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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 235 - No. 260 (1. Oktober - 31. Oktober)
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Sitzung der Il. Kammer unter dem Vorſitz

LKarlsruhe, 16. Okt.
7 Auf der Regierungsbank! v. Stengel,

Mittermaiers und theilweiſe Wellers.
Brauer, Diez.

Der Präſident zeigt eine Petition des in Bruchfal gefangen gehaltenen
Bürgers Hoff aus Maͤnnheim an, worin derſelbe über daͤs Verfahren gegen
ihn Beſchwerde führt und dringend um Abhülfe bittet; ferner eine von einer


in dieſer Stadt betr. diesmal aber im Ullrich'ſchen Sinne abgefaßt.
Leblbach übergiebt und bevorwortet eine mit 250 Unterſchriften verſe-
hene, die Amneſtie betreffende Petition der Gemeinde Ladenburg; er hält' bei
der Menge von Eingaben dieſen Gegenſtand nun endlich für ſpruchreif und
wünſcht, daß die Commiſſion die ſämimtl. Amneſtiepetitionen zuſammenfaſſe und
baldmöglichſt Bericht darüber erſtatte, indem er darauf hinweist, daß jeder
Tag der Zögerung eine Erſchwerung des Ungluͤcks der ſchuldloſen Familien
enthalte. ; —
Fernere Petitionen: mehrerer Gemeinden um Amneſtiez (übergeben von
Welte) von Mannheim! über Aufhebung zweier Hofgerichte; von den Deutfchs
katholilen in Mannheim, ihre Gleichſtellung mit den übrigen vom Staat an-
erkannten chriſtl. Confeſſionẽn betr.; von Neckarelz um Amneſtie; von Schönau,
Unterſtützung zur Abhülfe des Nothftandes der arbeitenden Klaſſe betr.; (ſämmt-
lich vom Sekretariat eingereicht) x
Der Uebergang zur Tagesordnung erfolgt. Das Präſidium zeigt an, daß
die Kommiſſion czur Berathung des 2., die tranſitoriſchen Beſtimmungen zur
ſofortigen Einführung des Schwurgerichts betreffenden Geſetzentwurfs,) den An-
trag geſtellt hahe, von der Diskuffion über diefes Geſetz Umgang zu nehmen.
Reg.Komiſſär v. Stengel. Die Kommiſſion ſei der Anficht, daß die
Einführuͤng der neuen Strafprozeßordnung und der Schwurgerichte gleichzeitig
ſein ſolle; deshalb wolle ſie von dem tranſitoriſchen Geſetz Umgang genommen
wiffen. Die Regierung verkenne nicht, daß die ſtückwelſt Einführung des neuen
Strafperfahrens vielfaͤche Mißſtände und Verwicklungeu nach fich ziehen werde


noch hinausſchieben wolle; auf keinen Fall werden dvie Behufs des ganzen neuen
Verfahrens erforderlichen Einrichtungen vor dem erſten Mai 1849 vollſtändig
getroffen werden können.
Kommiffion auf alsbaldige Einführung der Schwurgerichte nach dem Ertwurf
beitreten, ſo walte auch hiergegen kein weſentliches Bedenken ob; da jedoch das
Geſchwornengericht vom Bezirks ausſchuß zuſammenzuſetzen ſei, ſo muͤſſe entwe-
der vis zux Einführung der letztern Behörden gewartet oder ein $ in das tran-
ſitoriſche Geſetz aufgenommen werden, der die Bildung des Schwurgerichts et-
wa im Sinne des Regierungsentwurfs verordne, Auf alle Fälle werde es beſ-
ſer ſein, der Vollzug des Geſchwornengeſetzes bleibe ausgeſetzt, bis es mit der
Gerichtsverfaſſung und Strafprozeßordnung zugleich ins Leben treten könne.
Junghanns verlangt zum mindeſien daß der Termin zur Einführung
nicht von der Regierung alſein, ſondern auch von der Kammer feſtgeſtellt werde,
damit es nicht gehe wie mit den Collegialgerichten, die ſeit 1839 auf dem Pa-
pier daſtänden und bis Dato noch nicht thatſächlich eingeführt ſeien. Er bean-
tragt, die Kammex möge beſchließen, daß ſämmtliche auf das Strafverfahren
bezügliche Geſetze bis zum t. März 1849 einzufuͤhren feien.
Lamey will zufrieden ſein, wenn die Einführung aller dieſer Geſetze nur
bis zum 1. Mai ins Werk geſetzt werden kann, indem er Dden Zuſammenhang
derſelben mit ſo vielen andern, noch nicht berathenen Geſetzen und den Geld?
punkt in Betracht zieht.
Er will deßhalb die Schwurgerichte nach dem 2. Entwurf ſofort und ohne
die Strafprozeßordnung u. f. w. eingeführt wiffen und zwar hauptſächlich aus
dem Grund, weil die Verzögerung Verdacht gegen die Regierung erwecke und
böswilligen Umfturgmännern Gelegenheit gebe, den Samen des Mißtrauens zu
ſäen. Das bisherige Anſehen der Gerichte ſei jetzt auf ſeinen Wendepunkt an-
gelangt; bei der Haͤufung politiſcher Prozeſſe werde das Vertrauen zu denſelben
jetzt verſchwinden, wenn man nicht das Geſchwornenverfahren bei Zeiten ein-
führe. Er ſtellt den Antrag, den 2ten Entwurf ungeſäumt in Beraͤthung zu
nehmen.

Brauer. Die Regierung hege den gleichen Wunſch. Immer aber werde
auch nach den tranſitoriſchen Beſtimmungen die Einführung erſt im nächſten Jahr
möglich ſein. Für politiſche Verbrecheu ſei das Geſchwornenverfahren bereits
angeordnet. Der ganze Gewinn des iranſitoriſchen Geſetzes werde darin beſtehen,
daß man um eine Quartalſitzung früher die Geſchwornen habe. (Als wenn
dieß nicht der Rede werth!)

Mitterm aier wünſcht eine vollſtändige juriſtiſch durchgeführte Geſetzge-
bung, keine ſtückweiſe, und ſtellt den Antrag, daß vor Einführung des Geſchwoͤr—
neninſtituts eine Reviſion des Strafgeſetzes und der Strafprozeßordnung vorge-
4 und Jenes dann erſt mit diefen revidirten Geſetzen ins Leben trelen
olle.

%. Stengel iſt der Anſicht, daß dieſe Reviſion ſich vorläufig auf die
Strafprozeßordnung beſchränken ſoli.


Ord. jetzt ſchon nöthig ſei. Dieſe werde aber fehr einfach fein, da das Leitende
Prinzip in dem Geſchwornengeſetze gegeben ſei. Anders werde es ſich mit vem
Strafrecht perhalten. Vor der Hand genüge die Nevifion der Straf⸗Proz⸗Ord. Für
das Proviſorium iſt er nicht, Er iſt überzeugt, daß die definitive Einführuͤng
der Geſchwornengeſetzes und der revtdirten St. P. Ordnung bis zum 1. Jan.
1849 möglich ift. In drei Wochen könne die Kammer mit der Geſetzesgebung
im Reinen ſein, dann habe die Regierung noch Zeit zum ſofortigen Vollzug.
















Der Berluft einer Quaxtalſitzung erſcheint ihm keineswegs unerheblich! Spaͤte-
ſtens verlangt er die Einführung bis zum erſten März.

. Stengel. Bis zum 1, IJanuar ſei die Ausführung unmoͤglich. Daß
die Kammer mit den Geſetzen in 4 Wochen fertig werde, fei nicht wahrfchein-
lich; aher wenn auch, ſo müſſe man doch der erſten Kammer (ſchlimm genug,
daß wir noch Eine haben,) 6 bis 8 Wochen Zeit geben ı0, — E& ſet gar
keine Ausſicht auf die Möglichkeit vor Mai.

Lamey glaubt, daß der Lokalpatriotismus einzelner Abgeordneten ſchon


licherweiſe auf 3 wöchentliche Dauer verlängern könnte; immerhin aber könne
man während der Berathung der Borarbeiten für die Gerichtsverhandlungen,
wie die Aufſtellung der Urliſten-Reduktion 20. anordnen. Diefe würven auch
geringe Koſten veruͤrſachen. Er beharrt auf feinem Antrag auf ſofortige Bera⸗—
thung des Proviſoriums.

Brentane iſt der Anſicht, daß man die ganze Strafgeſetzgebung bis zum
1. Januar 1849 einführen könne, und widerleßt die im Lauf der Diskuſſion
hiergegen erhobenen Einwürfe. Die Geſetze üder die Gerichtsverfaſſung und
die Verwaltungsbehördern könnten binnen 4 Wochen ſoweit als hierzu erforder-
lich ſei, erledigt werden, und er hoffe, daß die Kammer nicht mehr auseinander
Ehen werde, ehe dieſes geſchehen ſei. Für die erſte Kammer nehme man einen
Termin von 6 Wochen in Anſpruch. In der 2. aber ſei das Geſchwornenge-
feß nun fertig, dieß könne die erſte fofort in Berathung nehmen. Während man
hier das Einführungsedikt vornehme; ſo würden die Berathungen fort und fort
ineinandergreifen und keine ſo lange Friſt nöthig werden. Wäre die Einführung
wirklich nicht möglich, dann würde er für den Regierungsvorſchlag ftimmen, —
Er rügt ſofort, daß die Preßprozeſſe, wobei Geſchworene beſonders nothwendig
ſeien noch fortwährend ohne ſolche entſchieden würden. Die Regierung trage
die Schuld, wenn man ihr böſen Willen zutraue; ſie habe ſich geweigert, ein-
gelne Preßprozeſſe, von dem außerordentlichen Geſchwornengericht {n Freiburg ent-
ſcheiden zu laffen. Als die betreffenden Hofgerichte ſich für unzuͤſtändig erklärt, und die


Der Nedner bezieht ſich auf den Hoff fchen Prozeß, in welchem das Ober-


wo der Staatsanwalt erſt nach 8 Wochen die Rekurserklärung zurückgenommen


Frage aufdrängen: Warum wehrt ſich die Regierung ſo ſehr?

maiexs Antrag ihre Zuſtimmung zu geben; denn dadurch wuͤrde die Einfübrung
der Geſchworenen ad calendas graceas *) hinausgeſchoͤben werden.

Brauer ſucht die Regiexung gegen die Vorwürfe Brentano’s in Bezug
auf das Verfahren gegen Hoff und Fickter zu rechtfertigen, worauf ihm Diefer
entgegenhält, daß über ſolchen CompelenzConflikten, wie ſie ſie abſichtlich erho-
ben, die Haft des Angeſchuldigten ſich um Monate verlängere.

Nachdem im weilern Berlauf der Diskuſſion noch Biſſing den Antrag ge-
ſtellt, die Kammer ſolle Behufs mehrerer Gewißheit beſchließen, daß die Ein
führung ſpäteſtens bis zum 1. Mai erfolgen müſſe, und nachdem zuletzt der



Lameyh's Antrag verworfen, der Commiſſtonsantrag dagegen mit dem Zuſatz
don Junghanns, Gaß die Einführung bis zum 1. März zu erfolgen habe)
angenommen.

‚ „Solgen Berichte der Petitions-Kommiſſion, worunter der von Biſſing über
die Bitte von 30 Vexlagshandlungen um Aufhebung der Verordnung, welche
ihnen die unentgeldliche Abgabe von drei Exemplaren eines jeden im Inland
verlegten Werkes an die Hofbibliothek in Carlsruhe und an die beiden Univer-
fitäts « Bibliothek in Heidelberg und Freiburg auferlegt.“

In dem Bericht iſt ausgeführt, daß der Verlagsbuchhandel ein freies Ge-
werbe, wozu keine an Bedingungen zu knüpfende Conzeſſion erforderlich, jene
Auflage aber eine vexfaſſungswidrige fei, da nach S, 53 Dder Verfaſſungsurkunde
keine Auflage ohne Genehmigung ber Stände gemacht werden kännen. Der für
die Verordnung allein ſprechenden Rückſicht auf die Landesliteraturgeſchichte


yalb die Commifſion den vermittelnden Vorſchlag macht, daß gegen Abgabe
Eines Freiexemplars von jedem ihrer Verlagswerke den inländiſchen Verlaͤgs-
huchhändlern eine obrigkeitliche Beſcheinigung zum Schutz gegen Eingriffe in Ihr


Regiexung mit Enpfehlung zu überweiſen beantragt.
Der Commiſſionsantrag wird angendmmen. Vor Schluß der Sitzung er-
ſucht noch Brentano den Präſidenten, die Antwort des Miniſteriums auf



anlaſſen. Nächſte Sitzung, morgen um 9 Uhr.

Tagesordnung: Berathung über den Bericht des Abgeordneten Lamey, den
Geſetzentwurf wegen Errichtung der Berwaltungsbehörden betr.

(+) Mannheim, 17. Ott. Wir haben kürzlich eines Verbotes Crwah-


ordentlichen Lonſeription betheiligten Mitbürger anberaunte Verſammlung zu ver-
hindern wußte, wir haben erft vor wenigen Tagen über die Willfür berichtet,
die bei dex Verhaftung einiger Mitbürger verübt wurde, und wir ſehen uns aufs
neue in die trauxige Nothwendigkeit geletzt, gegen einen abermaligen ſchnöden Ein-


Meeinung einzulegen; es iſt längſt fMar, vaß eS mit unſeren Märzerrunge ſchaf-
ten vorbei iſt und wir immer mehr wicder in die alte Bahn des Polizeiſtaates
hineingetrieben werden, wenn nicht mit aller Entſchiedenheit und Euͤtſchloſſenheit

*) Was man in unſerer Volksſprache den Nimmermehrstag nennt.

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