern herum und zeigte uns
alle Merkwuͤrdigkeiten in spe derſelben, das Rathhaus, das Schulge-
baͤude, die Boͤrfe, das Zollamt, die Metzig, die Promenade, den po-
taͤnifchen Gaͤrten re., und die geringſte Kieinigkeit mit der groͤßten Ge-
nauigkeit auseinanderſetzend. Nicht einmal einen Brunnen erließ er
uns in ſeiner Beſchreibung. Gluͤcklicherweiſe hatte ich meine Jagdflinte
mitgenoinmen, und ſo ſchoß ich ein Paar Feldhuͤhner auf der Boͤrſe
und einen Haſen auf dem Hauptzollamt.

Es iſt doch eine herrlich? Sache um diefe Stadt Bouc, und iſt ſie
leider ganz das Gegentheil von Rolauds Pferd. Dieſes hatte nur den
einzigen Fehler, naͤnilich den, daß es leblos war; die Stadt Bouc aber
hat den Fehler, daß ſie noch nicht exiſtirt. Sonſt waͤre nichts Daran
auszuſetzen: ja, ich will ſogar Eins zu ihrem Ruͤhme beifuͤgen: Wir
ſpeibten beſſer darin, zu Mittag, als in manchen Staͤdten, die zum
Leidweſen der Reiſenden das Gluͤck haben, wirklich zu exiſtiren

5 un e B, :

+ In einen Wirthshaufe fiel jüngft folgendes Geſpraͤch vor: „Ilt
Ihr Freund etwa gar ein Muͤnchner?“ fragte der Eine im Eifer. Ganz
troͤcken antwortete der Andere: „Nein, er iſt ein Sattler.“



Der Oſtindiſch⸗Syriſch Berliniſche Miſſions⸗Frauen-
* erein.
(Aus dem Allgemeinen Anzeiger.)
Motto.
Nachbar, kehrt erſt vor eurer Thüre.

* (Aus dem Opindilchen.) *
Der Verfaſfer des Nachſtehenden hat mehrere Wochen gewartet um -


die Ueberzeugung zu erhaͤlten, daß es keine Zeiiungsluͤge, keine Myſti-
fication, fondern Waͤhrheit fet, daß die Berkiner Frauen einen
Miffionsverein gebildet haben zur chriſtlichen Bildung und Verbeſ⸗—
ferung des weiblichen Gefchlechts in Oſtindien und in Syrien! *)
In Berlin, das Taufende unglüclicher Maͤdchen zaͤhlt, die von dem
Feraͤchtlichſten Gewerbe dem Verkaufe ihrer koͤrverlichen Reize⸗ leben;
in Berlin, wo man ſich Abends in manchen Straßen nicht ſehen laſ-
ſen mag, um nicht von hungernden Toͤchtern der Freude angefallen zu

) Siehe Mannheimer Morgenblatt No. 52, vom 3. Märg d. J. Artikel
Ber lin / unter Tagesbericht. ! *
 
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