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Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 209 - No. 234 (1. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0983

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s6. Sitzung der eonſtituirenden Nationalverſammlung.
Dienſtag, den 26. September 1848.

Nach Vorleſung und Genehmigung des Protokolls von geſtern ſtattet
Adams Bericht im Namen des Verfaſſungsausſchuſſes über das Verlangen der
badiſchen Regierung, die Zuſtimmung zur Verhaftung Peters zu geben, ab. Es
wird darin beantragt, die Zuſtimmung zur Vexhaftung in Betracht der jetzigen
Lage der Sache zu verſagen, übrigens zu erklären, daß der Fortſetzung der
Untexſuchung nichts im Wege ſtehe! Desgleichen Lette über mehrere Petinonen,
die Jagd hetreffend! Der volkswirthſchaftliche Ausſchuß erklärt, das Jagdrecht
ſei ein ſolches, das unentgeldlich aufzuheben ſei. —

Die geſtern von Gräbell erwähnte, aber vermißte Beſchwerde Grävells
über den Präſidenten hat ſich gefunden und wird vorgeleſen. Da Grävell der
Antragſteller iſt, ſo werden die zum Theil ſehr gerechten Beſchwerden mit La-
chen aufgenommen, in das der Präſident ſelbſt mit einſtimmt. Die Sache wird
an den Ausſchuß für Geſchäftsordnung verwieſen.

Simon von Trier hat ſchriftlich beantragt: die am 16. d. M. ertheilte
Einwilligung zu dem Waffenſtillſtande mit Daͤnemark, welche auf die Zuſiche-
rung balirt ſei, die däniſche Regierung ſei zu Modiftkationen bereit, jeßt, wo
ſich die Unwahrheit dieſer Zuſicherung erwiefen habe, als null und nichtig zu-
rückzuziehen, und über den Waffenſtillſtand von Neuem zu berathen; er hat zur
Begründung der Dringlichkeit ums Wort gebeten.

Präſtdent zeigt zuvörderft an, daß von Vogt eine Interpellation in Betreff
deſſelben Gegenſtandes eingegangen, und verliest dieſelbe.

Das Wort zur Begründung der Dringlichkeit wird Simon verſagt.

Hierauf ſtellt Zimmermann aus Spandow folgende Fragen an den Reichs-
miniſter des Innern:

Iſt es gegründet, daß Wrangel das Kommando der Reichsarmee in
Schleswig niedergelegt habe, ohne von der Centralgewalt dazu Befehl zu
4 und was beabſichtigt das Miniſterium zu thun, wenn es gehrün-
det iſt?

2) Ift es gegründet, daß noch kein Geſandter für Ungarn ernannt iſt?

3) Iſt gegründet, daß der Geſandte bei der frauzöſiſchen Repuͤblik die
Notifitation überbrachte, der Bundestag habe feine Befugniſſe auf den
Reichsverweſer übertragen, daß dagegen in ſeinem Creditivy die Umgeſtal-
tung Deutſchlands durch die Nationalverfammlung ganz mit Stillfchwei-
gen übergangen ſei?“

H Welche Maßregeln hat das Miniſterium in Bezug auf die in Ungarn
gegen Deutſche verübten Gräuelthaten verfügt?

5) Was iſt geſchehen, um die Anerkennung der Centralgewalt in Dänemark
zu veranlaſſen?

6) Was wird bie Centralgewalt thun, wenn Dänemark auf
des Waffenſtillſtandes nicht eingeht?

7) Welche Schritte ſind zum Beſten der deutſchen Junigefangenen in Paris
geſchehen und was war deren Erfolg?

Reichsminiſter . Schmerling erwidert ſogleich auf 4 und 5, daß das Mi-
niſtexium den Syndikus Banks nach Kopenhagen geſandt habe, um ſowohl der
däniſchen Regierung die Einſetzung der probiſoriſchen Centralgewalt anzuzeigen,
alg auch wegen Ausführung des Waffenſtillſtandes die nöthigen Unterhandlun-
gen anzuknüpfen; fernex habe das Miniſterium Stedmann als Kommiſſär nach
den Herzogthümern geſchickt, um dort den Waffenſtillſtand in Ausführung zuͤ
bringen. Das Rundſchreiben der däniſchen Regierung, welches die Zeitungen
erwähnen, hahe die Centralgewalt noch nicht offiziell erhalten, werde es aber
zur Kenntniß der Verſammluͤng bringen, ſobald' es daſſelbe erhalte. Auf 3
antwortet er entſchieden mit Nein, und wird auf die übrigen Fragen den 2.
Oktober antworten.

Zimmermann behält ſich feine Anträge vor.

Mareck fragt den Reichsjuſtizmintſter?

1) Nach welchem Geſetze wurde der Belagerungszuſtand verhängt?

2) Nach welchem Kriegsſtrafgeſetz wurden die nad Verkündung des Belage-
rungszuffandes zur Unterfuchung Gezogenen behandelt?

3) Welche ſtandrechtliche Procevur Iritt ein und nach welchem Strafgeſetz?

Präfident zeigt an, daß Keh und viele Genoſſen mehrere Fragen über die in
dem Worte Belagerungszuſtanb und Standrecht liegenden Gebole und Verbote
ſchriftlich eingereicht.

NReichsjuſtizminiſter will erſt gar nicht antworten, weil ein Antrag vor-

liege, ihn in Anklageſtand zu verſetzen, dann erklaͤrt er für ganz unmöglich,
zuf dieſe Fragen präcis zu antworten. Er weiß alſo heute 8 Tage nach der
Verhängung jener Maßrkgeln noch nicht, wie er dieſe Maßregeln zur Ausfüh-
runs bringen will! Unſers Erachtens hätte ſich der Miniſter vor der Verhän-
gung dieſer Maßregeln über dieſe Frage völlig Mar ſein müſſen; er übernahm
eine furchtbare Verantwortung, indem er Diefe alle geſetzlichen Zuſtände aufhe-
benden Auonahme-Maßregelu verhängte, ohne ſich ſelbſt ſagen zu können, was
ſie, bedeuten und wie ſie ausgeführt werden ſollen. Eine Unbedachtſamkeit, die
beifpieloS in Dder Geſchichte ift! Verfprach übrigens, unter allgemeinem Ge-
lächter, 3U antworten, ſobald er ſich felbft über Die Frage eine präciſe Antwort
geben könne!

Zimmermann beantragt darauf, zu beſchließen, der Miniſter habe binnen
24 Stunden zu antworten, da ihın die Gefeße, nach weldhen die Anordnungen
getrofen wurden, porher befannt ſein mußten, (Von Dder Linken mnicht binnen
z4 Stunden, ſogleich!) D

Mohl, wil ſich entfhuldigen: ich weiß nach welchem Geſetz der Belage-
rungszuſtand verhängt wurde, ich kann aber auf das Uebrige nicht gleich ant-
worten und will auf alle Fragen auf einmal antworten, ich — — Fier bleibt
er ſtecen. (©flächter.) Ecklärt endlich, er werde Donnerſtag antworten. .

Man geht zur Zagesordnung über, die Ayſtimmung über $. 18, 19, 20.

Nachdem Waitz über die Frageſtellung geſprochen, fragt Bogt, ob Ab-

Modiftkationen



geordnete, welche ausgetreten ſeien, wie Keim aus Bayreuth, in der Mitte der
Verſammlung ſitzen und Antheil an den Bexathungen nehmen dürfen.

Keim will antworten, Präſident läßt dies zu, obſchon man ihn aufmerfam
macht, daß er zu antworten habe, Keim aber gar nicht auf die Tribüne zu laſ-
ſen ſei. Keim erklärt, er habe ſich den Wiedereintritt vorbehalten, und damit
iſt die Sache beſeitigt. Die Diskuſfion über die Fragſtellung geht weiter. Nach-
dem ſie endlich beendigt, wird der erſte Theil des Majoritätsantrags des Aus-
ſchuſſes für Schulweſen durch einfache Abftimmung angenommen; der zweite
Theil: „das geſammte Unterrichts- und Erziehungsweſen bildet einen abgeſon-
derten Zweig der Staatsverwaltung,“ nach fruchtlos gemachter Gegenprobe bei
Stimmenzählung mit 200 gegen 190 Stimmen abgeworfen. Es entfteht eine
Debatte, ob nach dieſer Abſtimmung die beiden Ergchten, der Minorität deſſelben
Ausfchuffes noch zur Abftimmung zu bringen feien? Präfivent ift dagegen, weil
er glaͤubt, daß durch Annahme jenes erſten Satzes! „das Unterrichts und Er-
ziehungsweſen ſteht unter Oberaufſicht des Staats,“ jenes Amenement ausge-
ſchloſſen ſei!!! Nachdem mehrere Redner geſprochen, bringt Präſident das zweite
Minoritätserachten: „Alle öffentlichen Schulen ſind Stagtosanſtalten,“ zur Ab-
ſtimmung, es wird verworfen. Neuer Streit über die Abſtimmung über das
erſte Minoritäserachten; der Käſident läßt darüber abftimmen, ob er über daſ-
ſelbe abſtimmen laſſen ſoll. Die Gegenprohe gibt kein Reſultat, die Stimmen
werden gezählt, 196 gegen 190 entſcheiden ſich gegen die Abſtimmung.

Nachdem hierauf der weitere Satz aus dem Majoritätserachten: Der deut-
ſchen Jugend wird durch genügende öffentliche Schulanſtalten das Recht auf
Algemeine wenſchliche und hürgerliche Bildung gewährleiſtet,“ ſo wie der erſte
Theil des Rheinwald'ſchen Antrags: „Niemand darf die ſeiner Obhut anver-
traute Jugend ohne den Grad von Unterricht laſſen, der für die untern Volks-
ſchulen vorgeſchrieben iſt,“ durch einfache Abſtimmung angenommen worden, be-
ginnt die Abſtimmung mit Namensaufruf über den Schlußſatz des Majoritäts-
Antrags: „Das Unterrichts- und Erziehungsweſen iſt der Beaufſichtigung der
Geiſtlichkeit als ſolcher entzogen;“ derſelbe wird mit 316 gegen 74 Stimmen
angenommen, Darauf wird Hülßmanns Antrag! „Die Aufſicht der Kirche über
die Schule beſchränkt ſich auf den in ihr zu ertheilenden Neligigngunterricht“
mit großer Mehrheit verneint; Präſident erklärt ohne alle VBeranlaffung, ſeine
Frage ſei nicht verſtanden worden, und läßt, obſchon nicht ein Einziger erklärt,
er habe nicht oder falſch verſtanden, unter Widerſpruch der Berfammlung, als
beren unumſchränkter Beherrſcher, nochmals abſtimmen — dieſelbe kleine Zahl
die heim erſten Male aufgeſtanden war, erhebt ſich unter ſchallendem Gelaͤchter
der Verſammlung.

Dann wird der Vorſchlag des Verfaſſungsausſchuſſes: „Für den Unterricht
in Volksſchulen und in niedern Gewerbſchulen wird kein Schulgeld bezahlt, —
Unbemittelten ſoll auf allen öffentlichen Bildungsanſtalten freier Unterricht ge-
währt werden,“ angenommen; erſterer Abſatz bei Stimmenzählung mit 193 gegen
163 Stimmen; ebenſo der Antrag des Ausſchuſſes für Schulweſen: „Armen-
ſchulen finden nicht Statt.“ Zuleßt ward noch der Antrag Werners aus Cob-
lenz: „Die Gemeinde beſoldet die Lehrer in angemeſſener Weiſe. Unbemittelten
Semeinden kommen hierbei Staatsmittel zu Hülfe“z ſo wie $ 20 nach dem
Wortlaut des Entwurfs angenommen.

Artikel V. lautet nach dieſen Abſtimmungen folgendermaßen:

S. 17. Die Wiſſenſchaft und ihre Lehre iſt frei.

S. 18. Unterricht zu ertheilen, ſo wie Unterrichts- und Erziehungsanſtalten
zu gründen, ſteht jedem Deutſchen frei, wenn er ſeine moralifche
und wiſſenſchaftliche, reſp. techniſche Befähigung der betreffenden
Staatsbehörde nachgewieſen hat — Das gefammte Unterrichts- und
Erziehungsweſen ſteht unter Oberaufſicht des Staats, und iſt der
Beaufſichtigung der Geiſtlichkeit als ſolcher enthoben. — Der deut-
ſchen Jugend wird durch genügende öffentliche Schulanſtalten das
Recht auf allgemeine menſchliche und bürgerliche Bildung gewähr-
leiſtet. — Niemand darf die ſeiner Obhut anvertraute Jugend ohne
den Grad von Unterricht laſſen, der für die untern Volksſchulen
vorgeſchrieben iſt. — Die öffentlichen Lehrer haben die Rechte der
Staatsdiener. — Die Gemeinden wählen aus den Geprüften die
Lehrer der Volksſchulen.

Für den Unterricht der Volksſchulen und niedern Gewerbsſchulen
wird kein Schulgeld bezahlt. Unbemittelten ſoll auf aͤllen öffentli-
chen Bildungsanſtalten freier Unterricht gewährt werden. — Armen-
ſchulen finden nicht Statt. — Die Gemeinden beſolden die 4
in angemeſſener Weife, unvermögenden Gemeinden kommen hierbet
Staatsmittel zu Hülfe. 2

Es ſteht einem Jeden frei, ſeinen Beruf zu wählen und ſich für
denſelben auszubilden wie und wo er will.

Die von Zimmermann aus Stuttgart beantragte zweite Abſtimmung über
Art. IN und IV zuſammen geht vor ſich und ergibt die Annahme dieſer Arti-
kel in ihrer nunmehrigen Faſſung mit großer Mehrheit. RE

Man geht, dem Schoder'ſchen und Scherer'ſchen Antrag zu Folge, auf
Art. VI über. Dieſer lautet:

Die Deutſchen haben das Recht, ſich friedlich und ohne Waffen zu
verſammeln; einer beſonderen Erlaubniß dazu bedarf es nicht. —
Volksverſammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Ge-
fahr für die öffenkliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.

Minoritätserachten. Es möge blos der erſte Satz bleiben,
2 Satz (Volksverſammlungen — verboten werden“) weg-
leiben.

Die Deutſchen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieſes Recht
ſoll durch keine vorbeugende Maßregel beſchräuͤkt werden.

Man beſchließt darüber nicht zu diskuͤtirẽn.

Vigard verlangt namentliche Abſtimmung über den zweiten Satz von $323,

Reichenſperger will ſich dem widerſetzen, wird aber ausgelacht.

$. 20.


 
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