Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Morgenblatt — 1842

DOI Kapitel:
No. 262
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32620#1069

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1063

deren Leben ich mit einem gewissen Widerwillen dem Henker strrei'ti'g
gemacht hatte, flößte mir sitzt wirkliche Thcilnahme ein. Ich zögerte
meinerseits. Es war ein Unschuldiger als solcher darzustcllen, eine ge-
bieterische Pflicht zu erfüllen. Ader um den Barer zu retten, mußte
der Lohn, der Sohn durch das Geständniß seiner Mutter, ausgclie-
fert wenden, mußte man die Aeme zwingen, selbst ihm den schwarzen
Schleier der Vatermörder übcrzuwerfen! War das nicht entsetzlich?
Margarethe verstand mein Zögern.
Erbarmen, Herr, rief sie, Erbarmen für mein armes Kind! Er iss
wohl schuldig, aber er hat es meinetwegen gethan, die ich ihn nicht
fortlassen wollte.
u d sein Vater? Der Schuldige ist Ihnen wohl thcuer, aber ist cs
Ihnen der Unschuldige minder?
Sie aniwortcte mir nur durch neu? Seufzer, und ich fuhr in einem
so festen Tone als möglich fort:
Ick fühle es, es ist eine traurige, schwer zu erfüllende Pflicht, aber
es muß geschchen. Math also. Ich bin, wie Sie scheu, gegen Jh-e
Thräuen und Klagen nicht unempfindlich, ich begreife alles Gräßliche
Ihrer Lage, aber ich darf so wenig zögern, als Sie. Margarethe,
nehmen Sie Ihn: Kraft zusammen; wir haben keinen Augenblick zu
verlieren; ich gehe.
Nein, rief sic, indem sie sich zwischen mich und die Teüre stellte,
um mir das Fortgehen zu wehren, im Namen des Himmels, sagen
Sie es nick'». Pcier kann nicht vcrurtheilt werden; Gott wird es nicht
zugeben. Er wird den Unschuldigen schützen und vielleicht auch dem
Schuldigen vergeben. Ich werde allein büßen. — Klagen Sie meinen
Sohn nicht an!
Dufaut konnte allerdings sreigesprochen werden, und sollte ich dann
gegen den wahren Schuldigen das Geständniß seiner Mutter richten?
Meine Lage war schrecklich, und ich wurde aus ihr durch die Klingel
gerissen, welche die Rückkehr der G-schworcnen und den Wiederbeginn
der Ve>Handlungen meldete.
Versprechen Sie mir, sagte Margarethe, nichts zu sagen, bevor ich
da bin.
Ich versprach es ihr. Sie kniete nieder, um zu beten, und ich
nahm meine» Platz in schwer zu beschreibender Angst wieder ein.
Die Geschworenen waren zurnckgekommen und der Obmann las
endlich mit bebender Stimme und mit dem Tone tiefer Trauer den
feierlichen Ausspruch vor.
Margarethe wurde des Mordes ihres Schwiegervaters schuldig er-
klärt. Ein „Ja" checkte dem Peter Duiaut die Strafe der Vatermör-
der ZU. Die Jurp batte indrß für beide wildernde Umstande aner-
kannt. Bei einem Vaterworde!? Man sprach von rem Scandal die-
ses Ausspruches, aber man verstand ihn nicht recht. Die mildernden
Umstände waren hier, wie sie es übrigens vielleicht oft sind, ein Aus-
spruch des Zweifels, eine Art Eapitulativu mit dem Gewissen.
Mein Entschluß war gefaßt. Die Stimme der Menschlichkeit und
des Mitleids übertöme die der Gerechtigkeit. Peter Dütaut entging
dem Tode, sonst hätte ich alles unternommen, um seine Slrcne zu
wilder», und so viel ich vermochte, den Jrrthum gut zu machen, hurch
den er litt, u? d an dem auch ich Tbeil nahm. Uebrigens glaubte ich,
selbst im Interesse der öffentlichen Moral sei es gut, das schreckliche
Geheimniß nicht zu enthüllen und ich schwieg.
Man führte die Angeklagte herein. Peter war noch immer dersel-
be; aber das ruhige gleichgültige Aussehen, das mich wäbrend der
Debatte aufgcbrecht hatte, rührte mich diesmal. Der Unglückliche war
Un-chuldig; er begriff nicht, wie er im geringsten einer Gefadr ausge-
s.tzt sein könnte. Seine Frau dagegen konnte sich kaum aufrecht erhalte»;
sie war zwar ruhiger, aber ein Ausdruck des Schmerzes und der Erge-
düng, den man v; ll acht auch der Ermattung znschrieb, war in ihren Zü-
gen an die Stelle des Zornes und der Drohung getreten. Ihr erster Blick
richtete sich fragend nach mir und nur ich konnte ihn verstehen. Sie sah
dald, daß ich nichts gesagt habe und beruhigte sich wieder.
Sie hörten beide den Ausspruch der Jurp nicht ohne ein Zeichen hefti-
ger innerer Bewegung an. Der Präsident fragte mich nach der Gewohn-
heit, ob ich über die Anwendung der Strafe noch etwas zu sagen habe.
Ein herzzerreißender Schrei hinter mir gab mir die Angst kund, welche
riese Frage in dem Herzen der unglücklichen Mutter weckte. Ich gab dem
Gerichte mit einem Winke meine Zustimmung zu erkennen und beruhigte
die Unglückliche. Man mußte sie forttragen; ihr Mann erhielt die Et-
laubniß ihr zu folgen.

Das U-theil wurde in ihrer Abwesenheit gesprochen und es lautete auf
lcbenslängsiche Zwangsarbeit.
Einige Tage später reifete ich nach Paris ab und einen Monat nachher
erlangte ich die Zurücknahme d r gegen Peter Dufaut ausgesprochenen
Strafe. Was aus dem Ungeheuer geworfen, welches den Großvater ge-
mordet halte, konnte ich niemals erfahren.

B u n t e t.
-j- Der Spcculatio s Geist, der ln England so treffliche Cnfmdun-
gen hervvrruft, die dem „Leben im Fleisch" zu gut kommen, führt
auch manchmal zum Absurden. Folgendes ein Beispiel. In einer Ver-
sammlung der „National Charter Assocst-tioa" am 21. Oct. machte ein
Zahnarzt, Hr. Marsh, den Vorschlag zue Bildung rtner „Zahn- und
Laibdlvdgesellsckaft"; d. h. er schlug vor, i , der Milte der Stadt Lon-
don rin groß s Institut zu errichten, wo krank? Zähre, deren Auozie-
hung sonst zum Wohlfeilsten 1 Sh. das Stück (36 kr.) kostet, für 7
Pence (2t kr.) ausgezogcn werden sollen. Von diesen 7 Per ce wer-
den je 6 zurückgelcgt, und sobald eine gehörige Summ? beisammen
ist — Hr. Marsh rechnet, daß das Institut mindestens 400,000 Zähne
im Jahre auszureißen haben würde, weil besonders in dem feuchten
englischen Winter viel Zahnwche vorkomme — reist ein Agent des
Vereins auf die französische Küste dinüber und schließt mit französischen
Bäckern einen Vertrag über Lieferung von Bros ad, welches zollfrei
in England cingehen wird, da, so behauptet H?. Marsh, das Peel'-
sch? Ko ngcsetz sich nicht auf verbackenes Getreide erstreckt. Der Prä-
sioert des Chaniftenvereins, Hr. Salwon, befühlte mit der Zunge sei-
nen Wcisheilszahn, und erklärte dann, der Vorschlag müsse vom Aus-
schuß des Vereins erst reiflich erwogen werden.
s- Der bekannte französische Schriftsteller M-ry besuchte in Rom den
berüchtigten Räuber Gasparoni, der sich dort mit seiner ganzen Bande
im Gefängnisse befindet. „Es ist unter ihnen," sagt er, „nicht ein ein-
ziges intcrrffantes Gesicht, das des Hauptmmtns und des Henkers aus-
genommen, der die blutigen Befehle des elfteren vollzog; alle haben
gemeine nichtssagende Gesichter. Ich weiß nicht, ob sie jemals das
malerische Costäm getragen baden, welches die Künstler den neapolita
nischc-n Bavdlten za geben pflegen; als ich sie sah, waren sie wie ita-
lienische Handwerker gekleidet; graue Beinkleider, braune Jacken, blaue
Strümpfe zerstörten jede Poesie ihres Standes. Auch hatte keiner eine
malerische Stellung; sie sahen gleichgtltig aus, ohne Hoffnung und ohne
V-rzwe flimg; sie rauchten lächklnd, und sch'ugen dabei die Arme übe-
reinander. Das ist die Baude, welche 16 Jahre lang der Schrecken
der ponrinlschen Sümpfe war, und die so viele reiche Engländer aus-
plüaderte. Als das schrecklichste Verbrechen Gasparonis erzählt
man Folgendes: Auf der Straße von Neapel hült er den Wagen ei-
nes Engländers an, der mit seiner Tochter reifete; er nahm ihm das
Gold ab, lhat ihm aber nichts zu Leide, und ließ ihn weiter reisen;
dagegen behielt ?r die Tochter des Engländers, ein ungemein schönes
Mädchen, zurück, und nahm sie mit sich in das Gebirge. Als der
unglückliche Vater in Rom ankam, setzte er einen hohen Preis auf den
Kopf des Näubns. Daß ein einfacher englischer Bürger einen Preis
auf den Kopf des berühmten Banditenhaupfmanns setzte, verletzte den
Stolz des Räubers im höchst?» Grade. Eines Morgens erhielt der
Engländer ln Rom ein Kästchen unter seiner Adresse; er ließ es so-
gleich öffnen, uuv der unglückliche Vater fand darin den Kopf — sei-
ner Tochter."
-s Ein neues Trauerspiel war durchgef-.llen. Man hat Beispiele,
daß >o etwas gesch hx» kann. Der Dichter sieht einen Bekannten mit
dem Tuche vor dem Gesichte aus dem Schauspielhause treten und eilt
ihm voll Freude entgegen. Du hast geweint? — Nein, nur geschwitzt,
war die Antwort.
s- Der einst so berühmte Unzelmann spielt j-tzt auf der Bühne des
Städtchens Seglitz — in einem Brettcihudenthcater. So schnell welkt
der Lorbeer des darstellenden Künstlers, wenn er mit zu viel Schnapps
befeuchtet wird.
-s Am 27. Oct. Nachts erschoß sich in Nürnberg ein alter Hand-
lungöreisender (Krieger) vor dem Haus des LedcrhändlerS Scheibe auf
dem Egydienplatz, nachdem er vorher mit großer Pünktlichkeit Zins,
Magd und Barbier bezahlt batte. Warum? — weiß man nicht. Das
ist der siebente Selbstmord in dsisem Jahr in gedachter Stadt.
 
Annotationen