Heidelberger Wochenblätter (33) (1839)

Hcidclbcrger Wochcnblättcr.

X». 152. Montag, dkn 5. August 18S9.

Ereignisse.

Kassel, dcn 29. Juli. Die neuesten Ereig-
niffe in Hannover sind fortdauernd l)ier einer dcr
Hauptgegcnstände des Tagögespräckes. Aud allen
Erzählungen von Ncisenden, die von dai)er kanien,
geht hervor, daß im Hannoverschen Regicrung und
Negierle sich jetzt opne Derglcich schroffer gegenüder
stedcn, als dei unS in Kurhcffcn zu Ende des Iahres
1950, dem Zeitpunkl unsercr höchsten pvlilijchen
Aufregung.

Hannovcr, 27. Iuli. Der Magistrat hat
endlich cine allerhöchste Nesolution ans seine Ein-
gabe um Zurücknahme der gcgen Numann ver-
sügten Suspension crlialtcn. Dieselbe lautec zwar
abschlägiich, har jcdoch manches Tröstliche in der
Mokivirung, indem darin crklärt wird, dic Suö-
pension könne um deswillen nichc zurückgenommen
werden, weil Nuniann zuglcich Ehcf dcr Polizci-
direction sey, und man dieses Amr doch Niemand
belaffen könnc, der in Kriminaluntcrsuchung stche.
Es ware also Aussicht, daß, sobald die Kriminal-
untersuchung erlcdigt, dic Suspension aufhöre.
Bürgcrmeister Srüve hat dic ihm übertragcne
Vertheidiaung des hiesigen Akagistrats angenom-
mcn. Iustizrath v. Wangeubeim, den der Ata-
gistrat, da er Mitglied der Ständeversauimlung
ist, perhorreszirr habcn würde, hat dieseö nicht
abgewarrct, sondern sich selbst seincs Snmmrechts
bcgeben. — Noch immcr wcrden Truppen hicrher
gczogen, dic Wachen verstärkc, Patrouillen cir-
culiren; von ^eiten der Bürgerschaft wird jedoch
die größte Nuhe und Ordnung beobachtec; auch
die Pöbelaufläufe haben aufgehört. Bei der Ar-
tilleriekaserne stehen Tag und Nacht vier Kanonen
mic ihrcn Munitionswagen bespannt; die Thor-
wachen sind verdoppclt; hoffentlich sind alle diese
Austaltcn insofern unnütz, alS ernste Ruhestörungen
nicht zu besorgcn sind. Auch in OSnabrück hat
man crnsthafte Anstalten zur Verhütung von Un-
ordnungen gctroffcn; es stnd Kavallerie-Detasche-
mcncs dortl)in beordert, und gestern von hier Ge-
neralstabs-Offiziere mic Kurierpferdcn dorrhin ab-
gegangen.

Bcrlin, 22. Zuli. Die große Verkehrstraße,
welche Rußlanb aus seincr westlichen Gränze längs
Preußen von der südwesilichen polnischen Eckc ans
bis nach der Ostsee anlegr, wird eine noch bcdeuten-
dere Wirksamkeit durch die Ausführung der von
Lowna (Kauen) am Nicmcn nach Libau an der

Ostsee führenden und bereits begonnenen Eisenbahn
erlangen. Diese Eisenbahn wird noch um etwas
langer werden, als die im Süden von Warschau
nach dem Krakauischcn, und beide zusammen ver-
binden den bei weircm größeren Theil dcr ganzcn
Gränzlinie. Danebcn zieht sich nun die Waffer-
straße durch Weickscl, Bug, Narcw, Niemen und
die Vcrbindungskanäle, welche alle russisch -polni-
schen, litthauischen und deutschen Bezirke unter
sich und mir den Häuprpunktcn an der Mecreöküste
in Verbindung bringt. Libau, ein Mindungspunkt
der Eisenbahn, ift ein demsch-kurischer, schr bequc-
mer und wickciger Hafen. Diese Eisenbahnlinien
an unserer Granze habcn aber nicht blos einc mer-
kancilische, sondern auch in cben so hohcm Grade
eine straregische Bcdeutfomkeit. Wcnn die erste
Beziehung zunachst nur uns nachiheilig berührt,
so möchce die anderc von emopäischer Wichtigkeit
seyn. Wall - und Kastelllinien, wie deren die
9cömer cinst gegen Dcutschland anlcgten, wider-
steben heute nicht mehr den vcrbesserlcn Angriffs-
waffen; von um so größerer Bedeutung smd gute
Wege, wirksame Transportmittel, Eisenbahnli-
nien gewordcn. Diese vermehrcn die Fähigkeit
des Widerstandes wie des AngriffS, indem sie dic
Beweguug bcflügeln und die Vereinigung von
Truppen da, wo widerstanden werden soll, erleich-
tern. Durch wirksamcre Wegverbindung nähert
Rußland seinc Bevöleerung, verdickcet sie gleichsam
und bcsähigt sich in eben dem Maße, alle Kriegs?-
operationen zu beschleunigen. Nußland kann in
der kürzesten Seit seine Sleitkräfte aus dem ganzen
Küstenbereich der Ostsce zu Meer nach Libau und
nüttelst der neuen Verbindungen und Eiseubahnen
nach der Weichsel schaffcn, zwischcn dieser nnd der
Oder seine Armee zusainmendrängen und sie, den
heurigen gcwaltigen Waffenplatz Warschau im
Rücken, dem Herzen PreuffnS entgegenführen.
Ift doch Berlin von Ler jctzigen russischen Gränze,
vom Terrain des bcrühmten Lustlagers, nur ü0
Meilcn encferntl Dadurch schweben die Provinzen
Ost- und Westpreußen in der Luft, zumal bei
dem Mangel ciner Flotte, die Schutz und Sicher-
hcit böte. Die alleinige äufferfte Operalionsbasis
Preußens könnte also nur die Qder seyn, dcren
Stützpunkte die schlesischen Feftungen. Die Wich-
tigkeil von Posen als Festung tritt hier deurlich zu
Tage; es ift auch stark und trefflich angelegt, nur
haben sich die vielen Kasemattenbamcn nicht be-
währt, obgleich sie geräumiger und sür das Abzie-