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Mannheimer Morgenblatt — 1843

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Mai (No. 102 - 126)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44564#0439

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dem Zuchtpolizeitribunalzu Paris ihren Anfang genommen. Der beruͤchtigte
Ex Chef der geheimen Poiizei, deſſen Haubtkunſtſtuͤck war, Diebe und
andere Uebelthaͤter durch eine vertraute Schaar gleich verworfener In-
dividuen uͤberfallen und in die Falle locken zu laffen, iſt jeßt ein Mann
von 69 Jaͤhren und nennt ſich Geſchaͤftsagent; feit 1793, wo er zum
erſten Mal mit der Zuſtiz zu thun bekam und in die Eiſen verurtheilt
wurde, hat er eine Reihe wunderlicher Fata beſtanden; 1802 aus bem



men Polizei und avancirte nach und nach bis zur Stelle eines Chefs.
Bei dem Verhoͤr ſagte er unker anderem aus: „Ich allein
hatte die Polizei uͤber die Diebe zu beſorgen; man gab-mir erſt
nur einen Gehuͤlfen, dann zwei, dann drei; ich erhielt den Auftrag,
eine Sicherheitspolizei zu bilden; es iſt mir gelungen, eine unermeß-
liche Zahl von Verbrechern zur Haft zu bringen; im Jaͤhr 1826 zerfiel
ich mit Hru. Dupleſſis; wir hatten nicht dieſelben politiſchen Meinun-
gen; ich reſignirte; erſt unter Hrn. Debelleyme nahm ich wieder Dienſte
bei der Polizei; nach 1830 bal man mir Anträge gemacht, auf die ich
nicht eingegangen bin. Caſimir Perier, der mir wohl wollte (qui av-
ait des bontes pour moi) brachte mich mit Hrn. Gisquet zufammen ;
ich darf ſagen, daß ich zu jener Zeit ſehr bedeutende Dienſte geleiſtet
habe, beſonders bei dem Aufſtand am 5. und 6. Juni 1832; en Jahr
fpäter 30g ich mich von der Polizei zuruͤck, weil man gegen meine An
ſicht die Sicherheitspolizei mit der Municipalpolizei zuſammenſchmelzen
wollte; ich hatte mich uͤberzeugt, daß man daͤs Diebsgeſindel nicht
uͤberwachen und einfangen koͤnnte, ohne Diebe dazu zu verwenden; In:
dem ich meine Brigade nach dieſem Grundſatz montirte, hatte ich
zwei Zwecke im Auge: die Uebelthaͤter zu entdecken und wieder frei ge-

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Schoͤnheiten der Dichtung und des Spieles aufmerkam maͤcht und in-
tereſſante Anekdoten aus dem Leben der Schaufptelerinnen zu erzaͤhlen
weiß; den Tapageur, der bei dem Fleinften Anlaͤß auf das Wüthendfte
applaudirt; den Rinur, der uͤber den platteſten Spaͤß ſo herzlich lachen
kann, daß er dadurch ſeine ganze Nachbarfchaft anſteckt; den Pleureur,
der daſſelbe durch die ruͤhrendſte Ruͤhrung bewirft; den Chatouilleur,
der vor Anfang des Stuͤcks und in den Zwiſchenakten durch Schnußf-
tabak, Bonbons, Theaterzettel die Nachbaͤrn freundlich ftimmt und fie
durch luſtige Unterhaltung in frohe Laune verſetzt; den Chauffeur, der
an jeder Straßenecke, bei jedem Theaterzettel ſtehen bleibt und, wenn
ſich Mehrere verſammelt, entzuͤckt ausruft: „Ach welch' ein herrliches
Stuͤck!“ Endlich den Bifeur, den unermuͤdlichen his- oder da ecapo-
Rufer, Jeder dieſer verſchiedenartigen Ctaqueurs erhaͤlt allabendlich ein,
Freibillet und außerdem zwei bis Drei, Francs; e8 gibt Biſſeurs, Die,
beſonders wegen der Staͤlke ihrer Lungenfluͤgel beliebt, ſich Ddurch ihr




man hat das geaͤndert und ich glaube, man hat unrecht gethan.“ Seit
1833 iſt Vidocg Geſchaͤftsagent er kann es aber nicht laffen, zuweilen
in ſeine alte Rolle zu verfallen und auch ohne Autoriſation den gehei-
men Polizeimann zu fyielen. So iſt er jetzt angeklagt, einen gewiſſen
Champaix auf illegale Weiſe verhaftet, in ſeiner Wohnung eingeſperrt
gehalten und unter truͤgeriſchem Vorwand zur Unterzeichnung eines
Wechſels verleitet zu haben. Einem Marquis Duvivier, der feinen
Kopf darauf geſetzt hatte, einen Orden zu haben, hat er nicht nur ei-
nen, ſondern gar zwei verſchafft: den Spornorden und die Decoration
der Sultanin Beglirz dafuͤr zahlte der Herr Marquis dem fehlauen Ge-
ſchaͤftsagenten 3000 5r. Duͤvivier muß ganz naͤrriſch auf den Orden
verſeſſen geweſen ſein, denn er ſchickte dem Vidoch 15,000 Fr. und die-
er war ſo ehrlich oder vorſichtig, nur den Marktpreis für die beiden
Decorationen anzunehmen. In dem Verhoͤr heißt es: „Man weiß ja,
daß es zu Paris offene Bureaux gibt; wo man Orden kaufen Fann;
ein gewiſſer Graf Sartorio hat Spornorden abgegeben ſo viele man
deren nur wollte; ich exſuchte den Hrn. Ramorin Dumon, mir fein Ba-
Lent als Ritter vom goldenen Sporn zu leihen, uͤberſchickte es dem Hrn.
Duvivier, und fragte ihn, ob das etwas fuͤr ihn fet Gl cela faisait


mit der Sache ab; den Spornorden zahlte ich mit 700 Fr., die De:
coration der Sultanin mit 200 Fr. — das ſind die Marktpreiſe; Duz
vivier wollte mir fuͤr die zwei Orden 8000 Fr. geben; ich begnuͤgte
mich mit 3000 Sr./ In der Ausſage uͤber den Fall mit Champaix


wie ich denn alle Leute kenne; es gibt Niemand in Paris, den ich nicht
von Geſicht kenne — il n’y a personne à Paris dont je neconnaisse
Ja phyisionomie.” Das will viel fagen in einer Stadt von 1,000,000
Seelen!

+ In Paris iſt unter den Auſpieie! des Typographen Panckbucke
ein Patent auf eine kurioſe Erfindung genommen worden, die wenn
ſie naͤmlich probat wird — den Anſpruch macht, die Druckkoͤſten auf
die Haͤlfte zu reduciren. Wie erreicht der Erfinder dieſen Zwed? Er
beruft ſich auf ein „bekanntes pfhcholögiſches Phaͤnomen,“ , dem zufolge
das Auge beim Leſen nur der oͤberen Haͤlfte der Buchſtaben bedürfe,
um leſen und der untern gaͤnzlich entbehren zu koͤnnen. Dadurch will
der Erfinder den Raum der Schrift auf Ddie Haͤlfte reduciren! Was

*

Keine Huͤnerangen mehr! Eine engliſche Wochenſchrift ver-
räth folgendes Mittel wider dieſe Plage. Nimm einen Theeloͤffel voͤll
Theer, einen Theeloͤffel voll groben braͤunen Zucker und einen Theeloͤf—
fel voll Salpeter, laß es zuſammen warm werden, ſtreiche es auf duͤn—
nes Handſchuhleder, lege ein kleines Pflaͤſterchen davon auf das Huͤh—
nerauge, und in zwei Tagen iſt das Huͤhnerauge herausgezogen. “ Pro-
bandum est. A | *

+ An einen Vagabonden, der in Spandau von ſeinen Thaͤten auss
rubete, xichtete Jemand einen Brief mit der Wdreffe: „An den Köntgl. -
Preuß. Baugefangenen, Herrn N. N Wohlgeboren ın Spandau.“

+ Bet dem am 4. und 5: Iuni zu Aachen ſtattfindenden fuͤnf und
zwanzigſten großen rheiniſchen Muſikfeſte wirken 14 bis 1500 Mitglie-
Dder mit. - ‘ ;

Opern:Bericht.

(Bon nd.) .

Sonntag, den 7. Nai: „Die Zauberflöfe.« Gr
. MNuſik von Mozart. ;

Vir haben in dieſen Blättern ſchon ſo oft und ſo viel über Mozart'ſche Mufik
geſprochen, daß wir für diesmal fürchteten, die geſchätzten Leſer etwas zu crmüden;
wir machen daher für diesmal eine Ausnahme, können aber nicht umbin uns der
Bemerkung zu enthalten, daß uns heute am Schluß der herrlichen und ergreifenden
Ouvertüre eine wehmüthige Stimmung befiel, Wir daͤchten wieder recht tebhaͤft
daran, wie Mogart, der Verfannte aber größte Neiſter der Tontunſt, in Armuth.
und Elend ſtarb und daß kein Menfch weiß, wo derſelbe begraben liegt, waͤhrend

oße Oper in 2 %Ibtf)eiiwnge‚;i‚


gerechnet — ſich auf die Beine machte um dem Walzer? und Gallopaͤden⸗Componi-
ten Lanner die letzte Ehre zu erzeigen und denſelben zu ſeiner Ruheſtätte zu gelei-
ten! — Dinzart lebte, wirkie und ſtarb auch in Wien, aber -— — — mdg Ließen
f da nicht für Betrachtungen anſtellen! Obſchon wix die heutige Aufführung nicht



ſcher, der ſchon laͤngere Zeit kraͤnkelte, wandte ſich endlich an einen
Arzt in Karlsruhe, der ſowohl durch homoͤvpathiſche als auch allopa-
— thirhe Curen ſich einen bedeutenden Ruf erworben hatte, Auf deſſen
Frage: ob er homoͤopathiſch oder aAlopathiſch behandelt werden wolle,
verſetzte der ehrliche Landmann: Ei was, Herr Doktor, ich bin ein
guter Oberlaͤnder Badenſer und drum will ich auch gut altba diſch
behandelt werden!“
Die Zahl der Claqueurs, auch chevalier& du lustre
veit ſie in der Mitte des Parterre unter dem Kronleuchter ſitzen, ſoll
ſich in Paris gegenwaͤrtig auf 6000 belaufen. Unter dieſen Claqueurs
gibt es folgende Unterabtheitungen: den Connaiſſeur, der gewoͤhnlich im
erſten Range ſitzt, Verſe ausſvendig weiß, feine Nachbaren auf die

geſtehen, daß maͤnches Gute geleiſtet, von Seiten des Publikums aber auch auer-
kannt wurde. Den Preiß des heutigen Abends verdient unſtreitig Herr Kreu zer3
derſelhe fang den Tamino noch nie ſo ſchön alg heute. Auf die ſchoͤne es dur Ariẽ
im erſten Att folgte ein rauſchender Applaus; eine ſolche Yufnahme aber möge un-
ſeri Draven und heißigen Sänger beweiſen, daß das Mannheinrer Publikum' ge-




nen Ritardantos etwas ſparſamer zu Werke zu gehen. In italieniſchen Spern laͤf—
ſen ſich dexartige Pillen ſchon verſchlucken, aber bei einch ſolchen Mufik genirt ein
villkihrlich angebrachtes Dehnen den Kenner gar gewaltig, um ſo mebhr, wenn ein
ger hinlänglich Zeit gelaſſen wird,
Geſchmack und Vortrag gehörtg entwickeln zu können. — +

Daß die Parthie der Königin der Nacht nicht in der Sphäre der Mad. Leh-
mann liegt, haben wir früber ſchon bemerkf. Wir fönnen daher nur den guten
Willen unſerer ſonſt braven Sängerin lobend anerkennen

ör Eder alg Pamina ſchien heute unwohl zu fein. ; 4

Papageno fammt feinem Pfeifchen litten gar fehr-an Zerſtxeuung, wahrſchein-
fich eine Folge der Decorations-Confuſſion und des gewaltigen Spektakels der heute
während den erſten Att hiner den Couliffen herrſchle. — —

* verrn Ditt als Sataſtro können wir nicht viel ſagen, da wir nicht viel

gehört. — | }














 
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