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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 226
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https://doi.org/10.11588/diglit.32620#0920

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920

Aus -em Leben eines wandernden Schauspielers.
(Schluß.)
Ich scherze nicht, sondern meine es ganz aufrichtig und ernstlich....
Ihr Name, die Unbestimmtheit, in der Sie sich über Ihre Geburt und
Familienverhältnisse befanden, erregte in mir einen Verdacht; ich habe
darüber Erörterungen angestellt, durch welche dieser Verdacht sich als
begründet herausstellte. Ich habe Ihnen versprochen mich kurz fassen
zu wollen und so hören Sie denn in wenigen Worten Ihre Geschichte:
Der im vorigen Jahre verstorbene Graf v. Hartenstein war in sei-
ner Jugend ein höchst verworfenes Geschöpf. Wegen seiner Schänd-
lichkeit aus dem väterlichen Hause verbannt, irrte er mehre Jahre zweck-
los umher, gab sich völlig seinen verderblichen und verdorbnen Leiden-
schaften hin und beging die nichtswmdigsten Handlungen. In dieser
Zeit der schmählichsten Verirrungen lernte er Ihre Mutter kennen, und
da es ihm nicht gelang über deren Tugend den Sieg davon zu tragen,
so entschloß er sich dazu sie zu heirathen, verließ die Unglückliche aber
schändlich fast in dem Augenblicke, wo Sie geboren werden sollten.
Das arme Weib, dem der Elende zwar seinen Namen gegeben, ihr
aber seinen Stand und seine Verhältnisse verschwiegen hatte, konnte den
treulosen Gatten nicht wieder aufinden. Der Tod überraschte die be-
trogene Frau und sie hinterließ durchaus nichts, was den braven Leu-
ten, welche sich Ihrer damals annahmen, nur die geringste Aufklärung
über Ihre Geburt und Ihre Familienverhältnisse zu geben im Stande
gewesen wäre, auch waren dieselben überhaupt zu arm und unbehol-
fen, um mit Nutzen und Erfolg eine Erörterung hierüber anstellen zu
können. Der Gras hatte sich endlich mit seinem würdigen Vater wie-
der ausgesöhnt; er wußte daß Ihre Mutter todt war und verheiratete
sich daher ohne weder seinem Vater hoch seiner Gattin einzugestehen,
Laß er schon einmal verheirathet gewesen sei. Durch einen sonderbaren
Zufall, (ich wage es nicht zu behaupten, daß auch hier Ihr Vater ein
Verbrechen begangen habe) war das Pfarrhaus durch eine Feucrsbranst
eingeäschert worden, in welchem sich der Nachweis jener früheren Ber-
heirathung befand, aber der Herr Graf wußte nicht, und das habe
ich ausgemittclt, daß ein amtlich beglaubigtes Duplicat jenes für Sie
so wichtigen und kostbaren Kirchenbuches gerettet worden war. — Hier
mein Herr Graf v. Hartenstein, ist der Sie betreffende Auszug.—
Sie können dadurch Ihre edle Abkunft ganz unwiderleglich darthun
und sich in den Besitz des Titels und der Güter setzen, die Ihnen von
Rechtswegen gebühren. Ich würde mit Freuden Alles aufgeopfert ha-
ben, was ich besitze, um diesen Zweck zu erreichen.
So könnte ich mich denn also jetzt um die Hand des Fräuleins v.
Adlerkron, des Mädchens, welches ich anbete, bewerben? rief Har-
tenstein entzückt mit der ganzen Kraft der heftigsten Liede.
Der Herr Graf fand sich pünktlich zu der Unterredung ein, zu wel-
cher ihn Wölfer cingeladen hatte. Die Beweismittel, die ihm hier
vorgelegt wurden, waren so bündig, daß er ungeachtet des Zornes und
der Verzweiflung, in welche er dadurch gerieth, sich doch nicht verheh-
len konnte, daß der Schauspieler Sigmund sein rechtmäßiger Bru-
der, und noch obenein sein älterer Bruder sei, doch faßte er sich und
erwiderte dem Sachwalter: Die Gerichte werden über diese Angele-
genheit zu entscheiden haben, und dann wird wohl der, welcher sich
erlaubte solche Urkunden anzufertigen, auf das Zuchthaus wandern.
Das wird sich finden! erwiderte ganz kurz Wölfer.
Am folgenden Tage war der Graf viel sanfter und freundlicher;
fern von aller Anmaßung gab er seinen Wunsch zu einem Vergleiche
zu erkennen und verstand sich sogar zu einer Abfindungssumme von fünf-
zig Tausend Thaler, die er seinem angeblichen Bruder zu zahlen be-
reit sei.
Wölfer schlug dies Anerbiten im Namen seines Klienten natürlich
aus, und der Gegner steigerte nun sein Gebot bis auf hunderttausend
Thaler, aber vergeblich.
Der Prozeß nahm wirklich seinen Anfang und der Ausgang war
nicht zweifelhaft; da bat Fräulein v. Adlerkron um eine Unterredung
mit Hartenstein in Wöl fers Gegenwart. Ihr war nicht unbe-
kannt geblieben, daß der Schauspieler sie liebe.
Mein Herr! sprach sie zu ihm, ich kann nicht beurtheilen, in wie
weit Ihre Hoffnungen begründet sind, oder nicht; aber ich fühle mich
verpflichtet, Ihnen eröffnen zu müssen, daß ich Ihren Bruder liebe
und daß ich nie einem Andern als ihm meine Hand geben werde. Blei-
ben Sie Sieger in dem Kampfe, der sich entspannen hat, so wird sich
meine Familie einer Heirath widersctzen, die ihr dann nicht mehr als
annehmbar erscheinen kann und ich werde dadurch unglücklich! Aber die

Empfindnngen meines Herzens werben unverändert die nämlichen blei-
ben und ich werde in meiner Liebe die Kraft und den Muth finden
mich jeder andern Verbindung zu widersctzen und abzuwarten, was
die Zukunft bringen wird.
Der Auftritt, welcher auf diese Worte folgte, war tiefergreifend.
Als endlich Hartenstein sich überzeugen mußte, daß er nichts zu hof-
fen habe, als er die Bitten des Mädchens, das er so innig liebte, ver.
nahm, als er ihre Thränen strömen sah, da brach sein Herz; er er-
griff das Papier, worauf er sein Lebeusglück bauen zu können gehofft
hatte, warf es in das Feuer: und sprach: Sein Sie glücklich mildem
Grafen v. Hartenstein, mein Fräulein, und gedenken Sie zuweilen
des unglücklichen Schauspielers Tiegmund!
Er starb als ein beliebter Schauspieler, ohne jemals das Glück der
Liebe genossen zu haben; nur ihre Schmerzen hatte er empfunden.

Der luftige Schuster.
Philipp der Gütige, Herzog von Burgund, Graf von Flandern
und Herr des größten Theils von Südniederland, war durch die ver-
tragswidrige Heirath Jakobineö von Brabant im Jahre 1L3Ü in Be-
sitz von Hennegau, Holland, Seeland und Friesland gelangt und be-
suchte jetzt diese neu erworbenen Herrschaften, um sich huldigen und den
Eid der Treue schwören zu lassen. Jsabella von Portugal!, Königin
Johann's I. Tochter, mit der er sich jüngst vermählt hatte, begleitete
ihn. Zu Ehren seiner jungen Gemahlin und zur Erhöhung der Hul-
digungsfeierlichkeiten ließ Philipp in seinem holländischen Hoflager im
Haag große Feste und Spiele veranstalten. Während dieser Lustbar-
keiten, welche einmal reges Leben und Treiben in den großen Prunk-
sälen des Buitenhofs verbreiteten, ereignete sich ein Schwank, den ei-
nige Ehronikenschreiber nach Brügge verlegen, wo Philipp bei den
Hochzeitsfesten den Orden vom goldenen Vließ stiftete, andere sogar
nach Dijon, doch gewiß mit Unrecht. Denn der Held dickes schivss'ttS
ist ein Bruder-Lustig, an dessen Lebenswandel im Haag Alt und ^ZUNg
Aerger-nß nahm, ein Umstand der sich bei der steifen, höfischen Ehr-
samkeit der Haager leicht erklärt, doch aus das Brügge jener Zeit so
wenig paßt, wie auf Dijon, wo das luftige Leben noch immer zu
Hause ist. Im nüchternen Haag konnte eine lustiger Schuster und
Schoppenstecher eine außergewöhnliche Erscheinung, eine Art von Rari-
tät werden, während in letzteren beiden Städten solche lustige Käuze
ganz alltägliche Erscheinungen waren. Wir weichen also nicht ohne
Grund von den früheren Darstellungen dieses Abenteuers ab, wie mir
den Hergang denn überhaupt ohne Ausschmückungen und Zusätze geben
wollen, weil die Sache selbst schon in ihrer Einfachheit reich an
komischen Situationen ist. Doch zur Sache!

1.
An der Ecke, welche in der Stadt Haag die Körte-Poott mit der
Lange Poote-Slraße bildet, stand ein kleines, ärmliches
welchem ein junger Mann gar vergnüglich lebte. Er hieß -urilyeim,
wurde jedoch nach seinem Gewerbe allenhalben nur der lus >gc «chn-
ster genannt. Die Arbeit ging ihm rasch von der Hand no was er
machte, konnte sich sehen lassen, so daß es ihm ustd ftrner alten Mut-
ter, die ihm den Haushalt führte, nie schlecht gwg sw es beiden so-
gar sehr gut gegangen sein würde, wenn Merster -tduhelm nicht ein so
lustiger Kammerad gewesen wäre. Scho« war er dreißig Jahre alt
und'noch immer Junggesell; denn hätte es dem geschickten Arbcitemann
auch nicht an einer guten Partie gefehlt, w trugen die ehr- und tu-
gendsamen Haager Jungfern doch Dedcnlen, einen Manu zu freien,
der seines unordentlichen Lebenswandels wegen häufig Anstoß erregte.
ES geschah Wilhelm sicher ;u viel; jedoch ließ sich nicht in Abrede stel-
len und wurde von ihm selber oft becheuert, daß er keinen Fest- und
Freudentag ohne das Glas rn der Hand verleben konnte. Seine gute
alte Mutter las ihm früher häufig den Tert darüber, doch da sie >ah,
daß es nichts half und er die Werkeltage hindurch immer der fl"8lgste,
beste Mensch von der Welt war, so ließ sie ihn gehen, sich dawlttro.
stend, daß jeder ftme schwache Seite habe und ihr Sohn der schlimmste
noch nicht sei. .... ^
Wilhelm war ein eifriger Verehrer seines gütigen neuen ^anocsva-
ters; als Philipp daher im Haag die Huldigungsfestlichkelten beging,
glaubte auch er der Freude seines Herzens Raum geben zu müssen.
Mit einigen Gulden, die er der mütterlichen Kaffe vorenthalken hatte,
ging er in die Schenke und machte nicht eher Feierabend, als bis der
 
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