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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 230
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S34

Der lustige Schuster.
(Forts, u. Schluß.)
Wilhelm wurde es bei dieser Erzählung heiß und kalt und bekam
dann ein solches Zittern, daß er sich setzen mußte.
„Das begreife, wer kann!" seufzte er; „ich bin der Schuster Wil-
helm und bins auch wieder nicht; ich bin der reiche Graf von Holland
und bin der arme Schuster: 's ist zum Rasendwerden! O mein Kopf,
mein Kopf! Doch wir wollen einmal sehen, wie's sich mit den Flaschen
verhält."
Ohne auf die Seelenangst, die sein Reden und Benehmen der gu-
ten Alten machten, weiter zu achten, öffnete er die eine Flasche, tyat
einen herzhaften Zug, seufzte, schüttelte den Kopf und sagte mit weh-
müthigem Lächeln:
„Bei Gott, derselbe wie gestern! Ich möchte daraus schwören, daß
der Wein aus dem Hofkellcr ist und ich... Nein, Mutter, weine nur
nicht; noch bin ich bei Verstände. Den Wein Hab' ich hierher geschickt,
das steht fest; wenn ich auch nicht recht begreife, wie das zuging.
Siehst Du, behext war ich; aber zweihundert Gulden und fünf uud
zwanzig Flaschen Wein sind nicht übel."
Die Alte schlug ein Kreuz, denn sie fürchtete wirklich, ihr Sohn
habe sich mit dem Gottseibeiuns eingelassen. Da sie indeß noch immer
hoffte, wenn der Rausch ganz vorbei, werde sich's aufklären, so brachte
sie das Frühstück herein. Ader Wilhelm hatte keinen Appetit und ließ
den Tag hindurch so wunderliche Redensarten fallen, daß Abends schon
in der ganzen Nachbarschaft bekannt war, Wilhelm habe den Verstand
versoffen und rede tolles Zeug.
3.
Der arme Wilhelm schlug sich mit Sorgen und Bedenken, Grillen
und Einfällen wie der Ritter St. Georg mit dem Drachen herum;
aber er kam nicht in's Reine mit sich. Selbst der feine Wein aus dem
Hofkcller schmeckte ihm nicht mehr und in die Schenke zu gehen, hatte
er ohnehin die Lust verloren, weil er allentbalben wie ein Halbvcrrück-
ter angesehen und ausgcforscht wurde.
So verstrich ein Tag nach dem andern; jetzt beruhte seine ganze
Hoffnung auf den hundert Gulden, die er als Jahrgehalt zu erwarten
hatte, wofern sein Traum in dieser Beziehung nicht log. Aber der
Monat verging und von dem Gelbe war nicht die Rede.
Indessen kam dem traurigen Schuster zu Ohren, daß Herzog und
Hof, die am Tage nach jenem Feste nach Nordholland und Friesland
gegangen waren, heute wieder im Haag eintreffen würden. Wilhelm
zog mit dem Volksgewühle den Herrschaften entgegen und erkannte in
stiller Verwunderung in Philipps Gefolge mehrere Ritter und Herren
wieder. Jetzt fürchtete der arme Teufel wirklich selbst, daß es mit sei-
nem Verstände nicht ganz richtig sei.
So kam unter Grübeln der Sonntag herbei. Es trieb Lbn an die
Thür der Schloßkapelle, wo er nach Beendigung der Messe plötzlich
mit seiner schönen Gemahlin aus dem Traume zusammen traf.
Wilhelm drohten die Sinne zu vergehen; nein, er hatte sich nicht ge-
täuscht, es waren die freundlichen Augen, es war das schalkhafte Lä-
cheln, das ihn damals so sehr entzückte. Wie ein blöder Schäfer schlug
er die Augen nieder und das Wort erstarb ihm auf der Zunge. Denn
ihr Erröthen sagte ihm, daß auch sie ihn erkannt habe.
Träumerisch und mit einer Angst, die sich nicht in Worten ausdrü-
cken läßt, schlich er der Schönen bis ans Schloß nach, wo sic seinen
Blicken verschwand. Tausend wirre Gedanke und Phantasieen durch-
strömten sein armes Herz.
„Also doch kein Hirngespinst?" seufzte er; „ach, möchte Alles sein
wie es ist, wenn ich sie nur hätte! Aber mich hält wirklich ein böser
Zauber in Stricken und Banden. Gott, wie soll das enden?"-
6.
Möglich, daß das arme Kammermädchen seiner königlichen Gebie-
terin von diesem Begegmsse erzählte, oder daß einer vom Gefolge dem
Herzoge bemerkte, er habe den armen Teufel seiner Holden nachseufzen
sehen; genug Philipp hatte sich mit dem lustigen Schuster zu gut unter-
halten, als daß es mehr als einer Erinnerung an den Schwank be-
durft hätte, um ihn guter Laune zu machen. Es fiel ihm sitzt sogar
wieder ein, daß er ihm im Stillen eine kleine Pension für zu leistende
Dienste versprochen und er gab Befehl, der lustige Schuster solle vor-
gefordert werden.
Wilhelm war leicht zu finden, denn er lehnte seit einer halben
Stunde noch immer wie Lots Weib, da es zur Salzsäule geworden,

an dem Pfeiler am Schloßeingange, wo das Frauenbild verschwun-
den war.
Als Philipp hörte, der arme Schelm stehe umen, konnte er sich ei-
nes Lächelns nicht enthalten, wenn er sich den Menschen dachte, der
hier und zwanzig Stunden seine Stelle versah; er gab deshalb Befehl,
daß er zuvor in allen Zimmern, wo er in Fürstlichkeit geprangt, um-
hergeführt werden sollte. Wilhelm erkannte Alles wieder und gab ein
so naives Staunen kund, daß sich Philipp daran wiederum köstlich
ergötzte.
Während der lustige Schuster so vor Verwunderung fast den Athem
verloren, war das schalkhafte Kammermädchen wieder mit Sammet
und Seide angcthan worden. Als Wilhelm Lieschen zu Gesichte bekam,
rief er:
„Ach, wenn Ihr sie mir wieder nehmen wollt, warum zeigt Ihr
sie mir wieder?"
Dieses naive, rührende LiebeSgeständniß schien dem Kammermädchen
sehr zu gefallen, zumal da der lustige Schuster überhaupt ein schmu-
cker Gesell war. Uebrigens sah Wilhelm jetzt in der Sache klar; sein
wehmüthiges Gesicht bewies, daß er ahne, sein Herr und Gebieter habe
sich einen Spaß mit ihm gemacht. Philipp der Gutmüthige klopfte ihn
auf die Schulter und sagte:
„Es gefiel Dir wohl besser in unserem Palaste, als unter dem
Baume im Vorhout?"
„„Ach Du mein Gott""... stammelte Wilhelm und sah den Her-
zog erschrocken an.
„Nun," fuhr der Herzog fort, „wenn Dir's hier gefällt, so steht
es bei Dir, ob Du hier bleiben wellst. Unser Hosmarschail hat ein
Amt für Dich; Du kannst als Schloßverwalter unseres Palastes im
Haag sogleich eintreten."
Wilhelm schlug die Augen auf, erkannte den Marschall und de"
Garde: obemcistsr, rer ihm rie stattlichen Sammeihoscn brachte, doch er
sagte kein Wort.
„Gefällt Dir unser Anerbieten nicht?" fragte der Herzog, und da
Wilhelm noch immer stumm blieb, fuhr er fort: „Wir sehen, was un-
serm Schloßverwalter noch fehlt. Es steht bei Dir, Dich mit Deiner
Angebeteten zu verständigen. Will sie Dein Weib werden, so soll es
uns freuen."
Wilhelm sah Lieschen fragend an, doch da nahm die wahre Jsa-
bella von Portugal! für sie das Wort und sagte:
„Wir freuen uns, unserm Schlvßocrwalter sagen zu können, daß
seine Werbung ein geneigtes Gehör finden wird und setzen deßhalb
tausend Gulden zur Brautsteuer aus. Auch hoffen wir, Monseigneur,
Ihr thut ein Uebrigeö und verdoppelt den Gehalt des jungen Braut-
Paars."
„„Der Wunsch unseres königlichen Gemahls ist uns stets Befehl,""
entgegnete der Herzog galant, nahm den lustigen Schuster, der vor
Wonne anßer sich war. bei der Hand, führte ihn Lieschen zu und
sagte: „„Seid glücklich!"" —
Und daran fehlte eS nicht. Wckhelm lxard seinem neuen Amte ge-
mäß cingeklcidet, erhielt Wohnung im Schlosse "uv Kost aus der her-
zoglichen Küche und heirathete nach vierzehn Tagen sein ,choncs Lieschen.
Im ganzen Haag gab es keinen glücklicheren Menschen, als den
lustigen Schloßverwalter und selbst die kleinen Verseoen und Verlegen-
heiten, die ihm das neue Amt anfangs ^errrtete, waren nur die Dor-
nen an der Rose seiner Seligkeit. Guter Wille vermag viel und so
geschah eS denn, daß er seine Übeln Angewohnheiten bald ganz ablegte
und ein treuer, nützlicher Diener fernes Herrn und Gebieters wurde.
Wenn er hohe Gäste oder Fremde in den Prunkgemächern des
Schlosses umherführte, so pflegte er mit einiger Selbstgefälligkeit zu
sagen: „Hier war ich einstmals vier und zwanzig Stunden Herzog."
Getreu seinen Pflichten und nebst Gott und seinem Fürsten ganz
seinem guten Weibe und ferner alten Mutter lebend, konnte er sich
wirklich eines seltenen Glückes rühmen. Wenn man ihn so betrachtete,
war es oft, als lächle er im Stillen über sich selbst: dann dachte er
an den Abend, wo er im Vvorhout unter dem Baume einsLlief und
auf dem Rücken eines Edelmanns seinen Einzug ins Schloß hielt.
(Nach Eollrii de Plancp.)

Bunte»,
-j- Vor den Assisen der Jndre und Loire stand ein Mann, Namens
Cathelin, angeklagt, eine W.tlwe Porcher vergiftet zu haben. Er
hatte ein Interesse bei ihrem Tode, denn er zahlte ihr eine Leibrente;
 
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