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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 209 - No. 234 (1. September - 30. September)
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halbjährlich









*O” Die Intervention in Italien.

Der Sturz von Ludwig Philipp's Thron, die Erhebung der arbeitenden
Klaſſen in Frankreich ſchienen das Zeichen zu einer allgemeinen Republikaniſi-
zung @ur‚apa’ß’gu ſein. Wer meinte damals nicht, daß das demokratiſche
Foͤlen die dreifachen Ketten des Zaaren, des Kaiſers und des Königs brechen;
wer zweifelte, daß das hungernde Irland ſeine reichen engliſchen Herren zuͤ
Boden ſchlagen; wer glaubte nicht vorauszuſehen, daß Ftalien mit der Herr-
ſchaft des Jeſuſtismus den eifernen Druck des metternich'ſchen Oeſterreich ab-
ſchütteln werde? Alle Welt war Überzeugt, daß die ſoziale Neyolution Pro-
paganda machen werde; Propaganda mit dem zündendenden Gedanken, Propa-
ganda mit dem entſcheidenden Schwert. *

Es iſt anders gefommen. — In der proviſoriſchen Regierung der neuen
Republik waren gleich von Anfang an zwei feindliche Parteien, die- nur durch
den Drang der Umſtände zuſammengeführt werden konnten:, die politiſch⸗repu-
blikaniſche Partei, welche in Nordamerika das Mufterbild eines Staates ſieht,
und die ſoztal⸗demokratiſche, welcher die Zukunft gehört. Marraſt war der
Vertreter der erſten; Louis Blane der der anderen Partei, In Lamartine hatte
die politiſch republikaniſche Seite ihren Diplomaten; die ſozialdemokratiſchée in
Ledrü-Rollin ihre energiſche Kraft. Die beiden Gegenſätze lagen immer mit ei-
nander im Kampf: Wie konnten Marraſt und Blanc zuſammenwirken, die
ſich ſchon unter der Herrſchaft des Geldkönigthums Feind waren? Wie wollte
die loyale, gemäßigte, friedliebende Republit der bevorrechteten Klaſſen gemein-
ſchaftliche Sache machen mit der revolutionären, yropagandittiſchen, rothen Re-
publif des Proletariats? — Nein, das war unmöglich! Die eine muͤßte die
andere überwinden oder überliſten. Aller Fluch, der heute auf Frankreichs Po-
litik laſtet, iſt daher nur von Einer Partei zu tragen: von der ſiegenden
des Lamartine.

Lamartine iſt der Diplomat der Februarrevolution; ein um ſo gefährliche-

rer Diplomat, als er unter poetiſchen Roſen den an allen Völkern geübten
Verrath barg. Man ſollte faſt glauben, er habe ſich nur deßwegen ſo ſſchnell
für die Revolution erklärt, um ſich ihrer bemeiſtern zu können. Sein Mani-
feſt iſt noch in gutem Andenken. Es war, wie wir Alle wiſſen, ein Rettungs-
anker der ſterbenden ausländiſchen Monarchie, ein trüglicher Hoffnungsſchim-
mer für leichtgläubige Republikaner, ein Gegenſtand der Veraͤchtuͤng für alle
wahrhaft revolutionären Demokraten. Mit dieſem Manifeſt hat Lamarüne die
Völker betrogen, die Fürſten gerettet, und ſich einen vollgültigen Auſpruch auf
den gründlichſten Haß aller Umſturzmänner erworben.

Welches iſt nun aber der innerſte Grund, warum dieſe Partei Lamartine,
unter der wir eigentlich keine Demokraten, ſondern nut Feinde der Monar-
chie finden, den Krieg nicht wollte? In den Zeiten der erſten Revo-
lution riefen doch auch die Girondiſten nach Krieg, Krleg, Krieg; und Lamar-
tine iſt ein Girondiſt! — Die politiſchen Verhältniſſe haben eben gewechſelt!
Nobespierre eiferte in jenen Zeiten gegen den Krieg, weil er von ihm keine
Ausbreitung republikaniſcher Grundſätze im Ausland, wohl aber den Kuin des
Freiſtaates im Innern durch Auferziehung von Militärdespoten fürchtete. Da-
mals war das Ausland noch tiefmonarchiſch... und Frankreich mußte durch
den Schrecken aus Verelendung und Vexwahrloſung zur Freiheit auferzogen
werden. . ... Niemand war mehr zu fürchten, als ſoldatiſche Tirannen. —
Jetzt liegt die Sache anders. Die gedrückten Völker des Auslandes ſehnen ſich
nach der Hülfe Frankreichs; eine Intervention hätte die Republikaniſirung des
gebildeten Europa zur Folge. Das gerade fürchtet aber die Partei Lamartine.
Sie weiß zu gut, daß der Sieg der Demokraͤtie in Italien, in Polen, in
Deutſchland, in Irland wieder auf Frankreich ſelbſt zurückwirkt; ſie weiß,

daß der Sieg der Demokratie
im Ausland den Sieg der ſo-
zialiſtiſchen Partei in Frank-
reich nach ſich zieht.

Das iſt ihr innerſter Grund, warum ſie keine Intervention will. Kriegs-
ſcheu aus Menſchenliebe iſt ſie wahrhaftig nicht; ſo wenig als die Gironde


rer Politik. Sehen wir umgekehrt nach den innerſten Gründen, warum
Ledrü-Rollin's Partei die Intervention will. Sie beſtehen darin,
daß die ſoziale Partei nur durch
Demokratiſirung des Aus-
landes die Möglichkeit erhält,
ihre ökonomiſchen Reformen
in großem Umfang zu beginnen.


ſein. Ohne ein demokratiſches Ausland würde das ſoziale Frankreich am Ge-
neralbankrott untergehen. Darin liegt der Grund, waͤrum die Einen ſo ſehr
den Krieg verabſcheuen, und die Andern ſo laut nach „Intervention“ aufen.
In Italien ſelbſt iſt eine große Partei, welche eine Intervention des Fe-
kruar rankreich mit ſtolzen Woͤrten von ſich wies. Sie führte immer den
Fühnen Spruch im Mund: „Italia fara da se!“ Es verſteckte ſich aber hinter
dem „nationalen Stolz“ die Furcht vor den Einflüſſen eines intervenirenden
republikaniſchen Volkes — denn die Konſtitutionellen waren es, welche
riefen: „lialia fara da se.v Bethörte Maſſen ſchrien es ihnen bewußtlos nach;
ſie, die Tiefgeknechteten, fühlten in dem kühnen Wort eine gewiſſe Hebung ihres
Selbſtbewußiſeins. Aber die ſchlauen Leiter der politiſchen Dinge wollten mit


lich machen. Der wohlhabende Mittelftand, die Gelehrten, die lomhaxxiſchen
Nobili ſind wahrhaftig keine Verehrer des Februar. — So wirkten italienifche
Und franzöfifhe Volksverräther zuſammen, Von Tag zu Tag werden mehr
Enthuͤllungen gemacht, welche zeigen, daß ſie nicht Verräther aus Schwäche,
ſondern aug Abſicht waren; von Carl Albert an bis zu Lamartine.











ſchlag.





Man könnte denken, Cavaignac, dex Iunifieger, werde vom Ehrgch
doch zur Intervention getrieben. Abex nein! der Mann der Kartätfchen und
Transportirungen predigt den — Frieden. Es lauts wie wenn der Wolf
den Genuß der Pflanzen anräth. Eine der Cavaignacſchen Kreaturen ſtellt ſich
lammfromm auf die Tribüne und will Frankreichs Ehre wahren, ohne das
Land in neue Leiden zu ſtürzen; eine geachtete Politik befolgen, ohne den Frie-
den preiszugeben; die Unabhängigkeit Jialicus verlangen, ohne den dentſchen
Fuͤrſten feindſelig entgegenzütrelen.“ Die Organe Lavaignacs in der Preffe
erklären ſüßlich, daß „die Hoffnung zur friedlichen Vermittlung noch nicht auf-
gegeben ſei;“ während unterdeſſen Karl Alpext Verrath übt, Mailand fällt, die
Schweiz ſich mit italieniſchen Flüchtlingen füllt und — Razesty ſchen ge-
gen das aufrühreriſche Wien hin droht. Das Alles iſt aber dem
Er will ſeine Dictatur, behalten: dert liegt
der Angelpunkt ſeinef Politif, Hie und da vorfommende kriegeriſche Aeuße-
rungen ſind nur wohlfeile Drohungen gegen Ocſterreich. 2

Vürde Cayaignac interveniren, ſo müßte er die Dietatur
im Innern abgeben. Und ſchickte er Eiyen ſeinex Generale
nach Italien, ſo verlöre er die Popularität beim Heer.

Italia. farà da se. — —

70. Sitzung der konſt. Nationalverfammilung.
Freitag, den 1. September 1848.

Nachdem in Anweſenheit ſämmtlicher Miniſter, mit Ausnahme ihres Prä-
ſidenten, das Protokoll von geſtern auf Vorleſen ohne Reklamation gehehmigt
worden, und Präſident einige Verkündigungen mitgetheilt, gibt der Reichsmini-
ſter des Auswärtigen, Heckſcher, nochmals die Verſicherung, daß der genauere
Bericht über den Waffenſtillſtand nicht eingegangen ſei. Weiter zeigt er an,
daß der Braunſchweigiſche Bevollmächtige bei der Centralgewalt, Liebig, als
Geſandter nach dem Haag, General v. Drachenfels als ſolcher nach Brüffel
abgereist ſei; der Geſandke der Vereinigten Staaten zu Berlin briefllich ange-
zeigt habe, daß er bevollmächtigt worden, mit der Centralgewalt in diplomaͤti-
Ihen Verkehr zu treten. Auf die Intexpellation wegen der in der Limburger
Angelegenheit gethanen Schritte erklärt verfelbe, nach einer unendiich Langen
geſchichtlichen Einleitung und einer weitlaͤuftigen Wiederholung des im Bericht
des internationalen Ausſchuſſes über dieſe Angelegenheit Geſagten, daß er den
Geſandten nach dem Haag beauftragt, der niederländiſchen Regierung ofſizielle
Mittheilung von den Beſchlüſſen der Nationalverſanimlung zu machen ihre
Antwort entgegenzunehmen und Vorſchläge zu machen, was weiter zu thun ſei.
Verſichert, daß die Centralgewalt Alles thun werde u. f. w. cein einzelnes
Bravo, Lachen.) ; ' ;

In Betreff der eingelaufenen Petitionen und Beſchwerden über dies Ver-
fahren der holländiſchen Regierung und der holländiſchen Truppen in Limburg
erklärt der Reichsminiſtex weiter, daß er verſchiedene Unterredungen mit dem
holländiſchen Geſandten bei der Centralgewalt und den limburgiſchen Abgeorde
neten gehabt, auch von erſterem einige Aktenſtücke mitgetheilt erhalten habe,
Daraus gehe hervor, daß weder die Jolländiſche Regierung beabſicktige! Die
deutſche Bewegung in Limburg mit Waffengewalt zu unterdruͤcken, noch daß die
deutſchen Fahnen beſchimpft worden wären. Eine einzige Fahne wäre wegen
der darauf befindlichen Inſchrift: „Keine Abgaben mehr“ auf Befehl der die-
gierung von den Einwohnern abgenommen worden. Nichtsdeſtoweniger habe
er den Geſandten beauftragt, uber die Beſchwerden genaue Nachforſchungen
anzuſtellen, und wenn ſie ſich, der Verſicherungen des holländiſchen SGefandten
unerachtet, als wahr hexausſtellen ſollten, Genugthuung für Deutfhland zu
3 Verſichert endlich, daß die Centralgewalt Alles zu thun entſchloſſen
fei n f . —

Wernher (von Nierſtein) beantragt: der Reichsminiſter ſolle die erwähnten
Aktenſtücke auf der Tafel des Hauſes zur Einſicht der Abgeordneten niederlegen
und die Nationalverſammlung ſolle ausſprechen! das Miniſterium habe in die-
ſer Sache nicht den Grad von Befliſſenheit bewieſen, den es hätte beweifen fol-
len. — Die ziemlich lange Motivirung dieſer Anträge wird von der Verſamm-
lung und dem Präſidenten ſchweigend geſtattet. Die Abſtimmung über die Frage
ob dieſe Anträge für dringlich zu erachten, bleibt zweifelhaft; die Stimmen
werden gezählt: 230 erklären ſich gegen, 160 für die Dringlichkeit

Eiſenmann beklagt dies. (Unterbrechung⸗ zur Sache! Präſident ſchreitet
ein) Wernhers Antrag ſehe beinahe einem Mißlrauensvotum gegen den Herrn
Miniſter ähnlich Jal jal) und das könne man nicht in einer Sache abgeben,
die noch nicht reif ſei. — Vertheidigt das Miniſterium weitläuftig, Praͤſident
verliest einen Antrag Zimmermanns aug Stuttgart, die Berathung auf Mon-
tag oder Dienſtag zu verſchieben.

. BVBogt: Ihm fet die Begründung ſeines Antrags vor einigen Tagen nicht
geſtattet, Wernher ſei ſie geſtaͤttet worden; das ſei eine Ungleichheit.

Präſident: Er habe dies zwar gelhan, ſich aber Ileich verbeffert und
Vogt damals das Wort angeboten, ein ſolcher Antrag müſſe motivirt werden.

Vogt nimmt dieſe Erklärung an, und fährt fort: er und ſeine Parteige-
noſſen ſeien entſchloſſen geweſen das Reichsminiſterium zu unterſtützen, wenn
es kräftig und entſchieden die Centralgewalt aufkecht erhalten werde, Er be-
dauere, daß dies nicht der Fall ſei, daß das Minſſterium in allen Angelegen-
heiten ſich mit einer unerwarteten Lauheil und Unentfchloſſenheit benommen habe.
— Das ſei auch hier der Fall. Truppen und fliegende Colonnen feien nach
Limburg geſchickt woͤrden, Ruheſtörungen von Seiten des Volks nirgends vor-
gekommen, auch bekannt geworden, daß die Truppen Befehl hatten, ſich zurück-
zuziehen! wenn deutſche Bundestruppen einrücken ſollten. Das Miniftertum
habe nichts gethan, als die Zeit dadurch verloren, daß es nach einem Geſand-
ten geſucht habe. Das iſt nicht die Art, wie man für ein einiges kräftiges




 
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