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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 126 - No. 153 (1. Juni - 30. Juni)
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A






4848.

* Freiheit oder Nationalität?






Ju einer Zeit, wie die unſrige, wo eine ganze Welt in Trümmer ſinkt,
in einer neuen Schöpfung Platz zu machen, wo die ſeit Jahrhunderten be-
ſtehenden ſtaatlichen und gefellſchaftlichen Formen Des Völkerlebens bis in die un-
terſten Fundamente erſchütiert werden von dem Sturmwinde der Geſchichte,
Velche in wenigen Wochen nachholen zu wollen ſcheint, was ſie in Jahrzehn-
gen und Jahrhunderten verſärmt hat: in einer foichen Zeit, meine ich, iſt es
daͤs erſte und wichtigſte Exforderniß, vor Allem ſich klar zu werden überdie etwaigen
Grund-⸗Principien der Wahrheit und der Freibeit, und. müſſen wir vor Allem
die Geſetze des Kompaſſes kennen, nach denen wir zu ſteuern baben, oder un-
erbitelidy werden wir verſchlungen von den Wogen „der ſturmbewegten
Geſchichte. Wie der einzelne Meuſch nur dann waͤhrhaft ſittlich iſt! wenn er
aug Grundſäben heraus handelt, ſo iſt auch in der Geſchichte, dem großen
Qeben der Bölker, nur die Partei berechtigt, welche bewußt nach beſtimmten
und klaren Prinzipien handelt; dieſe allein geben die Berechtigung, dieſe allein
den Erfolg. Dieſe große Lehre, wüßten wir ſie nicht ohnehin, wir würden ſie
als das einzige heilſamk Geſchenk aus der langen Zeit unſerer Knechtſchaft und
unſers Jammers entuchmen können; wodurch ſonſt hättenes der Bund der
Fürſten und der Pfaffen vermocht, Jabrhunderte lang die Voͤlker in den ſchmäh-
lichſten Feſſeln zu halten, die heiligſten Rechte der Menſchen mit Füßen zu
greten, die freie und ſchöne Entwicklung des Menſchengeiſtes zu erſticken unD
zu vergiften ? Worurch, ſrage ig, wan nicht durch ihre Kcnfequenz, Talır®
daß ſie ein beſtimmtes Ziel vor Augen hatten, auf das ſie losſteuerten, Furz
durch ihr Handeln nach Prinzipien, wenn auch nach fluchwürdigen. Und bie-
rin ſollte die Freiheit dem Deſpotiemus, die Wahrheit der Lüge nachſtehen?
Riminermehr! Will man aber nach Prinzipien handeln, ſo muß man ſich ih-
rer erſt Har bewußt werden. Und dies iſt denn, glaube ich, eine Ler heilig-
ſten Pflichten der Preſſe, das Volk aufklären zu helfen über dieſe Prinzipien,
damit es die Richifchnur und den freien Ueberblick nicht verhere in den fuͤrcht-
baren Kämpfen der Gegenwart. Hierzu nun, was in unſern Kräften ſteht,
beizutragen, wollen wir in einer Reihe von Aufſätzen verſuchen. — Die Prin-
zipienfraͤgen, wie ſie die Gegenwart anfwirft, ſind haupſächlich folgende: Re-
publif oder nicht? und wenn Republik: eine Central-Republik, wie ſte uns
das jetzige Frankreich zeigt, oder eine Födexativ⸗Repuhlik vun einzelnen Staa-
ten, wie ſie in Nord⸗Amexika gder in wer Schweiz exiſtirt? Ferner: Freiheit
wer Einheit? Freibeit oder Nationatität? Dann: Ueber die Bedeutung und
Berechtigung der Repräſentanten gegenüber dem ganzen Volke; iſt der Naferi-


muß er erſt fanktionirt werden durch die Mehrheit in den Urverſammlungen
des Voltes? Sind die Abgeordneten an beſtimmte Inſtruktionen ihrex Kom-
mittenten gebunden oder nigt? Welches Recht bat die Minorität der Majori-
2 u. ſ. w. Wir beginnen mit der Frage, welche die Ueberſchrift
andeutet. *

Wer die Ereigniſſe der letzten Mengte mit aufmerkſamem Blicke verfolgt
hat, der wird nicht verkennen, daß die Bewegung, welche, die Völker Euro-
pas ergriffen hat, im Allgemeinen eiye dreifache iſt, nämlich eine rein poli-
liſche, eine nationale, und eine gefellſchaftliche, oder ſoziale. Frankreich und
Deutſchland ſind es, welcht jetzt in dem gewaltigen Kampfe um politiſche und
ſoziale Freiheit ringen; Polen, Italien; Schleswig-Holſtein und zum Theil die
Czechen und Slawen, überhaupt Alle, welche ſich die nationalt Unabhängigkeit zu
erkämpfen im Begriff ſind; auch die Streit-Fragen über das Elſaß, Limburg,
Trieſt, die ruſſiſchen Oſtſee-Provinzen, welche bereits angexegt find, oder ſicher
noch angeregt werden, gehören, unter dieſen Geſichtspunkt. Was aber allen
dieſen drei Bewegungen gemeinſam iſt, was ihnen zu Grunde liegt und Zweck
iſt, das iſt das Prinzip der Freiheit, des Rechtes und der groͤßtmöglichſten
Glückſeligkeit Aller. Und dieſe erften Grundſätze ſind es den auch, welche
uns in der Behandlung unſers Gegenſtandes zur Jichtſchnur dienen ſollen. Wir
haben alſo die Fragen zu beantworten: Welche Bedeutung hat die Nationali-
tät üherhaupt und welches iſt ihr Berbältniß zur Freiheit? —

Die Nationalität aͤls ſolche iſt, da ſte auf dem Stammesunterſchiede be-
ruht, etwas naturwüchſiges und deßhalb zufälliges; daß ich als Deutſcher oder






dafür? konnte ich wählen, ehe ich war? In dieſer Beziehung iſt der Menſch
eben nicht beſſer als das Thier, oder die Pflanze; wie ſie, iſt er von vorn-
herein beftimmt; er iſt eben ein Stück Natur. Aber der Menſch iſt auch mehr
als die Matur, er ift Geiſt, ſelbſtkewußtes Weſen; das Weſen aber des Geiſtes
iſt die Freibeit, nicht die politiſche, nicht die ſoziale u f. w., ſondern die Frei-
heit an ſich, das iſt die abfolute Selbſtbeſtimmung. Daher iſt denn die ganze
Beſchichte auch weiter nichts, als die Entwicklung da Menſchheit von der
Natur zum Geiſte, die Befreiung derſelben von der Natur, zuerſt von der
äußern, den tohen Naturgewalten, und dann von der Natut in ung, D. D,
von den zufälligen Beſtimmungen, welche wir durch Geburt, Nation, Religion,
Siand u. f. . erleiden. Wir verkennen alfo keineswegs die Bedeutung der
Netionalität; denn wir ſtellen ja die Naturwüchſigkeit, zu der die Nationalität
weſentlich gehört, ale den Anfang und die Baſis der ganzen Entwicklung der


len, den Sprache, Sitte und die ganze Eigenthuͤmlichkeit des Volkes und des
Landes, in welchem wir geboren ünd erzogen ſind, nothwendig auf unſer
Weſen ausuben? Aber wir behaupten auch, daß es die Würde und die Be-
ſimmung des Menſchen erfordere, dieſe unferm Weſen anhaͤftende zufällige
Eigenthuͤmlichkeit zu überwinden, zu überwinden durch die freie Selbſtbeſtim-
Mung ; wir ſtellen alſo die Nationalität unt er die Freiheit, wir fordern, daß
die Nationalität aufgegeben werde, wo ſie in Konflikt geräth mit der Freiheit.


Freiheit unter einem andern Volke, unbedenklich werde ich das letztere vorziehen;

— — —





Do lei-

denn iſt es auch wahr, daß — ſo lange eben Bölfer criſtiren, welche in ſich
durch gemeinfame Sprache und eigenthümliche Sitte eng verbunden find,. —


und daß alfo tie nationale Unabhängigfeit ſo zu fagen Die Möglichkeit Der *
Freibeit iſt, der Grund und Bobden, auf dem ſie emporblübt “ i dies auch
waͤhr, ſage ich, ſo iſt es doch eben ſo mwahr;- daß ein Vaterland ohne Freiheit


vernünftiger Menſch mehr begeiftert und begeiftern fann. 0 gewiß daher, wie
als Sprache und Sitte, ſo gewiß
ſtehen auch der freie Deutſche, der freie Franzoſe, der freie Italiener ſich näher,
als der freie Deutſche und der deutſche Despot mit ſeinen Knechten.
die Nationalität in unſerer Zeit bereits üverwunden iſt,

auf Nord-Amerifa und auf, die Auswanderungen dorthin die ſich von Jahr zu?
Jabr mehren, aus allen Ländern, von allen Stämmen und Sprachen ſtremen
die Menſchen nach Amerika; warum? weil ſie volitiſche Selbſtſtändigkeit und


ihr Vaterland nicht dieſes oder jenes Land, mit dieſem oder jenem Klima, von
dieſer oder jener Beſchaffenheit iſt,

Doch ich ſehe euch mitleidig die Achſeln
er iſt ein Kosmopolit.
befeitigen möchte, der von einem Univerſal⸗Staate aller Völker träumt u. ſ. w.z
der ächte Koſinopolit iſt aber nicht ſo thöricht, als. ihr tenftz er erkennt die
Bedeutung der Nationalität an, aber





wiffen, ſondern ſie der Freiheit unterordnen und ſie nur beſeitigt wiſſen durch die
organiſche Entwicklung der Völke zu dieſer Freihcit. _
daß die Bölfer ſchon auf dem Wege hiexzu vegriffen ſind; oder ſoͤllte es jetzt
noch möglich ſein, daß die Völker an blinden, von den Fürſten in ihrem In-
tereſſe augefachten Haſfe ſich gegenſeitig mordeten, anſtatt ſich brüverlich zu ver-
einen, um gemeinfam den Weg zur Freiheit und zum Giuͤcke zu gehen? Zur.
Ehre der Menſchheit möchten wir rufen: nein, nein, dies iſt nicht mehr mög-


begriffen, oder im tödtlichen Haſſe entzweit, der jeden Augenblick in helle Flam-


Deutſche und Polen, Söhne zweier hexxlichen Nationen, deren beiderſeitiges In-
teveffe ſie vielmehr eng verbinden ſollte, hören wir nicht taͤglich von den Vor-
bereitungen, welche ein zahlreicher Völkexſtamm, die Slawen machen, um ſich
aug bden verſchiedeuſten Läudern zu vereinen und Vereint den andern Nationen
kutgegen zu treten? Wie muß ſich die Stirn des Denkers furchen, wie das
Herz des waͤhren Menſcheufreundes zuſammenztehen wenn er ſieht, wie der
anbrechende Frühling der
des National-Haffes und Haders; wie die zarte Knoſpe der Freiheit überwu-


fionalität! Gerade, wie es geweſen iſt anno 14 — 15; Da hatten wir ja
nur ein nach Außen unabbängiges Vaterland, aber die Freiheit? Erſt jetzt
fangen die Früchte der blutigen Saat an zu reifen; bisher hatten wie alſo trotz




ſchaft, unerträgliche, ſchmachvolle Knechtſchaft!

Webhe, wehe, wenn die Natio-
nalität abermaͤls den Sieg davon tragen ſollte gegen die Freiheit!

Sich dich


furchtbare Kämpfe zu beſtehen haben für deine Unabhängigkeit, gegen die Ruſ-




dingung zur Freiheit iſt; bedenke ſtets,
werfen will, um deine beginnende Freiheit zu erftichen, welcht iym, wie der
Finſterniß das Licht, verhaͤßt iſt; lege olſo nach dem Siege nicht erſchöpft die
Hände in den Schooß, wie ſchon einmal.
höre nicht auf die Einflüſterungen und Verdächtigungen

zeiner Fürſten und ihrer
Diener (wie z. B. der deutſchen Profeſſoren-Zeitung)

welche den alten Haß


nicht, wenn man dir ſagt; daß Fraͤnkreich dein Land zu exobern und dich zu unter-
jochen ſtrebe; das konnte wohl ein Napolcon, aber ein freies Volk kann das



freien Frankreichs anz wahrlich du wirſt ſie vonnöthen haben, dieſe Freund-


Marken ein (und das kann über Nacht gefehehen) — die Franzoſen den Rhein



Alfo nochmals glaube deinen Fürſten


gegen die Knechtfehaft auszufämpfen!





bar gerüſteten Feindes offen ſtehen, währeud die Feſtungen am Rhein in Ver-


lich genug den Sinn deiner Fürſten zu erfennen ? — Wir für unfere Perſen




cund am Ende bethören ſie einige, „getreuen Unterthanen,“ jedenfals ihre Heere),
wir muͤßten mit den Ruſſen vereint,



 
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