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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 20
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https://doi.org/10.11588/diglit.32620#0082

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78

-j- Eine Nacht rm Theater zu K>, oder: die nächt-
liche Toötcnfeicr.
(Von -Pfr. S.)
Ich hatte mich von meiner letzten Brustkrankhcit so ziemlich erholt,
als mein Here Principal, der Director einer hcrumziehenden Schau-
spielergescllschaft mich zu sich rufen ließ, und mit ziemlich barschem To-
ne die Frage an mich richtete: „Nun wie gchl'S mit Ihrer Gesund-
heit? — Hoffe gut! — Herr St.., Sie haben lange gefeiert! —
Kranksein kostet Geld, viel Geld, und ist auch für den Director nicht
vorthcilhasi! — Secks volle Wochen haben Sie die Bühne nicht mehr
betreten! Künftigen Freitag werden Sw doch im Stande sein, die Par-
Ihie des Mar nn Freischütz zu übernehmen?!" — Hiemit übergab er
denn auch, mir — ohne meine Antwort abzuwarten, — den Tcrt und
die Noten-Rolle. — Die gegenwärtige ökonomischeLage, und das reiz-
bare Temperament meines Hrn. Principals kennend, — empfahl ich
mich ihm und verließ sein Logis. —
Meine Gage reichte nicht hin, die Kosten der überstandenen Krank-
heit zu decken, und schon früher genötbiget, meine goldnen Ringe und
die Taschenuhr, — so wie meine bessern Kleidungsstücke ins Pfand-
haus tragen zu lassen, war ich am Morgen des Tages, als Abends
die Oper, „der Freischütze," aufgcführl wurde, ohne einen Kreuzer
Geld, ein blebelstand der um so Peinlicher auf mich einwirkte, als
mein Hausherr, der seit L Wochen, die beste Gelegenheit gehabt hatte,
das Sinken meiner Finanzen zu beobachten, und die Unmöglichkeit fer-
ner meinen Unterhalt zu verdienen, wohl cinsah, mir erklärte,
daß, wofern ich nicht im Stande sei, die für die letzten 1L Tage schul-
digen 9 fl. 36 kr. zu bezahlen, ich auf den Abend ein anderes Logis
miethen möchte. — Diesen feinen Absagebrief würzte er noch mit eini-
gen „Lumpen, Glücksrittern, «erstickten Studenten, Betrügern" u. s. w.
— „Mein Gott, und Samiel hilf, bei des großen Zauberers Hirn-
gebcin, — erschein!" ging neben einander über meine bebenden blassen
Lippen. Eben beschäftiget meine wenigen Habseligkciten in den Koffer
zu packe», — erschien er schon wieder der Patron des Hauses, und
noch einmal versuchend, das Erz seines habsüchtigen Herzens zum
Schmelzen zu bringen, stellte ich ibm meine gegenwärtige Lage vor,
„ich hätte keine Stelle, wo ich meiner Thräncn mich entlasten könne,"
— und bei Allem, was er und ch dereinst im Himmel Possen, — er
möge mich von dieser Stelle nicht verjagen;" leider hatte ich keinen
Marquis Posa vor mir. „Halt er 's Maul," grunzte mein spani-
scher Ferdinand, — dieser Koffer bleibt hier, — und damit practizirte
er mich so handfest die Stiege hinunter, daß ich meine vollkommene
Besinnung erst wieder erhielt, als ich auf der Gasse stund, und ein
heftiger Regenschauer mich aus meinen malerische» Träumen in die
Wirklichkeit rief. — „Mein Großinquisitor hatte das Seinige gcthan,
ich sollte nun auch das Meinige thun!" —
Oft schon hatte mich die Hand des Schicksals hart berührt, oft die
Sturmfluth des Lebens an öde Felsen des Elendes geschleudert, —
Fortunens Tod mich wild gerüttelt, trostloser aber und schrecklicher als
fetzt, war meine Lage nie, so lauge ich atpmete. — Die Natur
stimmte so ganz mit den wild choatischen Gefühlen meines Innern
überein. Der Sturm brüllte und heulte, und der Regen schlug wie
Hagelschauer an die Häuser und auf daS Straßenpflaster. — Ganz
durchnäßt und zitternd vor Frost und Fieber, ging ich ohne Kopfbede-
ckung unter die Arkaden deö naben Nachhauses, wo man eben einen
armen Teufel von Soldaten auf die Marterbank schnallte, und 60
Stockprügel auszählte. — Sein Geheul übcrtönte das des Sturmes,
kalt aber und langsam nach dem Tempo, wurden die Streiche um so
fürchterlicher aufgemeffen, je mehr jener aufbeulte, - jeder Streich
traf meine Seele siebenfach L» ihrer tiefsten Tiefe, kalt lachte der gaf-
fende Pöbel; ich wollte fliehen von dieser Marterstelle menschlicher
Schlächterei, aber m»me Znie Krachest zusammen, — und wie >wr gif-
tige Bick der Klckflpterschlang«-sshh vsi^i^liches Schlachtoser festhält, so
war ich wie an^ekettet, ich konnte nicht fliehen. Die letzten 10 Strei-
che rührte er sich nicht mehr, sein Gesicht wurde blau, daun erd-
fahl, — das Augp starr, und als der dabei stehende Regiments-
Arzt, halt, .rief, gwg^n die letzten Todeszuckungen über den Unglück-
lichen. Korporal- hatte nämlich einen Fehlstreich gethan, und
die Rückestwiroelsäule so hart getroffen, daß der Deliquent starb. —
Wohl! er hat überstanden, die Martcrbank auf der sie ihn forttragen,
ist sein Ruhebett geworden, — sie haben ihn todtgeschlagen, aber auch
weich gebettet seinem armen Herzen! Ich war einer Ohnmacht nahe,
als ich unter dem Arm mich sestgehalten fühlte. — „Guten Tag,

Freund St..!" rief freundlich eine wohlbekannte Stimme, es war der
erste Bassist unserer Gesellschaft, — „Du siehst ja wie eine ertränkte
MauS aus!" — Kur; ihm das erzählend wovon ich Augenzeuge gewesi-n,
— meine sonstige Lage ihm schildernd, riß er mich mit sich forr in eie
erste beste Weinschenke, und wider Willen gleichsam zu essen und trinke»
genöthigt, war mit dem letzten Glas Wein, auch mein Knmmer ver-
schwunden ! So schwach und leichtsinnig ist der Mensch! —
Die Zeit des Schauspiels rückte indessen heran; — da ich noch in
meine Rolle zu blicken, meinen Anzug zu ordnen, mich zu malen bat-
te, — so machte ich mich auf den Weg, dem Schauspielhause, oder
besser dem alten Franziskaner - Kloster zu, dessen Kirche man zu
einem Theater umg-staltet hatte. — Die Bühne nahm den Raum res
Chores ein, die ehemalige Sakristei diente nun als Gcuderob und Re-
quisiten - Zimmer , das'Schiff der Kirche war der Platz für die
schauer, die Emporkirche mit zwei Fortsetzungen rechts und links Ml-
dete die Gallecie. — Das Kloster war im baufälligsten Zustande. Ho-
hes Gras wuchs in den menschenleeren Höfen, längst stunden die
Brunnen wasserleer. Wildes Gestrüpp wucherte, in dem Garten des
ehemaligen Convents.— Epheu-Ranken wanden sich wie tausend Schlan-
gen die Mauern und Wände entlang und hinauf, und hielten die ver-
witterten Mauern nothdürftig zusammen. — Der nichts schonende Krieg
hatte auch hier gehaust, und was die Wuth der Soldaten, diebische
Nachbarn verschont hatten, fraß der Zahn der Zeit. Ueberall ein-
geschlagene Thüren und Fenster, weder Schloß noch Riegel, — Wind
und Wetter stürmten in die verlassenen Gemächer, — die Vögel flo-
gen ein und aus, — längst hatten Nachteulen und Fledermäuse sie zu
ihren unheimlichen Wohnungen auserlesen, mit einem Worte, da»
Kloster vor 60 Jahren noch wohnlich und fest, war ein redendes Bild
der Zerstörung, des Dahinschwindens alles Irdischen, wie een unge-
heurer Mamutho-Knochen ragte es aus der Erde hervor. — Das
dumpfe geisterartige Brausen des Sturmes i» den langen öden Gän-
gen, — bas Gekrätze! der Nachtvögel, das Gequick der Eulen, das
Elnstürze» der Bedachung, das dumpfe Rollen stürzender Mauerstücke,
das Knarren der eisernen Wetterfahnen auf den Gibeln, vollendeten
das Bild der Zerstörung, — und entschuldigten den Aberglauben des
Volkes, — „daß Geister und Unholde in dem zerfallenen Franziskaner-
Kloster hausten, daß man oft bei herannahcndcn heiligen Zeilen, Gri-
ster-Stimmen, der einstigen Kloster-Orgel tiefer melancholischer Ton
durch die entheiligten Hallen sich wälzen hören, und die in ihrer Gra-
bes-Ruhe gestörten Mönche oft zürnend in den kalten Gängen, und
der entweihten Kirche gesehen würden, daß der letzte der Prälaten mit
allen Vätern die in der Gruft, welche jetzt noch, mit einer eisernen Fall-
thüre bedeckt, in Milte der Kirche sich befindet, — den Schlaf des Todes
schlafen, — entsteigen, — und wie einst im Leben so im Tode die Ere-
qnien feierten." — Obschon daher der näbere Weg zu einem der Stadt-
viertel über den Hof des Kreuzganges führte, — s» umging man lieber
das Kloster, sobald die Dämmerung hereingebrochen war.
Die Kirche an und für sich fest und gnt gebaut, wurde auch aus dem
Grunde besser unterhalten, weil sich eben das Theater darin befand. Doch
auch hier zeigte sich die traurige Metamorphose oft sehr sonderbar. —- Von
innen waren die hohen Fenster, bis auf den Bogen zugemauert, oben
an der Wölbung sah man den Engelsturz, - ein sebr gutes Gemälde,
durch den geöffneten Rachen Satans ging das Seil, woran der große
Kronleuchter für das Parterre und die BUeuch z der Gallerie ging, und
da Michael seinen Fuß mit erhobenem Flamm --Schwert in der Rechten,
auf de» Bauch Satans setze, — so scheint d w einen kolossale,, Band-
wurm herauszuwürgcn.
Wurde nun der Kronleuchter angezündet, erschien oben eine magi-
sche abentbeuerliche Beleuchtung aller Söhne d Hölle, — ein Umstand,
der genau zu dem heutigen Stücke paßte, zu den Erscheinungen der Wolfs-
schlucht, und Kaspars diaboilischew Treiben.
Die Stunde hatte geschlagen, die Lichter brannten, das Haus war auch
diesmal, wie bei diesem Spektakelstück fast immer, überfüllt, der Souf-
fleur war schon hinabgeftiegen in sein platonisches Reich, die Ouvertüre
hatte begonnen und pfiff und schnarrte, und zum vornberein konnte man
alle wilden Schweine, Eulen, Ungechüme der Wolfsschlucht im Geiste
sehen und hören. —
(Forts, folgt.)
 
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