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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 51
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202

Der Buchhalter.
(Fortsetzung.)
Sonderbarer Weise hatte der Himmel Herrn Rubrrg noch dadurch be-
günstigt, daß er ihm eine nicht allein hübsche und kluge, sondern auch
mit allen vollkommen kaufmännischen Tugenden ausgerüstete Tochter
gab. Mademoiselle Margarethe führte das Hauptbuch mit einer Sorg-
falt und Sauberkeit, auf die man den berühmtesten Calligraphen der
beiden Flandern hätte Hinweisen können. Herr Rubcrg würde zwan>
zig Meilen in der Runde nicht einen Commis von diesen Verdiensten
für 2000 Gulden gefunden haben; dafür gab auch dieser ausgezeich-
nete Vater seinem theuren Kinde 100 Franken monatlich, wovon sie
ihm aber Rechenschaft geben mußte. Die Führung der Bücher hatte
sie mit dem Reiz und den Eigenschaften ihres Geschlechts angenehm
vereinigt. Sie liebte die Ordnung m-.d nicht das Geld. Die kindliche
Anmuth, mit der Mademoiselle Nuberg ihre schweren Foliobücher hand-
habte, gaben der alltäglichsten der Wissenschaften etwas Anziehendes
und Poetisches. Die Zahlen, erstaunt sich unter so netten Händen zu
sehen, ordneten sich gelehrig an ihren Platz. Nie ein Fehler in den
Additionen! Nie ein Dintenklecks, noch ein Wort verschrieben! Am letz-
ten Tage eines jeden Monats wurde pünktlich Balance gezogen, und
das Nadirmesser war im Cabinet des Buchhalters das vernachläßigste
der bescheidenen Instrumente des Comploirwesens.
Da das Glück Niemandem auf Erden ohne einige Beimischung be-
schiedcn ist, so hatte Constanz, der Sohn des Herrn Ruberg, nur Ab-
scheu und Widerwillen für alle Handelsgeschäfte. Vergeblich hatte man
dem jungen Manne gepredigt, und bei ihm Milde, Drohungen und
Versprechungen angewandt. Constanz vernachläßigte das Comptoir, las
Romane und schlief über seine Bücher ein. Er ließ seine Familie an
sich verzweifeln und war für die Cominis nur ein Gegenstand der Ver-
achtung und des Mitleids. Er wisse an nichts Anderes zu denken,
sagte Herr Ruberg, als seinen Vater zu martern, denn er liebte die
Musik! Statt die Baumwollen-Berichte zu durchlesen, ging er die Ge-
mälde von Rubens besehen. Er verschwendete sein Geld in den The-
atern und kaufte Kupferstiche. Kurzum er war ein Ungeheuer, das
heute oder morgen auf dem Schaffotte sterben würde. — Ohne Mar-
garethe würde die Zwietracht das Haus A. I. Rubrrg gestürzt haben,
aber die junge Dame war gleich jenen Katholiken, deren Glauben
nicht bis zur Intoleranz geht und die die Begriffe der Hugenotten auch
achten: sie glaubte fest an die Buchführung, aber ohne den Cultus zu
tadeln, den ihr Bruder den Künsten und Vergnügungen widmete.
In dem Augenblicke wo der Leser den Herrn Ruberg zum hundert-
sten Male die Unachtsamkeit seines Sohnes beklagen hörte, wohnte der
junge Mann der Wiederholung einer Bcethovenschen Symphoie in der
philharmonischen Gesellschaft bei. Ergriffen von tiefem Enthusiasmus,
schwor er, Musiker zu werden und ein Instrument spielen zu lernen.
Nach der Aufführung verständigte er sich sogleich mit einem Künstler
zu drei Unterrichtsstunden für die Woche lief zu einem Instrumenten-
macher und erstand eine Clarinette, auf der er die Nacht hindurch,
während Alles im Hause schlief, eifrig blies. Seine Fortschritte wa-
ren schnell. Er führte die Ouvertüre aus der „Caravane" schon ziem-
lich gut durch.
Eines Morgens, als Herr Ruberg eine Disconto-Berechnung kal-
kulirte fand er, daß er sich verrechnet habe. Er beging nur selten die-
sen Fehler und war erstaunt in seinem Alter so zerstreut zu sein, als
es ihm einfiel, daß er in seinen Gedanken durch melodische Töne ge-
stört sei. Er durchlief sogleich das Haus und fand, daß die Töne aus
dem Zimmer seines Sohnes Constanz kämen. Ein schrecklicher Streit
unterbricht die Piece von Grety, und Herr Ruberg in seinem heiligen
Eifer wirst selbst die Clarinette in den Brüsseler Kanal.
Constanz achtete seinen Vater und würde es durchaus nicht gewagt
haben, sich gegen ihn zu Wiedersehen. Er verzichtete auf das Vergnü-
gen, die „Caravanne" zu spielen, aber er öffnete auch keines der Bü-
cher, und als Herr Nuberg ihm befahl, wenigstens einige Briefe zu
schreiben, so irrte er sich in den Adressen und übersandte dem CorreS-
pondenten in Berlin einen Wein-Auftrag für Malaga.
Als er am folgenden Tage in der Kathedrale einen jungen Künst-
ler die berühmte Kreuzesabnahme von Rubens copiren sah, faßte dieser
entartete Sohn Leidenschaft für die Malerei. Er besuchte nun oft ins
Geheim die Ateliers, auch war er schon in den Akademieen gewesen,
als er so unklug war, auf den Deckel des Verfalltag-Buchs, das Herr
Ruberg wohl nie aus den Augen ließ, ein Männchen zu malen. Beim

Anblick dieser Figur, die übrigens ziemliche Anlagen verrieth, wurde
das Gemüth des Geschäftmannes mit Recht höchst aufgebracht.
„Verräther! Bösewicht!" schrie Herr Ruberg seinem Sohne entge-
gen; „Schurke von einem Jungen! Du willst mich also krank ärgern?
Auf mein Terminbuch Bilder zu malen? Die Commis, die ich so theuer
bezahle, zerstreut machen? Sie von ihrer Arbeit abhalten? Das heißt
ja, mir mein Geld stehlen und mich ruiniren!"
Wenn Herr Nuberg überhaupt hätte weinen können, so wäre es
bei dieser Gelegenheit geschehen. Glücklicherweise drängte ihn die Ab-
gangsstunde eines Couriers; er mußte einem Correspondenten in Livor-
no anzeigen, daß die Artikel des Orients fest bei ihren letzten Notirun-
gen verblieben, und das wars, was seine Gedanken ablcnktc, aber am
Abend stattete der unglückliche Vater dem Sobne in seinem Zimmer ei-
nen Besuch ab. Blätter voller Zeichnungen, Kupferstiche, eine Schach-
tel mit Farben kamen ihm unter die Hände. Er warf Alles in den
Ofen, und dies Mal würde der Sturm schrecklich geworden sein, wenn
nicht Mademoiselle Margarethe alle ihre Geduld und Sanftmuch, um
den väterlichen Zorn zu besänftigen, angewandt hätte. Der Friede
wurde unterzeichnet, aber mit der Bedingung, daß Constanz die Stelle
des collationirendrn Commis, der böse Augen hatte und nicht viel bei
Licht arbeiten konnte, übernehmen sollte.
Nach der Musik und der Malerei bekam Constanz die Wuth zu rei-
sen. Er härmte sich ab vor Verlangen, Paris zu sehen. Der Buch-
halter, den er zu Rathe zog, überredete ihn, ein wenig Eifer einige
Tage lang zu zeigen und dann dem Prinzipal den Vorschlag zu ma-
chen, in Frankreich wie ein gewöhnlicher Geschäftsreisender das Interesse
seines Hauses wahrzunehmen. Herr Ruberg gab seine Einwilligung
dazu, und Constanz reifete mit einem Gehalt von funfphn Franken per
Tag ab.^ In Paris, der an Hilfsquellen so reichen Stadt, angelangt,
wählte sich unser junge Mann eine Braut, ein schönes Zimmer und
Equipagen auf einen Monat. Juden, die das Vermögen des Vincent
A. I. Ruberg kannten, liehen ihm so viel als er verlangte. Zu Ant-
werpen vernahm man nichts mehr von ihm. Ein fallirter Schuldner
hatte Herrn Ruberg eine zu Vilette gelegene Seifenfabrik zur Deckung ab-
getreten. Constanz, als Procurent seines Vaters, verkaufte sie für 30,000
Franken und verzehrte die Seifensiederei binnen drei Monaten, ohne
daß ihm ein Heller übrig blieb. Herr Nuberg eilte nach Paris und
führte seine» Sohn Constanz bei den Ohren zurück; aber da das Geld
nicht wieder unverausgabt gemacht werden konnte, verfiel der Greis
in eine Krankheit, die ihn bis an den Rand des Grabes brachte.
Margarethe verließ ihre Bücher, um ihren Vater zu pflegen; sie
blieb um einen Monat in ihrer Balance zurück, und die Gesundheit
des Herrn Ruberg verbesserte sich unmerklich. Constanz, der übrigens
ein gutes Herz besaß, wurde von Gewissensbissen gequält. — Ein
Schiffsrhcder, Namens Kemperneß, reich und thätig, hielt um die Hand
des Buchhalters au, da er voraussah, daß der Prinzipal bald ster-
ben könne. Herr Nuberg würde ihm gerne seine Tochter gegeben ha-
ben, wenn er nicht dann eine Mitgift hätte hinzusügen müssen, indes-
sen ließ er Margarethen freien Willen.
„Ach, Vater!" sagte das junge Mädchen mit thränenden Augen,
„zwingen Sie mich nicht, mein Hauptbuch und mein Cabinet zu ver-
lassen! Ich will nicht heirathen. Herr Kemperneß macht Geschäfte mit
Havanna, und ich kann nicht Spanisch; und dann würden Sie in
meine Stelle einen Commis nehmen, der vielleicht mit Kanzleischrift in
meinem Journale schriebe, das ich immer mit klarer, eüglischer Schrift
geführt habe. Er würde meine Arbeit nicht für 1200 Franken thun;
Sie wären vielleicht gezwungen, ihm das Doppelte zu geben, und er
würde so faul wie alle andern Compotoristcn sein. — man erst
vcrheirathet ist, so hat man bald Kinder; man kann sie nicht in's Comp-
toir bringen, sie würden Lärm mache». Kurzum ich wünsche das, was
ich so lange war, auch noch ferner zu bleiben."
„Weine nicht, mein Liebling," sagte Herr Ruberg, Du sollst Mäd-
chen bleiben, so lange Du's wulst."
(Fortsetzung folgt.)

Affisengericht zu Mainz. ^ ^
Das Asstsengcllcht erkannte in seiner Sitzung vom 23. Februar über
eine Anklage, welche gegen Philipp Nehrbaß Hl-, Ackersmann und
Händler aus Partenheim, gerichtet war, und dahin lautete: „daß der-
selbe im Monate August 18L1 durch ein anonymes Schreiben den Guts-
besitzer Carl Mann von Partenheim mit dem Tode bedroht habe, wel-
 
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