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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 209 - No. 234 (1. September - 30. September)
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2 — 8

— st —— 2



*” Die wiener Vereinbarungsminiſter.
Ein „Mißverſtändniß“ der Revolution,

So iſt denn guch das neue Miniſterium Oeſterreichs auf die Bahn einge-
treten, an deren Ende die militärifche Kontrerevolution ſteht! So haben ſich
denn auch die Kreaturen der demokratiſchen Bewegung an die Hofpartei ange-
ſchloſſen! Mit kecken Worten ſprechen ſie dem konſtituirenden Reichstag ſeine
Vollinacht ab, drücken ihn hinunter faſt bis in die ntwürdigende Stellung ei-
nes alten Poſtulatenlandtags,, und ſetzen das volksverrätheriſche Kaiſerhaus
wieder in jene unnahbare Hoheit ein, vox welcher Die „Unterthanen“ gebuͤckt lie-
gen müſſen, um — nicht Rechtel ein, um Wohlthaten zu empfangen.
Sffen wird es von dieſen Miniſtern gusgeſprochen: Die konſtituirende Ver-
ſammlung hat nicht das Recht, eine Staatsverfaſſung zu ſchaffen, zu dekreti-
ren, ſondern nur, eine ſolche zu erbitten, zu Leantragen: zu „vereinbaren“,
wie man höflicher ſagt, um nicht ſogleich alle Volksklaͤſſen gegen ſich heraus-
ufordern.

Alſo Das iſt die Frucht ſo vieler Revolutionen, daß das Volk wie früher
vor einem blödſinnigen Fürſten auf den Knieen liegen ſoll? Darum ſtand
das Volk auf den Barrikaden und vergoß ſein Blut? Darum iſt Wien ſeit
einem halben Jahre in beſtändiger Revolution? Darum gab der Bürger ſein
Vermögen, die Blüthe des Handels und der Gewerbſamkeit, ypreis ? — D
daß die, Steine reden könnten, auf welchen das Volk von Wien mit der Büchfe
in der Hand die Fahne der revolutionären Erhebung aufpflanzte! o daßz ſich
die bluligen Toyten erhüben, welche für die Sache der Freiheit auf's Pflaſter
geſtreckt wurden! -

Alſo dahin iſt es gekommen, daß mit allem Nevolutioniren Nichts erſtrit-
ten wurde, als das Recht der Bitte? Oder hat ein Reichstag, deſſen Be-
ſchlüſſe erſt durch die Genehmigung des Fürſten Geltung erhalten, etwas An-
deres, als das Necht der Bitte? Das RKecht der Bitte: ja, ja, das haͤbt ihr
errungen! es iſt jenes große Grundrecht, welches der Deutfche neben dem Recht.
des Waſſertrinkens ſo lange Zeit in glücklicher Ruhe genoß!

Die Vereinbarung“ — was iſt das für ein höhniſches Wort! Wird
denn der Sieger ſich mit dem Beſiegten vereinbaren? oder wird er ihm nicht
Lielmehr befehlen? Iſt denn nun das Volt von Wien der Sieger oder der
Beſiegte? Wenn es der Sieger iſt, warum ſoll es nicht befehlen? Und if
es der Beſiegte, wie kann es dann vereinbaren? Ja, ſo ſteht es: das öſter-
reichiſche Volk muß ſich für den Sieger oder für den Beſiegten erklären, und
darnac) entweder handeln oder dulden. — Sie ſind entſetzlich frech dieſe
Miniſter, welche behaupten:

Die politiſche Umgeſtaltung Oeſterreichs ſei eine
„Gewährung“, eine freiwillige Gabe des Kaiſers.

Eine freiwillige Gabe! . ... Haben denn dieſe Miniſter nicht ge-
ſehen, wie ganz Wien mit Barrikadeu angefüllt war? hörten ſie nicht die
Sturmglocken heulen? blitzte ihnen nicht das Gewehrfeuer der Empörer in die
blöden Augen? knallte es ihnen nicht um die ſchwerhörigen Ohren? wiffen ſie
Nichts von den Gefallenen, welche im Tod das alte Oeſterreich ſtürzten? ſahen
ſie nicht die wüthenden Maſſen in die Hofburg ſtürmen? iſt ihnen nicht Met-
ternich noch vor Augen, wie er bleich, in eine Ecke gedrückt, ſeinen eigenen
Untergang unterſchreibt? Denken ſte nicht mehr daraͤn, wie die Thüren der
kaiſerlichen Hofburg eingebrochen wurden, wie der Kretin bebend unter ſeinen
Frauen und Beichtvätern ſich duckte, und bei dem wilden donnerähnlichen Brau-
ſen der ſtürmenden Volksmenge, bei dem drohenden Nicken der Baͤjonette angſt-
voll unterſchrieb, was von ihm gefordert wurde?

Und das nennen ſie eine freiwillige Gewährung!

Wiſſen denn die Miniſter Nichts von den Schlag auf Schlag ſich folgen-
den Revolutibnen, von der Herrſchaft des Sicherheitsausſchuſſes? wiffen ſie
Nichts von dem Befehl, kraft deſſen ſich Ferdinandl nach Wien begeben
mußte? Wiſſen ſie nicht, daß er aus Todesfurcht vor der ſiegenden Re-
volution geftohen war? Haben ſie das Wort „Revolution“ ſogar vergeſ-
ſen? Se ſoll es ihnen in die Ohren geſchrieen ſein: Der Kaiſer von
Oeſterreich iſt durch eine Revolution unterjocht worden, er hat als Beſieg-
ter am Boden zu liegen und der Befehle des Volkes in ſtuͤmmer Ergebung
zu warten — weh' ihm, wenn er und die Miniſter, über die Revolution im
Mißverſtändniß“ wären! Die Fürſten haben ſich ſeit dem Februar ſo viele
Mißverſtändniſſe zu Schulden kommen laſſen, daß der nächſte Zuſammenſtoß
eine endlihe Aufflärung mit ſich bringen dürfte, wie ſie in der englichen und
franzöſiſchen Geſchichte ſchon zweimal als Exempel ſtatuirt iſt.

Die Gegenrevolution iſt in vollem Gange. Eine Berufung auf die er-
kämpfte Voltoͤſguveränität beantwortet der Hof mit einem Hinblick auf Win-
diſchgrätz, Jellachich und Radetzky. Das Miniſterium ſpricht dem
Reichstag ſeine geſetzgebende Kraft ab; und in den Lagern der großen Gexrrale
ſingt die Soldateska Hohnlieder auf die Eroberung des Zemokratiſchen Wien.
Bald werden die Gegenſätze wieder ſtehen, wie zur Zeit Metternich's; mit an-
doeren Formen, mit dem alten Sinn. — Das iſt die Folge jener Mäßigung,
welche im Siege den Todfeind ſchont und ſich in großmuͤthiger Verblendunz
die Natter am Buſen auferzieht. Das iſt die Frucht jener „liberalen! Sefinz
nung, welche den Hegner reizt und für den Auͤgenblick überwindet, aber nicht
die eiſexne, kalte Feſtigkeit hat, ihn auch für immer unſchädlich zu machen Er-
kennt ihr jetzt die Heuchelei jener Konſervativen, welche in diefem Frühjahr ſo
plöglidy über Nacht Demokraten wurden, um ſich der Revolution zu bemeiſtern?
Erinnert ihr euch, wie ſie in jeder Volksverſanimlung predigten, man brauche
den Furſten nicht mehr den Todesſtoß zu geben, denn ſie haͤtten ja keine Haͤcht
mehrl? D, jene Heuchler haben zur Zeit des Vorparlamentes das Volk recht
betrogen und verrathen! Aber ſo oft wir auch riefen:















lange mehr ausbleibt. Es werden nicht mehr viel Wochen verfließen und das
Jolt erkennt, daß djefer Kampf, den es jetzt kämpft, mit der vollkommenen
Niederlage oder mit dem vollkommenen Siege der Freißeit enden muß; mit der
metternichiſchen Unterdrückung der Demokraͤlie, oder mit dem Triumpfe der
„rothen Republik.“ Was Eulogius Schneider vor Jahren ſchon in einem et-
was ſtaͤrken, aber doch guten Verſe geſagt hat. Karl Blind.

Deutſchland.

»* Mannheim 19. Sept. Die Bürgerverſammlung, welche geflern‘ -
Abend fünf Uhr hier ſtatt hatte, war zugleich von der lebendigſten thatluͤſtigen
Entſchloſſenheit und ſeibſtbewvußter, der Kraft des Volkes vertrauender Ruͤhe
durchdrungen. Eine Vorberathung von Abgeordneten aus der Umgegend, na-
wentlich von Neuſtadt a. d. H,, Worms, Frankenthal, Oggersheim, Heidelberg,


ten durch ihre Genehmignüg ſich verpflichten ſollten. Es waren in diefer Vor-
berathung und in der Buͤrgerberſammiung ſelöſt Vorſchläge gemacht, welche ein
augenblickliches Handeln, erforderlichen Falls mit den Waffen in der Hand,
namentlich einen maſſenhaften Zug nach Fraͤnkfurt bezweckten und ſich des ent-
ſchiedenſten Beifalls erfreuten. Sie wurden indeß nicht zu Beſchlüſſen erhoben,
da von Frankfurt jeder Ruf an uns und zugleich jederlei auffordernde Kunde
über die dortige Sachlage fehlte. Es überwoß die Betrachtung, daß ein ſol-
her Beſchluß die Verſammelten und ihre Gefinnungsgenoſſen, wozu das ge-
fammte deutſche Volk in ſeiner größten Mehrheit zu zählen fein wird, zu einem
Unternehmen verpflichte, deſſen Ausführung nicht augenblicklich von hieſigem
Orle und ſeinem verhältnißmäßig kleinen Umkreiſe zu verwirklichen ſteht, deffen


der Maſſe der Volksfreunde, des geſammten Volkes mit den ſchwerſten Naͤch-
theilen bedrohe; man erkannte die Gefahr, daß mit einem unſichern Putſche die
im März und April begonnene, in dieſen Tagen durch die Reaktion zu erneu-
tem kräftigſtem Aufſchwunge gedrängte Revolulion, welche die Rechte und Frei-
heit des Boͤlkes feſtſtellen ſoll, geſchwächt werden müffe! Die vorgeſchlagene
augenhlickliche „Sturmpetition“ wurde nicht genehmigt, die Verfammlung be-
ſchränkte ſich vielmehr auf den Ausſpruch ihrer Ueberzeugung, daß die rechte
Seite der conſtituirenden Nationalverfammlung in Frankfurk verrätherifcher Weife
den königlich diplomatiſchen Verrath am deuiſchen Volke ſanktionirt hat, daß
ſie damit des Vertrauens des Volkes und jeines von ihr ſchmaͤchvoll verlegten
Mandats völlig verluſtig und nur in dem Beſtand der linken Seite die wirk-
liche Vertretung des deulſchen Volkes vorhanden iſt; daß demnach voͤn der Lin-
ken die ſgfortige Uebexnahme der alleinigen Leitung aller Angelegenheiten des
deutſchen Volkes und der Feſtſtellung ſeiner VBerfaffung erfolgen muß. Die Ber-


Linken in der Erfüllung ihrer neuen Vollmacht alg Nationalverſammlung ihren
und des geſammten Volkes vollen thatkräftigen Beiſtand zu ſichern, auf den Ruf
derfelben mit Gut und Blut einzuſtehen. Ünd ſtie ſtehen — ſo vertrauen und
behaupten wir zuverſichtlich — zum Vollzug ihres Beſchluſſes bereit.

Mit dieſem Beſchluſſe haben die Verfammelten die umfaſſende wichtigſte
Verpflichtung gegen das Volt auf's Neue feierlich für ſich übernommen. Wie
die Einzelnen dieſelbe auszuführen gedenken, davon zeugten während der Vers .
handlung die Vorſchläge und ausgeſprochenen Entſchlüſſe davon zeugt die Ent-
rüſtung vieler Einzelner daß die Verſammlung ſich nicht ſofort allgemein zu augen-
blicklicher That, zum ſchleunigſten Zuge nach Fraͤnkfurt verpflichtete! Dieſe
Entrüſtung ward noch entſchiedener laut, alg ſich bald nach dem Schluſſe der
Verſammlung ein Gerücht verbreitete, in Frankfurt beginne man mit Barrikas
den, ein Theil des Militärs ſtehe zu den Bürgern, man ſuche dort den Bafo-
netten gegenüber mit Gewalt der Geſinnung des Volkes und feinem felbft-
bewußten Streben einen ſiegreichen Ausgangsßunkt zu verſchaffen. Ein nahm-
hafter Theil unſerer Freunde kehrte erbittert und mit der Erklärung heim, daß
der Befchluß der Verſammlung den Anforderungen der Zeit nicht genüge.

Die Bewegung gegen die verrätheriſchen Beſchlüffe der Paulskirche hat
begonnen, ſie wird bei aller Ruhe und Beſonnenheit in vielen Theilen des Ba-
terlandes alsbald zu gewaltiger Macht herangewachſen ſein. E& iſt Sache der
Führer des Volkes und vor Allen der Volksdertreter in Frankfurt, dieſe Macht
energiſch zu leiten und zu nützen, die Reaktion und ihre Hebel zu vernichten
und die Volksfreiheit feſt zu gründen.

%. S. Um 10 Uhr Abends fanden ſich auf neue Naͤchrichten von Frank-
furt hin, diele Bürger im Gaſthauſe zum Weinberg zufammen. Die Entrüſtung
über das Verfahren des Exreichsminiſteriums, das die Bajonette gegen das Volk
berufen, war ungemein, aber eben ſo der Schmerz, daß von Seiten der Bolfs-
vertreter kein Ruf erſchollen. Ungeachtet die Berichte dahin lauteten, daß die
Waffenruhe in Frankfurt hergeſtellt ſei und die Truppen aug der Stabt gezogen
werden ſollten, beſchloß die Verſammlung im Allgemeinen, die ſchleunigfte Her-
ſtellung unſerer Bürgerwehr energiſch zu betreiben! —

Frankfurt / 18. Sext In dexr geſtrigen Volksverſammlung ward
beſchloſſen, die Majorität der Nationalverſammlung für Verraͤther an Deutſch-
land und deſſen Ehre zu erklären und dieſer Beſchluß heute dem Präſidenten
Gagern durch eine Deputation überbracht, der Nationalverſammlung vorgeleſen
und an den Petitions Ausſchuß verpieſen. 3000 Mann wurden noch um Mit-
ternacht aus Mainz requirirt, die Paulskirche beſetzt. Am Abend Verſammlung
der Linken. Beſchluß, nicht auszutreten. Aufforderung einer Deputation zum
Austritt und zur Conftituirung als ſelbſtſtändiges Parlament. Abſchlägliche
Antwort von der Linken. Rubhe in der Stadt. * ——

Während der Sitzung Barrikadenbau. Nachmittags 2 Uhr beginnt der


 
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