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Mannheimer Morgenblatt — 1843

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Juli (No. 152 - 177)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44564#0622

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Sine Sängerin. . K
(Sortfegung.)


SJedermanı , außer für Walther, der fie, wie bereite erwdhnt, von ei-
ner ſehr gefaͤhrlichen Kraukheit rettete Dann- aber trieb ſie eine un-


oeranſtalten, zu welchen nur die ausgezeichneteſten Buͤhnenmitglieder
Valther empfing nie eine Einladung zu folchen
„Tollheiten,“ wie ſie ſelbſt dieſe Feſte nannte. Die Champagner⸗Fla-
ſchen knallten unaufhoͤrlich bei ſolchen Gelegenheiten! Emma genoß


die ihre Gaͤſte unter einander fuͤhrten; denn Buͤhnenverhaͤltniſfe durften
nie in ihrem Hauſe beruͤhrt werdei. Daß ihr eigentlich keiner dieſer


Weiſe commentirte. Emma achtete aber nicht darauf, ſo wie ſie uͤber-
haupt auf das Urtheil des Publikums nicht den geringſten Werth legte;
es war dieſe Ruͤckſtchtsloſigkeit tief begruͤndet in ihrer ungezuͤgelten
Liebe zur Selbſtſtaͤndigkeit und in ihrem Schickſale, das wir ſpaͤter ei-
fahren werden.

Walther war ein junger Arzt, der durch mehrere gluͤckliche Kuren


wuͤrdigkeit und einen in feinem Alter ungewoͤhnlichen Ernſt ſich taͤglich
ergroͤßerte. Er gehoͤrte nicht zu jenen Aerzten, die nach
Examen der Wiſſenſchaft den Ruͤcken kehren und nur auf den Erwerb
bedacht ſind; Walther war fuͤr ſeinen Beruf begeiſtert und ſcheute keine


wirkliche Zuneigung zu Emma gefaßt und Gelegenheit gehabt, ihren
ſchoͤnen Geiſt, kennen zu lernen und die zarteften Regungen ihres Her-
zens zu beobachten, wenn ſie ſich ſelbſt nicht beobachtet glaubte.
Defto mehr mußten ihn die Extravaganzen ſchmerzen, in deuͤen ſich
das ſonderbare
ſellſchaft vermied und ſich abgeſchloſſen oder nur unter denjenigen zeigte,
die ſie weder achtete noch liebte! Er wußte, daß Emma nicht das fuͤr
ihn empfano, was ihn haͤtte unausſprechlich begluͤcken koͤnnen; er war
aber uͤberzeugt, daß ſie ihn als waͤhren Freund verehrte. Wie nun
jedes edle Herz den Gegenſtand ſeiner Liebe veredeln moͤchte, ſo be-
ſtrebte ſich Walther, dem Geiſte Emma's eine andere Richtung zu ge-
ben und ſte wo moͤglich der Buͤhne abwendig zu machen. Sein Streben
war bis jetzt vergeblich geweſen. Heute aber nahm er ſich vor, keine
Vernuuftgruͤnde, keine lleberxedungskunſt undenubt zu laſſen. Wir ha-
ben geſehen, wie ſchnell er in ihrem Herzen eine ernſte Stimmung er-
Er ſtoͤrte ſie nicht und betrachtet? ſie lange liebevoll, ohne ein
Emma ſelbſt unterbrach endlich das Schweigen, in-
dem ſie begann: „Gehoͤren Sie nicht vielleicht auch zu denjenigen, die
nicht richten koͤnnen, ohne hinzurichten und deren Urtheil ein Verurthei-
len iſt? Wuͤßten Sie, theurer Walther, was dieſes arme Herz ſchon
geduldet und verſchwiegen, Sie wuͤrden mir vielleicht eine Thraͤne des
mir nicht Unrecht geben, wenn ich —

„Sollte ich mich,“ unterbrach Walther ſchuell, indem er ihre Hand
jaßte und ſie zaͤrtlich druͤckte, „foͤllte ich mich bis jetzt noch nicht Ihres
Vertrguens, Ihrer Freundſchaft wuͤrdig gezeigt haben?“

Nur allzu fehr!“ erwiederte Emma leoͤhaft! Allein T nehme
Mittheilungen aus der Vexgangenheit meines
Lebens, eine gluͤckliche Stunde zu machen, denn Sie ſind ſo gut, ſo gut.“

„Kennen Sie nicht,“ fragte Walther, „jene herrliche Zeile:

Getheilter Schmerz iſt haiber Schinerz?“

„Nun wohlan!“ rief Emma, indem ſie ſich einporrichtete und die
Atfeſſelten Locken von der Schlaͤfe ſcheuchte. „Ich will es verſuchen,
den Schleier zu luͤften und die finſtern Bilder vergangener Tage vor
ineiner Phantafie voruͤberſchreiten zu laſſen. — Ich bin von einem alt-
adeligen‘ Geſchlechte. Dies; fage ich Ihnen aber nicht, um meiner Er-
zaͤhlung einen eigenthuͤmlichen Reiz zu verleihen, fondern weil es eben
weſentlich dazu gehoͤrt. Mit dem erften Erwacheu meines Bewußtſeins
lernte ich, daß man in den allerglaͤnzendſten Verhaͤltniſſen, im uͤner-
Eklichſten.· Reichthum unausſprechlich elend ſein kann. Ich ſah meine
Nutter, ein Mufter von Tugend und Herzensguͤte,

hen Sitten meines Paters. D, es iſt ein trauriges Gefuͤhl, denen
Boͤſes nachſagen zu muͤſſen,

welche uns das Leben geſchenkt, diejenigen
verachten zu muͤſſenc welche zu achten uns ein Gott befiehlt. Aber es
muß geſagt ſein!
und theilnahmlos ein Weſen hinwelken, das Alles anfbet, um ihn







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gluͤcklich zu machen. Er ſuchte mit wahrhaft teufliſchem Behagen jede
Gelegenheit auf ſte zu kraͤnken und erwiederte ihre ſanften Ermahnuͤn⸗
gen nur mif einem hoͤhnifchen Lächeln, oder mit einem mitleidigen Ach-
ſehucken Uebrigens ſah er fie nur felten, da Parforcejagden ; naͤcht-
liche Gelage und fonftige Zerſtreuungen mit. gleichgefiunfen Edelteuͤten,
ihn oft wochenlang von feinem Schloffe fern hielten. s il alſo ganz
Mutter anſchloß und
keine ſonderliche Liebe gegen einen Vater hegte, der fih nur ſelten naͤ⸗
herte und ſehr wenig Zaͤrtlichkeit zeigte uͤnd zwar deßhalb, weil ich
nicht ſeinen Namen auf ſpaͤtere Geſchlechter foͤrtpflanzen Fonnte.. Es
war dies auch eine Miturſache zu feinem Betragen gegen meine Mutter.

Nichts hat ſchlimmere Folgen fuͤr die Zukunft der Kinder, als der
Zwieſpalt der Eltern. Ich fah meine Mutter oft ſtundenlang im ſtil-
len Gemache bittere Thraͤnen vergießen. Ich verſtand dieſe Thränen
nur allzu gut; denn was mein kindlicher Juſtinkt mir nicht ſagte, hoͤrte
ich aus dem Gefluͤſter der Dienerſchaft heraus, und ſonderbaͤr! kaum
hatte ich mein ſtebentes Jahr erreicht, Empfand ich ſchon einen tiefen
der das treueſte Herz brach, das je in einem
Buſen geſchlagen. Die Geſundheit meiner Mutter wurde taͤglich ſchwaͤ—
cher und hinfaͤlliger, und bald ward ſte an’s Krankenlager gefeſſelt, von
Ich wachte treulich an ihrem Bette;
ihren Athem und erforſchte in den
O Sie glauben nicht,
wie ſehr der Geiſt des Kindes durch fruͤhe Leiden geweckt wird. Der
Schmerz iſt der Baum der Erkenntniß, und wahrlich! ich habe damals
ſo tief empfunden als jetzt. Daß ein Mann wie mein Bater fein fonz
derliches Behagen fand, an einem Krankenlager zu weilen, ift leicht

ich belauſchte ihren Schlummer und


dendes Weib und perließ ſie nach dem fluͤchtigſten Beſuche! der ihm kei-
nen Troſt verurſachte. Von Tag zu Tage ſchwanden ihre Kraͤfte hin
und nach einigen Monaten hattẽ ſie ausgerungen. }
Soll ich Ihnen die Gefuͤhle ſchildern, die ich empfand, als ich das
bleiche Angeſicht meiner todten Mutter ſah? Man mußte mich gewalt-
ſam von ihrem Bett entfernen. Ich aber weinte nicht und fprach kein
einziges Wort; denn die tiefſte Qual hat weder Sprache noͤch Thraͤnen.
Aber die Welt ſchien mir nun gaͤnzlich veroͤdet. Ich kannte keine Ge-
ſpielinnen; ich hatte Niemand, der mich troͤſten, mich zerſtreuen Fonnte.


jeder einzelne zu ſtehlen und zu ſchmeicheln gewohnt waͤr! Ich befand
mich in einer graͤßlichen Lage und mehr aloͤ ein Mal war ich nahe
daran, mir das Leben zu nehmen. Mein Vater trug den Verluſt ſei-
ner Gattin, wie Maͤnner ſeines Gleiches ſolche Verluſte zu tragen pfle-
gen. Er ſchien mehr von einer Laſt befreit, als eines Gluͤckes beraubt.
Uehrigens ſah ich ihn jetzt noch weniger als zuvor. Haͤtte er ſich fei-
nes einzigen Kindes angenommen, haͤtte er als Bater geſuhnt, was
er als Gatte gefehlt, waͤhrlich, ihn haͤtte noch jenſeits des Grabes der
Geiſt des allerbeſten Weibes geſegnet; ihn wuͤrde eine Tochter beweint
haben, die jetzt ſich zwingen muß, feinem Andenken nicht zu fluchen.

Kaum waren einige Monate verfloſſen, ſo begann in unferem Schloſſe
eine merkwuͤrdige Regſamkeit. Maurer, Schloſfer, Schreiner und Zim-


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feßt. Manche Saͤle wurden vergrößert und mit den koſtbarſten Tabe-
ten geſchmuͤckt und mancher Seſſel, auf dem meine wuͤrdigen Ahnen ge-
dacht und getraͤumt, wurde bei Seite geſchafft, um einem modernen
Fauteuil Platz zu machen. Sie glauben nicht wie wehe mir das that.
An jedes einzeine von dieſen Geraͤthen knuͤpfte ſich, wenn auch keine
angenehme, doch eine theuere Erinnerung an die Hingeſchiedene, die
mich unter dem Herzen getragen und es war mir, als oͤb die ſtummen
Zeugen ihrer Schmerzen und Hoffnungeu trauerten, von einem Orte


ſtatt der Antwort nur ein bedeutuͤngsvolles Fluͤſtern. Die Antwort ward
mir. bald aus einem andern Munde, Eines Tages naͤhrte ſich mir
mein Vater mit ungewoͤhnlich freundlichem Lächeln. „Halt du ſchon
gehört, liebes Toͤchterchen,“ begann er, „Ddaß ich dir bald eine neuer
Mutter bringe?“

Ein heftiger Schauer durchfuhr mein ganzes Innere, als ich das
Wort Mutter“ mit ſolchem Tone und aus ſolchem Munde hoͤrte.! Ich


Unwillig verließ er mich und ich faͤh ihn nır dann wieder, als er an
ſeiner Seite die Neuvermaͤhlte in's Schloß ſeiner Vaͤter brachte. Sie
 
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