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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 15
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58

Berliner Republikaner.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme.
Berliner Jungen schaarten sich
Bor cin'ger Zeit allabendlich
Nicht weit vom Kupfcrgraben,
Und schrieen gottserbärmiglich:
„Wir brauchen keencn Kcnig nich.
Wir wollen kcenen haben!"
Da endlich packt ein Fußgcnsd'arm
Nicht eben allzu zart am Arm
Den allergrößten Jungen,
Und spricht: „He, Bursch, juckt Dir das Fell?
Du Tausendsapperments-Rcbcll,
Was hast Du da gesungen?"
Doch der Berliner comme-il-laut
Erwidert: „Hab' Er sich nicht so.
Und laß Er sich begraben.
Wozu denn gleich so ängstiglich?
Wir brauchen kcenen Kenig nich.
Weil — wir schon eenen haben."

Die beiden Blumen.
Im Jahre 1794, schrecklichen und hcldenmüthigen Andenkens, lebte
zu Nantes Fleurette Clisson, die Tochter eines braven Patrioten, wel-
che jeden Abend in ein kleines Zimmer des elterlichen Hauses schlich;
es lag in einer alten Vorstadt und in dem Zimmer war Flcurettens
Mutter verschieden«
Einmal in diesem gehcimnißvollen Orte angelangt, stellte das junge
Mädchen ein Licht auf den Tisch; der bleiche 'Wiederschein hatte etwas
Erschreckendes an solchem Orte; sie streucte Blumen auf das Sterbe-
bett, zog aus dem Kopfkissen ein damals gefährliches, verpöntes Buch,
ein Meßbuch! und am Fuße des Bettes niederknieend, laö sie mit lei-
ser Stimme ein Gebet für die Todten ab.
Eines Abends, nachdem sie lange gebetet und geweint, hörte Fleu-
rette in der Ferne auf der Straße ein dumpfes Schreien; die Stim-
men kamen näher, das Geschrei ward deutlicher, man rief: Nieder
mit dem Chouan, nieder mit dem Verräther, nieder mit der Aristokra-
tie! Fleurette öffnete das Fenster, ohne an die Gefahr zu denken, wel-
cher sie ihre unvorsichtige Neugierde aussetzte. Fast zu gleicher Zeit
bemerkte sie einen Mann, der über die Straße lief, wie es schien, um
sich vor der Wulh des Volks zu retten. Trotz der schrecklichen Gefahr,
blieb der Unglückliche plötzlich stehen, die Augen auf das halb offene
Fenster und auf das Mädchen richtend; mit einem Blicke die Entfer-
nung messend, die ihn von dem nicht allzu hohen Fenster schied, raffte
er alle seine Kräfte, allen seinen Muth zusammen und schwang sich
wie ein Wahnsinniger hinauf, trotz der Gefabr, sich den Kopf an der
Mauer zu zerschellen. Fleurette stieß ein Angstgcschrei aus und entfloh,
während die wüthenden Volkshaufen fortfuhren, in den Vorstädten
herumzustöbern.
Bei aller ihrer Furcht beruhigte sich Fleurette leicht wieder über den
Besuch des Unbekannten; es that ihr leid, daß sie ihn so übel ausge-
nommen, und ich weiß nicht wie, noch warum, sie entschloß sich, ih-
ren Fehler wieder gut zu machen. In der Nacht stand sie auf, schritt
durch den Hof, stieß mit fester Hand an die Thüre, die sie bei ihrer
Flucht offen gelassen, und wagte sich allein in das Grabeszimmer, wo
der Geist ihrer Mutter wohnte. Man denke sich den Schmerz und den
Schrecken des armen Mädchens! Bei ihrem ersten Tritte erblickte sie
ganz nahe am Fenster einen Menschen, der bleich und unbeweglich
auf dem Boden lag; dcch faßte sie sich, legte ihre Hand auf die des
jungen Mannes, sie war nicht kalt; er lebte noch; mit ihrem Tuche
wischte sie das Blut ab, das aus einer Wunde am Kopfe quoll; sie
träufelte ihm ein wenig Wasser auf die Augen, auf die Lippen, auf
das ganze Gesicht. Der junge Mann fuhr sich mit der Hand über die
Stirne, um sich die Haare, um die langen schwarzen Locken weg zu
streichen. Langsam öffneten sich seine Augen, deren erster Blick auf
Las holde Antlitz des Mädchens fiel; er wollte sich erheben, allein er
war zu schwach, er fiel seiner Netterin zu Füßen, knieend, mit gefal-
lenen Händen, in der Stellung eines Unglücklichen, welcher leidet
und fleht.
Gleichsam durch eine übernatürliche Macht getrieben, trat Fleurette
dem jungen Manne entgegen.

— Wer sind Sie?
— Ein Unglücklicher, ein Geächteter.
— O, mir ahnte es.
— Undankbare haben mich verrathen; das Volk hat mich verfolgt,
verwundet.
— Ihr Name, Ihr Stand, Ihre Familie? Wohin gehen Sie?
woher kommen Sie?
— Morgen sollen Sie es erfahren.
— Wie cs Ihnen beliebt. Auf morgen also? Bis dahin bleiben
Sie unter meinem Schutze.
Am andern Morgen fand der junge Mann beim Erwachen Lebens-
mittel, Bücher, Weißzeug, Kleider, Alles, was nöthig war, sein Aeu-
ßcres auf das Eleganteste umzugestalten. Er schlief den ganzen Tag.
Gegen Abend kam Fleurette; unter dem Vorwände, wie gewöhnlich
das Sterbezimmer der Mutter zu besuchen, wieder zu ihm; sie zwang
ihn, sich auf einen Stuhl niederzulaffen, der fast den ihrigen berührte,
und ihn freundlich und freudig anschauend, sagte sie:
— So ist's recht! Ich erkenne Sie kaum wieder, und ich wünsche
Ihnen Glück dazu. Sie haben sich ganz wieder erholt; Sic halten
blos eine leichte Wunde erhalten. Reden Sie also, ich höre Ihnen zu.
— Meine Erzählung wird sehr kurz sein, Fleurette; ich bin der
Graf von Figeac, ein Aristokrat, ein Emigrant.
— O Gott! — rief das gute Kind aus, — so ist die verhaßte
Emigration wieder nach Frankreich zurückgekchrt?
— Nein, aber ich wollte wieder dahin zurück , und der Himmel
hat meine Verwegenheit belohnt; ich habe Sie gesehen und werde Fleu-
rette nie vergessen.
— Aber was hat sie dazu bewogen, bei diesen Schreckenszeiten,
bei den unerbittlichen Gesetzen, weiche die Verrätherei bestrafen?
— Ich will es Ihnen sagen. Meine Mutter, welche meiner in
der Verbannung harrt, besaß ehemals in der Nähe von Nantes ein
altcö Schloß, das ihr besonders durch das Andenken einer Tochter
theuer, um die sie noch fünf Jahre nach ihrem Tode Thränen vergoß.
Am Tage vor ihrer Abreise nach Deutschland pflanzte meine Mutter auf
das Grab ihrer Tochter eineLilie, deren doppeltes Symbol in ihrem Her-
zen den schier königlichen Adel ihres Hauses und die fast göttliche Uri-
schuld der Abgeschiedenen darstellte. Meine Mutter hatte auf eine bal-
dige Rückkehr gerechnet; sie hatte sich geirrt, gleich den ganzen franzö-
sischen Aristokratie. Die Reise der Adeligen hat über einen Tag ge-
dauert! es wird vielleicht noch viele Jahre dauern, und meine Mutter
hat alle Hoffnung verloren, noch einmal auf dem Grabe ihrer Tochter
nicderzukniee»! Ich bin gegenwärtig ihr einziger Sohn, Fleurette, und
der leiseste Wunsch ihres unglücklichen Alters ist ein Befehl für mich.
Sie hat mir befohlen, heimlich nach Frankreich zurückzukehren, mich in
den Garten unserer Domaine bei Figeac zu schleichen, für sie auf
dem geweihten Boden zu beten, wo die Gebeine meiner Schwester ruhen
und dem Grabe die Blume zu entwenden, die sie darauf gepflanzt und
mit Thräne benetzt. Und o Wunder! Der Sturm hat über das Grab
ihrer Tochter geweht, und hat die zarte Lilie verschont! Ja, ich habe
sie wieder gefunden, auf ihrem Throne von Rasen, die holde, sym-
bolische Blume, die Lilie, wonach meine Mutter so heiß sich sehnte!
Ich habe sie tausendmal geküßt, ich habe sie mit gieriger Hand gepflückt
sie ist da, auf meinem Herzen, wo ich sie bewahre.
— Louis! rief Fleurette aus, nach einigem Nachdenken, Louis ge-
ben Sie mir diese Blume!
— Sie zu begrüßen und. anzubeten?
— Sie zu behalten als ein Andenken Ihrer Achtung, als ein Ge-
schenk Ihrer Freundschaft.
— Nehmen Sie die Blume, Fleurette, als ein Zeichen meiner
Dankbarkeit, möge sie Ihnen Glück bringen! Ich gebe Ihnen einen
Schatz, der mir nicht allein angehört, aber ^ric haben das letzte Kind
meiner armen Mutter gerettet, und die Freude meiner Mutter wird
mir verzeihen.
— Ich werde, statt Ihrer, diese Blume bewahren, mit Liebe, mit
Ehrfurcht! Ich schwöre eö Ihnen, diese Blume wird man mir nur mit
meinem Leben rauben.
Mit diesen Worten eilte Fleurette ans andere Ende des Zimmers,
schlich sich in den Alcove» und zog aus den Eiderdaunen deö Kopf-
kissens ein Meßbuch, in welches sie die Lilie legte; nachdem sie es wie-
der zugemacht, sagte sie zu dem Grasen Figeac: — Ihr unschätzbares
Geschenk habe ich dem Andenken meiner Mutter geweiht.
brauche ich dm Lkserri zu sagen, was sie vielleicht schon errathen?
 
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