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Pfälzer Bote für Stadt und Land (27) — 1892

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Nr. 81 - Nr. 90 (9. April - 22. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44150#0355

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Erſcheint täglich mit Augnahme der Sonn- und Feiertage

Saniſtags mit Unterhaltungsbeilage. Preis vierteljährlich

Mt. 1. 30 ohne Trägerlohn u. Poſtauffchlag. Beſtellungen

bei den Poſtanſtalten u. bei der Expedition Zwingerſtraße?.




für Stadt



Anzeige-Blatt für die Amtsbezirke Heidelberg
Labenburg, Weinheim, Schwebingen Philippsburg,
Wiesloch, Bruchfal, Bretten, Nedargemünd, MoSbach
Eherbach, Buchen, Waldürn, T.-Bifchofsh.,Wertheim 2C











Ar 88

— — — — — — — — — —
— — — — —



Beſtellungen
zuf den „Pfälzer Boten?“ werden fortwährend bei
ſammtlichen Poſtanſtalten, bei unſeren Trägerinnen,

Verantwortlicher Redalteur:
Julius Jecker in Heidelberg.


traße 7 entgegen jenommen.

Verlag des „Pfälzer Bote.“
—— — — EL


- Ynarehilten.
Es iſt ein ſchreckliches Wort, das Wort Anar:
Aiſten; man denkt es ſich allezeit in Verbindung mit

Dolchen und Dynamitbomben und wo der Anarchiſt
Uftritt, geht der Schrecken vor ihm her, Mord und




ung läßt er hinter ſich zurück.

Aber was iſt denn nun dieſer Anarchismus?
Fat ſchon Jemand ſein Glaubensbekenntniß gehört?
Wir hören, daß Anarchiſtenverſammlungen in Berlin
tatıfinden. Wir lejfen von Anarchiſtenbauden in

vanien; in Madrid hat man vor einigen Tagen
zwei Anarchiſten, welche angeblich das Parlaments⸗
gebäude und das königliche Palais in die Luft ſpren—
gen wollten, verhaftet; um Barcelena ſoll es ge—


das Militär verſtärkt.
Auch in Paris ſpuckt dieſer erſte Mai; man hört


der Feier des 1. Mai Hiuderniſſe bereitet würden.


we aus diejer Feier des Mai hervorgehen ſoll?
der Eindruck einer großen Parade iſt in wenigen
Tagen wieder verwiſcht. Zuin Glück iſt's ein Sonn—
üg, fonft wäre diefe Feier mit dem entgangenen Ar-
ßeltßlobne etwas theuer bezahlt geweſen! Einſtweilen
Ammt aus Paris eine Nachricht um die andere, welche
Ttweder von ſtattgehabten Exploſionen oder von ge—
— Dynamiipetarden ſprechen. Zwar hat man eine
Wꝛaht Anarchiſten hinter Schloß und Riegel geſetzt,
ch den langgefuchten Dynamitard Ravachol hal maͤn
Wectich erwiſchi und eingefpertt, aber trötzdein hört
as Legen von Sprengboniben ꝛc. noch immer nicht auf.
Kun hört man ader weiter, daß die Dienerſchaft
ger hetrſchaftlicher Häuſer zu Anarchiſtengruppen
ehoͤren ſolle. Nehmen wir die Verhältniſſe, wie ſie
find. Wie unendlich Leicht ift e3 für- eine im Haufe
I’ebienftete Perſon, eine Dynamitpatrone an einem
decht gefaͤhrlichen Ort unterzubringen und mit Lunte
Die Zdaiſe.
Originalroman nach dem Engliſchen

%) von Klara Nheinau, —

Am nächſten Morgen bexeits ſandte ſie vier Empfehl»


wie am andern Taͤge derueblich auf irgend welche
mort.
Iun Endlidh am dritten Morgen, alz ihon hHalbe Berzweif-
‚Nn fich des verlafjenen Mädchen3 bemächtigte, jprach ein
ub‘mürbiger alter Geiſtlichex bei_ihr vor, und Ddiefer war
@“Ü der einzige, welder das Schreiben des Eberbacher
d degen brüclichtigte. Die übrigen waren Gejhäftsleute,
enen e8 an Beit oder Luſt fehlte, fih um eine arme Waiſe
fümmern. Der würdige Herr mit den milden, wohl-
e denden Zügen fMößte Martha fofort das größte Ver-
ein, und fie legte ihm offen ihre Bläne dar. „IH
Atchte, mein ®ind,“ verfeßte er ernft, als e geendigt:
Freunde haben ihnen nicht das Beſte gerathen.
u dem Lande ift man oft der ircthümlichen Anjicht, eine
Yoße Stadt biete fiherer Yuslicht auf Erwerb, als ein
i cl während e& doch umgekehrt der Zall ijt. Alerdings
d die Machfrage hier grüßer, aber das Angebot übertrifft
Iäae_nncfi. Doch wir wollen ſehen, was ſich für Sie thun
, ‚A nächften Morgen erfchien der Geiftlihe wieder,
Ra Datte fih alle Mühe gegeben, in einer Öffentlichen oder
m‘lbnticbule eine Stelle al8 Lehrerin für Martha zu finden,
e aber überall abfchlägig beichieden worden. _I
H dte, e8 bleibt Ihnen feine Wahl alZ feldit eine Klein-
t“berirbnle anzufangen,“ fjagte er ; „Dazu gehört ein
%“fieß Kapital, und ich Könnte Ihnen gleih ein hHalbes
%“ßenb Kinder aus meiner eigenen Gemeinde zuführen,
dietha bdankte dem würdigen Herrn und verfprach, d
Sache überlegen zu wollen. Sie fürchtete, daß ihre
i Deidenen Mittel jelbft.zur Ausführung bdiefes Planes
* euoͤreichend ſeien ſie Konnute fi® aber nicht überwinden,
den. nänzlihe Wrmuth einzugeftehen, Sie erbat fich von
8 Ju die Abreffe eine8 rejpektablen Logirhaufes,
Re fo rafh ala möglid da Hotel zu verlafien wünfdte,


zu verſehen. Jedes Vexrtrauen zwiſchen Herrſchaft
und Dienerſchaft muß dadurch getoͤdtet werden. Das
ſpritzt ſein Gift über den Altar der Familie, den
häuslichen Heerd

Was ſoll aus dem werden?

! Wir ſind durchaus keine Freunde polizeilicher Vor—
kehrungen In Sachen der Ueberzeugung haben po—
lizeiliche Schranken noch nie etwas geholfen, ſondern
ſtets die Sache, der ſie dienen wollten, verpfuſcht.


lichen Orduung. Sie iſt vorzüglich, wo ſie als Organ
der Geſammtheit den einzelnen Störer in das Geleis
der Geſetze zurückdrängt. Da ruft man auch immer
nach der Polizei; aber einer im Staate befindlichen
Partei gigenüber, lediglich auf Grundlagen der Ge⸗
fährlichkeit ihrer Prinzipien, kann die Polizei abſolut
nicht beikommen, ſo lange die Art und Weiſe der
Geltendmachung dieſer gefährlichen Prinzipien den
Rahmen der beſtehenden Geſetze nicht verläßt.
Die gefährlichſten Prinzipien erfordern kein Ein—
ſchreiten der Polizei, ſondern den geiſtigen Kampf.
Aber man müßte doch zu dieſem Behufe die Prinzipien
wenigſtens kennen. Wer kennt denn die Prinzipien
der Anarchiſten? Wo iſt denn ein anarchiſtiſches
Glaubensbekenntniß? Wie ſoll die Welt unter Herr⸗
ſchaft der Anarchie ausſehen? Wir ſind überzeugt,
ſie wiſſen's jelbſt nicht. Wir glauben nicht einmal,
daß die große Mehrzahl der Anarchiſten die Bedeu⸗
tung dieſes Wortes kennt. Der Brocken wird ihnen
vorheworfen von irgend einem Führer, der vielleicht
ſelbft konfus iſt. ;
| Wir haben's neulich in Berlin geſehen, wie ſie
ſich das Ding vorſtellen. Sie haben eine Verſamm⸗
lung gehalten und haben es mit den anarchiſtiſchen
Grundſätzen vereinbar erklärt, daß die Verſammlung
durch ein Bureau geleitet werde. Sie haben eine
Tafel herbeigebracht und da hat ſich jeder darauf ge—
ſchrieben, der ſprechen wollte und in dieſer Reihen—
folge haben ſie geſprochen.
„Hier ſtock ich ſchon, wer hilft mir weiter fort?“
ſagt Fauſt Wer hat ſich denn erlauben können einer
anarchiſtiſchen Verſammlüng einen ſolchen Vorſchlag
zu machen? Darüber abſtimmen zu laſſen? Die
Minorität für überſtimmt zu erklären und die Tafel
herbeibringen zu laſſen, auf welche man ſich als Red⸗
ner einſchrieb? Derjenige, welcher dieſen Vorſchlag
machte, hat ja gerade die Funktionen des ſo ſehr
verhaßten Buͤreaus ausgeubt, und wenn nun
Einer hätte außer Reihe ſprechen wollen, wer konnte
— — — — — — —
und nahm bereits am nächſten Tage ihre Ueberſiedelung
vor. Die Hotelrechnung leerte faſt ibre maaere Boͤrſe und
Martha ſchauderte, wenn ſie daran dachte.
Zwei Tage äter erhielt ſie ein mit zitternder Hand
geſchriebenes Billet ihres aeiſtlichen Freundes, worin er
ihr ſeine ſchwexe Erkrantung meldete und ſein Bedauern
gusſprach/ dorlaufig nichts für ſie thun zu Lönnen — eine‘
Voche ſpatex las Martha ſeine Todesanzeige in der Zeitung
Die arme Waije war nuun gänzlich freundloS in der frem-
den Stadt, allein ſie verzagte nicht. Den Hedanken an
die Errichiung einer Schule mußzte ſie ihrer Mittellofigkeit
wegen aufgeben, aber fie hielt e& nicht für unmöglich, eine
Stelluna ais Gouvernante zu exhalten. Doch Woche um
Woche verging, und alle ihre Bemühunaen waxen vergeb⸗
lich. Valanzen gab e& nur wenige, Bewerberinnen, und
zwar ſelche mit ſchwerwiegenderen Empfehlungen, als die
welche Martba befaß, in zahlreicher Menae. Mit zunehm-
ender Bejo:guiß dachte die Wermite des Tages, da fie, von
allen Mitteln entblößt, fremder Mildthätigkeit anheimfallen
werde. Sie wurde blaß und mager, und die beſtändige
Lufreaung erſchütterte ihre bisher fo kräftige Gefundheit.
Es war unbedingt nothwendig. daß ſie ein woblfeilexes
Logirhaus auffuche, aber fogar hier ſtellten ſich ihr viele
Schwierigkeiten in den Weg. Mißtrauiſch betrachtete man
daS junge, verlafjene Mädchen, das keine Referenzen zur
Seite batte. und manch unhoͤfliche Abweiſuna wurde der
armen Martha zu Theil. Endlich hatte ſie ein Unter-
fommen gefunden und dbeſchloß nun. ſich nach einer Stelle
als Ver kaͤufexin in einem grußen Ladengefchäft umzujehen.
* allen Beſchaͤftiqungen ſchien ihr derade dteſe die
widerwärtioſte, aber die Noth iſt eine harte Lehrmeiſterin.
„ Mit zitterndem Herzen betrat Martha eines Morgens
einen Modewaarenladen in einer der Hauptitraßen der
Stabt. €3 war niehr ein Palaſt als ein Laden zu nennen.
und die Kunden drängten ſich wahrhaft in den maͤchtiaen
Räumen. Die Zahl der Kommis und der Verkäuferinnen
ichien freili® unglaublid groß, aber: Martha hHoffte, in
einem fo großen Stablifjement fönne immer? nodd eine
Kraft Bejhäftigung finden.
Iſt Serr Braun anweſend?“

— —





fragte ſie erröthend

Druc Bexlag u. Expedition von Gebr. guber 7* 2
in Heidelberg, Zwingerſtraße 7. &l. flblfl



ihm das verwehren? Es iſt ja nicht geſchehen. Aber
wenn die guten Leute meinen, auf dieſem Wege wider⸗
ſtrebende Minoritäten bekehren zu können, ſo mögen
ſie ſich doch nur einmal ſelber fragen; ſie antworien
mit Dolch und Revolver.

Es iſt uns bis jetzt noch keine anarchiſtiſche Mani—
ſeſtation unter die Augen gekommen, deren Prinzipien
ſch nicht mit der ſozialiſtiſchen Weltanſchauung deckten.
Aber der weſentliche Unterſchied, welcher zwiſchen
dieſen beiden Zweigen eines und desſelben Stammes
beſteht, liegt in den Mitteln, deren ſie ſich zur Er—
reichung ihrer Zwecke bedienen. Die Sozialdemokratie,




parlamentariſche Fraktion ſteht, kann nicht laut genug
den geſetzlichen Weg betheuren, welchen ſie einzuhalten
entſchloſſen iſt, und ſo lange ſie auf dieſem gefetzlichen
Wege bleibt, iſt gar nichts gegen dieſelbe zu wollen.
Das Sczialiſtengeſetz, das einer Partei zu Leibe wollte,
die auf geſetzlichem Wege blieb, iſt weiter gar nichts
als ein wieder auferſtandenes Verbot, ohne Paß von
Mainz nach Frankfurt zu reiſen. Die beiden ſind an
polizeilicher Weisheit vollſtändig einander werth.

Mit den Jungen iſt die Saͤche ſchon anders. Sie
verzichten auf jede poſitive parlarmentariſche Aktion,
in welcher ſie eine Anerkennung des Bourgeoisſtaates
erblicken. Sie wollen nur für ihre Ideen Propaganda
gemacht haben, um dann wenn dieſe Propaßanda
mächtig genug geworden, die Geſellſchaft nach ihren
Idealen umzuformen. Wie dieſe Umformung vor ſich
geht, das wiſſen wir nicht, wir können uns aber
keinen anderen Weg denken, als den unter dem Goͤthe'⸗
ſchen Motto: „Und folgſt du nicht willig, ſo brauch
ich Gewalt“ Wir wiſſen nicht, wie man widerſtre⸗
bende Minoritäten, wenn man den Weg der prala⸗
mentariſchen Geſetzgebung verſchmäht, anders als
durch Gewalt überwinden kann. Das ſteht allerdinge
glücklicher Weiſe noch in weitem Felde und die Juugen
können ſich vor der Welt mit der Hoffnung tragen,
daß es in Folge ihrer propagandiſtiſchen Wirkſamteit
zuletzt gar keine Minoritaͤt mehr gäbe, ſondern Alle
ein Herz und eine Seele ſeien.

Wer Anarchiſt iſt ein ganz anderer Kerl. Der
will weder von der geſetzgeberiſchen Thätigkeit noch
von der Propaganda etwa wiſſen, das ſind dhanta—
ſtiſche Traͤumereien auf die er nicht viel gibt, weil er


Ideals erieben zu konnen Er ſucht der Geſehſchaft
auf viel kürzere Weiſe beizukominen; er beweiſt ihr
augenfällig, daß, die gegenwärtigen geſellſchaftlichen
Einrichtungen nicht einmal im Stande ſind, Leben

— 2— —— —
einen jungen Mann, welcher der Thüre zunächſt ſtand.
Der Angeredete warf einen überlegenen Blick auf die
Fremde und an ihrer Miene ihHre Anliegen errathend, ver-
jeßte er Furz: „Weiß nicht.“ Als Martha fah, daß er
weiter feine Notiz von ihr nahm, jondern fortfuhr, drei





und wiederholte bei einer
frerdiich ausſchenden Frau, deren Ausſeben ihr Vertrauen
einflößte, ihre Frage.

Serx Braun befindet ſich auf dem Comptoix, war die
höfliche Erwiderung: „dort iſt der Eingang. Klopfen Sie
nur unverzagt

Mit bebenden Schritten in peinlicher Verlegenheit
eilte Martha durch den langen Ladenrgum. Ein Buch!
halter der emſig ſchreibend hinter einem Pulte faß, {Gaute
einen Augenblit guf und wechfelte einen fpöttijchen Bück
mit zwei jungen Leuten, die das verlegene Mädcher. in
unverfchämter Weije anjtarrten. Zitternd vor Entrüftung
und balb entichlofjen wieder umzuwenden, wenn foldhe
Menidhen ihre Gefährten werden Jollten, erreichte die Arme
das Comptoir und HNopfte an.

. „Dervein!” Hanges drinnen von einer fejten, energifdhen


Schüchtern überſchritt Martha die Schwelle und ſah
ſich einem ſtattlichen Herru gegenüber, der mit dem Rüden
nach dem Feuer gewendet ftand und eine Reitung Ias. Bei
ihrem Eintreten ließ er das Blatt ein wenig finten und
wartete, was ſie zu ſagen habe.

„Ich kam mein Herr,” brachte Martha mühſam her⸗
vor, „um anzufragen, ob Sie eine Verkäuferin brauchen
können

Sie erhielt nicht ſoaleic eine Autwort abex der Herr
fixirtẽ fie unverwandt mit feinen fharfen durdhdringenden
Augen. Offenbar wolte er ihren Charakter aus ihremn
Bügen lefen, und der Sindruck, den er empfing, {dien im
Ganzen ein vortheilhafter zu ſein.

Gortſetzung folat)


 
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