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Pfälzer Bote für Stadt und Land (27) — 1892

DOI Kapitel:
Nr. 261 - Nr. 270 (16. November - 26. November)
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T










erſchein täglich — der Sonn« unDd Feiertoge
Samftags mit Unterhaltungsbeilage. Preis vierteljährlich
Mi. 120 obne Frägerlohn u Poftanfichlag. Beftelungen
Get dem Boftanflalten ı. bei der erxvediiisn Zwingerſtraße?.

r 269

— —— — ;
Jultus Yeder in Heidelberg.

Beſtelluugen
den „VPfalzer Zateu werden fortwäbrend bei
ranitlichen Bofianſtalten, hei unſeren Trägerinnen.
rwie in anſerer Erpedition Heidelberg, Zwinger⸗
Lraße entgegen genommen



$ Der Eid und die - Sozialdemoktatie,

Seitdem vor einigen Monaten ein Staatsanwalt in
Hamburg und bald nachher guch der Vorſitzende der
Slrafkammer in Breslau gelegentlich von —
verhandlungen gegen Sozialdemokraten, ihre Ueber⸗
zeugung ausgeſprochen haben, einem Sozialdemoſraten
fäme e8, wenn es ſich um die Sache ſeiner Partei
handle, auch nicht auf einen Meineid an, hat ſich die
Sozialdemokratie über dieſen gegen, ſie erhobenen
Borwurf noch immer nicht beruhigen können. Große
ſozialdemokratiſche Verſammlungen in Hamburg und
Breslau haben gegen dieſe Behauptung Proteſt er⸗
hoben, in zahlreichen Artifeln hat die foziaidemokratiſche
Hreſſe die übervolle Schale ihres Zornes und ihrer
Entkuͤſtung über die beiden Gerichtsperſonen auege
goſſen, das Zentralorgan der Paxtei der „Vorwärts
hat noch in der letzvergangenen Woche der Angelegen—
heit zwei langſpurige Leitartifel gewidmet und der
Vorſtand der ſozialdemokratiſchen Partei hat ſich ſo—
gar veranlaßt geſehen, feinem Bericht an den Par—
teitag zu Berlin“ eine Rechtsverwahrung gegen die
Muslafjungen der beiden Juriſten einzufügen, in wel
DGer e& u M, heißt: „Die @oömlbemqut\e hat
niemal8 einen Hehl daraus gemacht, daß ſie Gegnerin
der religiöſen Form des Eides iſt; für ſie iſt die
religiöſe Bedeutung und religiöſe Vexantwortung des
Sides belanglos; ie erfennt den Wahrheitsziwang vOr
Gericht einfaͤch al bürgerliche, als menſchliche Ver—
pflichiung an, Der gegenüber für den Zeugen nur
daͤs Recht der Eidesverweigerung, nicht das der Lüge
anerfannt werden kann.“ € verlautete, Daß auch
der ſozialdemokratiſche Parteitag Stellung zu der
Luͤgelegenheit nehwen würde. Der Genofje Frohme⸗
Hamburg ftellte allerdings In der Eröffnungsſitzung
vom 14 d. den Antraq: Auf die Tagesordnung
an geeigneter Stelle zu ſetzen: „Die Sozialdemokratie
und der Meineid“, indem er bemerkte, der Parteitag
müſſe einen ſcharfen Proteſt gegen das Vorgehen der
Hamburger Staatsanwaltſchaft einlegen. Bebel *
jedoch, wie der offizielle Sitzungsbericht des „Vor—
wärts“ beſagt, „davon abzuſehen, das Thema peziell
Auf die Tagesordnung zu ſetzen;



43) von A. K. Green.
emühungen blieben indeſſen erfolgl08, Selbit
** * — dei ſich gehabt hätte, wäre

i ich im Stande geweijen, Ddies Schloß zu öifnen,
* * war aber gar nicht daran zu denken.
Sie mochte das ſchlichüch jelbit einjehen, Ddenn jebt
hörte das Mlirren auf, ih vernahn einen Schritt, und
als ih fühn um die Ecke heruͤmſpähte, ſah ich ſie nach
der. Vordertreppe hinfhleichen. Niht ohne ein Gefühl
heimlicher Schadenfreude trat _ NUN aud) i meinen
RKücwveg an und unjere beiden Zinmerthüren ſchloſſen ſich
gleichzeitig.
ihr — trat ihr unbefangen entgegen und
merfte wohl, daß fie mich mit forfchenden Blicken betrachtete
al8 ich ihr freundlich guten Morgen wünfchte, .

3 freut mich, Sie heute früh wohlauf 3zu jehen,
fagte‘ih: „SIhre Zochter jchien fih in der Nacht zu äng-
itigen, weil Sie das Bett verlafien hatten, Ih meinte, dDas
habe gewiß nicht? zu bedeuen, Sie wären NUr zU aufgeregt
geweijen und hatten geglanbt, Ddie frijche Ouft in der Halle
werde Sie beruhigen.“ OYObaleih fie mich, mwährend i
iprach, mit ihren Augen mag, die jDarf genug find, um
Mauern zu durchbohren, ſaͤh ich ſie lächelnd an und ſenkte

— Rechte aetroffen,“ gab ſe zur

das
—44 * — Ruhe für meine erregten NMerven,

Mi ü nherlei Sorgen, oft liege ih die ganze
— 7— der Seite meiner Tachter. die nichts
Davon gewahrt, und fjehne mich nach Lutt und Hreiheit,
um athmen zu können, mich zu bewegen und mir rleich
terung zu verihaffen. Leßte Nacht ertrug im eS niht
(änger und {tand deShalb auf. IO _ Hoffe, ich habe Sie
nidt allzı jehr geitört und auch jonit niemand im Hauſe
gufgemeät mit meinem ruhelöſen Auf⸗ und Abgehen in
er Hale.“ Bn

Xch. verlicherte ihr, daß ich mich nicht fo Teicht {tören
— — ⏑ habe, e ich fofort






à





Seidelberg, Freitag, den 25 Movember . 169

legenheit finden, bei Berathung des Berichtes des
Parteivorſtandes die Sache zur Beſprechnug zu brin—
gen. Die Sache zu einex Haupt? und Staatsaktion
aufzubauſchen, habe der Parteitag indeſſen keine Ver—
anlaſſung.“ Mit dieſer Erklärung Bekels war die
Sache unter den Tiſch geſchoben und wurde unter
demſelben nicht mehr hervorgeholt. Trotzdem man
faſt drei vielſtündige Sitzungen der Beſprechung des
Paͤrteiberichts widmete, fand man, trotz der Verſicher—
ung Bebels, keine Gelegenheit, die Meineidsfrage zu
erörtern. Und doch hatfe man aus derſelben monate—
lang eine Haupt und Staatsaktion gemacht durch
große Proteſtverſammlungen, durch Entrüſtungeartikel
in der ganzen ſpzialdemokratiſchen Preſſe, vom Zen—
tralorgan bis zum kleinſten ſozialdemokratiſchen Win
kelblättchen hinab, und zum Schluſſe hatte noch der
Parteivorſtand dieſer Hauptaktion den Stempel auf—
gedrückt. Weshalb nun auf einmal dieſe wegwerfende
Behandlung einer Angelegenheit, welche die Genoſſen
ſo lange in ſolch lebhafter Weiſe beſchäftigt haite—
weshalb plötzlich dieſe Behandlung ä la baͤgatelle?
Befürchteien vielleicht die leitenden Perſönlichkeiten
bei Beſprechung der Frage ihnen unbequeme Aeußer—
ungen der ſtürmiſcheren, politiſch wenigex geſchulter
Genoſſen? ;

Der Parteivorſtand erklärt in ſeiner „RechtSver:
wahrung“, daß für die Sozialdemokratie die religiöſe
Bedeutung und religiöſe Verantwortung des Eides
belanglos ſei. Mit dieſer Erklärung konſtatirt die
Sozialdemokratie, daß für ſie der Eid einfach nicht
mehr exiſtirt Denn das religiöſe Moment aus dem
Eide entfernen, heißt nichts anderes, als einen Eid
ſchwören, ohne Gott zum Zeugen für die Wahrheit
der Ausſage anzurufen; das iſt allerdings eine Kon—
ſequenz des Programms der Sozialdemokratie, denn
dieſelbe erſtrebt wie Bebel ſ. 3. im Reichstage erklärt
hat, auf religiöſem Gebiete den Atheismus; aber das
iſt kein Eid mehr, das iſt nur noch eine „Betheuerung“,
wie ſie im menſchlichen Leben alle Tage vorkommt.
Die Sozialdemokratie erklärt darum auch ganz offen,
daß ſie den Wahtheitszwang vor Gericht nur als
bürgerliche und menſchliche Vepflichtung anerkenne.
Bürgerliche Verpflichtung gegenüber der bürgerlichen
Geſellſchaft, welche die Sozialdemokratie für haſſens—
and verachtungswürdig erklärt, der ſie den Untergang,
die Vernichtung geſchworen! Aber abgeſehen davon:
Welche Garantieen bietet eine ſolche, des religiöſen
Momentes vollſtändig entbehrende „menſchliche Ver—
pflichtung?? Wird wohl bei Menſchen, welche den
Glauben an Gott über Bord geworfen, bei denen




ich nicht ſagen! Ich vermochte ſo wenig in ihren Gedanken
zu leſen, wie ſie in den meinigen. 2

Jedenfalls erhellte ſich ihr Geſicht bei meinen Worten;
nach einigen gleichgiltigen Bemerkungen über das Wetter
wandte ſie ſich mitidem heiterſten Ausdruck von der Welt
ihrer Tochter zu, welche eben eintrat.

Was mich betrifft, ſo habe ich mir vorgenommen, mein
Zimmer zu verändern. In aller Stille, ohne daß jemand
etwas dabon erfährt, werde ich mich für dieſe und die fol—
genden Nächte in einer kleinen Stube im weſtlichen Flügel
einquartierei, die nicht allzu weit von dem furchkbaren
Eichenzimmer liegt.

Zwanzigſtes Kapitel.
Der Stein im Garten.

Den 11. Ottober 1791. . } O ;

Dirſen Morgen brachte die Poſt zwei Briefe für meine
fremden Gäſte. Da ich zu beobachten wünſchte, welchen
Eindruck ſie machen würden, trug ich ſie ſelbſt auf Madame
Letelliers Zimmex. *

Ich fand Mutter und Tochter beiſammen ſitzen
jene mit einem Buch, dieſe mit einer Stickerei beſchäftigt.
Die Briefe in meiner Hand gewahrend, erhoben beide
A ral E

„Seben Sie fie mir,“ rief Ddie Zochter,
nächften war; ein heller Freudenſchimmer
Augenblick auf in ihrem Antlitz.

Von wem — von Deinem Bater?” fragte Madame
mit ſcheinbarer Sorgloſikeit, durch die ſie mich iedoch nicht
täuſchte.

— Mädchen ſchüttelte den Kopf und ein liebliches,
wenn aͤuch truͤbes Lächeln ſpielte um ihren ſchönen Mund.
„Bon —“ begann ſie und ftocte, ob auf ein Beichen
ihrex Mutter oder aus jungfräulicher Scham kann ich
nicht fagen. 8* AT

Mad:me- 20g lich nach dem Feniter zurüc, ich jah, ich
ſollte mich entfernen.

Se batte ich denn nichts erfahren, außey daß
Mademoifelle einen Verehrer hat und daß ſie zu lächeln
verſteht.

_ die mir am
ſtrahlte einen

W,

ote

Unzerge: Blatt flr die Anttsbezirte Heidelberg
Kadenburg, WeinhHeim, Schwetzingen Philippsbutz
Wiedloch, Bruchfal, Bretten, Ne rgenünd, MoSbadh
Lberbach, Buchen Walldurn, T-ð — —



\ Drue, Bexlag u. Exxedition von Geur. guber 47
in Heidelberg, Ziviugerſtraße 7. * 8 i.

die Ehrfurcht vor ſeinem heiligen Willen ihre Macht
perloten hat, das Ehrgefühl allenthalben noch ſo groß
ſein, daß ſie lieber auf einen Vortheil, der ihnen oder
ihren Freuͤnden aus einer falſchen Ausſage erwächſt,
verzichten, als ihre Ehre in die Schanze ſchlagen
möchten? Wir glauben es nicht. Der Atheismus
und der Materialisuns erſticken, wie ſchon die Er-
fahrung genugſam lehrt, auch das Ehrgefühl in dem
Menſchen, denn der Materialismus kennt blos greif⸗
bare, irdiſche und ſinnliche Güter; die Ehre aber iſt
ein idegles Gut, mit dem kann er nichts anfangen
Ebenſowenig aber dürfte die Furcht vor angedrohten
Strafen hinreichend ſein, uin die vom Gottesglauben
losgelöſten Menſchen gegebenenfalls ur Wahrhaftig-
keit zu beſtimmen. Gar oft wird ein ſolcher Menſch
ſich nur in dem Falle zu einer wahren Ausſage,
welche ihn oder ſeine Beſtrebungen in irgend einer
Weiſe ſchädigen könnte, veranlaßt finden, wenn er
überzeugt iſt, daß die angedrohte Strafe ihn ſicher
und ünabweisbaͤr treffen werde, falls er eine falſche
Ausſage machte. Sähe er nur irgend eine Möglich—
keit, derſelben doch entgehen zu können, ſo wird er ſicher
vor einer falſchen Ausſage nicht zurückſchrecken, um
ſo mehr, wenn ihm ſein Vortheil dieſe falſche Aus—
ſage diktirte. Wo ſittliche Mächte, ſittliche Motive
nicht mehr wirken und ſie wirken nicht mehr, wenn
der Glaube an Gott verloren iſt, da läßt ſich dieſer
Mangel durch nichts mehr erſetzen, am wenigſten
durch die Furcht vor Strafe.

Daß die meiſten Menſchen, die keine höhere, keine
religiöſe Verpflichtungen anerkennen, auf eine ſolche
„bürgerliche und menfchliche Verpflichtung/ um
uns eines etwas draſtiſchen Ausdruckes zu bedienen
— „pfeifen“ werden, dedarf darum auch auch wohl
keines weiteren Beweiſes. Daß man auch bereits
vielfach in ſozialdemokratiſchen Kreiſen dieſer Ver—
pflichtung keinen Werth beilegt, das haben ſchon
manche Aeußerungen in der ſozialdemokratiſchen Preſſe
und von ſeiten ſozialdemokratiſcher Agitatoren dar—
gethan. In einer jüngſt erſchienenen leſenswertben
Schrift: „Meineid und Sozialdemotfratie.
Ein Beitrag zu einer brennenden Tagesfrage Auf
Grund authenthiſcher Quellen.“ Verlag von Richard
Wilhelmi, Berlin, 93 Seiten. — ſind eine ganze
Menge ſolcher Aeußerungen wiedergegeben. So beißt
e& in Nr. 47 des „Sozial de mokrat“ (dem das
maligen offiziellen Organe der deutſchen Sozialdemo—
kratie) vom 23. Nov. 1889: Auf die Gefahr hin,
zu eineni neuen Zetergeſchrei der Reptilienblätter und
ihrer Hintermänner Veranlaſſung zu geben, erklären
An naͤchften Tage — ſedoch nicht meht —
jah bläſſer aus als je und war matt wie eine gebrochene
Blüthe : *

Eie iſt krank, äußerte Madame, „das Treppenſteigen
— AU JeEOT. yr

„Ahg,“ dachte ich bei mir, „das iſt der exſte Schachzus,

nun werden ſich die Dinge bald weiter entwickeln.
Es geht aber langſamer, als ich dachte. Zwei Tage
ſind verfloſſen und obwohl Mademgiſelle bleicher und
abgezehrter ausfieht, ift von den Treppen nicht mehr
die Rede geweſen. Inzwiſchen hat ſich aber doch etwas
zugetragen, was nicht ohne ernite Bedeutung iſt wenn
Madame, wie ich vermuthe, das Geheimniß der verborgenen
Kammer kennt. * *

Nänilich folgendes: Im Garten liegt ein weißer Stein
roh behauen, abex ohne Inſchrift. Er pezeichnet Benore
Urquharth’s SGrabitätte. Auch in das Geheimniß dieſes
Steines haben wir aus guten Gründen keinen Unberu-
fenen eingeweiht. Sg konnte denn außer mir auch niemand
im Hauſe Madame Letellier Auskunft geben, als ſie bei
ihrem Sang durchH den SGarten ftillftand und fragte, 10a8
dieſer Stein zu bedeuten habe? Ich hatte diez vom Fenſter
aus heobachtet, eilte zu ihr hinunter und traf ſie noch auf
derjelben Stefle. . * SR (
Wuͤndern Sie ſich, was dieſer Stein hiex ſoll? frasgte
ich in gelaſſenem Ton, um fie zuerft in Sicherheit _ zu
wiegen, dann, ſie feſt aublickend fuhr ich mit erniter
Stimme fort; „Es iſt ein Brabſtein, dort liegt eine Leiche
in der Erde.“ — —

Sie ſchrak zuſammen und ſchloß die Augen Diesmal
hatte ihre außerordentliche Selbſtbeberrſchung ſie doch ver⸗
laſſen. Entſeßzt ſah ich die plötzliche Vexänderung in ihren
Zügen und mußte alle meine Kraft zuſammenraffen, umt
meine eigene Aufregung zu verbergen

Gortſetzung folgt)


 
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