* Fieber · Parorismus der Boruſſomanie in der Paulskirche.
77 Für blanke Mateſtät und weiter nichts zU bluten
3 Iſt Hundemuth, der eingepeitſcht mit Ruthen
Und eingefüttert mit des Hofmahls Brocken wird.
Bürger.
_ @s behaupten Einige, die iebt in Berlin ausgebrochene Cholera i nichts
anderes, als die im Miltelalter vorkommende Seuche, der ſchwarze Tod ge-
nannt. Ob dies richtig ſei, wiſſen wir nicht; eine andere Krankheit, die wir
den ſchwarz·weißen Tod des Deutſchthums nennen möchten/ droht aber
jetzt von Berlin, Potsdam, Charlottenburg U, ſ. w. ſich über Deutſchland zu
werbreiten, es iſt dies die Boruffomante, das Stodpreußenthum,
eine Krankheit, die ihre Opfer hauptſächlich in den Kreiſen der Ariſtokratie und
des höheren Beamtenſtandes fucht, im erſten Stadium die Gebiru⸗Organe an-
greitt und Anfangs die bedenklichſten Begriffsverwixrungen hervoxbringt, 3, B.
dae preußiſche Voͤlk und die preußiſche Dynaſtie ſei ein und dasſelbez ein Volk
zur Freiheit führen⸗ heiße es mit Kartätſchen tdtſchießen u. ſ. w. Geiſtesſto-
tungen, die zum Theil eine Schwächung des Gedächtniſſes bis zum völligen
Vergeſſen der bedeuiungsvollſten Ereigniſſe verurſachen: z. B. der Märzrevolu⸗—
4ion zu Berlin und Wien, und der unmittelhar darauf folgenden Begebenheiten,
theilweiſe zu firen Ideen führen, wie: Preußen müſſe nothwendig gani Deutſch-
Jand verſchlingen, wofür man bei der großen Vexbreitung dieſer Manie ſchon
en modernen Ausdruck erfand, „Deutſchland müſſe in Preußen aufgehen;“ die
Ehre eines nach Freiheit ringenden Volks ſei mit der ſeines Königshauſes, das
er bigher tyrannifirt, ausgeſegen unD betrogen hat, aufs ungertrennlichjte der-
vundeuͤ; dieſe Ehre ſei durch die Wahl eines Oeſterreichers zum Reichsverwe-
fer, Gwofür die meiſten Preufifchen Abgeorbneten, wie man ſagt nach einge-
holter Juſtruktion, ſtimmten) verletzt, und was dergleichen Phantasmen eines in-
fizirten Gehirnes mehr ſind, die denn am auffallendſten und bedenklichſten bei
Dder vom Keichsverweſer veranſtalteten Huldigung der deutſchen Truppen ſich
aͤußerten, worüber faſt in allen Zeitungen intereſſante Spezialitäten zu leſen
ſind. Die Krankheit iſt anſteckend endemiſch gewiß, vielleicht ſporadiſch; ob
Vaͤtagiös? wird die Zukunft Lehren. — Leidck hat ſie ſich auch nach Frauk-
furt verbreitet und den größten Theil der preußiſchen Ahgeerdneten bei der Na-
tionalverfammlung ergriffen, welche dann eine nicht unbedeutende Anzahl ihrer
‚Nachbarn {n der Paulskirche angeſtect zu haben fheinen,. Sehr ſchlimmi iſt es,
den ſie am.3. Auguſt bei der Feier des Geburtstags eines laͤngſt verſtorhenen
zuͤhrets ves Volks (bei der Naſe herum) begingen, der Krankheit neuen Nah-
dungsſtoff zutrugen, ſo daß ſie wenige Tage darauf, einen acuten Charakter an-
nehinend in ein hitziges Fieber umſchlug, das am 7, Auguſt in voller Heftig-
keit ausbrach.
„ , Man verhandelte an dieſem Tage in der Paulskirche den Bericht des Auss
ſchuſſes für Geſetzgebung und Rechtopflege üher eine große Anzahl von Petitio-
‚nen, woͤrin eine allgemeine Amneſtie für politiſche Verbrecher, namentlich aber
für diejenigen verlangt wurde, welche in Folge des Hecker'ſchen Aufſtandes in
den Gefängniſſen zu Bruchſal ſchmachten. Rachdem mehrere Redner ſich für
und wider die Ertheilung dieſer Amneſtie ausgeſprochen / unter denen Simon
aug Trier durch eine ebenſo übexzeugende als glänzende Rede für dieſelbe ſich
allgemeinem Beifall erwarb, beſtieg Brentano die Rednerbühne, um, nach-
falls für die Amneſtie zu verwenden. Im Verlauf ſeiner Rede kam er darauf,
daß man ja allenhalben Verſöhnung wolle; in Poͤſen wie in Galizien ſei am-
nefiirt worden, und den Prinzen von Preußen, den man aus Berlin vertrieben
und deffen Rückkehr das Volk auch nicht gewollt habe, habe man ja auch wie-
der aufgenommen; woran er die einfachen Worte knüpfte: „Wollen Sie, meine
Herren, die, welche für die Kepublik die Waffen ergriffen, zurück ſetzen gegen
den Prinzen von Preußen? Da erhebt Herr von Radowitz, bei welchem ſchon
die Kranfkheit des Stockpreußenthums, doch mehr im Character eines kalten
Fiebers als in dem eines Deliriuns, wie is ſcheint unheilbar Platz ergriffen,
Dden Arn und es folgte von Seiten der übrigen Kranken ein Ausbruch von
ſolcher Stärke, daß man ſehr verſucht war, zu wähnen, man ſehe eine Rotte
Tooͤſüchtiger vor ſich; es war ein Schreien, ein Troͤmmeln, ein Strampeln mit
Händen und Füßen, wie es noch nie dageweſen. Der Vize-Präſident Soiron,
welcher den Vorſitz führte,
am ſo mehr, als er die Urſache des Auftritts nicht wußte; mit vieler Mühe
Worte zu wiederholen, damit er darüber urtheilen und beziehungsweiſe den Kedner
zur Ordnung rufen koͤnne. Brentano ſchickt ſich dazu an, da winkt von Ra⸗—
dowitz wieder, Graf Wartenslehen, von Vincke und Platiner ſpringen auf die
Rednerbühne los, letzterer geht in ſeinem Paroxismus ſo weit, Brentano anzu-
faſfen, erſterer fordert ihn ſofort auf Piſtolen, und Vincke ergeht ſich in einigen
yochariſtokratiſchen Redensarten. Auf den perſönlichen Angriff Plattners eilen
naturlich Breniano's Freunde herbei, und &$ ſchien in der That einige Augen-
blicke zweifelhaft, ob man die tobenden Boruſſomanen in ihrem Paroxismus gyne
Anwendung von Gewalt werde von weiteren Exeeſſen abhalten können. Das
H6 er fort kam. 4
"afaper Tumult dauerte noch lange fort, doch kam es nicht zu Wweitern Cüts
Hichfeiten‘; der Hauptanfall des Fiebers war für dieſen Tag vorüber, in einem
haͤlben Dutzend Herausforderungen, oder Schimpfworten ; die ſolche hervorru-
fen ſollten, verlief ſich der erſte Ausbruch in dieſer Farm.
Am Nachmittag hielten die Boruffomanen cine Verſammlung in der Loge
Soerates, an welcher auch das Präſidium v. Gagern, v. Soiron, v. Herrmann,
ſo wie %, Beisler und Andere Theil nahmen. Durch einige Preußen, deren
tonſtitutionelle Antipathien ſie vor der Anſteckung geſchüßt hatten, die aber eben-
falls eingeladen waren, erfuhr man, daß jene Schwarz-Weißen die Schluß-
*
worte Brentanos als eine Schmähung des Preußiſchen Bolkes auf-
genommen und ſich und den Prinzen, den König, das preußiſche und das deut-
ſche Volk, und Gott weiß was alles noch, dapurch vetletzt hielten.
Dit gefahrliche Anſteckungskraft dex Krankheit teigte ſich am andern Tage.
Nicht blos 171 Stodpreußen, Hr. v. Bincke an der Spitze, ſo wie eine n
zahl anderer Infieirter hatten ſchriftlich darauf angetragen, Brentano wegen
ſener Schmähung zur Ordnung zu rufen, ſondern der fungirende VBice-Präfie
vent v. Soiron war ebenfalls der Anſteckung erlegen. Er wollte den Ord-
nungsruf ausſprechen. Die Linke verhinderte ibn daran und zwar ſo beharr-
lich' daß er die Sitzung ſchließen mußte. Daß man ihn wiederholt erinnerte,
daß der, welcher geſtern mit den Boruſſomanen getagt hatte, heute nicht als
Richter zwiſchen ihnen und den Geſunden auftreten koͤnne, hinderte ihn nicht,
zuletzt auf die direkte Aufforderung, das Präſidium niederzulegen barſch zu
Neuem. v Soiton eröffnete ſie mit den Worten: die Verſammlung habe ſei-
nen Ordnungsruf gehört, und damit ſei die Sache erledigt. Ungerechter Weiſe
erflärte dies die Linke für Perfidie, es war ja eben nichts als die Wirkung des die Zu-
rechnung aufhebenden ſchwarz-⸗weißen Todes, die denn auch Hrn. v. Soiron
auf die fonderbare Idee brachte, fein gar nicht ausgeſprochener, Ordnungsruf
ſei gehört worden. Nach einem langen tumultuariſchen Auftritt ſpricht 9. Ga-
gern Linige verſoͤhnlich ſein ſollende Worte, die ader zeigen, daß auch dieſe
zur Vollenduͤng ſeiner Rede auf die Tribüne gerufen, und von der Gallerie
mit Beifall empfangen. * /
Da bricht bei Soiron das Fieber neu aus, er läßt die Gallerie räumen. *)
Der Anfang wird auf den Daͤmentribünen gemacht. Gagern und Möhring
unterziehen ſich dieſer zarten Funktion; dann weist Vicepräſident Möhring die
Berichterſtatier hinaus, „weil es vom Büreau ſo beſchloſſen ſei.“ Auf die
Fragẽ, ob geheime Sitzung beſchloſſen oder beantragt fei, verweigert er die
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Beifall auf oder werden verlacht, man bringt Lebehochs auf Hecker, Brentano,
Simon u f. w., ſingt die bekannten Liedck auf Erſtern u. f W, Einzelne
Berichterftatter werden zuruͤckgerufen; die Verſammlung hatte dieß beſchloſſen,
yerwarf aber unter namentlicher Abſtimmung den Antrag, die Gallerie wieder
Heußerung und den Ordnungsruf ſagte, was Jedermann, deſſen Gehörorgane
Ffeiner trauͤkhaͤften Störung uͤnterliegen, darübex ſagen kann, allein was hilft
Welcker ergreift das
Wort. Da ertönt auf einmal der Ruf: wir berathen unter Bajonetten. Das
Linienmilitär hatte (man ſagt auf Juchos Veranlaſſung) den Platz vor der
Kirche vom Volk räumen laſſen und beſetzt. Vicepräſident erklärt, er habe
dazu keine Ordre gegeben, es ſei Sache der ſtäptiſchen Behoͤrden; der Antrag
auf Vertagung der Sitzung wird von der Majorität verworfen, der Schluß
der Diskufſion ausgeſprochkn, und der Ausſchußantrag über die Petitionen zur
Tagesordnung überzugehen, gegen 90 Stimmen angenommen, und die Amne-
ſtie ſomit abgeſchlagen. Vorher hatte der größte Theil der Linken ſich entfernt,
nicht eininal auf
So gings am 7. und 8 Auguſt in dex Paulskirche zu. Alſo die Zuſam-
menſtellung der Freiheitskämpfer mit dem Kartätſchen-Prinzen iſt eine Beleidi-
gung für dieſen; eine Beleidizung des Lönigs und der königl. Familie, eine
Beleidigung für das Voll! Stimmt das mit der Sprache, die man im März
und April führte? Daß es Eirzelne gibt, die ſich von den verknöcherten Un-
lerthaͤnigkeits⸗Ideen einer hündiſchen Treue gegen den, dex ſie mit Füßen trat,
daß aber dieſe in der
deutfchen National-Verſammlung die Mehrheit bilden, das iſt beklagenswerih,
iſt ein Unglück für Deutſchland. Was ſoll, was kann daraut entſtehen?
Schnöder Partikularismus und ſchreiende Untexprückung des Volkes werden Hand
in Haͤnd gehen und Deutſchland wieder dahin führen, wo eg im Zanuar D.
J. ſtand. Die deutſche Einheit wird am ſchwarz⸗weißen Tode ſterben, und
mit ihr die Freiheit! j NR.
57. Sitzung der konſt. Nationalverſammlung,
Dienſtag, den 8. Auguſt 1848.
Die Sitzung wird nach '/,10 Uhr eröffnet, das geſteige Protokoll, vor-
geleſen und ohne Reclamation genehmigt. Vicepräſident v. Soiron: Er ſei
Ferhindert worden, den Abgeordneten Brentang die Worte wiederholen zu laſſen,
welche jenen beklagenswerthen Sturm veranlaßt: jetzt habe er jene Worte in
den ſtenographiſchen Mittheilungen gelefen, Ueperdies aber habe er zwei An-
träge erhaͤlten, einen von Vinde mit mehr als 170 Unterſchriften, die Natio-
nalverfammlung wolle ihre Mißbilligung über den Abgeordneten Brentano des-
zen Volkoͤſtammes enthalten; einen zweiten, von Wernher und vielen Genoſſen,
Brenlano zur Ordnung zu rufen, weil ſeine Aeußerungen der Art geweſen,
daß fie einen Volksſtamm beleidigt und Zwietracht in ‚Dder Verſammlung her-
vorgerufen hätten. Eine dritte Eingabe Seitens der Linken, von Kolaczek und
Geuoſſen, will der Viee-Präſident aufangs nicht vorleſen laſſen, muß ſich aber.
auf Zuruf der Linken dazu bequemen; fie enthält eine Schilderung der Unge-
bührlichkeiten, welche ſich Plathner, v. Vincke und Andere, namentlich bezeich-
neie Mitglieder der Rechten, durch Drohungen, verſuchte Gewaltthätigkeiten,
*) Es ſoll Beſchluß dex Verſaumlunt in der Loge Socrates geweſen fıin,
die Sitzung zwar öffentlich zu halten, aber dann die Gallerie räumen zu
laſſen, um ſie die Macht des Präſidenten einmal fühlen zu laſſen.