Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 287 - No. 313 (1. Dezember - 31. Dezember)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44565#1344

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
D

















iertel{ährlich 2 H, 30









Deutſchhand.

* Mannbein, 27. Dez. Bekanntlich iſt Karl Heinzen als Candidat
für e Frankfurter Verſammlung aufgetreten, fein Name nimmt in der Ge-
fchichte unſerer Revolution eine zu bedeutende Rolle ein, als daß eine ausführ-
He Daxlegung ſeines Standpunttes nicht das allgemeine Intereſſe in Anſpruch
nehmen ſollte. Wir geben daͤher nachſtehend einen uns von Karl Heinzen zu-
gefommenen Brief an die Hamburger Nadicalen in welchem er ſeine Anfichten
in Betreff der Umgeſtaltung der ftaatlichen Verhältniſſe Deutſchlands in umfal-
ſender Weiſe auscinandergefetzt haͤt! Er lailei

An die Nadikaleu der Republit Haniburg.

„Wie ich erfahre, haben Sie mich alg Kandidaten für die Frankfurter
Verſammlung aufgeſtellt. Daß Sie nicht vermochten meine Exnennung durch-
Jufegen, daß die radikale Partei auch bort nicht fiark oder einig genug war,
eine radikale Wahl zu Stande zu bringen, habe ich aus allgemeinen wie aus
perſönlichen Gründen zu bedauern. Allein das Veltrauen, welches Sie, ohne
ales Zuthun meinerſeits, mir zugewandt haben, verpflichtet mich nichtsdeſtowe-
Niger, Ihnen meine Erkenntlichkeit zu bezeugen, da es immer ein tröſtliches
Zeichen in dieſer unerquicklichen Uebergangszeſt iſt, wenn das Volk anerkannten


beſondere Aufmunterung betrachien muß, daß es die erſte der beſtehenden deut-
ſchen Republiken iſt, deren Demokraten ihre Blicke auf mich gerichtet haben.
Ich halte es, auch ohne Ihr Deputirter geworden zu ſein, für angemeſſen und
fuͤr Pflicht, mich init Yonen in Rapport zu ſetzen
nes Glaubensbekenntnifſes, ſo weit daſſelbe hier'in Frage kommt.

Daß ich Republikaner bin, wiſſen Sie. Die Republik iſt die einzig
möglide Form, um im Staat die Bernunit zu vexwirklichen und die Freiheuͤ
AIler zur Wahrheit zu machen. Soll aber die Republik für große Gebiete,
vie 3. B. das deuifhe, zur Wahrheit werden, fo muß ſie ſich auf das Sy-
ſtem der Foͤderation ſtützen. Eine Zentraliſation, welche die Kräfte des
Gaͤnzen an ſich zieht und die einzelnen Theile unmittelbar dirigirt, iſt für die
letzteren mehr oder weniger Despotismus, beeinträchtigt ihr indipiduelles Leben
und verurtheilt ſie zu poͤlitiſcher Nullität. 4 —

- . Die Zentraliſalion iſt cine Bedingung des Lönigsthums; für die Republit
HE fie eine Anomalte. Frantreich VHefert ein belehrendes Beiſpiel. Indem Paris
als allmächtiger Sitz der furftrichen Zentealefotton, o mmer Das gaͤnze
Frankreich darſtellt oder beſtimmt und bis in die Gemeinden hinein büreaufra-
liſch dirigint, hat es zwar den Vortheil, mit Einem Schlag Revolutionen für
das ganze Land machen zu können; aber es erlangt dadurch nicht den Vortheil,
alle einzelney Theile gleichmäßig und ſelbſtkräftig ſich beleben, ſich ausbilden

Frantreich iſt durch Paris zur Republit
geworden, während ein großer Iyeil des Landes noch ein ergiebiger Acker für
das Königthum iſt; es wird aber ſchwerlich ohne neue Umwandlungen, welche
die Allmacht der Hauptſtadt neutraliſiren und die einzelnen Provinzen zu ſelbſt-
ſtändigeren Staatstheilen machen, eine wahre Republik werden. In Deutſch-
Land dagegen iſt der Grund zur Föderativrepublik von vornherein gelegt, denn
es beſitzt eine Gliederung ſelbſtſtändiger Theile und die Anlagen zu freiem Ge-
meindeleben. Die Grundindividuen in der ſtaatlichen Gliederung ſind die Ge-
meinden. Die Gemeinden, deren ſelbſtſtändiger Verwaltung Alles überlaſſen
werden muß, was in ihrem Bereich ſich abthun laͤßt,
lichem Intereſſe ſtufenweiſe zu Kreiſen, zu Proͤvinzen, zu Staaten, und die
letzteren zu Bundesſtaaten. Solchergeſtalt iſt immer die individuelle Geltend-
machung der Theile von unten herauf-als Zweck der ftaatlichen ſo gut wie
der geſelligen Verbindung und die allgemeine Jerbindung
nur als Mittel zu jenem Zweck feſtzuhalten.
Mittel, die einzelnen Theile von oben herab zu den Zwedken des bloßen
Zentralwillens zu benußen, Der Diktatur mag ſie für die Borarbeiten der Re-
publik dienen; in die konſtituirte Republik paßi ſie nicht.

Alſo freie Gemeindeverfaſſung, Repuhlikaniſirung der einzelnen Staaten
und Zuſammenfaſſung der letzteren in der Form einer Föderativrepublik — dieß
ſind die Hauptpunkte, auf welche das politiſche Streben der deutfchen Republi-
kaner ſich richten muß. Soll ich hierbei auf Ihr Hamburg pindeuten, ſo thue
ich es mit der Bemerkung, daß Ihre Republit und deren neuzuerrichtende Ver-
faſſung niemals geſichert ſein wird, ſo lang nicht das übrige Deuiſchland re-

Die Zentralifation dagegen iſt das


punkt einer der bedeutendſten Republiken Norddeutſchlands nothwendig werden
muß.
Indem ich Republikaner bin, bin ich nothwendig zugleich Revo (utionär,
Es liegt in der Natur der Dinge und die Geſchichte beftätigt es bei jeder Ger
legenheit , daß das Königthum mit ſeiner organifirten Gewalt nur der revolu-
tionären Gewalt Platz für die Repuͤblik maͤcht! Wer alfo die Republik will,
muß aug die Revolulion wollen, und es ift eine elende Heuchelei, dieß nicht
zuzugeſtehen. Einer Konſpiration bedarf es zu Revolutionen nicht.

Der Ausbruch hängt in der Regel am Zufall, nachdem die revolutionären


unwillluͤrlich das Signal gegeben; doch es iſt die Sache der revolutionären Par-
tei, die gegebenen Verhaͤltniſſe ſo gut wie möglich zur Organiſation ihrer


3u fein. Namentlih ift die Kultivirung des Bereiuswefens und die Betheilt-
gung an der Vokkabewaffnung ſo wie an den Wahlakten das beſte Mittel,
die demokratiſchen Kämpfer zu üben und auf ihre Poſten zu bringen.
Es ift entweder Beſchränktheit oder Berleumdung, welche die Revolutio-
näre als Blutmenſchen zu ſtempeln pflegt. Kein vernünftig und politiſch den-
kendex Revolutionär kaun die Anwendung Can ſich) inbumaner Mittel als










durch die Poſt bezogen in ganz Sad en

No. 311.

Kreuzer. — Briefe und Gelderı frei einzufenden.











evolutionär zweifelgaft ſein, ob er zum nothwendigen Zweck die nothwendigen
Mittel wolle. Es iſt ſo laͤcherlich wie ungerecht, das Wort Revolution zum
Schreckbild zu machen. Die ganze Geſchichte iſt eine einzige Revolution, eine
Revolution, deren unaufhaltfames Rad nur zur Ucberwindung hartnäckigen
Widerſtandes dann und wann in einen zermalmenden Umſchwung gebracht wird
und welche ohne jenen Widerſtand einer verſtockten Reaktion einen friedlichen
Verlauf haben würde. Machte die Neaktion einen Fortſchritt ohne inhumaͤne
Mittel möglich, wir alle müßten freudig die Hand dazu bieten. Aber die Re-
aktion behaͤndelt noch immer die Vernunft als Verbrecherin und das Menſchen-
recht als Feind der Menſchheit; die Reaktibn will noch immer Blut und ſie
zwingt uns es ebenfalls zu wollen; die Reaktion lebi noch immer vom Mord-
und ſie treibt uns mit Gewalt zu Gedanken der Vernichtung. Es iſt nicht
Humanität, es iſt Schwäche, auf die höchſten Zwecke der Menſchheit zu ver-
zichten, wenn ſie nur durch Mittel zu errreichen ſind, die ohne edlen Zweck in-
puman ſein würden. Die Republik iſt das einzige Feld zur allgemeinen Rea-
liſirung wahrex Humanität, die Republik iſt der einzige Rettungshafen für die
ringende Menſchheit, und im Willen jedes Republikaners muß unausrottbar
der Entſchluß feſtſtehen, die Republik zu erringen und ſollte die Geſchichte ei-
nen Preis dafür fordern, wie ihr noch keiner bezahlt worden iſt.

Vielleicht liegt die deutſche Föderativrepublik noch in weitem Felde; viel-
leicht müſſen wir noch eine längere konſtitutienelle Ucbungsſchule durchmachen
vielleicht muß ein europäiſcher Krieg uns unferm Ziel entgegenführen; vielleicht
muß eint eiſerne Diktatur die Voraͤrbeiten zur deutſchen Republik vollbringen.

„Mag geſchehen, was da wolle, nichts darf uns zweifelhaft oder muthlos ma-
chen, und die Zuverſicht, daß die Republik kommen werde und müſſe, darf uns
nie verlaſſen. Die deutſche Revolution hat begonnen, aber nur ihr Anfang
liegt hinter uns.

Fragen Sie nach dem Inhalt der Republik, zu welcher wir durch die Re-
volution gelangen werden, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß ich denſelben nicht
auf die politiſche Freiheit und Gleichheit beſchraͤnkt wiſſen will. Eine gerechte
Regelung der oͤkonomiſchen Verhaͤltniſſe wird, wie ſie nur in der Republik
möglich iſt, ſo eine ihrer Hauptaufgaben fein. Vor allen Dingen bin ich aber
nicht Kommuniſt. Ich will nicht das Eigenthum des Einzelnen zerſtören, ſon-
dern es Jedem geſichert wiſſen. Jeder Einzelne ſoll ſein Privateigenthum ha-
ben, damit er ein freier und glücklicher Menfch ſein könne, — Das Mittek-aber
zur Erlangung von Eigenthum iſt die Thätigkeit, die Arbeit. Da indeſſen die
Extangung von Arbeit nicht immer in der Macht des Einzelnen liegt, muß die
Algemeinpeit die Garantie dafür übernehmen. Es iſt eine Barbarct, daß der
Staat ſeine Buͤrger durch den Geſellſchaftsverband feſſelt ohne ſie vor dem
Hungextod ſicher zu ſtellen; es iſt ein Widerſinn daß der Staat dem Bürger
Sicherheit, Freiheit u. ſ. w. garaͤntirt, bevor er ihm die Möglichkeit der Ext-
ſtenz garantirt, ohne welche alles Andie keinen Werth haben kannu, Das erſte
aller Menſchenrechte iſt bas Recht auf die Exiſtenz. Die Allgemeinheit muß ,
Aſo Einrichtungen ſchaͤffen, wodulch die Öelegenheit zu exiſtenzſichernder Arbeit
Jedem geboten iſt, der ſie nicht im freien Verkehr finden kann. Zugleich muß
die Arbeit aus der Abhaͤngigkeit von dem ausbentenden Kapital befreit werden.
Ueberdieß muß der Staat Jedem unentgeltliche, Gclegenheit geben, ſeine Fähig-
keiten für ſeine Berufsthätigkeit auszubuͤden. Daß er die Sorge für die Ar
beitsunfähigen uͤbernimmt, die keine Exiſtenzmittel haben, verſteht ſich von ſelbſt.
Die Mittel für ſeine Leiſtungen nimmt der Staat aus dem Volkseigenthum,
deſſen Haupttheil ihm die Rebolution zuwenden wird, und aus den Steuern.
Die Beſteuerung, welche progreſſiv iſt, trifft das Einkommen und zwar nur
Derjenigen, welche mehr haben alg das für die nothdürftige Exiſtenz feſtzuſe-
vende Minimum. Dennoch übt ſie auf die politiſchen Rechte keinen Einfluß
aus, da kein Zenſus zu dulden iſt. Dies ſind die Hauptbediugungen der repub-
lilaniſchen Gerechtigkeit und zugleich diejenigen Punkte, welde nicht über das
ſchon jetzt practiſch Mögliche hinausgehen. Ueber das vor der Hand Unmögliche
zu reden, halte ich für müßig. }

Fir Sie alg Hamburger hat ein Hauptintereffe das Prinzip des Freihan-
dels. Ich faſſe den Freihaͤndel wie jede andere Bethaͤtigung der Freiheit auf.
So wie die Freiheit ſich nicht theilen läßt, ſo läßt ſie ſich auͤch nicht ausfchlief-
ſen, und der freie Handel iſt ſo bexechtigt wie die freie Preffe, die freie Lehre
u. ſ. w. Aber es darf nicht überſehen werden, daß die Hauptbedingung auch
des freien Handels die Freiheit überhaupt iſt, die Freiheit naͤch Innen
und die Freiheit nach Außen. So lang die Gewalt Monopole ſchaffen und
nach ihrem egoiſtiſchen Iniereſſe den Vertehr regeln und beſchränken kann, iſt
der Freihandel eine Unmöglichkeit. Eben ſo iſt er eine Unmöglichkeit, ſo lang die
Anzelnen Staaten durch dynaſtiſche und ariſtokratiſche Intereſſen, oder durch
Ungleichheiten in der freien Entwickelung mehr oder weniger feindlich einander
gegenühergeſtellt werden. Die Freiheit berwiſcht die feindlichen Grenzen, gleicht
die Intereffen aus und befreundet die Völker wie die Individuen unter kinan-
der. Beſäße das ganze Europa die Freiheit der Schweiz und Nordameritas,
es würde auch das ganze Europa ſich dem Freihandel befreunden, Prohibitiv-
maßregeln ſind nothwendige Uebel, die man abnormer Verhältniſſe wegen als
vorübergehende Mittel anwenden, die man aber duxch kein rationelles Prinzip
für die Dauer rechtfertigen kann. Wer für die Freiheit übexhaupt wirkt, wirkt
auch fuͤr den freien Handel. Das Umgekehrte iſt freilich nicht immex der Fall,
wie z. B. die dienſtfertige Koketterie der preußiſchen Poͤlitik mit England
darthut. ;

— noch ein paar Worte über das Verhältniß des Deputirten zu

ſeinen Wählern. Ich bin zwar der Meinung, daß der Deputirte mit ſeinem

Mandat keine Feſſel für ſeine Ueberzeugungen übexnehmen könne; aber ebenſo

bin ich der Meinung, daß er das Mandat nicht übernehmen dürfe, wenn ſeine







Ueberzeugungen denen ſeiner Wähler widerſtreiten Lund daß er in dem QBa_;y{;
* * Freibrief zu erblicken habe, der ihn der Rückſichten auf die Wäh-



 
Annotationen