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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 13
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50

Napoleon's Stiefel.
(Erzählt von Iw. Hermann Mepnert.)
Es war den 27. August 1813. Unter Kanonendonner war der
wilde Sohn der Zeit geboren worden, und Sturm und Regen waren
vergebens bemüht, den grausen Brand zu löschen, den er entzündet.
In Nebel und Dunst verhüllt lag die bange Braut des Kampfes die
Stadt Dresden; Regen und Pulverdampf hatten einen Witwenschleier
über sie geworfen, durch welchen sie scheu und thräncnvoll hervorblickte.
Im Halbkreise vsr ihr wogte die Schlacht; zornig schauten die Bat-
terieen gegen einander, und bald mußte es sich entscheiden, wer dies-
mal Recht behalten sollte. Während des Vormittags war Frankreichs
Corislan, der edle Moreau, im Kampfe gegen seine grollende Mutter,
auf den Anhöhen bei Nöcknitz gefallen.
Die nach Kriegssitte schweigenden Thurmuhren der Stadt schienen,
wie das Schicksal selbst, die Macht uud den Muth verloren zu haben,
die entfesselte Zeit zu messen. Unangerufen von der ehernen Zunge
der Glocken, ras'ten die Stunden vorüber; Kanonenschüsse waren ihre
Pendelschläge.
Die Wuth der Witterung hatte das Acußerste gethan, um die Lage
der Verbündeten zu erschweren. Ihre beiden Flügel, der rechte gegen
die Elbe gelehnt, und durch den Verlust des brennenden Dorfes Strie-
ßen und des großen Gartens, der linke durch die ihm entzogenen fe-
sten Stellungen von Cotta und Löbdau erschüttert, hingen ermattend in
die nach beiden Seiten auslaufenden Niederungen herab. So hatten
sich denn alle feindselige Kräfte der Schlacht gegen das Centrum zu-
sammengcpreßt, wo das zerklüftete felsige Terrain des Plaucn'schen
Grundes und der sich ihm anreihenden steilen Höhen, dem Wieder-
stande doppelten Halt, dem Angriffe doppelten Ungestüm verleihen mußte.
In der zweiten Nachmittagsstunde ritt Napoleon auf seiner Falbe
in gemessenem Trabe die Wilsdruffergasse hinab. Er hatte zum Schutze
gegen die fürchterliche Witterung den grauen Ucbcrrock enger an sich
gezogen, und den kleinen Hut fest in die eherne Stirne gedrückt. Das
Menschliche in ihm hatte sich so recht unbehaglich «('gesperrt gegen die
Neckereien der Natur. Dennoch sprach aus seinem Antlitze eme kalte
Zuversichtlichkeit, während aus den gesenkten, zwischen den Ohren des
Pferdes vor sich hinblickendcn Augen der alte Geist der Schlachten
blitzte, und mit stolzem Schweigen die bange fragende Stadt beruhi-
gend abzufertigcn schien. Neben ihm ritt Murat, dem er den Auf-
trag ertheilt hatte, sich an die Spitze der zur Zeit noch ruhig in der
Ebene stehenden iS,000 Pferde starken Division Latour-Maubourg zu
setzen, und sic nach der Frciberger Straße hinauf zum Angriffe zu
führen. Murats abenteuerliche halb hunische Tracht, spielte in dem
Regen und Sturme eine etwas zweideutige Nolle, und die Wässer des
Himmels wuschen das Romantische seiner Kleidung zum Bizarren he-
rab. Rustan« braunes Gesicht, das hinter den beiden Kriegsfürstcn
austauchte, blickte ziemlich verdrießlich darein, und der blitzende Hel-
denschwarm, der sich der Gruppe anschloß, sah muthig und kampfent-
' schlossen, aber auch frostig und ungeduldig aus. Als sie das Ende der
Gasse erreicht hatten, aus dem Platze des zwei Jahre früher abgetra-
genen Wilsdruffer Thores, stocke der Zug. Sie mußten einzeln rci-
r?n, denn man hatte die Ausgänge der innern Stadt mit Sandfäffer,
Balken) Säcken in möglichster Eile verbarrikadirt, und nur einen schma-
len, vertieften Durchgang übrig gelassen. Diesen aber hatte das hier
zäsammenrinnende Regenwasser in die übelste Verfassung gebracht. Die
Plütze war in einen kleinen Teich angcschwcllen, und der Grund der-
selben, von Eerölle, Baustücken und zerweichtcm Sande gebildet, ge-
währte die übelste Passage. Zu Pferde hindurch zu kommen, daran
war nicht zu denken. Napoleon stieg also ab, winkte dem ebenfalls
absteigenden Mameluken, und übergab ihm sein Pferd, um es ander
Hand über die gefährliche Stelle zu führen. Er selbst suchte, der nas-
sen Schlucht nach Kräften ausweichend, die Abdachung des Pfahlwcr-
kes zu überklettern. Aber kaum hatte er einige Schritte auf diesem
unbequemen Terrain gethan, als er aus dem von Regen und Nässe
schlüpfrigen Holzwerke ausgüschte. Zwar hielt er sich an den Paiis-
saden fest, und schützte sich auf diese Weise vor dem Hinsailen, aber
sein rechter Fuß fuhr heftig zwischen Hölzer und Schlamm hinein, uud
saß plötzlich so fest, daß er ihn nicht zurückziebcn konnte. Als er mit
ziemlicher Anstrengung endlich doch seinen Fuß befreite, geschah dies
nur mit Zurücklassung des Stiefels, der zerweicht und halb zcrissen
tu dem Trümmerwerke stecken blieb.
Jetzt war guter Rath theuer. Der Kaiser, der den unbeschützten
2-sß nicht auf brn triefenden Erdboden setzen mochte, stand in unbe-

quemer Stellung auf einem Deine, und blickte fragend um sich. Seine
Marschälle sahen einander verlegen an. Die Gasse war wegen des
grausamen Unwetters menschenleer, und alle Gewölbe wegen des
Schreckens der Schlacht geschloffen. ,
Da trat aus dem kleinen Häuflein der Gaffer, welche Neugier oder
Geschäfte in den Regen hinaus geführt hatten, ein junger Mann mit
einer Hocke unter dem Arme hervor. Er trug große schwarze Backen-
bärte, und hatte einen entschlossenen, militärischen Blick, den jedoch
seine ärmliche bürgerliche Tracht nicht rechtfertigte.
Er kletterte dicht zu dem Kaiser hin. „Sire," sagte er in gutem
Französisch, wenn Sie mir Ihren Fuß erlauben, so kann ich vielleicht
aus der Verlegenheit helfen."
„„Wer bist du?"" fragte ber Kaiser zögernd.
„Sire, ich habe die Ehre, Ihr Untertha» zu sein. Ich stamme aus
Straßburg, und focht unter Eurer Majestät bei Jena. Da Ibas mich
eine preußische Kugel Ln den Schenkel, und beraubte mich des Glückes,
auch ferner Ihre Waffen zu tragen. Invalid und ergrimmt über mein
böses Schicksal, hinkte ich nach Sachsen herüber, wo ich weitläufige
Verwandte aufsuchte. Ich nahm hier mein früheres Gewerbe wieder
auf, cenditionire als Schuhmacherzeselle, und beschert mir der Him-
mel einiges Glück, so bringe ich es auch wohl noch zum Bürger und
Meister."
Napoleon Halle, als der Fremde auf sein Gewerbe zu sprechen
kam, ihm seinen Fuß hingegcben. Der Geselle kniete vor dem Kaiser
nieder, und hielt dessen Fuß in den Händen. — „Ha, welch ein schö-
ner Fuß!" rief er mit handwcrksgemäßem Entzücken; denn Napoleon
hatte wirklich einen kleinen, sehr schön geformten Fuß, und pflegte den-
selben mit einiger Sorgfalt und Eitelkeit. „Unter der ganzen ansge-
breitetcn Kundschaft meines Meisters hat nur ein Einziger einen eben
solchen Fuß, ein junger Advokat ohne Praxis, der von seinem Gclde
lebt, und mit dem Dresdener «straßcnpflaster wenig in Berührung
kommt, um sein Pedel nicht zu verwahrlosen. Und welch ein glückli-
cher Zufall, daß ich eben auf dem Wege war, diesem eleganten Herrn
ein Paar schöne, nagelneue Stiesel hinzutrsgen! Mein sicheres Augen-
maß müßte mir ganz untreu geworden sein, wenn sie Eurer Majestät
nicht wie angegossen paßten.
Bei diesen Worten band er seine Hocke auf, zog ein Paar blankge-
wichste Stieseln hervor, und ehe der Kaiser es sich versah, war sein Fuß
bekleidet.
(Schluß folgt.)

Die Negenterrhäuser.
Von allen 52 Souveraiuen europäischer Abkunft — »on denen
einer, der Kaiser von Brasilien, einem außereuropäischer. Lande, einer,
der Großsultan, einer andern als der christlichen Religion angehört,
vier aber (die Königin von Großbritannien, Portugal und Spanien
und die Herzogin von Parma) weiblichen Geschlechts sind — find ge-
genwärtig (am 1. Jan. 1842) drei über 70 Jahre alt, nämlich der
König von Schweden, Nestor aller jetzt lebenden Monarchen (77 Jahr
11 Monat all), der Pabst (76ff- I. alt) und der König von Hanno-
ver (7VH-4 I. alt.) Von den übrigen sind 8 zwischen 60 und 70 I..
15 zwischen 50 uud 60 I., 1« zwischen 40 und 50 I., 3 zwischen
30 und 40 I., 4 zwischen 20 und 30 I., endlich 3 zwischen 10 unL
20 Jahr alt. Die Letzten! sind: der Großsultan, der Kaiser von Bra-
silien und die Königin von Spanien, welche Letztere, erst 11'^ Javc
alt, unter allen Souveraiuen am jüngsten ist und allein noch unter
Vormundschaft steht, seitdem der Kaiser von Brasilien im vorigen Jahre
die Negierung selbst übernommen hat. — längsten regle« der
Fürst von Lippe Schaumburg, welcher vor säst 55 Jahren, allein von
allen Souverainen im vorigen Jahrhunderte, zur Regierung gekommen
ist. Im vierten Jabrzebend ihrer Negierung stehen wer Regenten, die
Fürsten von L'ppc-Detmold und Schwarzburg-Rus-lstadt uud die Her-
zoge von Sachsen-Meiningen und Sachsen-Koburg-Gotha (welcher Letz-
tere die Regierung am längsten (35 Jahre) selbstständig geführt hat,
da alle länger regierenden Fürsten minderjährig und in sehr frühem
Alter zur Negierung kamen), im drillen 9, im zweiten 19, im ersten
gleichfalls 19. Jin lctzwergangeneu Jahre (1841) hat kein Regie-
rungswechsel stattgefunden: ein Fall, der zuletzt im Jahr 1819 vorge-
kommen ist. Diejenigen drei Regenten, welche am spätesten zur Ne-
gierung gekommen, sinh bie Könige von Dänemark, von Preußen und
 
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