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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 261 - No. 286 (1. November - 30. November)
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— N









No. 270.










Die dNitſche Centralgewalt leiſtet in der That das Unglaublichſte. Wäh-
rend ein Schrei der ſchmerzlichſten Entrüſtung duͤrch ganz Beutſchland bindurch
geht über vi& empörenden Schandthaten, womit der blutgetränkte Wüthrich Win-
diſchgraͤtz und der „Apoſtel der Humanität,“ der Kroatenhäuptling I llachich
mit feinen wilden Horden das im Kampfe für die Freiheit halb untergegangene,
halb zerſtört ien heimſucht, da läuft zu gleicher Zeit durch die öffentlichen
Blätter ein Erl. * Reichejuizſtminiſteriums, worin die Erwartung ausgeſprochen
iſt, daß das kaltet ihe Juſtizminiſterium zu Wien „bei feinen Anträgen
auf Begnadigäng und Amneſtirung dieienigen Gränzen beo-
bachten möge, bei deren Aufxechterhaltungallein die Nechts-
fücherheit in Deutſchland aufredhterhalten und das Baterland


werden Fann“, Man wird ſich erinnern, daß noch vor Bezinn des Bom-


dingte Amneſtirung aller bei den Vorgängen des 6. October Betheiligten eine
Verſöhnung mit dem Kaiſer anzubahnen fuchte,
purch die Zeitungen verſchiedene Einzelheiten über die Ermordung Latour’s er-
fahren; es iſt beſorgt auch auf die Vollſtrecker dieſes „Verbrecheus“ koͤnnte die
kaiſerliche Gnade ſich ausdehnen.

Es wendet ſich alſo an das Juſtizminiſterium der öſterreichiſchen Regierung.





Zeitungen, auf Erzählungen, auf Hörenſagen. Es war alſo nichts, gar nichts
als der polizeiliche Eifer, welcher dem Reichsminiſterium den Erlaß eingegeben
hat. Es fällt uns nicht ein, die in den Zeitungen geſchilderte Ermordung La-
tour’$ in Schutz nehmen zu wollen, allein hatte die Centralgewalt nicht auch
erfahren, nicht auch geleſen von den durch kaiſerliche Soldaten! in ſo entfetzli-
cher Weiſe ermordeten Studenten, daß bei dem Anblick ihrer Leichen ein Reichs-
tagsdeputirter wahnſinnig geworden ſein ſoll? Warum ſchweigt davon das


Freilich, die Ermordung Latour's war nur eine in der höchſten Aufregung
der Leidenſchaften ausgeübte That, die ſcheußliche Verſtümmlung der Studenten


bande. Bei dem Soldaten, freilich da gibt es kein Verbrechen, da gibt es kein
menſchliches Fühlen und Denken, die Unmenſchlichkeit iſt die Tugend des Soͤl—
daten. Wir haben eine neue ruhmpolle That unſerer Centralgewalt in die Ge-
ſchichte einzuzeichnen. Der Kaiſer Ferdinand verfammelt zur Unterdrückung
der Freiheit um die Mauern ſeiner Hauptſtadt die deutſchen und nichtdeutſchen
Heeresmaſſen ſeines Reiches, ſeine Generale wüthen mit Feuer und Schwert in
der ſchauerliſten Weiſe gegen die todesmuthige Stadt, und die deutſche Central-


yen! Das, deuͤtſches Volk, iſt deine Centralgewalt! —

Deutſchlan d.

(+) Mannbeim, im November. Wir haben die erſten Nummern der
ſeit Oktober erſcheinenden, von Dr. Noack herausgegebenen „Freien allgemeinen
Kirchenzeitung“ vor uns liegen.
zeituns! von dieſer Seite einigex Maßen überrraſcht; wir glaubten nicht, daß
ein ſolches Unternehmen mit dem ſtreng wiſſenſchaftlich-kritiſchen Standpunkte des
Htrausgebers wohl vereinbar wäre; wir konnten uns bis dahin in einerKirchen-
zeitung“ nux ein Organ denken, welches im Allgemeinen die Kirche in ıhrer
bizherigrn Bedeutung alg nothwendige Organiſationsform des religiöſen Lebens
feſthält und ſich damit begnügt, höchſtens eine beſtimmte Richtung hervorzuheben,
durch deren Verfolgung innerhalb der Kirche ſelbſt eine beſondete Veränderung
Her Umgeſtaltung erreicht werden ſoll; wo aber der Gedanke geraden Wegs auf
die Aufhebung der Vorausſetzungen hinſtrebt, welche dem ganzen kirchlichen Leben
zu Grunde liegen, da mußte doch wohl auch conſequenter Weiſe auf bie Form
der Kirche ſelbſt Verzicht geleiſtet werden. In der Thaͤt iſt auch die „alte Kitche“
eben doch nichts weiter alg „die Kirche“ ſchlechthin; denn einen andern Begriff
von Kirche, als denjenigen, welche uns „die alte Kirche, an die Hand gibt,
befißen wir nicht. Hat ſich daher die „alte Kirche“ als unmächtig erwiefen, Die
Welt von ihren Uebeln zu befreien,“ ſo fragt es ſich, ob dieſer Vorwurf nicht
blos die „aite“ Kirche allein, fondern vielmehr die Kirche überhaupt trifft, ob
nicht gerade in dem Prinzip der Kirche dieſe Unfähigkeit gegründet iſt.

Die Eigenthümlichkeil der Kirche der Vergangenheit beſtand darin, daß ſie
das Peil des Menſchen von einem beſtimmten Freligiöſen Bekenntniſſe, von der
Angehörigkeit an diefe oder jene religiöſe Genoſſenſchaft abhängig maͤchte, „die
54* der Zukunft“ dagegen, ſagt uns der Herausgeber, ſoll „aus allen Quel-
M Des geiftigen Lebens,“ „aus allen Adern des religiöſen Organismus der
Menſchheir ihre Lebensſtrömung erhalten. Demnach kann es natürlich nicht
die Abſicht der Zeitfchrift ſein, ſich auf die Seite einer beſtimmten kirchlichen
Partei zu ftellen, ſie ſucht vielmeyr ohne Rückſicht auf dieſe oder jene Religion
oder Confefſton, das religiöſen Geſammtleben, wie es ſich aug dem Geiſt der Zeit
heraus darſtellt, in ſich aufzunehmen und zu einer einheitlichen Geſtalt durchzubilden,
hiermit dem Prinzipe der Demokratie, welches in den geſellſchaftlichen und politiſchen
Zuſtänden der Gegenwartſich Bahn zu brechen anfängt, auch auf dem Gebiete des kirch-
lichen Lebens ſein Recht widerfahren zu Tayen. *

Es kann darüber kein Zweifel herrſchen, daß der Geiſt der Zeit ein eini-
ber Geiſt iſt, daß er mit derſelben Gewalt, mit welcher er aus allen geiſtigen







Quellen der Menſchheit auf einmal hervorbricht, auch alle Verhältniſſe des Le-
bens gleichmäßig zu burchſtrömen ſucht, über alle das gleiche unerbittliche Gericht
fällt z e6 iſt aber eine andexe Frage, ob es der Endzweck der geiſtigen Bewe-
gung der Gegenwart ſein kann, die allgemeinen Formen des geiſtigen Lebens,
welche uns die Geſchichte der Menſchheit aufbewahrt hat, als ſolche beſtehen


lebens der Menſchheit aufzulöſen, zu einer einzigen allumfaſſenden Welt der Ge-
ſammitbeſtrebungen der Geſellſchaft zuſammenzuſchmelzen. Wir anerkennen nicht
allein den tiefen inneren Zuſammenhang zwiſchen der politiſchen und religtöfen
Bewegung der Zeit, ſondern wir hegen auch die Ueberzeugung, und der Herausa
geber der freien allgemeinen Kirchenzeitang theilt nach ſeinem Standpunkte dieſe
Ueberzeugung mit uns, daß gerade aus dem Fortſchritte, den die fleie wiffen-
ſchaftliche Forſchung in der Erkenntniß von dem Weſen der Religion gemacht
hat, das eigentliche Princip, von welchem die Wiedergeburt der menſchlichen Ge-
ſellſchaft erwartet werden muß, ſich als endliches Keſultat herausgeſtellt hat.
Die bisherige Geſchichte der Menſchheit iſt die Geſchichte ihrer Entfremdung
yon ſich ſelbſt, ihrer Entzweiung, die Geſchichte ihrer Zwietracht, die Gefchichte
ihrer Lievloſigkeit, ihrer Ungleichheit, ihrer Unfreiheit. Die ganze Weltanſchauung
der Vergangenheit Fonnte zu keinen anderen Zuſtänden führen. Der Menſch,
der mit ſeinem ganzen Weſen, mit ſeinex ganzen Beſttmmung aus der Menſch?
heit hinaus in eine jenſeitige Welt gewieſen wuxde, mußte nothwendig mit der
Menſchheit ſelber zerfallen! Soll die Menſchheit eins werden mit ſich, ſoll ſte


der gegenwärtigen Welt, ſo muß der Menf v& ſich aufraffen aug den fremden
Bebauſungen des Jenſeits, mit ſeinem ganzen Schatze in die alte Heimath einz
ziehen, bei ſich ſelber feinen Gott finden und fühlen und mit ihm unmittelbar
eins ſein. Daß auf dieſem Standpunkte das geiſtige Streben der Menſchheit
ſich noch in der beſondern Form einer Kirche vergegenſtaͤndlichen könnte, iſt ung
eine reine Undenkbarkeit. - | 2
Soll der Menſch ganz mit allen ſeinen Kräften für das Leben gewonnen
werden ſo muß er heraus aus der Kirche; ein kirchlicher und ein nichtkirchli-
cher Menſch iſt unter allen Füllen eine Wiederholung des alten Zwieſpaltes;
die neue Gottesverehrung kann nur ſein die lebendige That des Menſchen für
den Menſchen, die Kirche aber als ſolche iſt in der Wenſchheit aufgehoben.
Wenn daher der Herausgeber der gedachten Zeitſchrift an die Stelle vder umge-
ſtürzten „alten Lirche“ wiedex eine neue „Kirche“ ſetzen will, fo ſehen wir da-
rür nur einen Beweis, wie ſelbſt die vorgerückteſten philoſophiſchen Kriiiker der
Theolpgie ſich doch nicht immer ganz von theologiſchen Schwachheiten losma
chen können. Im Uebrigen kann es natürlicher Weiſe nicht unſere Abſicht
ſein, mit dieſen Bemerkungen die Tendenz der Zeitſchrift, ſo weit ſich dieſelbe


greifen zu wollen; wir hehmen viefmepr Veranlaſſung, die „freien allgemeine Kir-
chenzeitung allen, welche an dex kirchtichen Beweguͤng unferer Zeit Antheil neh-
men, zur Beachtung zu empfehlen. Gleichwohl verhehlen wir nicht, daß der
Herausgeber unſerer Anſicht nach ſowohl ſeiner eigenen philoſophiſchen Richtung

der Zeit weit eher eniſprochen haben mwürbde,
wenn er den Stoff feiner Zeitſchrift einem allgemeineren Geſichtspunkte unterge-


genwart losgetrennt, vielmehr den einheulichen Geiſt der Zeit, wie er ſich gleich-
mäßig auf dem kirchlichen, dem wiſſenſchaftlichen, dem politiſchen und ſozialen
Gebicte kund gibt, zur Darſtellung zu bringen geſucht hätte. Die „SFabhrb ücher
für Wiſſenſchaft und Leben“ deren Aufhören?wir bedauern müſſen, nahmen biefe
Stellung ein. Sollte ſich der Herausgeber derfelben nicht dazu verſtehen Fönz
nen, die nämliche Richtung in ſeine neugegründete Zeitfchrift hinüberzuführen?

Larlsruhe, 17. Nev. Die Amneftiefrage in der badifchen 2 Kame
(Sitzung vom 8. und 9. November.
So iſt denn endlich eingetreten, worauf das ganze Land in ungeduldiger
Spannung gewartet; der Spruch, dem Tauſende Zwifchen Zweifel und Hoͤff-
nung entgegenharrte,, iſt gethan — die 2. Kammer hat die Amneſtie beratzen.
Wie die Einzelnen ihre Aufgabe erfaßt, wird aus nachſtehenden Verhandlungen
erſehen werden; das Reſultat war, wie zu erwarten ſtand, ein unbefriedigendes
unentſchiedenes, halbes. Es trägt die Phyſiognomie der Kammermaforität!

Ueber mehr denn zweihundert Amneſtit-Petitionen aus allen Gegenden des
Landes hatte die Commiſſion zu beridten, die ihren Datum nach ſich nur
auf die Theilnehmer am Heckerſchen Aufſtand bezogen. Erſt neuerdings waren
welche eingegangen, die ſich auch auf die Struͤve'ſche Schilderhebung erſtreckten,
deren Eine (von Mühlburg) der Berichterſtatter, Yfarrer Zittel, Eingangs der
Sitzung erwag weniges zurecht machte, um die Stimmung der Kammer für die
nachſtehenden Verhandlungen in ſeinem Sinn zu präpariren. Indem er einzelne
Stellen, die, aus ihrem Zuſammenhang geriſſen, einigermaßen „roth“ lauteten,
vorlas, andere aber, bie nicht in ſeinen Kram taugten, wohlweislich verſchwieg,
wußte der Mann des Friedens den Petenten eine Geſinnung anzufärben, die
freilich keine Sympathie für ſich und die Amneſtieſache in der Kamnier erwecken
konnte, und über welche er dann den Entrüſteten ſo meiſterhaft ſpielte, daß er
uns der bekannten Vers aus dem „Fauſt“ ins Gedächtniß rief:

„Ja, wenn der Pfarrer ein Comödiant iſt 26, ꝛc.

Hier iſt nun aber freilich noch etwas Anderes alg Comödie geſpielt. Mat-

thäus am 23., Vers 27. und 28. giebt dazu die Kritik. In der That ein

mer.


Der Antrag der Petitionskommiſſion an die Kammer lautet:

Es wolle biefelbe die vorgelegten Petitionen „um Amneſtirung ſaͤmmt-
lichex, politiſcher Verbrechen angeſchuldigter Perſonen in Baden“ in
Bezichung auf die Theilnehmer an dem Hecker'ſchen Aufſtande, mit
Ausnahme der vorzüglichſten Anſtifter und Leiter deffelben, fo wie aller
Derer, die ſich zum zweiten Male an einem aufrührexiſchen Unterneh-
men betheiligt haben, nachdem ſie zuvor im Verlaufe dieſes Jahres


 
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