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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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nnheimer



bendzeitung.




1848.




No. 40,





Deut ſchland.

Daruſtadt, 7. Febr. Die neueſte Erſcheinung im Strafverfahren we-
zen des Todes der Oräfin von Goͤrlitz iſt ein ausführliches Gutachten des
Btabsartzes Dr. v. Siebold dahier, eines Mannes der Chirurgie, worin er
uachzuzeigen ſucht, daß die Graͤfin, als geiſtige Getränke liebend, an Seldft-
verbrennung geſtorben ſei. (O.-P. 3)

München, 1. Febr. Görres iſt todt und begraben. Seine Beerdigung


burch die der Leichenzug ging. In der Nähe der Theatinerkirche wurde der



kondukt und ſonſt Theilnahmsvolle und Neugierige zogen.
Muͤnchen ſprengte nach der üblichen Einſegnung zuerſt Weihwaͤſſer auf den dem
Grabe übergebenen Sarg. Von dem fungirenden Geiſtlichen aber wurde er-
klaͤrt, daß die Leichenrede nächſten Donnerſtag (den. 3. Febr.) von dem Prof.
Haneberg in der Ludwigskirche werde gehalten werden, wie auch geſchah. Ha-
neberg, der früher zu den Füßen des genıalen Meiſters faß, hielt demſelben,
wie einem bereits Kanoniſirten, eine mehr als glänzende Lobrede, ſprach ini
Eiugauge von dem Rufe des Entſchlafenen und betrachtete dann ſeine Wirkſam
keit als Publiciſt und Politiker, Gelehrter und Mann der Kirche. Am Abende
dieſes Tages ſollte von Getreuen und Anhängern des Verſtorbenen unter der
hieſigen Studentenſchaft ein Fackelzug auf dem Kirchhofe veranſtaltet werden,
es waren bereits alle Anſtalten getroffen, als die böhere Erlaubniß ausblieb.
Man beſorgte Allerlei, und es iſt wohl nicht ohne Grund, wenn, wie aus


Ereigniß zu ihrem Vortheile ausbeuten werde. Es hieße doch, hörte man,
dieſe Beſorgniß zu offen zur Schau tragen, wenn man durch ein Verbot eine


zu ſein ſcheint. Durch Verbote unterdrückt man unbequeme Stimmungen nicht,
man gibt ihnen dadurch nur neue Nahrung. Beachtenswerth iſt übrigens eine
unverblümte Andeutung der Augsb. Poſtz., wodurch dem alten Görres die Era
eigniſſe der letzten Zeit, nacaentlich in Baieru und der Schweiz das ſonſt ſtarke
Herz, welches ſo viele Stürme überdauert hatte, gebrochen haben. Daher auch
fein Geſtäudniß auf dem Sterbebette: „Fortan regiert der Staat, die Kirche
proteſtirt nur noch.“ ¶ Deutſche Ztg.)
BHersfeld, 5. Febr. Die von den Ständen beantragte Unterfudh urz
gegen den Dorfbürgermeiſter Seelig zu Cathus, welcher ſich felbſt zum Ge-
meindebevollmächtigten machte, dann dafür ſorgte, daß er Wahlmann wurde, und
als ſolcher den weſentlichſten Einfluß auf die Wahl des Pfarrers Gerhold zum
Abgeordneten ausübte, hat vor einiger Zeit begonnen. Aus den deshßalb
vom Kreisamte angeſtellten Verhören ſcheint aber hervorzugehen, daß der Un-
terſuchung eine andere Richtung gegeben werden ſoll, als die voͤn den Staͤnden ver-
laugte. Der Hauptzeuge gegen Seelig, derſelbe, welcher die Gerhold'ſche Wahl zum


Augeklagten, als in der eines Anklägers oder Zeugen. Dabei weigert ſich,
wie man hört, das Kreisamt, diejenigen Ausſagen, welche ſich auf die ſtati-
gefundenen Wahlumtriebe und deren Quelle beziehen, zu Protocoll zu nehmen,
unter dem Vorgeben, daß ſie nicht zur Sache gehörten. Namentlich iſt
dieſes der Fall mit Seelig's Aeußerung: er ſei ganz ohne Sorge, denn er habe
in einem höheren Auftrage gehandelt. Bei ſo verwaͤndten Umftänden ſteht ein
Reſultat in Ausſicht, das nur alg ein neuer Beleg für das Unzureichende und
Precäre einer Adminiſtrativ⸗Unterſuchung Intereſſe haben wird. Zufällig iſt
die fragliche Sache ihrem Kerne nach von der Art, daß ſie ſich zur gerichtlichen
Unterſuchung eignet, und vor das Landgericht ſoll ſie denn auch gebracht
werden. Es handelt ſich nemlich dabei um eine offenbare Fälſchung! Bür-


Mitglieber des Gemeinderathes dazu verführt, dieſes ganz und gar auf Un-


Maͤhtchen) zu unterzeichuen. Wenn nun auch die beiden Gemeinderathömitglies
der nicht ganz ſchuidlos ſind und vielleicht nicht ſtraflos bleiben werden, ſo
verdienen ſie doch eine weit mildere Beurtheilung, als der Bürgermeiſter, der
die Geſetzesunkenntniß, womit ſie ſich entſchuldigen, nicht vorſchützen kann, da er


Verdienſt⸗Medaille verliehen hat. Darum wird ihn auch die Ausflucht nicht
ſchiben / daß er in hoͤherem Auftrage gehandelt habe. Wer dieſer Auftragge-
ber fei,. wird ſich bei der gerichtlichen Unterſuchung ebenſo herausſtellen, wie
das ganze Wahlgetriebe, von dem man ſich im Publitum höchſt eigenthämliche Ein-
zelnheiten erzaͤhli. Die Veröffentlichung der gerichtlichen Verhandlungen, die
feiner Zeit erfolgen wird, kann dazu dienen, um unſerem unwifſenden Landvolt
die Augen ein wenig zu öffnen. Der Prozeß wird in Kurzem ſeinen Anfang
nehmen.

4 Berlin, 2. Feb. (Deutſche 3.) Als in der Ausſchußſitzung vom 20.
Jan. gewichtvolle Stimmen aus immer mehr Provinzen für den Antrag der
Abtheilung, v die dreigliederige Eintheilung der ſtrafbaren Handlungen in das
St-G. B. aufzunehmen“, mit überzeugender Wärme ſich verwendeten, und fo-
gar der Juſtizminiſter Uhden ſich zu Gunſten deſſelbex ausſprach, da veran-


indem er neue, den ſtaͤndiſchen Wünſchen entſprechende Vorlagen dieſer Art an
die Abtheilung in Ausſicht ſtellte. Am 28. nahm der Ausfchuß in ſeiner 9.
Sitzung jene ſe gewichtvolle Verhandlung wieder auf.

Bei der Aberkennung der Ehreugerichte mußten unausbleiblich die Fragen
von der Ehre, der Einen Bürgerehre oder den mancherlei ” Standesehren-
erörtert. werden. Der Korreferent Frhr. v. Mylius (RNh.) hatte mit der ihm
eigenen philoſophiſchen Klarheit und Schärfe als allgemeinen Geſichtspunkt den






4 ; Aus dem gediegenſten Werk
des Hrn. v. Saviguy entwickelte der RNedner dieſen Begriff , * * Stand

der Freien im Bewußtſein jedes Einzeluen von der Nechts enoſſenſcha

Rechtogemeinſchaft Aller Ehre und Recht erkannle. — —
ſei es, für unſern Staat das Gefühl der ſtaatsbürgerlichen Ehre lebendig zu
erhalten. Deßhalb ſei dieſe völlig verſchieden von den beſondern Ehrenvorzuͤ⸗
gen, die auf dem Boden der Bürgerehre, niemals außer ihm, beſtünden und
für die Hegründung der ſtaatlichen Ordnung ſelbſt keinen Werth haͤtten. Hier-
auf erhielt der Abg. Camphaufen das Wort. Frei von allem Pathos, in
antiker Einfachheit beginnt der Redner wit der ſchlichten Ankündigung deſfen,
worüber er ſich, ausſprechen wil: „Ich will reden gegen den Vorſchlag der
Regierung, welcht zwar einzelne Rechie auf Zeit aberkennen laſſen will, aber
die wichtigſten derſelben, naͤmlich das Gemeinderecht und das Staats bürger-
recht, nur auf Lebenszeit.“ Das charakteriſtiſche Merkmal des rheiniſchen Ber-
fahrens iſt, daß unter allen Umſtänden der Verluſt der ſtaatoͤbuͤeherlichen Eh-
renrechte auf Lebenszeit uur von den Geſchworenen ausgeſprochen werden kann.
Die Ausnahme, daß ſeit einer Kabinets ordre Zuchtpolizeigerichte die Nationals
kokarde (für immer) aberkennen, iſt nicht einmal eine Ausnahme; denn ſchon 6
Monate nach beſtandener Strafe ſind Gnadengeſuche eingereicht und maſſen-
weiſe bewilligt worden. Dieſes Prinzip des rheiniſchen Straͤfprozeſſes wird
durch die Vorlage der Regierung aufgeyoben, während noch der Landtagsab-
ſchied von 1843 den ungefährdeien Foribeſtand des rhein. Gerichtsverfahrens
zugeſichert hat, Auch für geringe Vergehen tritt der Verluſt der Ehrenrechte,
namentlich des Rechts der Gemeindebürgerſchaft und Staatobuͤrgerſchaft/ ein. Nun
geht die Regierungvon der Anficht aus, daß, wer einmal durch eine chrloſe Haud-
lung die Verachtung ſeiner Mitbürger ſich zugezogen hat, dieſer auf inimer und une
widerbringlich verfallen ſei. Nach dieſer Anficht iſt es unzulaͤſſig, den Verluſt der
Ehrenrechte auf Zeit auszuſprechen. Fololich gehen ſie für immer verloren
auch wegen geringer Vergehen. Dieſe den höchſien Gerichtshöfen zuzuweifen,
iſt unausführbar. Demnach werden Untergerichte jene Rechte für immer abs
erkennen. Hierin iſt, das rheiniſche Prinzip verietzt. Doch im Intereſſe (ämmte
licher Provinzen iſt Einſpruch zu erhebey.

Unzuläſſig iſt nicht der Verluſt der Ehrenrechte auf Lebenszeit, ſondern,
der Punkt, wo der lehenslänglich: Verluſt eintrelen ſoli, iſt im Entwurf zu
weit vorgeruͤckt, auch im rheiniſchen Recht. Der Ausdrud „Eprenvechte“ im
Entwurf verurſacht die darin eathaltene Verwechſelung der Ehre mit Rechlen.
Die in dem betreffenden Paragraphen ſog. Ehrenrechie ſind Feineswegs alle
Rechte, die man ſo nennen koͤnnte; ihre Summe mußte auf dieſe Zahl be-
ſchränkt werden; ebenſo dürfen ſie der Zeit nach beſchraͤnkt werden! Bon der
höchſten Ehrenhaftigkeit bis zur gaͤnzlichen Ehrioſigkeit beſteht eine leije, alls
mähliche Abſtufung. Gefaͤhrlich iſt, aus dieſer Graͤdation den Punkt heraus-
zuſuchen, wo das Ehrgefühl ſo völlig abgeſtorben ſein ſoll, daß deſſen Wieder-
belebung unmoͤglich iſt. Handlungen werden in Menge begangen, die der
Gewalt des Richters entrückt ſind und eine weit größere Ehrloͤſigkeit bekunden;
auf der andern Seite finden ſich Spuren von Ehrgefühl bei den groͤßten Frev-
lern. Weil das deutſche Volk vorzugsweiſe empfaͤnglich für das Ehrgefühl
iſt, darum fieht es lange nicht, wie der Eutwurf, gewiſſe Handlungen als
Merkmal unbedingter und immerwährender Ehrloſigkeit an.. Mit dem meiſten
Grande wird dies vom Diebſtahl behauptet. Aber aus welchem Zuge des deut-
ſchen Volkocharakters will man den Anklang erklaͤren, den einſi bei der deute
ſchen Nation die poetiſche Schilderung des Diebſtahles und Raubes in Schile
ler's Raͤubern fand (Redner bringt noch viele Beiſpiele). Dieſe Etfchei-
nungen ſind nichts Anderes als das Zeichen, daß im Volle der Gedaule lebt,
es ſei nicht die nothwendige Folge des Diebſtahis und des Raubes, daß der
letzte Funke von Ehrgefühl auf immer erloſchen ſei.

Aber angenommen, der Grundſatz des Entwurfs ſei wahr: ein Mal
ehrlos ſei immmer ehrlos! dann müßte man verlangen, daß der Eutwuͤrf nicht
unterſage, die Ehrenrechte abzuerkennen wegen ſolcher Verbrechen, die ehren—⸗
rührig ſein fönnen, und 2) daß er ſie ſtets gebiete wegen ſolcher Verbrechen,
die ehrenrührig ſind. Der Redner nennt eine Reihe von Fällen, in welchen


der Verluſt nicht ausgeſprochen zu werden braucht, und vergleicht beide Klaſſen
mit ſolchen Verbrechen, deren unbedingte Folge jener Verluſt iſt, und die ſehr
häufig weit weniger ehrlofe Geſinnung verraihen, als die Fälle der beiden er-
ſten Kategorien. Der Entwurf iſt demnach inkonſequent. Aber er muß es
auch ſein; im ſchreienden Widerſpruch ſteht der Ehrloſigkeitsgrundſatz mit der
Anordnung, daß manche Handlungen nur dann gerichtlich verfolgi werden,
wenn eine Privatperſon Klage erhebt; von dieſer hinge danach ab, ob der
Verbrecher immer ehrlos oder nicht ehrlos ſein ſolle. Der Entwurf, nicht in
Harmonie mit ſich ſelbſt, iſt es auch nicht mit andern Geſetzgebungen, ſo mit
dem würtembergiſchen Recht, mit dem engliſchen, mit dem preußiſchen Laud-
recht. Der Entwurf iſt auch im Widerſpruch mit den Verordnungen uͤber
Verluſt der Ehrenrechte, welche die Städteordnung und das neue Beſcholten-
heitsgeſetz ven 1847 enthalten Dieſe beſtätigen das Prinzip des rheiniſchen
Rechts. — Der Entwurf läßt nur zwei Wege offen: entweder muß bei ſehr
geringen Vergehen der Verluſt der Ehrenrechte auf Lebenszeit durch die Unter-
gerichte erkannt werden: dann würden die innerſten Gefuͤhle der Rheinländer
verletzt ſein, „Gefühle, in welche nun ſchon die dritte Generation ſich hinein-
gelebt hat;“ oder es müßten diejenigen Verbrechen, auf welche lebenslaͤnglicher
Verluſt der Ehrenrechte geſetzt iſt, an die Aſſiſen verwieſen werden: dann wuͤr⸗
den wegen der Ueberzahl der Faͤlle die Geſchwornengerichte nicht mehr halibar
ſein. — Am Schluß, für Sekunden, wird das Kolorit der Rede pathetiſch.
„Wenn meine Gründe nicht die Ihrigen wären,“ ſagt er namentlich zu den
altlaͤndiſchen Männern, „würde ich mir heute die ſchoͤne Gabe wuͤnſchen, Alles,
was von Befühlen der Theilnahmt, der Zuneigung, der Liebe für die Rhein-
länder in Ihrem Herzen ſchlummert, mit flammenden Worten zur hellen Gluth
anzufachen Ich bin nur eine ſchwache Stimme, gelähmt durch die Abweſen-


 
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