1848.
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E Politiſche Keflexionen aus dem Gefängniſſe.
3. Die Nothwendigkeit und Rechtfertigung der Revolution.
Unter dem Namen „Freiheit“ und „Volksſoupexänität?, welche wir in die-
en Sommer ebenſo oft als Phraſe von Rednertribünen herab hörten, * als
Mirklichkeit im Leben vermißten, ſind eine Summe von SGrundrechten des Vol-
feg 3zu verſtehen, welche mit wenigen Worten anzugehen ſind, * in den
Paragraphen des Parlamentes feblen, Das Einzige von denſelben, welches
wir thaifächlich beſitzen, iſt die freje Wahl zum Parlamente, und ſelbſt dieſes
i (h und wirfungslos gemacht worden. An das Recht der durchaus freien
ö 5 ſ5 * wirklich ſouverän ſein, noch andere Rechte
anſchließen, die jenem erſten allein, Leben und Bedeutung geben. Das Volk
muß ſeine Wahl in jedem Augenblick wieder zurücknehmen können, fowobl im
einzelnen Wahlbezirk, wie im ganzen Lande, wenn der einzelne Abgeordnete
oder das gauze Parlament den Anforderungen und Neberzeugungen der Majo-
rität der Waͤßter nicht entſpricht. Dann miffen die Fundamentalſätze die Ver-
faſſung, 3. B. die Frage: Monarchie oder Republik, ſtehendes Heer oder Volks-
bewafflung u. ſ. w. nach Vorberathungen des Parlamentes zux Abſtimmung
des hanzen Volkes gebracht werden, denn, über dieſe großen Lebensfragen der
fouvetänen Nation hat diefe allein zu entſchejden. Die einzelnen Folgerungen
aus dieſen Fundamentalſätzen, oie Spezialgeſetze können der Entſcheidung des
Parlamentes überlaſſen bleiben. Hierdurch iſt die Majoxität der Wähler faͤktiſch
auf den Thron des Staates gehoben;, ſie entſcheidet über die Verfaſſung und
herrſcht über das Parlament. Aber in einem freien Staate ſoll nicht nur die
Majorität frei ſein, ſondern auch die Minorität; auch auf ſie muß der Grunr-
ſatz der Volksſouveraͤnität in Anwendung gebracht werden.
burchaus freien und unbeſchränkten Oppoſition und der Propaganda muß ſie
für die Entbehrung der Herrſchaft eutſchädigen. Die Minorität einzelner Wahl-
bezirke muß ſich mit der Minderzahl in anderen Bezirken vereinigen können, um
eine vollgültige Wahl vornehmen zu können; d. h. die Wahl muß nicht, wie
dies das Fraͤnkfurter Parlament ungerechterweiſe bei Gelegenheit der Fremden-
wahl in Sachſen beſtimmt hat, an die Größe des Territoriums gebunden ſein,
ſondern an die Anzahl der Wähler. Dann maß der Minorität die Ausübung
aller Mittel freiſtehen, die beſtehende Staatsform umzuwälzen und die herrſchende
Staatsgewalt zu ſtürzen, ſo weit durch dieſe Mittel Leben und Freiheit der ein-
zelnen Bürger nicht angegriffen wird. Mit andern Worten geſagt, heißt dies
ſo viel, daß Strafloſigkeit für alle politiſchen Verbrechen nicht nur der Vergan-
genheit, ſondern auch der Zukunft ausgeſprochen werden muß. Der Begriff ei-
Staatsgewalt, die ihre politiſchen Gegner beſtraft, ſinkt auf den Stäͤndpunkt
der Parthei herab. Jeder Büxger eines freien Staates muß das Recht haben,
ſeine politiſche Ueberzeugung für die beſte zu halten, und nach der rückſichts-
loſen Verwirklichung derſelben mit allen Kräften zu ſtreben. Wenn die beſtehende
Staatsform freier und gerechtex iſt, als die Minorxität ſie erſtreben will, fohat
ſie keine Gefahr von einer Agitation und Oppoſition zu fürchten. Gewöhnlich
freilich wird man den umgckehrten Fall finden, denn es iſt ein alter Erfah-
rungsſatz der Politik, daß Gerechtigkeit, Freiheit und Wahrheit ſich immer in
der Minorität befindet. Der Staat, welcher ſeine politiſchen Gegner ächtet,
anfeindet, beſtraft, ja wohl gar tödtet, zeigt dadurch, daß er kein Jutrauen zu
ſich ſelbſt hat und ſich nur durch Zwangsmaßregeln erhalten kann.
freilich hier einwenden, daß durch dieſe Freiſprechung aller Agitation und Op-
voſition die Revolution permaneyt gemacht würde. Aber dies grade müſſen wir
im Intereſſe der Freiheit und Humanität wünſchen. Die freigegebene perma-
nente Revolution entbehrt aller Schrecken und Gräuel, welche die unterdrückte
und nur zeitweiſe ausbrechende ſo fürchterlich macht.
Jedenfalls aber, und dies iſt das Minimum der Freiheit, welches wir ver-
langen können, muß die theoretiſche Agitation und Oppoſition freigegeben wer-
den. Die Freiheit der Rede und Preſſe darf in keiner Weiſe und bei keiner
Gelegenheit geſchmälert werden. Preßprozeſſe müſſen unmöglich werden, denn
Aller-
Rede geſchützt werden; aber der Staat als ſolcher darf ſich nicht auf den Stand-
yunkt des Individuums ſtellen; er muß die Unverletzlichkeit, mit welcher er ge-
etzlich betraut iſt, in der Weiſe verſtehen, daß er die Möglichkeit, daß man ihn
rerletzen wolle und könne, gar nicht zugibt. Dann nur hat er Zutrauen zu
ich felbſt, dann nur iſt er wahr, gut und frei.
Nur dann, wenn in der hier angegebenen Weiſe die Majorität herrſcht
ind die Minorität gegen ſie ankämpft, iſt das Volk wirklich ſouverän. Jede Be-
fhränkung ver hier entwickelten Freiheiten nimmt die Souveränität vom ganzen
bin Dies iſt gegenwärtig in ſehr hoͤhem Grade der Fall. 2
Wir haben ſchon gezeigt, daß das Volk gar kein Recht über und an ſeinem
Vatlamenie hat. Das Volk gibt nicht durch das Parlament Geſetze, ſondern
Kein Satz in der Verfaſſung wird zur Beſchlußnahme
as Volt gebracht; kaum wird das Bittrecht desſelben noch anerkannt.
enn das Volk nach conſequenten demokratiſchen Grundſätzen durch na⸗—
che Abſtimmung aller Urwähler über das Ganze und Große ſeines Ver-
ungswerfes beſchlöſſen hätte, ſo würde ſich die Majorität desſelben eben ſo
Voltes nichts zu ſagen hat, die Minorität unterdxückt wird, verſtehi ſich von
unmöglich gemacht. Ja,
nicht wundern, daß die Partei der Linken m Voͤlke mit allen Gewaltmitteln
mokratiſchen Vereine in Baden, die nach der Peuker'ſchen Note an die preußi-
werden ſoll, die Einkerkerung der Voltsführer, die zahlloſen Preßprozeſſe, welche
gen,“ erinnern, Alles dies beweist uns, daß die republikaniſche Partei, die
troßdem, daß ſie im Volke ebenſo in der Majorität iſt, wie im Parlamente in
der Minorität, dennoch bis jetzt die Oppoſition bildet, von den herrſchenden
Staatsgewalten für vogelfrei erklärt iſt. Durch Ablehnung der Amneſtie, welche
in zahlloſen Petitionen von der Majorität des Volkẽs gewünſcht wurde, hat
gegen die Wünſche der petitionirenden Mehrheit gefehlt.
Ein Staat, wie der des Reichsverweſers, welcher der Minderheit nicht
das Recht der Propaganda und der Oppoſition zugeſteht, hat kein Bewußtfein
ſeiner Würde und kein Zutrauen in ſeine Gerechtigkeit. Er erklärt ſich ſelbſt
für unfrei. Er ſtellt ſich auf den Boden der Partei und zwingt ſeine Gegner
zu demſelben Schritte Er beruft ſich auf die Macht der Bajonette, und for-
dert dadurch ſeinen Gegner auf, auch zu den Waffen zu greifen, aus der theo-
retiſchen Oppoſition, die man verbietet, in die praktiſche überzutreten. Wir
lution. Indem das Parlament 300,000 neue Bajonette gegen die republi-
kaniſche Partei beſchloß, hat es derſelben das Recht zu jeder bewaffneten Schild-
erhebung gegeben. Es hat den Bürgerkrieg proklamirt. 2
Der Fehdehandſchuh iſt uns hingeworfen; wir müſſen ihn annehmen. Eine
ruhige Entwicklung der Ereigniſſe zu Gunſten der Gerechtigkeit und Freiheit iſt
nicht möglich. Das Volk wird bei den beſtehenden Verhältniſſen in den Schu-
len und Kirchen ſyſtematiſch verdummt und durch ein ungerechtes Steuerſyſtem
ausgeſogen, ſo daß es ſeine Kraft verliert und nicht zuͤm Bewußtſein feiner
Würde kommen kann. Je länger es unter dieſen Zuſtänden lebt, deſto kraft-
loſer und unmündiger wird es. Das iſt gerade das Beklagenswerthe bei un-
und ſchlecht gemacht wird. Die Ereigniſſe dieſes Sommers haben deutlich be-
wieſen, wie ein Volk von den beſten Anlagen und größten Tugenden durch
drei und dreißigjährige Metternich⸗Preußiſche Politik ſchlecht gemaͤcht werden
kann, ſonſt würde man ſich den Uebermuth der in der Paulskirche herrſchenden
Partei eines Lychnowski und Radowitz nicht haben gefallen laſſen. Es iſt
alſo Gefahr inı Verzuge. Wir müſſen uns mit aller Macht und in aller
Schnelle unſerer Feſſeln entledigen, weil wir jeden Tag uns mehr daran ge-
wöhnen, ſie zu tragen.
Verfehlen wir es uns nicht, es hilft uns nichts alg ein ehrlicher, offener,
aber auch zugleich aufopfernder, heldenmüthiger Kampf.
zu hoffen.
Parlamentswahlen Großes hoffen könnten. * *
Selbſt wenn wir unſere Revolution glücklich beendet und die Republik
mentes zu hoffen. Dies zeigt uns die neueſte Geſchichte Frankreichs. Was
wir für die nächſte Zeit erſireben müſſen, iſt die Diftatur. Man erſchrecke
nicht über dieſes Wort; es iſt nicht fo gefährlich und freiheitsmördexiſch, wie
man es verſchreit. Die Diktatur iſt eine viel demokratiſchere Staatsform, als
man im Allgemeinen glaubt. Die Maſſe des Volkes hetrſcht in derſelben un-
mittelbar durch einen Mann, welcher nur der Mund iſt, der den Volkswillen
Kopfe verantwortlich iſt.
Die, Geſetze, welche er diktirt, ſind alſo nur Ausdrücke des ſouverainen
Volkswillens. Durch dieſe erzieht er das Volk, und gewöhnt es an die Freiheit,
ſo daß, wenn die Zeit der Uebergangsperiode, für welche allein wir nalürlich
Nationalverfammlung keine Reaftion herbeigeführt werden kaun-
in den 40 Jahren der Wüſte durchmachen!!
63. Sitzung der konſt. Nationalverſammlung
Freitag, den 18. Auguſt 1848.
Nach Verleſung und Genehmigung des geſtrigen Protokolls übergiebt Mit-
termaier den geſtern erwähnten Bericht, das zu erlaſſende Geſetz über Miniſter-
verantwortlichkeit betreffend, nebſt dem Entwurf dieſes Gefetzes! Man iſt mit
ihm einverſtanden, beides ohne Vorleſen zum Druck zu befördern. Einige anz
dere Berichte werden angezeigt und ebenfalls zum Druck ausgeſetzt. Viſcher in-
terpellirt den Verfaſſungsausſchuß wegen eines Antrags auf Abkürzung der Des
Das Briefgeheimniß iſt gewährleiſtet, die bei ſtrafgerichtlichen Unte:
chungen und in Kriegsfällen nothwendigen Beſchränkungen ſind durch die
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