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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 88
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https://doi.org/10.11588/diglit.32620#0354

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350

Was soll -ie nächste Kammer?
Die gegenwärtig im Lande stallfindende» Wahlen erregen nach allen
Seiten hin eine ungewöhnliche Bewegung, die theilü in der Wichtig-
keit der Sache selbst begründet ist, ihcils durch manchfache äußere Mittel
hervorgebracht wird. Unveikennbar suchen zwei Parteien, die An-
hänger der Regierung und die Gegner derselben in der
früher» Kammer und deren Freunde, sich den Sieg wechsel-
seitig streitig zu machen. Wir haben gegen diesen Slreit der Parteien
an sich nichts einznwenden, denn er ist ein natürlicher, aus den ver-
schiedenen Ansichten hervorgehender Meinungskampf, der nur dann zu
beklagen ist, wenn die Mittel, deren man sich bedient, eines offenen,
ehrlichen Kampfes unwürdig sind, und die Sache selbst, um die es
sich handelt, also hier das wichtige Recht der Volksvertretung, herab-
würdigen. Leider ist letzteres der Fall, wie die zahlreichen lügenhaften
Ausstreuungen, die bald in Flugblätter», in Prosa und in Versen,
bald mündlicy oder schriftlich alle nur erdenkliche volksfeindliche Plane
der Negierung durchs Land verbreiten, genugsam darthun. Es ist dies
in der Thal um so bcklagenswerthcr, als der einfache, ruhige Bürger,
welcher trotz der so gerühmten Mündigkeit des badischen Volkes die
Verhältnisse nicht genau zu bcurtheilen, das Wahre vom Falschen nicht
immer zu unterscheiden vermag, irre geführt und geradezu gegen die
Negierung eingenommen wird. Wer aber den Glauben des Volkes
an die Redlichkeit und den guten Willen der Negierung wankend macht,
dient ihm wahrlich schlecht und meint es mit dem Lande nimmer gut.
Es ist daher die heiligste Pflicht eines jeden Bürgers, der seinen Für-
sten und sein Vaterland liebt und dessen Verfassung ehrt, nach Kräften
zur Verständigung der Parteien, zur wechselseitigen Eintracht mitzu-
wirke».
Vor Allem wird es hiebei darauf ankommen, daß wir uns klar
macken, welches die Aufgabe der nächsten Kammer ist. Erkennt das
badische Volk das unverrückbare Ziel der neu zusammcntretenben Ständc-
versammlung, so muß es folgerichiig auch die Mittel wollen, durch
die dasselbe erreicht wird.
Die verschiedenen Interessen des Landes, das Gesammtwohl des
Volkes sind Gegenstand der Beralpung zwischen de» Kam,»er» und rer
Negierung. Wie nun in der Familie Eintracht und festes Zusammen-
wirken der einzelnen Glieder das Glück und die Wohlfahrt des Ganzen
fördern, so können auch, unbestreitbar die viel wichtigeren und schwie-
rigeren Angelegenheiten des ganzen Landes nur dann zu einem gedeih-
lichen Ziele gebracht werden, wenn leidenschaftslose, Ordnung und
Mäßigung liebende Männer in Eintracht mit der Regierung die Ge-
schäfte besorgen. Nun ist es aber Thatsache, öaß die Mehrheit der
aufgelösten Kammer mit der Regierung in ein Zerwürfniß gerathen ist,
das ein freundliches Nebeneinandergehen unmöglich macht, und wo die
Kräfte sich feindlich bekämpfen, wo unvereinbare Ansprüche sich einan-
der gegenüber stehen, da wird das Gute nimmermehr gedeihen. Er-
wägen wir aber, daß gerade auf dem nächsten Landtag zwei der wich-
tigsten Angelegenheiten zur Berathung und Schlußfassmig kommen sol-
len, nämlich der für das Land als eine Lebensfrage erscheinende be-
schleunigtere Eisenbahnbau bis zur Schweizergrenze und das Straßen-
gesetz, so wird kein Unbefangener zweifeln, daß es Roth thut, eine
der Negierung nicht feindselig schroff entgegcnstehende Kammer zu bil-
den. Wir wollen hier gar nicht untersuchen, ob die Majorität der
aufgelösten Kammer zu weit gegangen, obgleich wir mit Grund anneh-
men dürfen, daß ihr Sieg sic selbst und zwar keineswegs freudig über-
rascht hat, aber es ist nun einmal nicht zu läugnen, daß zwischen ihr
und der Regierung eine Kluft besteht, daß die Leidenschaften aufgeregt
sind und unter solchen Verhältnissen eine ruhige Berathung nicht mög-
lich ist. Ja, es müßte sogar, wenn dieselbe Mehrheit wieder in die
Kammer käme, noihwendig der alte Streit aufs neue beginnen weil sie
den Grund des Streites als eine Frage über ihre Cristen; betrachtet.
Ob dann aber das Land dabei gewinnen würde, mag sich Jeder selbst
tagen. Es liegt sonach in der Hand des Volkes und vor Allem der
Wahlmänner, ob wir von dem nächsten Landtag ein gedeihliches Er-
gebniß — oder abermals das beklagenswerlhe Beispiel eines die wich-
tigsten Interessen des Landes gefährdenden Streites erwarten dürfen.
Wir haben Hoffnung auf das erstere, wenn wir eine Kammer wählen,
welche vor Allem den bisherigen Streit, und wäre cs auch nur vor
der Hand, auf sich beruhen läßi, so wie wir des letzter« gewiß sind,
wenn wir die frühere Mehrheit oder ihr gleichgesinnte Männer in die
Kammer senden.
Es ist indcß damit nicht gesagt, daß man nur etwa sogenannte

Jaherren wählen solle, welche keine andere Meinung als die der
Negierung haben; keineswegs, denn es wäre dieser letzter» damit eben
so wenig, als dem Lande selbst gedient, aber es gibt eine Mitte zwi-
schen hartnäckigem Festhalten vermeindlicher Rechte und unfehlbarer
Meinungen und willenloser Zustimmung. Unsere Negierung kann einen
besonnenen Widerspruch ertragen, das hat sie mehr als einmal bewie-
sen, so wie sie durch eine Reihe der nützlichsten Einrichtungen und
wichtigsten Gesetze unser« Dank verdient hat. Vertrauen wir ihrem
Wohlwollen, vertrauen wir vor Allem unserm trefflichen Fürsten, des-
sen Herz mit warmer Liebe sein Volk umfaßt. Wir werden dieses
Vertrauen bewähren, wenn wir eine Kammer wählen, die cs als ihre
erste Aufgabe betrachtet, die Eintracht zwischen Regierung und Ständen
wieder herzustellen. „Die Eintracht baut den Friedfertigen Häuser,
die Zwietracht reißt sie ein und zerstört die Ernte mit der Aussaat."

Pflichttreue.
(Fortsetzung.)
Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich außerhalb des Beicht-
stuhles, auf die Kniec meines schrecklichen Beichtkindes gestützt, daS
mir mit der einen Hand den Kopf hielt, mit der andern an flüchtige
Salze riechen ließ. Wir waren allein, ganz allein in der alten Kirche,
in welcher eine fast vollständige Finstcrniß herrschte. Ich schlug die
Augen auf zu diesem Manne und sprach: „Elender, und meinen Bru-
der klagt man des Mordes an!" — „Wie? Sie sind der Bruder deS
Capitäns Fitz-Graham?" — „Ja, und der Sohn einer alten Mutter,
verstehst Du?" — „Ach mein Gott! und ich habe Ihnen Alles gestan-
den! Aber Sie werden mich nicht verrathen, Sie werden mich dem
Gerichte nicht anzeigen. Die Beichte ist heilig." — „Ich weiß es nur
zu wohl, aber ich kann doch unmöglich meinen unschuldigen Bruder
auf dem Schaffolte sterben lassen!" — „Desto schlimmer; ich mag nicht
sterben, zumal jetzt, da ich nun reich bin. Sehen Sie da gegenüber
das Grab des Heilandes in der Capelle; schwören Sie mir bei der
heiligen Hostie, was ich gebeichtet habe, geheim zu halten." — „Vor
einem Jahre habe ich vor Gott meinen Pricstereid abgelegt. Ich schwöre
nicht mehr." Und als er seine rechte Hand krampfhaft an mein Ge-
wand legte, machte ich mich los und drückte sie mit beiden Händen so,
daß er fühlen mußte, ich sei weit kräftiger als er. Da fing er an
zu zittern und zu weinen; ich schob ihn nach der Thür bin und sagte
zu ihm: „Bei Strafe ewiger Verdammni ß befehle ich Dir, morgen
Abends wieder hierher zu kommen. Bis dahin werde ich mit mir ei-
nig werden, was ich thun muß, um meine Pflicht als Priester und
Bruder zu vereinigen. In jedem Falle wirst Du ungehindert kommen
und gehen können."
Ich befand mich in einem schrecklichen Dilemma: ich mußte entwe-
der das Beicht^Gchkimniß verletzen oder einen Unschuldigen, der mir
so nahe stand, auf dem Schaffolte sterben lassen. Am nächsten Mor-
gen schrieb ich an den Erzbischof. Ich theilte ihm, ohne den Schul-
digen zu nennen, mit allen Einzelheiten das seltsame Gcständniß mit,
schilderte ihm meine Seelenpein und bat ihn um Rath, «seltsame Schwä-
che, von der das Herz auch des Redlichsten nicht frei ist! Wenn es
unS schwer wird, das Gute zu thun, bedürfen wir nnes Stärker»,
der uns dazu nöihiget; ist uns das Schlechte vorthcilbaft, so sxhe„ wir
wie es gern, daß es uns irgend Jemand rathe. Die Antwort blieb
nicht lange aus, und sie lautete, wie ich sie erwart,, mußte. Nach-
dem mir der Erzbischof die Heiligkeit des Beicht-Geheimnisses vorge«
stellt hatte, fuhr er fort: „Stellen sie dem Mörder vor, daß er sich
eines zweiten Mordes schuldig machen wurde, der noch schlimmer wäre
als der erste. Bitten und beschworen Sic ihn, er möge, wenn auch
nicht dem Gerichte sich ausliefcrn, doch, unter der nötbigen Sorge für
seine persönliche Sicherheit, eine Erklärung geben, welche den Capitätl
zu retten vermag. In welchen Ausdrücken diese Erklärung ahzufas-
sen und vor wem sie zu machen fti, überlasse ich Ihrer eigenen Klug-
heit. Wen» der Mann sich weigert, wenn es Gott nicht will, daß
Sie das Herz desselben rühren, so hat er andere Plane mit Ihnen
und Ihrem Bruder. Geschehe dann sein Wille ! In dieser» Falle wird
Ihre Pflicht ohne Zweifel schwer sein; aber Sie müssen — beten und
schweigen." las und las das Schreiben des ehrwwürdigen Prä-
laten und beschloß endlich, mich nach demselben zu richten wie nach
dem Willen Gottes. — Obgleich unser Aller Schicksal erst Abends durch
das Gespräch entschieden werden konnte, das ich mit dem Unbekann-
te» haben sollte, so konnte ich doch nicht warten bis dahin, bevor ich
meinen Bruder umarmte, denn es war mir, als würde ich niemals
 
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