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Pfälzer Bote für Stadt und Land (27) — 1892

DOI Kapitel:
Nr. 121 - Nr. 130 (29. Mai - 10. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44150#0491

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Samfiage Unterhaltungsbeilage. Prei2 vierteljährlich ü‚ß C . yurg, Weinheim, Schweginger ) uppSburg,
M, 120 sone Trägerlohn u. Poftanffhlag. Beitellungen och, Bruchjol, Bretten, Necargemünd, MoSbach
bei den Boktankalten u. bei der Erpedition Zwingerftraße 7, — — — —



Verantwortlicher Redakteur:
Julius Jecer in Heidelbers.

At. 122

— — den 1 24

— u. Expedition von Gebr. guber y
| ” in Geidelberg, Zwingerirake 7. | . SOUTE.



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En Da — 22

— —

den „Bfälzer Boten werden fortwährend bei
Vimmtlichen boftanſtalten, bei unſeren krägerinnen.
ewie in anſeret Expedition Heidelberg, — —
kraße 7 entgegen zenommen.

* — — —
— — —

* Yide des Wbdg, Mufer Demotrat) über die
Yrdensfrage, *)

Die Frage, vm die es ſich handelt, iſt in unſeren
Augen eile Rechtz- und Gerechtigkeitsfrage
und uur wenn man ſie unter diẽſem Geſichtswinkel
bet; achtet, kann man ſie verſtehen und ihr gerecht
werden Die heutige Debatte beweiſt iydeſſen klar,
daß auf verſchiedenen Seiten die Diskuſſion dadurch
in verkehrte, der Sache keineswegs förderliche Bahnen
gelentt wurde, daß maͤn auf den Standpunkt zu ver—
harren unterließ, von dem aus allein die Volksver⸗
tetung eines modernen Staates ſie behandeln darf.
Wir haͤben uns nicht in eine unftuchtbaxe Sbterung der
Frage einzulaſſen, ob die Orden und Miſſionen für
die Lulwicklung des religiöſen oder gar polltiſchen
Lebens ſegensteich ſein werden oder nicht, und noch
viel weniger angezeigt iſt es, eine geſchichtliche Ab
Handiung über Ddietelben zu gehen. Das Reſultat einer
folchen Ünterſuchung wird in jedem Fall beeinflußt
oder ſogar beſtimmt durch die ganze Weltanſchsuung
des Uriheilenden; insbeſondere die Verſchiedenheit der
religibſen Standpunkte wird naturgemäß zu einer Ver⸗
ſchiödenheit der Abſtimmung über dieſe Frage führen
und die Belehrung des einen Toeils durch den andern
iſt als ausgeſchloſſen zu betrachten. Es kommt des—
wegen vor aͤllem darauf an, die, Frage richtig zu
fiefien und dies geſchieht, wenn wir ſie als Rechtsfrage
behaudeln. Der Angriff des Antrags der Zentrums.
fratlion richtel ſich in erſter Reihe gegen den $ 11
des Geſetzes vom 9. Oliober 1560, die rechtliche
Stelung der Kirchen und kirchlichen Vereine im
Staate vbetreffend, welcher dahin lautet:

ohne Genehmigung der Staatsregierung kann kein
religibſex Orden errichtet werden. Dieſe Genehmigung iſt
widerruflich.“

(3 wird verlangt, daß die Genehmigung nicht mehr

nöthig ſein ſolle.

Daz Geſeß von 18690 ſtellt ſich alſo nicht auf den
Standpunkt, daß die Errichtung eines Ordens ſchlechter⸗
dings unerlaubt ſei, ſonſt hätte es dieſelbe einfach
verdieten und erklären müſſen! daß ſie, als mit dem
Sidalswohl unverträglich, unſtatthaft ſei. Sehr in—
tereſfant iſt in dieſer Hinſicht der ſeinerzeitige Kom⸗
mifſioͤnsbericht der zweuͤen Kammer, erſtattet vom Abg.
Hildebrandt, aus welchem ſich ergiebt daß in der
That ein Theil der Kommiſſion gegen die Zulaſſung
von glöſtern überhaupt war, die Mehrheit aber ſich
mit der Begründung dagegen wendete, daß ja „beider
Zulaffung eines Ordens die Aufrechterhaltung Dder
andesgefetzgebung ſchlechthin zux Bedingung gemacht
werden muß“ und ferner „mit Rückficht darauf, daß
einmal die Selbſtſtändigkeit der Kirchen anerkaunt iſt
und damit denſelben auch die Befugniß zuſtehen müſſe,
naͤch ihrem Ermeſſen die für geeinet gehaltenen kirch—
lichen Anſtalten zu errichten. Der Staatsregiecung
und deren Belieben iſt es vielmehr anheim gege—
ben, in dem einen Fall den Orden zuzulaſſen in dem
anderen ihn zu verbieten. Thut ſie erſteres, dann
muß ſich aͤuch der unverbeſſerlichſte Kulturkämpfer zu⸗
frieden geben und alle Entrüſtungsreſolutionen gegen
die „voltsverdummenden Kutten? haben der Thalſache
gegenüber zu verſtummen, daß das Geſeßz ſelbſt die
Zuͤtaffung geſtattet hat und dieſe deßhalb keine Staats⸗
gefaͤhrdung ſein kann. Man mütßte ſonſt den bedenk⸗
lichen Sab aufſtellen, der Staat habe ſich durch ſeine
eigene Gejeßgebung jelbft gefährdet! Ih ſage
alſo, nach dem Geſetz gelten die Orden nicht von
vorueherein als verhoten und wenn einklexikales oder
fonfervatives Minifterium an das Ruder kommt; Wwer-
den fie zugelafſen und als nicht ſtaatsgefahrlich be⸗
trachtet. Die perſonliche Anſchauung des jeweilieen
Minifterium3 ift demnach Der beſtimmende Faktor



und je nach deſſen Beſchaffenheit fällt die Entſchei—
dung ſo oder anders aus.

Wenn die Nationalliberalen konſequent ſein
wollten, müßten ſie ſelbſt die Aenderung des Geſetzes
dahin verlangen, daß übexhaupt kein religiöſer Orden
etrichtet weroen dürfe. Wir wollen nun aber die
Entſcheidung darüber, ob einem Theil unſerer Mit—
bürger verfaſſungsmäßig garantirte KRechte entzogen
ſein ſollen, um ſo weniger in das perſönliche Belieben
eines Miniſteriums legen, als wir grundſächlich auf
dem Standpunkte ſtehen, daß ſich der S 11 des Ge—
ſetzes von 1860 mit der Verfaſfung überhaupt nicht
in Sinflang bringenläpßt. Er enthält nicht, wie Hilde-
brand in den Vericht über den Geſetzentwurf, die Ge-
waͤhrung des Schutzes der Verfaſſung für das Geſetz
uͤbet die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchli—
chen Vereiné im Staate betreffend, von dem ganzen
Geſetz ſagt. eine, Ergänzung“ Odex Vervollſtändigung“
der Verfaſſung. ſondern eine Verletzung derſelben. Ich
weiß welche Einwendungen Sie gegen dieſe Behaup⸗
tung mit Bezug auf das Konſtituͤtionsedikt vom 14.
Mai 1807, die Kirchlihe StaatSverfaffung beir., im
Zuſammenhang mit Artikel 8? der Verfaſſung vor⸗
dringen werden; ich unterlaſſe es, jetzt ſchoͤn auf
dieſe einzugehen und behalte mir var, ſie zu wider⸗
legen, wonn ſie vorgehracht ſind. Der $ 18 der ba-
duͤchen Verfaſſungsürkunde dieſes Staatsgrundſatzes
lauiet: „Jedet Landeseinwohner genießt der un—
geſtörten Gewiſſensfreiheit und in An—
ſehung der Art ſeiner Gotte&verehrung des gleichen
Schuͤßes. Ungeſtörte Gewiſſensfreiheit!“ Soll dieſes
etwa. nur bedeuiea, daß Jeder denken und glauben
kaͤnn, was er will, daß alſo ſein innexes Geiſtes⸗
und SG.müthsleben ſich frei und ungeſtört entfalten
darf? Dann Hätte die ganze Beftimmunng gar keinen
Sinn, denn fie normirte etwas völlig Selbftver-
jtändlicheS und ein Dderartiger Höchft überflüſſiger
Satz paßte nicht in eine ſtaatliche Verfaſſungsurkunde.
Er taun alſo vernünftigerweiſe nux beſagen, daß Je⸗
dermann auch die Freihãt haben ſoll, nach den Geboten
und Forderungen ſeines Gewiſſens zu leben und
alles Dasjenigẽ — ſelbſtredend in den durch die all—
gemeinen, für Jeden geltenden SGefehe gezogenen
Schranken — zu thun was ihm ſein Gewiſſen zu
thun vorſchreibt.

Nicht allein die „Bewiſſensfreiheit,“ ſondern die
umgeſtoͤrte? Gewiſſensfreiheit und die volle Freiheit
n ber Art der Goͤtiesveresrung iſt verfaſſungsmäßig
garaͤntirt und keine Volkspertretung, uw keine Re⸗
zierung ſind berechtigt, irgend welche Störung vor—
zunehnien, wenn und ſo lange die Verfaſſung zu Recht
beſteht. Wir haben nicht das Recht, darüber zu
richten, ob ſich die religibſen Bedürfniſſe eines Indi⸗
piduums von einem religibs fortgeſchrittenen Stand⸗
punkt aus begreifen laſſen, wir müſſen die individuelle
Gewiſſensfteiheit in jedem Falle hochhalten; denn
es iſt teine Freiheit, wenn ich dem Nächſten nur das
zu thun geſtatte, was ich begreiſe, und nicht das, was
er für Kecht hHält. In einem RKRechts= und Kulturftaat
muß Derjenige, difjen Seele das Bedürfniß nach klö—
ſterlicher Zurückgezogenheit oder nach dem geiſtlichen
Zuſpruch Lines Oldensbruders empfindet, das Recht
haben, dieſes Bedürfniß zu befriedigen, und es iſt
geradezu Barbarei und das Gegentheil von Liberal—
{iamu8, wenn man dieſe Befriedigungsmoglichkeit ab⸗
ſchneidet. Wir wiſſen uns don jeder Vorliebe für
Kerifei und Mönchswefjen völlig frei, aber als demo⸗
kratiſche und deswegen Lolerante Menſchen geſtatten
wir aͤuch Jedem die freie Befriedigung ſolcher religiöſen
Bedürfniſfe, welche wir nicht theilen. Iſt es aber,
frage ich, auch nur vom Standpunkt der verfaſſungs⸗
möäßig gaͤrautirten „ungeſtörten Gewiſſensfreihet aus
erlaubt, Menſchen, lüchtigen und ehrbaxen Staats⸗
buͤrgern, welche tiefe Sehnſucht darnaͤch haben, fexne
von dem Geräufch der Welt ein „gottgeweihtes! Leben
zu leben und ſich auf das von ihnen erhoffte Jen—
ſeits vorzubereiten, dies mit einem Ausnahmegeſetz zu
verwehren?

Wer dieſes aus irgend einem Grunde thun xill,
geſtehe es offen ein und habe den Muth, die Ver⸗



*) Au3 dem B. Landesboten.

der Verfaſſungaurlunde herbeizuführen. So lange

wir aber die Verfaſſung haben, ſind wir verpflichtet,
fie auch in aͤllen Theilen zu achten und ihren Schutz
Jedem und auch dann zukommen zu laſſen wenn er
Lehren verbreiten ſollte, welche uyſere Wiſſenſchaft
bekämpft. Wer yungeſtörte Gewiſſensfreiheit“ hat,
beſitzt auch das Recht ſelbſt dem größten Irrthum
zu huldigen, wie er ſich anderſeits auch gefallen laſſen
muß, daß man dieſen Irrthum klarlegt und bekämpft,
felbſiverfländlich mit den Mittely, mit welchen
man allein einen Irrthum auf den Leib rücken kann
und darf.

Wer'es verurtheilt, daß im Mittelalter der Staat
ſeine Hand dazu bot, Jemanden wegen ſeiner freieren
Geiſteoͤrichtung zu verfolgen und zu, ſchädigen, der
muß es auch verdammen, wenn ſich heute der Staat
dazu hergibt, Jemanden an Dder Befriedigung ſelbſt
der eigenartigſten, vielleicht ſogar ſonderbaͤr erſchei—
uenden, religloͤſen Bedürſniſſe zu verhinderp. Dadurch
unterſcheiden wir uns in dieſer Frage weſentlich von
Ihnen: Wir wollen nicht allein die volle Freiheit
det Biſſenſchaft, ſondern auch die volle Freiheit
es Glaubenz3-und Ddes religiöjen Lebens wir
geſtatten der geiſtlichen Polizei nicht, die erſteren an—
zutaſten und dex weltlichen Polizei nicht, die letzteren
anzugreifen. Die Polizei hat dann doch ihre Legi⸗
timation, immer Unheil und Verwirrung anzurichten,
wenn ſie ſich auf dieſe ihr naturgemäß verſchloſſenen
Gebiete wagt, ſchon ſo oft dargethan, daß man ſich
billig wundern muß, daß ſie uͤoch immer in Dienſte
eingeſpannt wird, denen ſie nicht gewachſen iſt. Mit
diefeni Grundſatz iſt auch ſchon die Einwendung ab⸗
gethan, die Einführung religiöfer Orden ſei kein Be—
Furfüiß. Ich empfinde für meine Perſon ein ſol⸗
ches nicht und in der nämlichen Lage ſind noch viele,
Illein es kommt nicht darauf an, ob wir es theilen,
ſondern daß es andere haben und daß dieſe das
Recht beſitzen, es zu heſriedigen. Die Minorität
hört nicht auf, ihre Rechte vexlangen zu dürfen, weil
die Majorität das Bdürfniß jener Rechtsaus⸗
übung nicht theilt.

Auch in den von der Franffurter Nationalver⸗
ſammlung beſchloſſenen und in die Reichsverfaſſung
yom 28. März aufgenommenen Grundrechter
für das deutſche Volk iſt die Preß⸗ Glaubens · und
Kulturfreiheit aufgenommen, Der Artikel 5 der da—
maligen Reichsverfaſſung G 144—151) beftimmte :
„Volle Glaubens⸗ und Gewiſſensfreiheit für jeden
Deutſchen, Recht zur Bildung neuer Religionsgeſell⸗
ſchaften mit dem Hechte offentlicher Gottesverehrung,
Selbſtſtändigkeit aller Religionsgemeinſchaften in Ord⸗
nung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten.“

In der Proklamalion des Großherzogs Friedrich
vom 7. April 1860 ift den beiden Kirchen eine freie
und felbftitändige Stellung gewährt und wenn eine
Kirche die Errichtung von Orden und die Abhaltung
von Miſſionen für ein kirchliches Eedürfniß erklärt,
jo darf ein Staat, der jene Freiheit und Selbſtſtän⸗
digkeit gewähren will, kein Veto einlegen.

Der angefochtene 8 11 ſtatuirt; — Sie werden
das wohl nicht beſtreiten — eine Ausnahme von der
durch daͤs Vereinsgeſetz normirten Regel, er iſt eine
ausnahm3gefeblidhe Beſtimmung, welche die religiöſen
DOrden ander3 behandelt wiſſen will, als die gewoͤhn—
lichen Vereine. Wie wir Über Ausnahmsgeſetze,
ihre rechtliche Zuläſſigkeit und praktiſche Wirkung den⸗
ken, brauche ich hier nicht weiter auszuführen, und
weiche deutlichen und eindringlichen Lehren die Ge⸗
ſchichte in diefex Beziehung ertheilt, wird Feden klar
ſein, der ſich die Erfahrung vor Augen hält, welche
wir' nit verſchiedenen Ausnähmegeſetzen gemacht hahen
Sie wollen mit ungerechten und derkehrten Mitteln
Dinge bekämpfen, welche auf ganz andere Weiſe in
Angriff genommen werden müffen. Es iſt einer der
verhäugnißvollſten Irrthümer der ſogen. „Realpoli⸗
tifer“, daß fie glauben, die Neberzeugung don der
Gefährlichkeit irgend einex geiſtigen und ſozialen Be⸗
mwegung rechtfertige Da Eingreifen der ſtaatlichen
Sejeggebung. Das einzige Mittel, beſtimmte
Feiſuge und ſoziale Weltanſchauungen zu korrigiren,
ijt eine rationelle Erziehung, welche durch

Klarlegung der verwirrenden Irrthümer befreiend






wirkt, geiftige Fortſchrute erzielt und ein denken—


 
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