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Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 235 - No. 260 (1. Oktober - 31. Oktober)
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leil Noch ein Wort über Guſtav Struve und die
letzte republikaniſche Schilderhebung.

Die Thatſachen, von denen unſere letzte republikaniſche Schilderhebung be-
gleitet war, rufen noch täglich ſo verſchiedene und verworrene Urtheile hervor,
daß wir es der Mühe werth halten, durch eine umſtändliche Beleuchtung des
ganzen Ereigniſſes etwas zur Läuterung der Anſichten beizutragen. Es kann
natuͤrlich nicht unſere Abſicht ſein, auf eine Zurückweiſung der Verleumdungen
und Lügenberichte, welche die reaktionären Blätter zur Berdaͤchtigung der demo-
kratiſchen Sache in die Welt hinausgeſtreut haben, weiter einzugehen; wir hal-
ten uns bloß an dasjenige, was in der öffentlichen Meinung als feſtſtehend
angeſehen wird und knüpfen daran unſere Betrachtungen. Man wirft Struven
das Verfahren vor, das er bei dem Aufſtande geübt hat. Er hat die öffent-
lichen Kaffen in Beſchlag genommen, heißt e$; er hat Zwang, er hat Gewalt
geübt; er hat den Belagerungszuſtand, er hat das Standrecht proklamirt. Wir
halten es felbſt für einen unglücklichen, ja noch mehr, für einen unrechten Ge-
danken, dem Volke zum Aufſtande gegen feine Unterdrücker in irgend einer Weiſe
eine Nöthigung auflegen zu wollen: mir mögen nirgends den Zwang und am
allexwenigften den Zwang zu einer That der Freiheit Das
Volt iſt ſo lange der Unterdrückung werth, und eines freien Zuſtandes un-
fähig, als es nicht die Kraft beſitzt, aus eigenem inneren Antriehe zur Errin-
gung ſeiner Freiheit ſich emporzuraffen. Auch bei den beſten Abſichten erregt
ſchon die leiſeſte und entferntefte Nöthigung Mißtrauen. Man mochte daher
gleich im Anfang das Unternehmen Struͤve's beklagen und verloren geben, al-
lein wex genauer die Verhältniſſe betrachtet, der wird nicht im Stande ſein,
ein rückſichtsloſes Verdammungsurtheil über das Geſchehene auszuſprechen. Wer


will, der muß vor allem die Motive der Handlung, der muß die handelnden
Charactexe, der muß die äußeren Momente, welche beſtimmend mitwirkten, ins
Auge faſſen. Struve hatte ſein Ziel klar vor ſich; er wollte den Willen und
die Kraft des Volkes zur Erringung des freien Volksſtaates in ſelbſtthätige
Bewegung ſetzen. Der Augenblick, in welchem die Autorität des Volkes durch
jenen denkwürdigen Beſchluß der Nationalverſammlung auf ſo ſchmähliche
Weiſe mit Füßen getreten war, der Augenblick, in welchem überall die Herzen
von Zorn und Schaam brannten und die Entrüſtung unbezähmbar an dem
Sitze der Nationalverſammlung bereits in den wilden Flammen des Aufſtandes empor-
loderte, dieſer mächtige, tief erſchütternde Augenblick war es, der in ihm dem
Entſchluß feſtſtellte: Es muß geſchehen. Die gewaltige Macht der Ueber-
zeugung, mit der er die Sache des Volkes ergriffen hatte, die Un-


fein ganzes Streben beſeelte, entbrannt war, ließ ſich jetzt nicht mehr in die
Schranken eines bloßen Vorſatzes zurückdrängen und mußte zur lebendigen That
ausbrechen. Und die Ausſichten für das Gelingen einer nochmaligen Schilder-
hebung waren in der That ſo ungünſtig gar nicht, daß man die ganze Unter-
nehmung als ſinnlos verurtheilen könnte! Die Exeigniſſe zu Frankfurt hielten
einen großen Theil militäriſcher Kräfte gefeſſelt; viele andere Orte konnten we-
gen der herrſchenden Stimmung nicht bloßgeſtellt werden; im ganzen Großher-
zogthum nur badiſche Truppen, die zum Theil ſelber mit den Republikanern
fympathiſiren; die oberen Gegenden unbeſetzt, ſchienen wenigſtens auf einige
Tage dem Aufſtande ungehinderten Spielraum zur Ausbreitung zu geſtatten; die
Stimmung im ganzen Lande ernſt und herausfordernd, durch die fortwährenden
hartnäckigen Amneſtieverweigerungen aufs höchſte erbittert, durch die neueſten Er-
eigniſſe empfindlich gereizt; das angrenzende Würtemberg in einer Aufregung und
Gährung, die mit jedem Augenblicke einen Ausbruch erwarten ließ; das ganze ſüd-
weſiliche Deutſchland ſchien nur die Loſung zu verlangen, um den ſeit Mongten
durch alle Gauen brauſenden Ruf nach Republik zur That zu machen. Und
Struve mochte da noch zaudern? Wer den Charakter Struve's kennt, der
weiß, mit welcher Beharrlichkeit und Unerſchütterlichkeit er auf ſein einmal in's
Auge gefaßtes Ziel losgeht; der ungeſtüme Drang, der in ihm braust, läßt ihn
Schwierigkeiten überſehen, die ſich ihm in den Weg ſtellen; er fürchtet ſie nicht,
er ſucht ſie über den Haufen zu werfen und ſich Bahn zu brechen; er will,
und das iſt genug für ihn. Der überſichtliche Blick über die Verhältniſſe, der ihm
eigen iſt, die Beherztheit und Planmäßigkeit, mit welchex er ordnend und wal-
tend in die Maſſe der ihm zur Verfügung überlaſſenen Kräfte eingreift, erhebt
ihn leicht über jeden Gedanken an die Möglichkeit eines Widerſpruchs und ver-
leiht ſeinem ganzen Auftreten eine gewiſſe kühne Rückſichtsloſigkeit, durch die er
nicht ſelten, vhne den mindeſten Anſtoß zu vermuthen, ohne die geringſte Ver-
* zu beabſichtigen, an das Selbſtgefühl anderer mitwirkender Perſonen
anſtreift.

Zudem iſt er gern geneigt, die Beſtimmtheit und Sicherheit, mit der er
ſeine Beſtrebungen verfolgt, auch bei Anderen vorauszuſetzen, und vergißt deß-
halb wohl mitunter, daß eine gleiche Richtung der Geſinnung noch nicht eine
gleiche, Richtung des Willens mit ſich führt. So leicht ihm daher manchmal
in Fällen, wo ein gemeinſchaftliches Handeln nothwendig iſt, ein Conflikt mit
Anderen begegnen mag, ebenſo durchgreifend macht ſich auch in ſeinen Unter-
nehmungen die Kraft ſeines Geiſtes geltend. Man hat gewiß mehr Anlaß zur
Bewunderung als zum Tadel, wenn man die umfaſſende Geiſtesgegenwart,
welche Struve bei dem letzten Aufſtande bewieſen hat, in ihrer ganzen Bedeu-
tung in's Auge faßt, ohne durch den oberflächlichen Schein, den“die Ereigniſſe
von ſich werfen, den Blick trüben zu laſſen.

Verſuch zu einem republikaniſchen Aufſtande zu machen, das beweiſt wohl ſei-



noch nicht; die Art dagegen, wie er ſeinen ganzen Plan aufgefaßt hatte, zeugt bei

näherer Betrachtung von einex Stärke des Geiſtes und des Charakterg, daß




Der Name „deutfhe Republik“ war für Struve, ſobald er den Fuß auf deut-
ſchen Boden geſetzt hatte, nicht mehr ein bloßes Wort, er war für ihn zur
voͤllen, wahren, leibhaftigen That geworden. Die Fahne der Reyublit iſt guf-
gepflanzt; die deutſche Republik eriſtirt. Das war ſein Gedanke. * gieng
nicht den Weg, erſt hier die Republik zu machen, dann dort, dann wieder an
einem weiteren Orte und aus allen den einzelnen republikaniſchen Manifeſtatie-
nen zuletzt die deutſche Republik herzuſtellen, ſondern er ſprach mit einem Male
das große Wort aus: Die deutſche Republik iſt da. 2

Die deutfche Republit ſollte noch werden, während ſie in Struve’s Auftres
ten ſchon alg etwas Fertiges daſtand. Die Idee der deutſchen Republit war
erſt noch in der Berwirklichung begriffen und die Wirklichkeit verwahrte ſich doch
zugleich gegen das Borhandenfein einer bloßen Idee. Dieſe gewaltſame Vernichtung
des Zlieſpaltes zwiſchen Idee und Wirklichkeit durch die einfache, That des
Willens beweist einen Umfang, eine Mächtigkeit des Geiſtes, wie ſie nur auſ-
ſergewöhnlichen Menſchen eigen iſt. Es iſt keine außergewohnliche Sache, einer
neuen Staatsform, die an die Stelle einer umgeſtürzten getretey iſt, nach ihrer
vollendeten Gründung die Kräfte des Staates zuzuwenden; aber ein Anderes
iſt es, während die Form erſt im Entſtehen begriffen, bexeits nach den vorhan-
denen Elementen den ganzen Mechanismus des Staates in Bewegung zu ſetzen.
Mit dem Gedanken im Kopfe, die Republik aufzuſtellen, hat Struve bereits mit
allen Mitteln, welche der Staat an die Hand giebt, für die Exhaltung derſel-
ben operirt; zu einem fo gewaltigen Zuſammenſtoßen aller Verhältniſſe in dem
Luͤsdruck einer einzigen That gehört eine wahrhaft großartige Energie.
Wer hat hier das Recht, einen Tadel auszuſprechen? Man kann die Grund-
fäße, auf denen der Staat in ſeiner bisherigen Geſtaltung beruht, man kann
die Mittel, durch die er ſein Beſtehen zu ſichern ſucht, verdammen, man kann
den gaͤnzen Staat in ſeinem jetzigen Begriff verwerfen, aber wer überhaupt
noch auf dem Boden des bisherigen Staates ſteht und ſtehen will, der darf
auch in keinem Falle über die Conſequenzen dieſes Standpunktes in Entſetzen
geraͤthen. Nach ſſtaatsrechtlichen Grundſätzen iſt es alg ausgemacht zu betrach-
ten, daß von dem Augenblicke an, in welchem die Republik — ſei es nun im
ganzen Lande oder in einem kleinern oder größern Theil — angenommen , ein-
zeſetzt und durch den Volkswillen anerkanuͤt war, die monarchiſche Vexrfaſſung
das'Recht auf eine weitere Exiſtenz verloren hat; alle vorhandenen Mittel des
Staates gehen auf die Republik über, die beſtehendegeſetzliche Verfaſſung iſt von da
an die Republik und die Monarchie kann nur durch eine neue Revolution ihren
Platz wieder erobern. Sobald alſo einmal die Republik wirklich beſtand, mußte
ihr auch das Recht eingeräumt werden, mit denſelben Mitteln ihr Beſtehen zu
ſibern, zu denen in dem ähnlichen Falle die Monarchie ibre Zuflucht nimmt.
Der Möglichkeit eines Umfturzes durch die republkianiſche Partei ſucht die
Monarchiè täglich in allen Theilen Deutſchlands vorzubeugen durch
Verkündigung des Belagerungszuſtandes, durch Verkündigung des Standrechts,
durch Verhaftnahme ſtaatsgefährlicher Perſonen, oder durch anderweitige Garan-
tien, die ſie ſich verſchafft. l

Und was hat Struve gethan? Nichts, als daß er das nämliche Recht für
die Republik in Anſpruch nahm, nichts, als daß er durch die nämlichen Mit-
tel die Monarchie zu bekämpfen ſuchte, durch welche tagtäglich die Monarchie
die Republik bekämpft. Und hat denn wirklich Struve von allen den Maßre-
geln Gebrauch gemacht, deren ſich im ähnlichen Falle die Monarchie zu bedie-
nen pflegt? Die Tagesgeſchichte gibt die Antwort darauf; man braucht die
Thatſachen, die wirklich feſtſtehen, nur zuſammenzuhalten; er hat die Mittel der
Monarchie für die Republik nur in der ſchonendeſten Weiſe zur Anwendung ge-
bracht; eine Grauſamkeit iſt ihm nicht vorzuwerfen.

Worin beſtehen denn nun die großen, die entſetzlichen Verbrechen Struvels?
Einzig und allein in der ungemeinen Stärke, mit welcher er die ganze Maſſe
der vor ihm liegenden Kräfte und Mittel zu handhaben und nach einer Rich-
tung hin zu ſammeln und zu leiten vermochte. Dem Plane und der Anlage
ſeines Unternehmens iſt es wahrlich nicht zuzuſchreiben, wenn er noch in der er-
ſten Ausbreitung ſeiner Thätigkeit begriffen bereits durch einen unvorgeſehenen
Schlag überraſcht wurde, der in Verbindung mit der Außerordentlichkeit feines
ganzen Auftretens eine betäubende Erſchütterung der Gemüther verurſacht und
einen rückwirkenden Stoß auf die von ihm geleitete Unternehmung geübt hat;
der gemeine Menſch ſchreckt vor jeder auffallenden Erſcheinung zurück; er fragt
nicht erſt nach ihren Gründen und nach ihrem inneren Zuſammenhang; er ſpricht
ſein Urtheil ohne Unterſuchung, ohne Erkenntniß. Der Charakter Strupe’$
überſteigt die Begriffe eines alltäglichen Verſtandes; wir wundern uns darum
nicht, wenn kleinliche Naturen an ihm ihre Kritikſucht uben. —

[+1] Der Verin zur Wahrung der Volksrechte in Wien
‚an das deutſche Volk.*)

Es war ein Augenblick, beiſpiellos in der Geſchichte, als das deutſche Volt
ſich erhob, und laut ſeinen Willen hinaus rief in die Welt: es wolle Eins ſein
nach tauſendjähriger Zerſplitterung! Die ganze gebildete Welt bezeugte ihre
Theilnahme, daß ein Volk, ſo reich an Bürgertugenden, ſo unübertroffen an
Schöpfungen der Kunſt und der Wiſſenſchaft endlich vereinigt eintreten wolle in
die Völkerfamilie Europas, und der verrufene Bundestag zerfiel vor dieſem Frei-
heitsſturm in Moder und Aſche, und die Fürſten heugten ſich in Demuth vor
dem Gebote des Volkes, und zum erſten Male — ſo ſchien e& — tönte in ih-
rem Innern die mahnende Stimme, daß des Volkes Wille über dem ihren ſtehe.
Und das Volk vertraute im gläubigen Wahne der Betheuerungen der Fürſten
und das Volk — wurde betrogen. Das Volk ſchickte ſeine Abgeordneten in die
alte Kaiſerſtadt am Main, und überhäufte ſie mit der Fülle ſeines Vertrauene.

Alle Redaktionen liberaler Blätter werden um Aufnahme dieſes Aufrufs



 
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