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Mannheimer Morgenblatt — 1842

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No. 262
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https://doi.org/10.11588/diglit.32620#1068

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1082

Eine Begnadigte.
(Fortsetzung.)
2.
Olga war Aufseherin im Spital von Omsk. Fern von der Hei-
maih, fern von den Ihrigen, von denen nie eine Kunde zu >dr drang,
fern von Allem was ibr lieb und vertraut, fern im kalt-» Norden,
unter Schnee und Eis lebte sie ihre Tage dahin. Aber keine Klage,
kein Seufzer entfuhr ihren Lippen. Mit unermüdlicher Sorgfalt, mit
uw nachlassender Geduld sah man sie am Lager der Kranken beschäf-
tigt; des bildenden Schmerzen durch Kräuter und Heilmittel lindernd,
mit dem in Qualen Verzweifelnden, dem sie nicht zu velfen vermochte,
betend. Halbe Näcbte lang verbrachte sie obne Schlcu in den hohen
düster» Krankensalen, und wer bei der Stille der Nacht unter dem Ul-
fen Stöhnen und Seufzen der Leidenden ihre schlanke ätherische Ge-
stalt durch die langen Reihe» der Zimmer dahin schweben sah, wer sie
mit einem sanften Lächeln — Olga hatte stets für die Kranken ein Lä-
cheln und ein Liebeoblick — wer sie mit süß beredten Tivstesworten
hier den Schweiß von dcr Stirn des Leidenden trocknen, dort einem
andern Verschmachtenden den Trank reichen, oder Mit leichter, sicherer
Hand Wunden verbinden sah, der mochte sie für den Engel der Barm-
herzigkeit halten, der in der Stille der Nacht hernidergeschwcbt, um
die leidende Menschheit zu erquicken und zu trösten. Auch ward Olga
geliebt und verehrt, war so der gute Engel aller dieser Kranken und
Leidenden, und wenn sie an das Krankenlager trat, schien es dem
Kranken als sei er schon halb genesen von seiner Qual. Segenswün-
sche folgten ihr nach, wenn sie ging, Segenswünsche empfingen sie, wenn
sie kam. Und welche Geduld, welche Liebe, welche Hingebung, welche
Stärke, welches Zartgefühl war in diesem Weide! Wie bändigte ihr
sanftes Lächeln der Verzweifelnden Pein, wie führte ihr frommes Ge-
bet die an Gott Verzagenden zurück zum Glauben und zur Hoffnung!
Und wenn alle ihre Buten umsonst, umsonst ihr Lächeln, ihr Gebet,
wenn der Kranke im Uebermaß seiner Qual, mit bleicher zitternder
Lippe Verwünschungen auSsticß gegen Gott, gegen die Menschen, wenn
sein Gesicht sich krampsbast verzog in Schmerzen, gegen die Olgas Mit-
tel nichts mehr fruchteten, dann hatte sie ein letztes Heilmittel, einen
letzten Balsam — ihre Stimme. Dann kniete sic nieder an dem Lager
des Kranken, mit gen Himmel gerichteten Blicken, und ihre rein me-
lodische Stimme durchdrang in erhabner frommer Melodie diese Räume
der Schmerzen und der Pein. Dann sah man die Kranken sich auf-
ricbten in ihren Betten, sah sie die Hände falten und die Lippen sich
bewegen, man wußte nicht, ob im Gebet zu Gott, oder zu Olga, ih-
rem Schutzengel, dann veistummten die Seufzer und das A chz-m, und
in der heiligen, erhabenen Stille tönte fort, und fort in einfacher, rüh-
render Melodie die glockenreine Stimme des schönen WcibeS, das mit
verklärtem, Angesicht an dem Lager des Kranken kniete.
3.
Olga, Du bist so bleich, so schön! Mit jedem Tage gleichst Du
wehr den Engeln, von denen ich als Kind geträumt. Nein sich mich
nicht an mit diesem ve> klärten Lächeln, mit dieser erhabenen Ruhe,
— ich fürchte dann, daß Du entschwebst zum Himmel und meine ar-
men Augen Dich nicht wieder sehen! Steige herab von Deiner Höhe,
sei ein Weib, fühle menschlich, sei minder groß, mir der eng lgleich.
Laß Dich erwe'chen, Olga, dulde mich, erbarme Dich mein, ich liebe
Dich ja so heiß! So fl bete dcr Gouverneuer von Omsk, und kniete
uuder vor dem Weibe, das er verehrte und liebte wie eine Heilige.
Olga schüttelte sanft das Haupt und sagte leise und schmerzvoll:
Sie täusche» sich, und Sie vergessen, wer ich bin.
Ein Engel bist Du! rief dcr Gouverneur, so lieben Dich die Kran-
ken, so venhrsn Dich Alle, die Dich kennen, und wo Dein Name er-
schallt, ist er von Segnungen begleitet! Olga: höre mich an! Sage
daß Du mich liehst, Au nwm Weib sein willst, und noch heute
eile ich fort, hin noch Petersburg, hin zu den Füßen d s Kaisers, und
erst« he von ihm Gnade und Befreiung für Dich!
Olga schreck e zurück. Nein, nur das nicht, nur das nicht! flehte
sie leise.
Olga, willst Du mein Weib sei»?
Ich kann nicht, sagte sie leise, «hex bestimmt. Und was sollte ih-
nen dies gebrochene Herz? Ich kann nichts mehr geben,
nichts mehr nchmen, denn ich bin lange, lange gestorben! Meine
Angen haben kei e Thränen mehr und meine Brust keine Oual, meine
Hände kann ich nicht mehr wund reiben, sie sind empfindungslos ge-

worden, und auch verzweifeln kann ich nicht mehr, denn es gibt für
mich keinen neuen Schmerz!
Du sollst aber wieder glücklich werdcn, Olga, glücklich und froh!
Glücklich! sagte Olga, und ein verzwe^flungSvoll-S Lächeln umzog
ihren bleichen Mund. Glücklich soll ich sei», und doch lebenl Glücklich
mit meinem brennenden, nie raff »den Gewissen, glückli ch in dieser
Ocde des Lebe.S, glücklich, während die Erinnerung mit Scorpionbiß
an meinem ^Herzen nagt und all mein Denken vergifte! hat, glücklich
während dies Blut ungemhnt an meinem Heizen ruht, dies Blut, das
mit Thräuen hinweg zu waschen, meine Augen zu arm sind.
Während sie so sprach, zog Oga aus ihrem Busen ein weißes Tuch
hervor, in dessen Mille ein großer, dunkelrother Fl ck befindlich war.
(Schluß folgt.)

Ein Jrrthum der Justiz.
(Schluß.)
Wer? Ich... Sie wissen es ja; ich bin cs gewesen, die arme Un-
glückliche, und ich muß auch stör den.
Ein so p'ötzliches, so unerwartetes G ständniß setzte mich, wenn es
auch meinen Gedanken ent'prach, in schwer zu beschreibende Unruhe;
ich vermochte kaum meine G> danken zu sammeln, uns einen Entschluß
zu fassen.
— Margarethe, sagte ich nach einigen Secunden, Sie konnten das
Verbrechen nicht allein begehen; riss wird Niemand glauben. Ein
halbes Gcständuiß, ein unvollständiges Zeugniß vermag Ihren Mann
rächt zu retten. Sprechen Sie also, weil es noch Zeit ist . . . Nennen
Sie den Namen des wahren Schuldigen und wir werken Peter rer
Schanke und dem Tode entreißen.
Kann es nur zu diesem Preise geschehen?
— Ohne Zweifel, .. und Sie wissen es. Wenn Sie den Schul-
digen nicht nennen, wird man glauben, sie verzweifelten an Im"
Sache und klagten sich selbst an, um ihren Mitschuldige« z« s^utz".
Und warum zögern Sie, Len, welcher Sie z« einer solchen ^vat an«
reizte, zu nennen? — den, welchen wie Sie die Strafe Ovt»ks und
der Menschen treffen muß. Sie selbst erlangen vielleicht, wenn Sie
ein aufrichtiges und vollständiges (Aftändniß ableaen, eine Milderung
ihres Schicksals... "
Ach, Herr!..
Die Unglückliche schluchzte, währe: d Sie mich anhörte und zitterte
an allen Gliedern; meine letzten Worte hatten auf sie einen seltsamen
Eindruck gemacht und ein Widerstreben erregt, das ich Anfangs nicht
begriff. Ich fuhr indcß fort: Wer auch der Schuldige s in mag, Sie
müssen ihn nennen und wir haben keine Zeit zu verlieren. Es ist
durchaus nothwendig, wenn nicht Ihretwegen, so koch wegen des Un-
glücklichlichen, den man vielleicht verurthcilt, wegen Ihres Mannes,
Lessen Schande auch ihre Kinder mit treffen würde.
Ihre Thränen verdoppelten sich und ihr Schluchz n wurde krampf-
haft. Ich hatte ein grauenvolles Geheimniß zu entdecken.
Wer kann, fuhr ich stark und einigermaßen gebieterisch fort, wer
kann Ihnen bei einem so großen Verbrechen so viel Theil! abine ein-
flößen, daß Sie ihm das Leben und die Ehre Jvres unschuldigen
Mannes opfern? Margarethe, Sie haben im Anfaege d cses Gcstä >d-
rsisses den Namen Gottes angeruren; ein srommer^Pruster Vcrlnß Sie
eben als ich eintrat, sein frommer Zuspruch ba> sie ohne Zweifel be-
wogen, die Wahrheit zu gestehen, durch die hier allein die Gerechtig-
keit' einen schweren Jrtthum vermeiden kann. Stellen Sie sich also
wieder vor das Angesicht Gottes, erinnern Sie sich der Worte seines
Dieners. Können Sie einen Tbeil dcs Geständnisses zurückhaltcn, der
den retten soll, welchen Ihr Schweigen auf das Schasst bringt?
Welche Bande knüpfen Sie an den, welcher Ihr Mitschuldiger war?
Welche sie auch sein mögen, sprechen Sie, oder Sie machen sich der
Barmherzigkeit Gottes unwürdig.
Ach, Herr, wenn Sre wüßten!.. Aber Peter selbst wird cs nicht
wollen.
Ich erschrack. Ein entsetzlicher Gedanke schoß mir plötzlich durch
den Kopf. Der Sohn, den man vom Militär hatte loskaufen wollen...
— Wer ist es? Reden Sie!
Niemals!..
- Ihr Sohn vielleicht?
Sagen Cie es nicht; sagen Sie es nicht. 34 hübe es nicht gesagt.
Nun begriff ich ihre Angst, ihr Zögern, ihre Qual. Ihr Schmerz
rührte mich; die Frau, vor der ich einen Augenblick vorher schauerte,
 
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