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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 155 - No. 181 (1. Juli - 30. Juli)
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— ——















.S. Von der Donau. Nach der Schaffung der Central-Gewalt, un-
verantthortlich und nicht genöthigt, die Beſchlüſſe der National⸗Verſammlung


jetzigen Bevölkerung der für die Zukunft des Vaterlandes gefahrbringendſte
Verfuch der Reaktibns-Männer Radowitz, Lichnowsky, Auerswald, Welcker,
Baſſermann, Mathy und Sefellen, .

Während wohl nicht ein Verein ſich gebildet, welcher politiſchen Farbe er
auch angehören möge, der nicht pon vornen hexein wenigſtens die Verminde-
rung des ſtehenden Heeres und die Errichtung einer Volkswehr als einen Theil
ſeiner Wünſche aufgeſtellt, wagt es die Vational-Berſammlung, dem gerade zu
Hohn zu ſprechen und dazu in einer Zeit, wo die Erleichterung der Laſten
dem Volke eine Lebensfrage geworden iſt.

Es iſt aber nicht genug, wenn die Linke in Frankfurt blos die Gefahr
für die Freiheit und die Unerträglichkeit der Laſt darzulegen ſucht, ſondern es
muß das ganze abgelebte Inſtitut des ſtehenden Heeres beleuchtet werden, da-
mit auch Jene im Volke zuſtimmen, die durch die Möglichkeit eines Krieges
erſchreckt in Gottes Namen die Laſt forttragen zu müſſen glauben.

Der rein militäriſche Werth der ſtehenden Heere, einen eiſernen Kern zu
bilden, folgend dem Willen des Feldherrn ſelbſt in der höchſten Gefahr und
bei faſt völliger Erſchöpfung, mußte bisher anerkannt werden; allein es wer-
den die Fragen entſtehen, ob die Jetzigen dieſen Anforderungen überhaupt noch
entſprechen und nicht vielmehr auf einer der Zeit widerſtreitenden Grundlage?
beruhen, alſo unzuverläſſiig geworden ſind, und ob ein Volksheer, auf anderer
Grundlage und mit anderen Mittel gebildet, nicht einen eben ſo feſten Guß
abgebe, ohne zugleich eine Kaſte zu ſein?

Die erſte Frage aulangend, muß ſeloſt der entſchiedenſte Anhänger des
alten Inſtituts eingeſtehen, daß ſelbes blos noch eine Ruine iſt, gleich ſeiner
Mutter, der Monarchie; denn wer ohne Parteiſucht den Vorfällen in den Ar-
meen aller deutſchen Staaten aufmerkſam gefolgt iſt, hat ſich von einer Er-
ſcheinung überzeugen müſſen, die dem Begriffe eines ſtehenden Heeres ſchnur-
ſtracks entgegen ſteht. Allerorts Inſubordination, Entfeſſelung der Mannszucht,
Verfolgung und Inſultirung der nicht Vertrauen genießenden Offiziere, allge-
meines Verlangen nach anderer beſſerer Behandlung und Einrichtung 2c. — Heere,
in welchen diefer Geiſt einmal Eingayg gefunden, und er mußte es bei fort-
gehender Aufklärung in den untern Klaſſen, aljo auch in dex des militäriſchen
Proletariers, werden gerade im entſcheidenden Angenblicke ſich der Hand der
Führer entwinden. Ueberdies wurde durch Schwäche und Unbrauchbarkeit der
Offiziere einerſeits, ſo wie anderſeits durch Verſuche derſelben die Soldaten zur
Reattion zu mißbrauchen, dieſem Geiſte nur eine weitere Nahrung verſchafft.

Die Baſis des ſtehenden Heeres beruht auf blindem Gehoͤrſam für die
Beſehle der Zufalls-Offtziere (Anciennetät). Wer ſollte mit dieſer Grundlage
heute noch ausreichen wollen?

Die neue Baſis wird in dem unbedingten Vertrauen zu den ſelbſt gewähl-
ten Offizieren zu ſuchen ſein.

Gebe ſich doch Niemand der trügeriſchen Hoffnung hin, als würden un-
fere Heere vor dem Feinde wieder zuſammen geleimt werden können, als wür-


wird jeder Fehler des Führers von den Soldaten blutig beſtraft werden, und
werden ganze Heertheile den Gehorſam aus Mißtrauen auftünden.

In dieſer Gefahr werdet ihr dann wohl dem Soldaten Gerechtigkeit wi-
derfahren laſſen, und ſeinem Wunſche nach Vextrauens-Führern nachgeben; al-


Wenn die Demoͤkraten in politiſchen Dingen nach Frankreich hinüberweiſen,
widerlegt man ſie durch andere MNationen. So macht die konſtitutionelle
Monarchie und ihre Folgen unter Louis-Philippe keinen Eindruck auf die Geg-
ner der Demokraten, und ſo wird die fraͤnzöſiſche Republik, trotz Groͤße des
Landes und der Bevölkerung doch lebensfähig, von dieſen Gegnern für einen
Beweis der Möglichkeit eines deutſchen Freiſtaates als gültig nicht angenom-
men; aber bei der Frage über ſtehendes Heex maß die franzöſiſche Republik
auf einmal maßgebend ſein. Deßhalb möchte eine Parallele zwiſchen beiden
Heeren zu ziehen hicht unzweckmäßig erſcheinen.

Es iſt richtig, die Franzoſen lieben ihre Axmee, ſie nennen die Glieder
derſelben „nos soldats‘. Allein man vergeſſe nicht, daß dieſe Armee, in allen
großen Umwälzungen ſtets treu zum Volke geſtanden, ja daß ſie ſeit 89 die
Revolution manchmal gerettet. Selbſt in dex Militärperiode Napoleon's ging
das Heer mit dem Großtheil der Nation Hand in Hand. Die franzoͤſiſche
Armee hat eine Geſchichte und zwar die des Volkes. Dazu kommt der Götze
des Kriegsruhm's, dem der Franzoſe unmäßig opfert.

Das franzöſiſche Heer wurde auch überdies in dex erſten Revolution total
geändert, beſonders durch die Wegſchickung und die Flucht der ariſtokratiſchen
Offiziere, und durch die Freigebung der höchſten Stellen im Heere für Jeden.
Damit trug ſich die Bafis vom blinden Gehorſam gegen die Anctennetäts-
Offtziere über auf diejenige des freudigen Gehorſams gegen die Vertrauens,


durch das allgemein ausgeſprochene Vertrauen emporgekommen. Man frage
die Mehrzahl der Staabsoffistere dort nach ihrem Urfprunge und ihrer Car-
riere, und man wird obige Worte nicht Lügen ſtrafen können. Durch den
Krieg in Algier hielt dieſes Syſtem an; und trotz des verraͤtheriſchen antinationa-
len Syſtems des letzten Königs konnte derſelbe in ſo kurzer Zeit und gerade
wegen des afrikaniſchen Krieges doch das Heer nur wenig mit ſeinen Offi-
zieren verunreinigen.





Ganz anders iſt es bei uns! Die Armee hat wenig oder keine Geſchichte
alg deutſches Heer. Die preußiſche Armee hat die ihrige bei Jena verloren,
und iſt erſt wieder anno 13 und zwar durch die Landwehren zu Ehren ge-
kommen. Die öſterreichiſche letzte Kriegsgeſchichte wollen wir mit Stillſchwei-
gen übergehen, wenn wir ſchon dem Soldaten nicht, ſondern nur dem elenden
Syſteme die Schuld der vielen Niederlagen beimeſſen wollen. Die übrigen
deutſchen Staaten haben theilweiſe blos eine franzöſiſche Kriegsgeſchichte.
Mit dem Volke aber haben ſie faſt nie eine Sache verfochten, ſondern wo das
Volk Krieg wollte, iſt die Armee heimgezogen, wo erſteres Frieden verlangte,
hat letztere dreingeſchlagen.“

Deßhalb liebt der Deutſche ſein Heer nicht ſehr, und ſteht es als etwas
Anderes, nicht zu ihm, zum Volk Gehöriges an. Darin allein ſchon liegt die
Unhaltbarkeit dieſes Inſtituts.

Wir Militärs ſind in großer Verlegenheit, wenn das Volk nach unſeren
Lorbeeren frägt; nicht alg ob wir nicht auch welche hätten, aber ſie ſind frem-
des Gewächs. Ueberdies machte uns der verdammte Gensdarmeriedienſt feit
33 Jahren gar fremd bei unſern Vätern.

Im deuͤtſchen Heere gilt die Anciennetät ſtrenger denn irgendwo, der Adel
und der Reichthum geht bei der Bewerbung um Offiziers-Stellen über Alles,
der Bürgersſohn gelangt in der Regel nur zu dieſer Höhe, nachdem er erſt in
L2jährigem Kaſernenleben und unbedingter Unterwerfung Allem fremd gewor-
den, was ſonſt den Menſchen in naturgemäßen Zuſtänden kettet. Der Offizier
ſoll bei uns ein weit über dem Soldaten ſtehendes Weſen ſein. Jede, ſelbſt
außerordentliche Berührung, beeinträchtigt des Offiziers Charakter. Unſere Heere
haben keine Umwälzung oder beſſer geſagt Reinigung, wie die nachbarliche be-
ſtanden. Der Stock endlich iſt erſt geſtern und nur theilweiſe in den Hinter-
grund getreten. ' ) . . ‚

Das ſind alles Unterſchiede von hoher Bedeutung zwiſchen beiden angezogenen
Armeen, und daher die Hinweiſung auf die franz. Republik, daß ſie Die ihre
beſtehen ließ, eine ſehr unbegründete, wenn vom Fortbeſtand derſelben in Deutſch-
land die Rede iſt.

Wir kommen nun zur 2. Frage, ob nämlich einzig in den Einrichtungen


ſich der Leitung des Feldherrn nie entziehen, die im mörderiſchen Feuergefecht,
faſt bis zur Schlacke verbrannt, dennoch ein Ganzes bleiben. *

Wir ſehen nicht ab, weshalb der blinde Gehorſam, der menſchlichen Na-
tur ſo ſehr widerſtrebend, ein beſſerer Kitt für den Zuſammenhalt ſein ſollte, alg
jenes unbedingte Vertrauen, welches ein Heer beſeelen wird, das ſich ſeine Füh-
rer ſelbſt gewählt hat, und welches aus einem Werkzeug ein begeiſterter intel-
ligenter Mitkämpfer geworden iſt. Haben die alten Garden Napoleons wohl je
die Phalangen der Griechen und die Legionen der Römer an Lenkſamkeit und
Ausdaaer überboten? Und waren nicht dieſe Letztern Einrichtungen einer Volks⸗Wehr
unter ſelbſt gewählten Führern, gewählt bis hinauf zum Oberfeldherrn, den
Strategen und Konſuln?

Wohl wird ein Volksheer nie auslangen um Kabinets-Kriege zu führen,
aber dies iſt nach unſeren Begriffen ein Vorzug mehr. Alſo auch wir ſind ge-
meint, daß das Volksheer nicht minder als das ſtehende Heer in einen feften
Kern 6 werden müſſe; aber das Fundament des Baus ſoll ein an-
deres ſein.

Um für die Zukunft tüchtige Führer für's Volksheer zu erzielen, werden
wir ſchon auf den Gymnaſien taktiſche und auf den Univerſitaͤten ſtrategiſche
Vorleſungen verlangen ; wir möchten durch gymnaſtiſch-militäriſche Uebuns der
Jugend, und durch Exerzitien aller Art in den Gemeinden den kriegeriſchen
Geiſt geweckt und gepflegt ſehen, um ſo den Grund für ein Heer zu legen,
das jeden Augenblick mobil zu mochen und nach einer kurzen Einübungs-Zeit in
größeren Maſſen nicht blos kriegsgerecht iſt, ſondern auch viel mehr milit. Intelligenz
dergen würde, alg es in unſeren koſtbaren Friedensheeren der Fall iſt. Uebri-
gens betrachte man jeden Kriegs-Anfang mit ſtehenden Heeren, ſo wird auch
krotz dieſen eine geraume Zeit, es werden 3 und oft 6 Monate verſtreichen, bis
die Armee in's Feld rücken kann, während das Volksheer keine Rekruten kennt,
indem die Wehrmänner bis zur Bataillonsſchule eingeübt, bei der Mobilmachung
gleich verwendbar ſind, und ſomit auch dieſe letztere beſchleunigt würde! Aber
nicht nur für die Zukunft ſehen wir ein ſolch befriedigendes und ſo wenig koſt-
ſpieliges Ziel erreicht, ſondern ſelbſt im Falle eines baldigen Krieges, weil wir,
die ſtehende Armee dem Volke zuxückgebend, einen Kern beſitzen, der das neue -
Inſtitut des Volksheeres ſchnell in Flor zu bringen ermöglicht.

Man würde nämlich, ähnlich wie es der Abgeordnetẽ Viſcher in Frankfurt
nach einem Schriftchen von Pz. beantragt hat, die Bataillone des ſtehenden
Heeres ſpalten und z. B. 1 oder zwei Compagnien der alten Truppen jedesmal
alg Stamm eines Landwehrbataillons nehmen, welcher ver Einübung der Wehr-
männer in ſeinem Kreiſe zu Hilfe käme, um alsbald neue Bataillone formirt
zu haben, theils noch mit alten Offizieren, theils mit ſelbſtgewählten der neuen,
Kompagnien. Den Abgang der Offiziere durch Wahlen erſetzend, ginge nach
und nach das Heer vom alten zum neuen Syſteme über, unbeſchadel der Exi-


Zugeich hätte in allen Garniſons-Städten der theoretiſch-mil itäriſche Unter-
richt für Freiwillige zu beginnen, um die künftigen Wehrmänner-Offiziere tech-
niſch auszubilden.

Wer in den ſtehenden Heeren ein wenig herumgewandert, wird nicht fürch-
ten daß/ es dem Volksheere an brauchbaren Führern mangle; denn ein Großtheil
der jetzigen Offiziere weiß außer dem Reglement platterdings nıchts,

Daͤß Offiziere ſehr leicht zu exſetzen find, wenn man das ganze Volk zur
Bewerbung zuläßt, zeigt die franzöſiſche Ievolution von 1789, die ihre ausge-
zeichnetſten Führer gerade aus den unterſten Claſſen erhielt, und zeigt der ge-
wiß kunſtgerecht geführte letzte Krieg gegen Mexico, obſchon die Nordamerifaner
nichts beim Ausbruch des Krieges beſeſſen, als einen Kern von 12,000 Mann

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