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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 12
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46

Die Belagerung von Eandia.
(Historische Novelle von Ludwig Köhler.)
(Fortsetzung und Schluß.)
„Mustapha hieß der Gefangene und das Mädchen Zaire?" fragte
der Türke dringend und mit flammenden Augen.
„Wahrhaftig Herr, so ist's!" antwortete Gilbert, erschreckt von dem
lodernden Blick des Moslem.
„Besinne Dich, Christ!" fuhr dieser fort. „Du sagst, Zaire habe
gefleht um das Leben ihres Herrn? Gott ist groß! Und welchen Preis
bot sie für seine Freiheit?"
„Ich sagte Dir, daß ihre Bitte nur den Feldherrn zur Freilassung
seines Gefangenen bewog;" entgegnete der Franzose. „Sie war so
schön und ihr Wort klang so schmeichelnd.
„Und Dein Feldherr nahm sich keinen Lohn; er war Thor genug,
die reizende Sklavin ziehen zu lassen?" fuhr Jener lauernd fort-
„Mein Feldherr war ein edler Mann!" antwortete Gilbert stolz.
„Ein Kuß war sein Dank!"
„Beim Propheten! Rur ein Kuß!" lachte der Türke grimmig auf.
„Ein Kuß nur war sein Lohn, und er war ein edler Mann! Gott ist
groß! Wo ist er, daß ich mein Haupt ihm zu Füßen lege und spreche:
Der Herr möge- Dich segnen, darum, daß Du mich mit Schmach be-
deckt, darum, daß Du mir ein Gut geraubt, an dem Du keinen Theil
hattest! O Zaire, warum hast Du mir das gethan!"
Mit heftigen Schritten ging er dahin, wohin die Verschleierte auf
sein Geheiß verschwunden. Gilbert war bestürzt, erschreckt; er bereute,
daß er jenen Vorfall aus der Vergessenheit erweckt. Bald darauf kam
der Moslem zurück. „Gott ist groß!" sagte er ernst, den blutbefleck-
ten Dolch in den Gürtel steckend. Wie ein vollzogenes Todcsurtheil
klangen djese Worte. —
Zwistigkeiten spalteten wiederum die Christen unter einander. Bald
nach jenem unglücklichen Ausfall kehrte der Herzog von Navailles mit
seinen Truppen nach Frankreich zurück. Die Malteser folgten diesem
Beispiele.
Kiuprili benutzte diese Zerwürfnisse zu seinem Bortheile. Wieder-
holte wüthende Angriffe schwächten die zusammcngeschmolzene Besatzung
noch mehr, und die Unzufticdi'nbeit wuchs von Tag zu Tag. So ka-
pitulirte denn die Festung nach langer rühmlicher Vertbeidigung, nach
einem Kampfe, der fast beispiellos in der Geschichte dasteht. Kiuprili
ehrte die Tapferkeit der christlichen Krieger und gewährte ihnen freien
Abzug binnen zwölf Tagen mit all' ihrem Eigenthum, ihren Waffen
und ihrem Geschütz.
Am 27. Sept. 1669 wurde die Stadt übergeben; Kiuprili fand
sie in dem schrecklichsten Zustande; nur drei und dreißig Menschen,
meist hülflose Greise, waren zurückgeblieben, wandelnde Trümmer auf
Trümmer.
Fünf und zwanzig Jahre hatte der Krieg um Candias Freiheit ge-
dauert; dreizehn Jahre war die Stadt cingeschlossen, und zwei Jabre
drei Monate und sieben und zwanzig Tage eng belagert gewesen. Von
Seiten der Christen waren 30,983 und von Seiten der Türken 118,754.
Mann gefallen. Letztere hatten 36 Mal gestürmt und Elftere sechs
uud neunzig Ausfälle gcihan. Von der christlichen Besatzung waren
noch 2500 Mann übrig.
Den Venetianern blieb noch Garabusa, Suva und Spina longa;
bald aber fielen auch diese Plätze in die Hände der Türken; Garabusa
durch Verrath, die beiden andern durch Gewalt.
Die christliche Herrschaft war von der Insel verschwunden; die Ue-
derrestc der Griechen wurden den Siegern tributpflichtig; nur im in-
ner» des Gebirgs wohnten noch Menschen, die ihre Unabhängigkeit
gerettet. Der kräftige Volkestamm der Sphakioten bat bis auf' die
neuesten Zeiten seine eigenthümlichen Sitten und seine Freiheit zu wah-
ren gewußt. Hätte Venedig in dem entscheidenden Kampfe jene Berg-
völker für sein Interesse, für das Interesse der Christenheit bewaffnet
so hätten die Türken trotz all' ihrer Anstrengung nicht festen Fuß ge-
faßt, und Candia wäre noch heute ein christlicher Staat. Nachlässig-
keit oder Furcht bewogen jedoch die hohe Republik, sich einzig und allein
auf die geregelten Kriegstruppen zu verlassen, wiewohl sich oft genug
gewichtige Stimmen für jene Maßregel erhoben hatten. Unbenutzt ging
der große Moment vorüber, und die reiche, schöne Insel, vom Blute
so vieler Streiter geröthet, ward eine Beute der Barbaren.

11.
Das Ende unserer Erzählung führt uns wiederum nach Venedig
vor die furchtbaren Drei. In ihrer dunklen Umhüllung saßen sie ernst
und starr, wie aus Granit gehauen; und der blitzende Strahl der Au-
gen verkündete, das Leben in den Gestalten. Die Thüre des düstcrn
Gemachs öffnrte sich, und Guido trat herein, verhüllten Angesichts, ge-
führt von einem Bravo. Nun sauk die Binde von seinen Augen, und
der Jüngling schauderte in sich zusammen, als er sich an diesem schreck«
lichcn Orte fand; und eine stumme Verbeugung war sein Geuß.
„Es war eine Zeit, wo Ihr ein Gelübde ablegtct, Leib und Blut
für die erhabene Republik zu lassen;" begann Cornaro mit eisiger
Strenge. „Erinnert Euch dessen wohl, juugerZMann! Sie glaubte
Eurem Schwure und schenkte Euch ihr Vertrauen. Was sie von Euch
forderte, ist Euch bekannt. Nun gebt Rechenschaft von dem, was Ihr
für sie gechan."
Guido schwieg verwirrt. „Ihr habt das Unmögliche von mir ge-
fordert," sprach er dann, „meine ganze Seele sträubte sich gegen das
Amt, das Ihr mir aufgctragen. O wüßtet Ihr, wie viel ich geduldet
habe um dieser Sendung willen! Sie bcfftckwn meinen Namen mit
Hohn und Spott, und hefteten das Brandmal der Schande auf mein
edles Wappen."
„Thörichter junger Mann," antwortete Cornaro zürnend; „der
Dienst der Republik schändete Euch nicht, und Ihr konntet sie Alle
verderben, die Euch höhnten. Statt aber zu trachten nach der Erfül-
lung Eures Auftrags, habt Ihr Eure Zeit vergeudet in Buhlerei und
Müßiggang; ja noch härter habt Ihr gefrevclt; vertrauten Umgang
habt Ihr gehabt mit einem Menschen, der im Solde der Ungläubige»
stand, und Ihr hattet kein Auge für seinen Verrath oder wolltet mit
Willen blind sein. Seid Ihr unschuldig, so schwört auf dieses Kreuz,
daß Ihr mit bestem Wissen das Heil der Republik zu fördern gesucht,
daß Ihr nicht wußtet um den Verrath jenes Mannes. Was habt Ihr
zu sagen. Guido Casalamina?"
„Nichts, als daß ich mir keines Verbrechens bewußt bin," entgeg-
ncte Guido mit wicdergewonnencr Seelenruhe; „und doch kann ich nicht
schwören, was Ihr verlangt. Ich habe stets das Wohl der Republik
gewollt und hätte freilich mein Leben gelassen für sie i,n offnen Kampfe;
Hinderlist und Falschheit aber waren mir fremd. Was den zweiten
Punkt Eurer Anklage betrifft, so ist das Gewebe, das mich an jene»
Mann knüpfte, so sein, daß ich seine Fäden nicht mit grober Hand
vor Euch enthüllen mag. Richtet nun, wie das Gesetz es fordert, und
Du, ewige Gerechtigkeit, sieh herab von Deinem Wolkenihrvne!"
„Schweigend hat er sein Verbrechen bekannt, Mitwisser eines Ver-
räthers gewesen zu sein;" sagte Cornaro dumpf und feierlich. „Be-
trogen hat er das Vertrauen der Republik und hat gemeinschaftliche
Sache gemacht mit den Feinden der Christenheit. Signori, wessen er-
kennt Ihr den Verbrecher schuldig?"
„Des Todes!" war die eintönige Antwort, u:rd Cornaro zerbrach
beiftimmend einen weißen Stab vor Guido's Augen. „Jbr habt Euer
Urtheil vernommen!" sprach er eisig kalt zu ihm. „So sei Euer An-
gedenken weggetilgt von der Erde, und allen Berrälher» möge es er-
gehen, wie Euch!"
Guido, obgleich auf das Schrecklichste gefaßt, war dennoch erblaßt
bei dem Spruche der eisernen Richter. „So übe Gott gegen Euch
Gerechtigkeit am Tage des Gerichts, wie Ihr sie gegen mich geübt in
dieser Stunde!" rief er, beschwörend die Hände gen Himmel hebend.
„Amen!" sprach Cornaro ruhig, daß das Wort wie ein Eishauch dem
Jüngling durch bie Seele fuhr. Mit verhülltem Angesicht wurde er
wieder hinweggesührt. —
„Ein schönes Weib gab mir diese Locke;" sprach der Bravo zu sei-
nem Todesopfer. „Ihr möget ihr vergeben, wie sie Euch vergeben,
sprach bie Donna."
„Lconore!" seufzte Guido und drückte das Vcrmächruiß der Ge-
liebten brünstig an die bleichen Lippen. „Habe Dank, mein Freund;
nun stcrb' ich gerne und sebne mich nach dem Tode, der meine Schuld
sühnte und mich wieder würdiss macht der Himmlischen."
„Wir sind zur Stelle!" sprach der Bravo. „Betet ein Ave, Herr,
denn in Kurzem steht Ihr vor Eurem ewigen Richter."
Guido faltete die Hände; seine Lippen bewegten sich im Gebet;
nach wenigen Minuten schlugen die Fluthen über ihm zusammen. Seine
Leiche ward um Mitternacht an geheimen Ort bestattet. Auf seinem
Grabe sah man eine bleiche Nonne oft im heißen Gebete knieen; ihre
 
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