Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI chapter:
No. 187 - No. 208 (6. August - 31. August)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0849

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext






y



Freitag den





No. 203.











Schule und Staat.

Der Polizeiſtaat vernichtet die menſchliche Geſellſchaft zu Gunſten Ein-

zelner opfert die Menſchheitszwecke des Staates dem Einzel-Intereſſe bevor-
1LE / z

; Klaſſen. 72—
* —— — dildet das entgegengeſetzte Extrem; er vernichtet

das Individuelle, im Wahne, daͤdurch die Geſellſchaft zu retten, die Gattunge-
* des Menſchen zu verfolgen, Dex Communismus zieht ſeine Linie und
{eblägt Allem auf's Haupt; was Koer dieſe pinausſtrebt, — gleichxiel, ob die-
jeg Hinausſtreben frevelhafte, egoiftifche Erhbebung ober inncrer Drang einer
Leinmenſchlich ſich entfaltenden Lerſönlihleit iſt. Eine, das höhere Licht ſu-
hende Blüthe iſt vom Communiſten alg Opfer 4** Gleichheitswahnes ebenſo
der Vernichtung geweiht, als eine über feine Pflanzung frech emporſchießende
Schmarotzerpftanze. Indem e ihn drängt, die Schmarotzerpflanzen wegzutil-
gen, welche den Lebensſaft der untern Schichten verzehren, Lernichtet er über-
zaupt alles Hervorragende im Leben, und verwandelt ſo die Geſellſchaft n
eine traurige Einheitswüſte. — Gleich ſehr entfernt von Polizeiftaat und Com-
munigsmus iſt de Ioee des Voltsſtaates. In ihm iſt die Geſellſchaft der
MAusdruck des Reinmenſchlichen in allen ihren Schichten; ſeine Aufgahe iſt es,
die möglichſt weite Freihtit der Entwicklung aller einzelnen Perſönlich-
feiten in lebensvoller Weiſe mit der unbeſchränkteſten Wohlfahrt des Gauzen,
des Allgemeinen, zu vereinigen. —

Die Schule des Polizeiſtaates muß den jungen Menſchen polizei-
gerecht machen, nämlich {n die einzelnen Verſönlichkeiten ihm Zweckdienliches
Fineinkünſteln, ihm Mißliebiges aber in ihnen abtödten. In ihr wird
der Grund gelegt zu der unglückſelichſten Spaltung im Volk, ſie iſt die Pflanz-
ſtätte des / Poͤbels! und der bevorzugten Klaſſen.

Der Polizeiſtaat wird nie eine wahre Volksſchule in ſeinem Mechanis-
mus dulden.

Nie wird ſich der Bourgeois zu den Grundſätzen bekennen:

Es iſt ein Widerſpruch an ſich, der eine Unmaſſe ſocialer Uebel erzeugt,
wenn man Güter, die ihrer Natur nach allgemein menſchliche ſind, von zufaͤl
ligen Gütern abhängig macht. — Bildung iſt ein Gut, das Allen odne Un-
terſchied zugänglich gemacht ſein muß. Nicht Mangel oder Ueberfluß an zufäl-




einnimmt, —
Platz anweifen.

Die Eivkommenſteuer hewirkt, daß die zur Deckung der Staatsbedürfniſſe
nöthigen Gelzer vach dem Geſetz der Billigkeit in die allgemeine Kaſſe fließen.
Werden bei Verwendung der allgemeinen Viittel zur Jugendbildung nicht alle
Schichten der Geſelſchafl in gleicher Weife bedacht, d. h. fließen die Mittel der
Staatsfaffe den einzelnen Sphären der Geſellſchaft nicht auch nach dem Geſetze
der Gleichberechtigung Aller zu, ſo iſt die Exzeugung von Pöbel nach wie voͤr
im Gange, ſo ſteht nach wie xor eine gebrückte, eine enterbte Klaſſe einer
bevorzuglen Kaſte gegenüber. Der Bourgeoisſtaat hat nuͤr Ariſtokratenſchulen;
die Stätten der wiſſenſchaftlichen, Ausbildung werden in ihm immer vom —
ſack abhängig ſein, er müßte ſich denn ſelbſt vernichten: —- ſtreng durchge-
führte Klaſſenſpaltung iſt ia die Grundbedingung ſeiner Exiſtenz. — Eine, Hr


ganz außerordentlich herabgeſtimmt werden, wenn ſie bedenkt, daß nur Schüler-
die eine beſtimmte Abgabe zu entrichten vermögen, ihrem bildenden Einfluß zu-
änglich ſind.
8 * eine ſo unendliche Kluft beſteht zwiſchen der Anſchauungsweiſe
Einzelner, daß der Eine (feingebildeter Mann z. B.) ſich kaum in das Bewußt-
ſein des Andern (Proletarier etwa) hineinzufinden weiß, ſo lange iſt ein eigent-
liches VBolfsleben rein undenkbar. — Die Alten ſetzten den Pöbel außerhalb
des Staatslebeus in unfreier Weiſe, in Form des Sklaventhums; — die
Aufgabe der neuen Zeit iſt es, den Pöbel in freier ſittlicher Weiſe, durch Bil-
dunß zu vernichten. — Der bisher an den untern Schichten mittelſt der Geld-
waffe vollzogene Geiſtesmord muß aufhören. —
Alllein dieſen geſchilderten Mißſtänden wird die Krone dadurch aufgeſetzt,
daß die Ariſtokratenſchulen, welche Perſönlichkeiten heranziehen, die ſich größ-
tentheils an dem, das Volk bedrückenden und ausſaugenden Polizeiſtaat bethei-
ligen müſſen, — daß dieſe Schulen auf allgemeine, d. b. Bolkskoſten er
haͤlten werden, während jede Gemeinde ihre kümmerliche Volksſchule ſpeziell be-
zahlen muß. — — : ; ; ;

In den ſog. Volksſchulen vermiſſen wir alle die Künſte und Wiſſenſchaften,
die geeignet waͤren, das Leben des Gewerbsmannes, des Landwirthes 26. zu




Gl. Sitzung der konſt. Kationalverſammlung.
Dienſtag, den 22. Auguſt 1848.

Nach Berleſung des Protokolls von geſtern und einigen Verkündigungen
motivirt Eifenmann in Gegenwart der Neihsminifter v, Schmerling, v. Bedes
rath und Mehl feine geſtern angekündigte Interpellation. *

Reichsminiſter v. Schmerling verweiſt in Beziehung auf einen Theil der-
ſelben auf die nächſten Freitag zu erwaͤrtende AÄntwort des Kriegsminiſters, und
erklärt, daß er auf die Frage, ob das Miniſterium eine allgemeine deutſche
Politik konſequent durchführen werde, mit einem Tauten Ja autworte, was
dann die Centren zu lautem Beifall veranlaßt.

Man geht zur Tagesordnung über. 2

v. Beisler hibt viel Kirchengeſchichte zum Beſten, pricht von der Zeit,
wo „unſere Voreltern“ Gallien eroͤberten, will nicht, Laß das Chriſtenthum wie
eine Caſinogeſellſchaft ohne alle Verbindung mit dem Staate beſtehe und Ddal.
und dann kommt er auf den neueſten italteniſchen Krieg, wo man das Sfanz
dal geſehen habe, daß päpſtliche Truppen mit dem Kreuz geſchmückt Krieg ge-
gen einen chriſtlichen Staat geführt häiten, einen Staat, der eine Hauptſtuͤtze
des päpſtlichen Stuhles geweſen. Freilich ſage man, der Papſt habe ſich lange
geſträubt, Ja er habe ſich geſträubt wie eine Braut. (Zuruft: Wie Lola! Al-
gemeines Gelächter.) Er verlangt eine Reformation der Kirchenverfaſſung auf
Grund des dewokraͤtiſchen Princips, öcumeniſche Coneilien und Reichsſynoden,
dann würde Kirche und Stagt Hand in Hand gehen! (Bravo,) Zuletzt komnt


„ſind durch eine Reichsſynode zu ordnen“, was er dahin erläutert, daß in die-


es ſich von innern Angelegenheiten handelt, nach Confeſſtonen abtheilen ſoll.

Zittel ſpricht den Wunſch aus, daß die verſchiedenen Anträge über Tren-
nung der Kirche vom Staate durch Uebereinkommen der Verfaffer in einen eins,
zigen vereinigt würden; empfiehlt den Entwurf der Minorität und vertheidigt
die Anträge gegen die dawider gemachten Einwürfe.

Vogt bekenut, daß er in dieſer Frage über allen Parteien ſtehe, auf ei-
nem neutralen Standpunkte, ſo neutral, daß es faſt gar kein Standpunkt mebr
ſei. Geiterkeit) Staat und Kirche hätten ſich geliebt, wie ein Haiſiſch den Hä-
ring, oder der Fuchs das Huhn (Gelächterj, darum könute man ſie ohne Ge-
fahr trennen,. Er ſei für die Trennung der Kirche vom Staat, allein nur un-
ter der Bedingung, daß das, was man Kirche neunt, ganz vernichtet (Bravo),
ganz von der Erde vertilgt und nach dem Himmel verwieſen werde, (Vauter.
Beifall) Jedekirche ſei ein Hemmniß für die Entwickelung des Menſchen-
geiſtes (Bravo und darum wolle er keine Kirche. (Beifall.) Die Sittlichkeit
der Kirche iſt eine falſche, ſie gehe aus Furcht vor der Strafe, nicht aus dem





Genuß zu verknüpfen. Dagegen finden wir Alles,
dummend und verknechtend wirken muß, in dem hölliſchen Schulplane, entwor-
fen von jener ſchwarzen Macht, die Jeden in den Himmel erhebt, der ſich un-
vedingt ihrem Willen fügt, für denjenigen aber auch eine Hölle in Bereitſchaft
hat, der Miene macht, ſich feiner Menſchenrechte zu wehren. —
Die Heroen des engherzigſten Egoismus aug dem Judenvolke führt man
unferer Jugend als Muſtermenſchen vor. - ;
Den großen Freiheitshelden Chriſtus aber hat man aus der Menſchheit
verwiefen und ihn zur Rechten Gottes feſtgefetzt.
Lehrer des Volkes! ſtellt auch Ihr euch auf den Standpunkt der Revolu-
tion. Erklaͤret alle Contracte mit dem Polizeiſtaat für Null und nichtig, und
erzieht die Euch anvertraute Jugend gewiſſenhaft für die neue Zeit!“
Noch klaſen die Bourgeois aus vollen Baͤcken, um ihre purpuͤrſchillernde



heit erziehen. Auf die geſtrige Bemerkung über Excommunication bemerkt er,
daß derjenige, der ſich darüber äxgere, daß ein Pfarrer geſtreifte Hoſen trage,
nicht weit davon entfernt ſei, Rückkehr des Bannſtrahls zu wünſchen. (Lauter
Beifall.) Er freue ſich, ein neues Mitglied der demokratiſchen Partei in dem
Rednex gefunden zu haben, der eine Reform der Kirchenverfaſſung im demo-
kratiſchen Sinne verlangt habe und wünſche ihm raſche und große Fortſchritte
im Prinzip der Demokratie. Eine rein demokratiſche Kirche aber höre auf eine
Kirche zu ſein. Auch die konſtitutionelle Monarchie habe man in die Kirche
einführen wollen, einen Papſt an der Spitze, ein Oberhaus von Biſchöfen,
ein Unterhaus von Pfarrern, das ſet aber doch unausführbar! Weiter
weist der Redner unter wiederholtem Beifall därauf hin, wie Jeſuiten und
Proteſtanten Freiheit threr Kirche verlangten, um damit andere zu thranniſiren.
Gegen dieſe Freiheit werde er ſich ſtets erklären. Der Kampf mit den Fana-
tifern der Kirche'ſtehe nahe bevor, ihre beſte Waffe ſei die Verdummung des
Volts, freilich „mit der Dummheit kämpfe Gott ſelbſt vergebens (Beie
fall, Ziſchen), aber dennoch werde eine kräftige Partei ihnen mit dem Schwerte
der Aahrheit entgegentreten. (Beifall,‚) Darum verlangt er volle, unbedingte
Freiheit, vollſtändige Demokratie, dann brauche man die Wühlereien, die Auf-
ſtachelungen im Nainen Sottes und vder Religion nicht za fürchten (Bravo),
aber gebe man jene nicht vollſtändig, ſo bleibe nichts übrig, als die Rückkehr
zum olizeiſtagt Auch der Unglaube müſſe eben fo frei und eben ſo anerfannt -
wWerden, wie der Glaube, eber fkomme man nicht zur Freiheit. Dian muß
Aitheift, vollſtändiger Atheiſt fein fönnen, das iſt wahre Freiheit. (Anhalten-
der Beifall,) Wenn er auch für die Gegenwart für fidy und feine Verfon
wenig Ausliht habe, ſo rechne er auf die Zukunftz i Laffe Jhnen (zur Nech-
ten) den Ruhm, Partei der Vergangenheit zu ſein. Ihnen Guw den: Centren) ,
Partei der Gegenwart, aus der man die Minilfter wählt (Gelächter, raufchen-
der Beifall), wir rechnen auf die Zufunft und freben nach einem Punkt, wo






nicht vorher ein Sturm in die Ferne jagt. F. M,


auf vollſtändige Freiheit der heranwachſenden!
Man wolle volle Freiheit der Kirche, um die Schule zu
(DBeifall,) Aber dem werden wir einen Damm vorfeßen (Beifall),
und wenn wir die hexanwachſende Jugend für uns baben, ſo mögen ſie kom-
men, wir werden doch erreichen, was wir wollen, daͤs Licht der. Wiffenfchaft
wird ſtrahlen über Alles, was wir pflanzten, über das von uns aufgefteckte
Panier der Freiheit! (Anhaltender rauſchender Betfall.)
Jürgens hält darauf als Theolog und Kirchenhiſtoriker einen langen trocke-
nen Vortrag, mit dem wir unſere Leſer verſchonen. *
Döllingex kritiſirt die vorigen Hednex in einem langen, unendlich langen
Vortrage, nicht ohne ſich in einige Widerſprüche zu verwickeln.
Reichsminiſter v. Beckerath verſucht, über Vogt zu ſpotten, weil ihm von

Jugend (Bravo).

) Neue Neligio nogeſetlfchaften dürfen ſich bilden; einer Anerkennung thres Bekenntntſ-
ſes durch den Staat bedarf es nicht.




 
Annotationen