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Mannheimer Morgenblatt — 1843

DOI Kapitel:
August (No. 178 - 203)
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Vis-a-vis: Leiden.
(Humoreske von Achat.)

Wer wohnt denn da Drüben hinter den rothſeidenen Vorhaͤngen?
„Die Saͤngerin Lovellini.“
„Was? Die beruͤhmte Lovellini, von der ich in meiner Vaterſtadt
ſchon ſo viel gehoͤrt habe? Die die ganze Reſidenz durch ihren goͤttli-
chen Geſang in Entzuͤcken verſetzt?“
„Dieſelbe.“
Ich haͤtte meiner Hauswirthin um den Hals fallen moͤgen, trotz


Ausſicht gegenuͤber zu wohnen. Denn ſchoͤn ſollte ſie ſein — verteu-
felt ſchoͤn, oder beſſer geſagt, ein Engel an Schoͤnheit — wiewohl ver-
teufelt ſchoͤn, auch nicht uͤbel geſagt iſt, da der Brennſpiegel ihres Au-
ges manchem Enthuſiaſten ein Fegefeuer anzuͤndete, womit er mit ver-
branntem Gehirn und gefegtem Beutel herumlief. Aber mir war vor
dieſem Feuer nicht bange, mich aſſecurirte meine geliebte Marie, die
ich in der Heimath zuruͤckgelaſſen und nach erlangtem Doctorhut unter
die Haube zu bringen gelobt hatte. Was mich zu der Saͤngerin hin-
zog/ war der geheimnißvolle Reiz, womit des Juͤnglings Phantaſie die
Theaterdamen umgiebt. Hatte das trockene Studium der Knochenlehre
mich eimuͤdet, ſo brauchte ich nur ans Fenſter zu treten, um mein
Auge Dürch den Anblick des bluͤhendſten Fleiſches wieder zu erquicken.
Taͤßlich; ſtuͤndlich konnte ich ſie ſehen, hoͤren, ihr haͤusliches Leben und


Am hellen Mittag weckten mich
heftige Reden, die von druͤben klangen. Himmel, was fuͤr ein Laͤrm!
Es war die Saͤngerin, die ihr Maͤdchen ausſchalt, weil es dem Ca-
narienvogel friſches Waſſer zu geben vergeſſen. Sollte man's doch kaum
fuͤr moͤglich halten, daß ein ſo kleiner Mund und eine ſo boͤſe Zunge
vereinigt ſein koͤnnen. Das Schelten dauerte bis zum Abend. Denn
die Zofe nahm nicht Alles ruhig hin, ſondern vergalt jeden Vorwurf
mit mehreren andern, die am jüngſten Tage vermuͤthlich ſchwerer ins
Gewicht fallen, als ein ungetraͤnkter Canarienvogel. Dies Gezaͤnk ſo


Dauer unausſtehlich. Ich haͤtte lieber das Zankduett aus dem Mau-
rer und Schloſſer gehoͤrt, freute mich aber doch, als die Saͤngerin wie-
derum anfing, ſich zu uͤben.

Aber ſtets dieſelben Laͤufe und Tonleitern! Ich bewunderte nun ſchon
weniger ihre Kunſt, als ihre Ausdauer. Toͤne wie Perlen — das iſt
wahr! Doch Verlenſchnuͤre, die zu lang ſind, werden beſchwerlich. Ich
haͤtte gleich eine handvoll Perlen für einige Mohnkoͤrner hingegeben.
Allein vergebens waͤlzte ich mich in meinem Bette von einer Seite auf


Jetzt ward es ſtill und ich ſchlummerte ein. Ploͤtzlich weckte mich
ein wildet Laͤrm von muſtkaliſchen Inſtrumenten auf der Gaſſe. Man
brachte der Saͤngerin ein Staͤndchen — das bannte vollends den Schlaf.
Ich ſtand auf und legte mich ins offene Fenſter. Es war eine wunder-
ſchoͤne Mainacht. Ohne den Charivari da unten haͤtte ich die Nachti-
gallen im nahen Park gehoͤrt.


Als Alle fort waren, ſchluͤpfte eine dunkle Figur ins Haus. Ein ſpaͤ—
ter Beſuch! — dachte ich — aber vielleicht deſto willkommener. Kei-
neswegs! Die Stelle muß ſchon beſetzt ſein. Denn nach einem hefti-
gen Hepolter in den Zimmern gegenuͤber, ſtuͤrzten zwei Maͤnner aus
der Hausthuͤre, zogen ihre Degen und legten aͤus. Ich eilte hinunter
um den Zweikampf zu hindern. Aber kaum hatte ich mein edles Werk
hegonnen, als die Patrouille vorbeikam, und nicht nur die Duellanten,
ſondern auch mich als muthmaßlichen Sekundauten, auf die Wache
führte. Erſt nach mehreren Stunden und mit Huͤlfe eines Goldſtuͤckes
Fonnte i den Corporal von meiner Unſchuld uͤberzeugen. Es mar 4


ſchleß hielt mir aus dem Stegreif eine Straͤfpredigt uͤber das Laͤf
des Nachtſchwaͤrmens. * 5 al
Den andern Morgen fand ich einen herrlichen Roſenſtock vor meiner
Zimmerthuͤre, und da eben mein Geburtstag war, ſo hielt ich ihn für
das Geſchenk meiner Braut. Mit dankbaren Gefuͤhlen ſtellte ich den
zierlichen Topf ins offene Fenſter und mich bewundernd daneben. Aber
keine Roſe ohne Dorn! Es klopfte, und herein trat ein Bramarbas in
Huſatenuniform, welcher mir eine unzweideutige Heransforderung in
die Ohren donnertet „Weshalb denn?“ fragte ich bedonnert, —„Glau



— Aha dachte ich, vermuthlich ein Rival bei Marien.

„Aber ich kann nicht fechten, mein Herr!“

„So gebe ich Ihnen vierzehn Tage Zeit, es zu lernen.“

Was war zu thun? Ich mußte, um kein Feigling zu ſcheinen, Fecht:
ſtunde nehmen, und trug, damit mein Ruf fleckenlos blieb, von all
den Hieben, die ich nicht zu bariren verſtand, manchen blauen Flecken
davon. Nach 14taͤgiger Todesangſt war ich endlich mit den Terzen,
Quarten nnd anderen Requiſiten der geſetzlichen Todtſchlaͤgerei bekannt
geworden und hatte eben meinen letzten Willen zu Papier gebracht,
als ich einen Brief von meinem Gegner erhielt, woͤrin derſelbe hoͤflichſt
bedauerte, mich wegen eines Mißverſtaͤndniſſes von ſeiner Seite bemuͤht
zu haben. Jener Roſenſtock, ſchrieb er, ſei von ihm fuͤr die Saͤngerin
beſtimmt geweſen, aber aus Verſehen in meine Wohnung gebracht wor-
den, worauf er geglaubt, ſie habe ſein zartes Geſchenk verſchmaͤht und
es einem Andern verehrt.

Mein Gott, rief ich aus, wie kann die Eiferſucht ſo blind fein —


Staar geſtochen. Ich zuͤndete mir aͤrgerlich mit meinem Teftamente
die Pfeife an. Denn, war es einerſeits erfreulich, von dieſer Hufas
renuniform erloͤſt zu ſein, ſo verdroß es mich doch auf der andern
Seite, daß ich zwei Louisd'ors fuͤr nichts, fuͤr die Fechtſtunde, ausge-
geben. Nein, ſprach ich zu mir ſelber, das Vergnuͤgen, einer Saͤnge-
rin gegenuͤber zu wohnen, iſt doch auch mit Unannehmlichkeiten vers
knuͤpft. Ich werde aufkuͤndigen.
Aber meine Leiden ſollten noch nicht zu Ende ſein.
Signora bemerkte den ausgehaͤngten Miethzettel, und da ihr die
eigene Wohnung mißfiel, ſo kam ſie heruͤber, um mein Quartier zu
beſehen. Ungluͤcklicherweiſe erfuhr dies meine Braut von ihrer Freuns
din, die ihr auch ſchon fruͤher geſchrieben hatte, ich wolle mich einet
Theaterprinzeſſin wegen duelliren; und ſo wird man es weniger uͤber-
raſchend finden, als ich es fand, daß eines Morgens ein Brief erſchien,
worin Marie mir unumwunden die Auffloͤſung unſers Verhaͤltniſſes


Troſtlos eilte ich mit dieſen Schreiben zu meiner Tante, deren
Liebling ich war und die mich zum einzigen Erben ihres großen Ver-
moͤgens eingeſetzt hatte. Aber ich traf die gute Frau nicht mehr am
Leben.
len ihr Teſtament vernichtet, worauf ſie, bevor ich ihr den Irrthum
benehmen konnte, am Schlage geſtorben war.

O die Saͤngerinnen haben ſchon Manchen ruinirt, und ich gebe Je?
dermann den wohlmeinenden Rath, ihnen ſo weit als moͤglich aus dem
Wege zu gehen. ; ; ‘

Der Traum im Gaſtbette. }
Der Baron Marchberg und ich waren Gutsnachbarn — nämlich


ſtunden, die ein dichtbewaldeter Gebirgsſtock, nur von wenigen Maiers
hoͤfen, Koͤhlerhuͤtten oder Waldhuͤterhaͤuschen belebt, ausfuͤllte. Sonſt
fand ſich in naͤchſter Umgebung keine Seele, mit welcher ich eine auch
nur um ein Haarbreit uͤber das Niveau des Gewoͤhnlichen ſich erhebende
Converſation haͤtte pflegen koͤnnen. Die Zeitungen kamen nur ſelten,
dann jedesmal post festum, die Jagd ging nicht zum Beſten von Stat.
ten, weil ich — ein phlegmatiſcher dequemer Staͤdter — im herbſtlich
feuchten Walde mir Schnupfen und Rheumatismus zu holen fuͤrchtete!
die Buͤcher ſprachen mich auch nur auf kurze Zeit an, und wenn ich


lebendig und machten mir vollends unheimlich. Da fragſt Du uun
freilich holde Leſerin, und nicht mit Unrecht: „Warum verbannt”

denn ein junger Rittmeiſter à la Suite, Kammerherr und Cdelmann? \



wurfsexiſtenz erwaͤhlen?“ und darauf antwortete ich ebenſo kuͤrz ale
offen: „Die Noth! die leidige Noth, die gewaltigſte Menſchenbezwinge!
rin!“ — Der junge Rittmeiſter hatte ein wenig in den Tag hinein
gelebt, brav Schulden kontrahirt, den lieben Herrgott fuͤr die Zuknnft
forgen laſſen, und jedesmal, wenn der Verwaͤlter Ehrmann mit den
kleinen Summen große Vorwuͤrfe und eruſte Mahnungen ſchickte, ſich
in bittern Schmaͤhungen auf den filzigen alten Holzwurm ergangen,
bis an ſeinem ſechsundzwanzigſten Geburtstagsmorgen der gute alte
Ehrmann das Scepter und die Verwaltung des Gutes in die Haͤnde
 
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