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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 293
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118Z

An Sie Neurimaltveiseu.
(Von R. E. Prutz.)
Das find die Neunmalweisen,
Die predigen und preisen,
Und lehren alle Welt:
Das Große und Geringe,
Sie prüften alle Dinge,
Sie führten jede Klinge,
Eie ständen jedem Helv.
Bon Dingen, die sie wüßten
Und die geschehen müßten,
Was ist ihr Mund so voll!
Doch wenn die Horner blasen
Und wenn die Trommeln rasen!
Da rümpfen fie die Rasen,
Da ist die Jugend toll.
Sie sehen stolz hernieder,
Eie fchmäh'n auf unsre Lieder,
Daß cs nicht Thaten find:
»Was schlagt Ihr nur die Saite»
Und wollt mit Liedern streiten?
Man sang zu allen Zeiten,
Sang immer in den Wind.
Nein! wer die Welt will meistern.
Der habe nicht mit Geistern
Und Träumen nur Verkehr;
Der lerne nicht bloß singen,
O nein, der lerne ringen
Und handeln und vollbringen!
Denn alle That ist schwer.» —
Wohlan, Ihr Neunmalweisen,
Wir woll'n Euch dankbar preisen,
Wollt Ihr nur Eins geruhn:
Ihr wißt so schön zu rathen —
So gönnt in Euren Staaten,
So gönnt uns Raum zu Thaten,
So gebt uns doch zu thun'
Wir wissen selbst: die Leier,
Die macht die Welt nicht freier.
Taub ist der Hohen Ohr.
Doch schwebt denn nicht, ich frage,
Mit munterm Flügelschlage
Dem werdenden, dem Tage,
Die Lerche auch zuvor?
Und kommt auf schwarzen Wogen
Ein Sturm herangezogen,
«aht Ihr die Möwe nicht?
Und wenn der Lenz soll kommen.
Habt Ihr da nicht vernommen
Der Nachtigall der frommen,
Prophetisches Gericht?
Drum, was die Neunmalweisen
Auch predigen und preisen.
Wir dulden ihren Spott!
Wir streuen doch zu Thaten,
Zu künftigen, die Saat —
Nun mag die Frucht berathcn
Der allerhöchste Gott!

D a s B l u t g e l d.
(Forts, u. Schluß.)
Das Rachcamt war geübt, das Hans zertrümmert, der Giaur inS
Gefängmß abgeführt worden. Die Wuth verstummte; der Zug nahm
ruhig seinen Fortgang und das Heer stellte sich vor dem Thore der
Pfortenstadt m Schlachtordnung auf. Abdul-Hamid hatte ohne Zwei-
fel von dem Zwischenfalle Kunde erhalten, doch wußte er schwerlich,
daß der Botschafter einer europäischen Großmacht persönlich dabei be-
theiligt sei. Der Evoßberr hielt Musterung über das Heer.
Als die tobende Menge die Stadt verlassen und der Bajazidplatz
frei war, wurde der Gesandte nach Pera zurückgebracht.
Was war aus seiner Frau, wag aus seinen Töchtern geworden?
Jede Spur von ihnen war verschwunden. Ob sie ermordet, ob sie
noch lebten, wo, wie? — Niemand konnte dem Unglücklichen darüber
Kunde geben.
Der österreichische Botschafter richtete sofort an den Divan eine
cngrrksche Note; zugleich setzte er die englischen, französischen, preuß-

schen »! d russisch '« Geschäftsträger davon in Kenntm'ß und rief sie
zu Zeugen der Verletzung des Völkerrechts auf. Er führte Klage
über die Beleidigung die seinem Hoe, seiner Person, seiner Familie
wiederfahren sei, er klagte den Großvesir der Ermvrtung seiner Er«
malin und Töchter, seines Sekretärs und seiner Leute an und forderte
Genugthuung.
Der Rcieeffendi (Minister der answärtigen Angelegenheiten) sandte
dem Boischaftei sogleich seinen ersten Dragoman uno ließ ihm sein
Beileid bezeugen und die Vcrsich rung geben, daß bereits Alles auf-
geboten sei, um wieder gut zu machen, was sich gut machen lasse und
um vor allen Dingen das Schicksal seiner Familie und seines Gefolges
zu erfahren. Der Nciseffendl sprach zugleich die Hoffnung aus daß
die Weiber gerenet und die Sulingen entdeckt werden würden.
Aber der Botschafter entfaltete j tzr eine F.ftigkeit und Energie,
welche den Divan fürchten ließ, Österreich weroe jetzt bestimmt gemein-
schaftliche Sache mit Katharina U. machen. Bor Allem verlangte der
Graf, che er sich auf weure Unterhandlungen einlasse, seine Frau und
Töchter zurück. Er hatte Couricre nach Wien abgeschickt und ven Fall
in den grellen Farben des ersten Schreckens geschildert; er ließ das öster»
reichliche Wappen vom Hotel und der Kanzlei abnehmen und stell.e sich
und die Seinen unter die Obhut des französischen Gesandten, dessen Pa-
last dem seinigen gerade gegenübcrstand. Derselbe brannte n.ulich ab
und wird gegenwärtig wieder aufgebaut.
Im Temporisiren besteht die Haupikunst der orientalische» Diploma-
tie. Zeit gewonnen, Alles gewonnen! dachte der Reiseffenvi und zog
die Sache deshalb möglichst in die Länge. Vorläufig ließ er dem Ge-
sandten melden, seine Familie sei nicht allein gerettet, sondern sie be-
finde sich zugleich in Sicherheit und nach dem Schceckfalle auf der Bes-
serung; doch müsse dieselbe j.tzl noch verborgen gehalten weiden, weil
sonst ein neuer Alt der Volkswuth zu fürchten sei. Zehn der Haupl-
unruhcstifier seien, hieß cs einschließlich, ergriffen und hätten zur Ge-
nugthuung für den Botschafter die Bastonave erhalten.
Dem Grafen waren durch dies schlaue Verfahren die Hände g -
Hunden; die Seinigen befanden sich ge>viffcrmaßen als Geißeln rn der
Gewalt der Türken. Tun, Reiscffenbi gegenüber hie) er also vorläu-
fig an sich; desto heftiger lauteten seine Beschwerden in Wien.
Der Divan setzte sein Temporisiren fort, und erklärte wiederholt,
daß er mit Auslieferung der Gefangenen noch einige Tage warten
müsse, weil Janitscharen, Ulemas und Volk durchaus den Tod d.r
Frevlerinne» verlangten.
Da erklärte der Graf, daß er auf die ihm angeborenen Genug,
thuungen eingehen wolle, wenn ihm Zutritt zu den Seinen verschafft
uno ihre baldige Befreiung zugesichert werde.
Der türkische Minister willigte ein; er hatte diese Wendung b.zweckt.
Dudu Hassuma (F au H.issuma) fuhr in einem Arabat Mit einer
starken Janitschareneskorte zum Vistrate, um die Damen adzuholcn.
Hier, in dem nämlichen Garten, in dem nämlichen Kiosk, wo kürz-
lich die Odaliöke von der Phanarivlin beschenkt wurde, erwartete die
Gräfin mit ihren Töchtern in Angst und Ungeduld die Stande der Be-
freiung. Die Gemahlin des Grotzvcsils hatte es den Damen an nichts
fehlen lassen, denn, wie wir früher bereits bemerkten, sie war eine
edle, miide Frau.
W,e aber waren die Damen aus dem gelben Häuschen «n den Ha-
rem des Großvesirs gekommen, wie gerettet worden?
Der Großvesir hatte durch Noschane erfahren, daß sich x,'ne ange-
sehene Frankenfamilie erkühnen wolle, den Auszug des Sanddschak-
Sheriff mit anzusehen, und er war empört über dnse Frechheit. Als
guter Muhamedaner wollte er den Frevel bestrafen; als guter Muha-
mcdaner war ihm aber auch das Leben der Frauen heilig. Es ist bieS
ein schöner Zug in dem Charakter jedes echten Muselmans. Mag die
Bevölkerung einer Stadt mit Feuer und Schwert bis aus den letzte»
Mann vernichtet werden: die Harems sind unverletzliches Gebiet. Mag
eine entartete Soldateska dieses Gesetz immerhin mit Füßen treten, cs
ist eine Ausnahme, eine Barbarei, deren sich der echte Muhamedaner
nicht zu Schulden kommen läßt und die er an seinen eigenen Leuten
bestraft. Man hat so viel von der Grausamkeit der Türken erzählt;
sie hat gräßlich auch gegen die Weiber der Ungläubigen gewüthe«; aber
diese Ausnahmen sind doch nur Ausnahmen. Tue gefangenen Weiber
werden als Sklavinnen verkauft, das Leben jedoch ist ihnen — wenig-
stens dem Rechte und der für beilig gehaltenen Sitte nach — gesichert.
Mehemed-Emir wollte die Frauen, die er bei dem Frevel für un-
zurechnungsfähig hielt, retten. Als daher die Janitscharen jenen Rache«
 
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