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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 155 - No. 181 (1. Juli - 30. Juli)
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1848.





















Der Rechtsbegriff hat eine wächſerne Naſe.

Jedermann kennt die alte Geſchichte, wo es den Rechtsfall weſentlich än-
derte, ob die Kuh dem Junker oder dem Bauer, gehöre. Diee ſchaͤne Fabel
wird ung eben gar deutlich und anſchaulich zu Gemüth geführt. Aus ganz
Baven waren Petitionen um Amneſtie für die politiſchen Gefangenen eingelau-
fen. Das Parlament beſchließt zur Tagesorduung, überzugehen, weil, das innere
Angelegenheiten Badens ſeien,, und dies ſeine eigenen Angelegenheiten zu ord-
nen habe. — Baden liefert die politiſchen Gefangenen 1 1hre Heimathländer
ab, obgleich ſie in Baden ihre Vergehungen obgleich nach göttlichem
und menſchlichem Recht der Menſch. nur M dem Laͤnde beſtraft werden kann,
wo er ein Verhehen begangen. Wie räumt ſich das zu den Parlamentzbe-
ſchluß, der die Aburtheilung dieſer Sache lediglich für eine Angelegenheit Ba-

»erklärt. _ :
* * Baden braucht leere Gefängniſſe. Mathy, der Vexhörrichter Amman
Badens, beirachtet den Heckerſchen Prozeß wie Amman den Ceuen-Mord. Ma-
thy hat die Rubrik betheiligt, Atfernt, entfernter betheiligt, und Vexſuch zu
—— Betheiligung: _ Ieder Mifkiebige, Jeter perjänlihe Ocgner ir
ligt am badiſchen Leuenmord, der Prozeß Heckers wird noch nach einem Jahre
Verhaftungen hervorrufen, wenn jemand den Herren gefährlich iſt.

Die Majorität des badiſchen Volkes vexlangt Amneſtie, ſie kann im Lande
nicht durchdringen, weil dieſelbe keine volksthümlich: Kammer wählen kann, weil
die'badiſche Rehierung die Kammerauflöſung verweigert, und doch iſt die Sache
innere Angelegenheit. Das Parlament hat den Grundſatz ausgeſprochen, wir
miſchen uns nicht in die Streitigkeiten der einzelnen Länder, es wird deßhalb
auch den Miniſtex Peuker zur Vexantwoxtung ziehen müſſen, wenn er Reichs-
truppen nach Naſſau marſchiren läßt. ®ewif wird cs das nicht thun, obaleich
auch die Wiesbadener Affaire eine innere Angelegenheit war. In dieſem Falle
gehört die Kuh dem Jnnker und nicht dem Bauer.

Wir möchten deshalb dem deutſchen Bauer rathen, baldigſt Junker zu


fachen, und auf einmal einen wuͤnderbaren Einklang in den Beſchluͤſſen des Par-
iaments zur Folge haben.

Wir möchten bei dieſer Gelegenheit eine unbeſcheidene Frage thun. Die
Preußen, die nach Wiesbaden marfechirten, weil dem deutſchen Miniſter Oe-
Dorfam ſchuldig ſind, waren alſo Reichstruppen. Wenn nun morgen der Reichs-
Jerwefer dieſelben Truppen gegen Hannover und Berlin ſchickt, um dort den
Hochverrath zu unterdrütcken/ werven ſte ebenfalls folgen? Ich fürchte dann
möchteSie Nafe nach einer andern Seite gedreht werden, und wir hätten über
Nacht keine Reichstruppen, ſondern königl. preußiſche Truppen.

Deutſchland.

[+] Mannheim, 23. Juli. An das Parlament in Frankfurt iſt vom
hieſigen „Srauenz und Jungfrauen-Verein zur Unterſtützung nothleidender Pa-
trioten“ folgende Petition um Amneſtirung der politiſchen Flüchtlinge und Ver-
hafteten mit 772 Unterſchriften abgegangen:

— Berjamm un 8!
/ Deutſche Männer!

Wenn die Stellung des Weibes in der Geſellſchaft ihm bis jetzt keinen
Antheil an den politiſchen Kämpfen zucheilte, ſo ſind doch gewiß alle deutſchen
Frauen und Jungfrauen der jüngſten mächtigen Erhehung Dentſchlands, dem
Kampfe für die ewigen unveräußerlichen Menſchenrechte mit ihrem Herzen

efolgt.

* Fas deutſche Parlament iſt zunächſt die Errungenſchaft dieſes Kampfes,
— die deutſchen Männer umſchaaren es mit der Waffe des Geiſtes, um das
Errungene nicht nur ſelbſt zu erhalten, auch in deſſen Conſequenzen das Glück
und daͤs Wohl Deutfchlands feſtzuſtellen. Uns Frauen aber ruft die Stimme
des Herzens wieder auf den Kampfplatz zurück, unſer Auge ſpäht nach Män-
nein, für die wir, — geſtehen wir es — in träumeriſchen Fantaſien Lorbeer-
kraͤnze gewunden, und fiche! — hier tritt uns eine trauernde Gattin, dort eine
verzweifelte Mutter entgegen, — die eine verweißt unſern Blick nach fernem
freindem Lande, wohin ihr der Gatte gewaltſam vertrieben, — die andere reißt
uns mit an die Kekkermauern, um mit ihr das Wehklagen ihres Sohnes zu
belauſchen.

Der Held, der für eine große Idee ſein Blut zu opfern vermochte, ward
jederzeit mit der Glorie des Märtyrerthums umgeben, ob er für eine Wahrheit
pder eine Täuſchung geblutet — und dieſe glorreichen Beweiſe deutſchen Helden-
muthes und deutſcher Aufopferung ſchmachten in Kexker und Verbannung!

Es reißt uns fort, mit den Müttern und Gattinnen den Verbannten den
Weg in die Heimath zu bahnen, an den Gitterſtäben der Lerker zu rütteln —
doch unſere Kräſte ſind ſchwächer als der Zug unſexes Herzens. Von den
Schmerzen des Mitgefühls durchdrungen, nahen wir Euch, Ihr Männer, die
wil doch nur als Kampfgenoſſen jener Unglücklichen erkennen, deren Schickſals-
würfel nur glücklicher gefallen — unſere Waffe iſt das Herz — unſer Schild
eine Thräne — ſetzt dieſem nicht das ſcharfe Schwerdt Euxer Dialektik entge-
gen, laſſet unſere Thränen nicht vertrocknen im Staube Eurer Pergamente.
Hicht das Feldgeſchrei, nicht die Parole der unglücklichen Kämpfer in ihrem
Wicderhalle führt uns für ſie in die Schranken — wir ſtreiten nur für das
Unglück, für den Jammer der Leidenden und Verlaſſenen, es iſt das Weh-
klagen nach dem Kampfe. „Wir ziehen nicht das Schwexdt im Lager dieſer


Starken, überlaſſen wir es, Gerechtigkeit zu fordern, wir ſprechen nur zu Eurem
Herzen, wir bitten mit zitternden Lippen um Mitgefühl! —


Rechten, Deutſche ſeid Ihr, die von jeher ſtolz darauf geweſen, dem weichen









Sinn des Weibes Achtung zu zollen, — öffnet den Flüchtigen die Grenzen des
Heimathlandes und den Gefangenen die Kerkerthüren!
Mit allem Vertrauen zeichnen re.
(Folgen 772 Unterſchriften.)

Mannheim, 23. Juli. Heute find es vier Wochen, daß die hieſige
deutſch⸗kutholiſche Gemeinde die evangeliſche Trinitgtiskirche als gottes-
dienſtliches Lokal bezog, und wirklich erfreut ſich dieſe Gottesverehrung eines
ſehr zahlreichen Beſuches.

Die dort von dem talentvollen Prediger, Herrn Krebs, gehaltenen Vor-
träge, wie die Art dieſer Gottesverehruͤng, feffeln immer mehr die Aufmerkſam-
feit des Publikums, und haben feitbem nicht wenig dazu beigetragen, In hiefis
ger Stadt die falſchen Gerüchte und Urtheile, die man geg n den Deutſchkatho-
licismus ausgebreitet hatte, in ihr nacktes Nichts darzuſtellen. Man ſieht in
Kurzem einem bedeutenden Zuwachs dieſer Gemeinde entgegen, und wir fra-
gen: „Iſt Gleichguͤltigkeit gegen Religion nicht gleichbedeutend mit Atheismus?
Gioͤt es in einer Zeit, in der ſich Alles zur deutſchen Einheit hinneigt, eine
dringendere Aufforderung, das undeutſche, römiſche Joch abzuſchütteln


und Schwẽſtern, die Ihr noch unter dem Euch aufgedrungenen römiſchen Joche
ſchmachtet, gebt uns, die Ihr uns die politiſche Bruderhand reichet, auch die
chriſtliche Rechte. Bedenkt, baß die Zeit nicht blos begriffen, ſondern auch er-
faßi fein will, wenn ſie mit ihrem glänzenden Erfolg nicht ſpurlos vorüber-
gehen ſoll. Bedenkt, daß politiſche Freiheit nicht ohne religiöſe Freiheit be-
ſtehen kann. Darum nochmals, Ihr römiſch-katholiſchen Brüder und Schwe-
ftein, die Ihr nach politiſcher Freiheit gerungen und noch ringet, fagt Euch
los von ber damit nicht vereinbarlichn römiſchen Geiſtesknechtſchaft-
und ſchließt Euch an an Eure freien deutſch-katholiſchen Brüder und Schwe-


%x< Qöln, 22. Juli. Eine praktiſche Belehrung über das thatſächliche
Beſtehen des Rechtsbodens brachte den revolutionsgläubigen Anueke in die Hände
der tonigl. preuß. Oberprokuratoren u. Inſtructionsrichter, durch ſie in den pene
fylvaniſchen Zwinger. Die Marterwerkzeuge mittelaltexlicher Tortur und die
Rordloͤcher Reapels kennt man hier nicht, man quält die Menſchen in hübſch
etvilifirter, nationgler Weiſe. Den Unterſuchungsgefaagenen, alſo vorläufig nodh
Unſchuldigen, wird der Genuß des Weins und Tabaks verwehrt, welche Höls
lenpein für Raucher! Die gewohnte Beſchäftigung hört auf, doch wäre es
grauſam, einen Wenſchen zum abſoluten Nich sthun zu verurtheilen, man läßt
ihn Wolle oder Baumwolle zupfen. — (Der für die Freiheit begeifterte Wirth
mußte in Baiern 5 Jahre lang Strümpfe ſtricken ) — Die Zellen im hieſigen
neuen Arreſthaͤus ſind zwar hell und luftig gebaut, doch ohne Zugluft, ſo daß
die Hitze jetzt unerträglich darin iſt; tritt ein Gefangener an's Fenſter, will er
einen Fetzen Himmel, ein Endchen Baumgrün oder gar ein menſchliches Antlitz
ſehen, gleich ruft ein Wärter oder Schildwächter: „Zurüc“! — Annete bes
ſchwerte ſich über dieſe chriſtlich-germaniſche, auf der Höhe conſtitutioneller Ver-
weſung florirende Gefangenhausdisciplin bei dem Regierungspräſidenten. Die-
ſer mag vielleicht alg Bürgerwehrcommandant zu viel an die Bourgeoiſirung
der Volkswehr gedacht und die Beſchwerde eines unter Schloß und Riegel be-
findlichen Feindes der zu Recht beſtehenden Staatsferm als einer Beantwortung
nicht bedürftig erachtet haben, und — ſchwieg. Noch zwei Mal wiederholte
Anneke ſeine Beſchwerde, bis ſich endlich der Präſident zu einer Antwort her-
abließ. Er trug ſie einem Oberregierungsrath auf und auch dieſer fand es un-
ter ſeiner Würde, ſich direkt an einen Verächter der Bureaukratie zu wenden;
er erſuchte den Arreſthausinſpector, dem ꝛc. Anneke zu eröffnen, daß ſeine Be-
ſchwerden und Forderungen aͤbgewieſen ſeien. In dieſem Beſcheid war der For-
derung, ſich mit literariſchen Arbeiten beſchäftigen zu können, gar nicht gedadht;
hinſichtlich der Lectüre war A. an die Entſcheidung der Juſtizdehörde verwieſen,
hinſichtlich des Tabakrauchens war ein Verbot des Miniſtexiums und hinſicht-
lich des zum Fenſterhinausſehens ein Verbot des Oberpräſidiums angeführt,
und dabei machte der Ober-Regierungsrath die geiſtreichen Bemerkungen, friſche
Luft könne der Gefangene zur Genüge beim Spazierengehen ſchöpfen und -—
Vorzüge vor ſeinen Mitaxreſtanten könnten ihm nicht bewilligt werden. Das
Ganze ſieht ſo aus, alg handle es ſich nur um Gnadenbezeugungen, und als
geſchähe Alles, was ſo einem Gefangenen allergnädigſt geſtattet wird, nur um,
Gotteswillen. Welche weitläuftige Schreibereien wuͤrde es machen, den Be-
ſchwerdeweg weiter fortzuſetzen? Wie lange würde es wohl dauern, bis der
letzte Beſcheid eingegangen wäre?

Geſtern iſt vom Juſtizminiſter dex Beſcheid eingegangen, daß die in zwei
Inſtanzen über Anneke verhängte Feſtungshaſt, wehch den in friner Schrift -
Fein ehrengerichtlicher Prozeß“ gegen den Auditeur Marcard enthalten ſein ſol-
ienden Inſurien, durch die Amneſtie exledigt ſei. Das Oberlandesgericht muß
wohl früher gleicher Anſicht geweſen ſein, denn es bedurfte einer Erinnerung

von Seiten des Herrn Oberprotarators Zweiffel, daß eS Zeit
fei, Anneke feine Strafe abſitzen zu laſſen, dieſen Menſchen,
der ſeine ganze Thätigkeit der „Wühlerei widmete, der aber ſich

dergeſtalt in den Schranken des Geſetzes zu halten wußte, daß poli-
tiſche Maßregeln damals noch gegen ihn unausführbar zu ſein ſchienen, der
aber um jeden Preis aus dem Kreis ſeiner Wirkſamkeit, gehoben werden ſollte.
Das Oberlandesgericht zeigte diesmal eine raſche Auffaſſungsgabe, es forderte
den vor der Revoͤlution wegen eines Preßvergehens Verurtheilten, natürlich ſich
ſeitdem amneſtirt Wähnenden auf, ſich hinter die Wälle von Jülich in Verwahr-
ſam zu geben. So naiv dieſes Anſinnen auch, geſteltt 4 ſo wieß es doch
Anneke zwei Mal entſchieden zurück, indem er ſich gergdezu weigerte, Folge zu
leiſten; als aber das oberlandespeinliche Gericht mit Gewalt drohte, wendete
Anneke ſich direkt an den Juſtizminiſter. Die Entſcheidung desſelben iſt einer
der wenigen Ausſprüche preußiſcher Revolutionsbureaufraten, welche den errunge
nen Freiheiten nicht Hohn ſprechen, welche eine vernünftige Begründung haben
Die Reden von Annefe und Gottſchalk ſind auf dem Gürzenich von dem


 
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