4 Beber Mißtrauens-Adreſſen.
Ban Miain. Was iſt natürlicher, als daß die Wähler zu dem
Manne ihrer Wahl Vertrauen haben follen? Er wird ja aus Feiner andern
Urſache als Abgeordneter gewählt, als weil die Wähler vertrauen, er werde in
ihrem Sinne reden und ftimmen, er werde der Vertreter ihrer Anſichten, der
Vertreter ihrer Intereſſen ſein. Ebenſo natürlich iſt es, daß dieſes Vertrauen
} / Nur gar zu
bäufig iſt dex Kandidat zu wenig bekannt; die Waͤhler hören oder leſen eine
Axrt von politiſchem Glvuhensbekenntniß, das ſich aber doch immer nur in ganz
allgemeinen Sätzen bewegt; ſie meinen darin zu finden, was ſie wollen; nur
zu bald aber zeigt ſich bei ſpeciellen Fällen, daß der Abgeordnete nicht in ih-
rem Sinne ſtimme. Sie haben ſich getäuſcht.
Kommt aber auch nicht ſehr häufig der andere Fall vor, daß die Wähler
ſich nicht ſelbſt täuſchen, fondern von den Wahlbewerbern geradezu getäuſcht
werden? Wie ganz anders reden manche Leute vor der Wahl, als naͤch der-
ſelben? Wie frei, wie muthig und kühn, wie felbftaufopfernd zeigen ſich die
Kandidaten in den Wahlverſammlungen, wie ganz anders dagegen in den Ver-
handlungen! Aus der Ritckſicht auf die gerechten Erwartungen und Forderun-
Verhältniſſe, eine Rückſicht auf das ſogenannte piſtoriſche Recht, wäre es auch
noch ſo ſehr zum hiſtoriſchen Unrechte oder Unſinn geworden; bisweilen auch
rem Einfluſſe ſind, und die Wege zu Aemtern, Würden und hohen Beſolduu-
Wenn nun ein Wahlbezirk ſich in der traurigen Lage befindet, iu ſeinem
was ſoll er thun? Soll er einer Täuſchung oder einer Niederträchtigkeit we-
gen verurtheilt ſein, in den wichtigſten Fragen des Volkes durch ſeinen eigenen
Deputirten vielleicht gerade die entgegengeſetzten Anſichten vertreten zu ſehen, alg
er vertreten wiſſen will? — Das kann unmöglich ſein. Uns ſcheint es viel-
Vertrauen ſeines Wahlbezirks. Da nun die Wähler zur Zeit das formelle
Recht nicht haben, ihren Gewählten das Mandat zu künden, (wir hoffen zu-
Mittel als zu erklären: „Du haſt unſer Vertrauen verloren, wir anerkennen
dich nicht mebr als unſern Vertreter“, und dann von ſeinem Ehrgefühle zu er-
warten, daß er unverweilt ſeine Stelle verlaſſe. Wir geben zwar gerne zu,
daß bei diefen Mißtrauens-Voten auch große Fehler geſchehen, daß bösartige
Umtriebe gemacht werden können, um den Abwefenden zu verdächtigen, allein
bas wird doch immer, nur ein ſeltener Fall, immer vas geringere Uebel ſein.
Wird es anerkannte Ehrenſache und Sitte, daß auf eine Mißlrauens-Adreſfe
tener einen ſo großen Unterſchied zwiſchen den Anſichten vor und denen naͤch
Die Abgeordneten werden ſich bemühen, im Sinne ihrer
Vähler zu wirken, oder die Wähler von ihrer Unficht zu überzeugen. So wer-
den ſie Organe ſein, durch welche die Nation ſich beſpricht und verſtändigt.
Mißtrauens-Adreſſen ſcheinen recht Unangenehmes zu ſein beſoͤnders
wenn ſie von der einſtimmigen Wählerſchaͤft fommen. Ein Herr aus
Breslau hat eine ſolche erhalten ; um ihr aber keine Folge geben zu müſſen
möchten er und Andere die Welt überzeugen, daß die Waͤhler gar kein Lecht
haben, Mißtrauens-Adreſſen zu erlaſſen und verbreiten hierzu eine Zuſchrift eines
beliebigen Breslauer Vereines.
Kann es etwas Unverſchämteres geben, als die Forderung, daß das Volk
ſeinen Vertreter nicht einmal mehr ſagen dürfe, daß es unzufrieden mit ihm ſei?
Deutfſchland.
E T5 Karlsruhe, 26. Okt. Sitzung der II. Kammer. Gelegenheitlich der
Uebergabe dreier Amneſtiepetitionen aus dem Seekreis erſuchte heute den Abge-
ordneter Kuenzer die Petitionscommiſſion, dieſen durch zahlloſe Eingaben ſſo
wielfad) angeregten Gegenſtand endlich zu erlebigen; was früher ein Att der
Milde geweſen ſein wuͤrde, ſei jetzt ein unumgaͤnglicher Aft der Gerechtigkeit
geworden, ſo zwar, daß durch einen längern Auffchuͤb vielen Staatsbürgern
Die Erkärung des Vorſtandes der Vetitiongs
gegenharren, in Bäſde erwarten dürfen. Wie diefelbe ausfallen wird, läßt
ſich noch nicht mit Beſtimmtheit vorausſehen; einzelne Aeuſſerungen ehemaliger
Liberalen von ſo herzloſer Natur, wie man ſie kaum aus dem Munde des ein-
gefleiſchteſten Burcaukratismus erwaͤrten durfte, laſſen kaum ein günſtiges Re-
ſultat hoffen. Möglich, daß Baden hinter Neapel zurückbleibt.
Unter Bezugnahme auf die geſtrige Interpellation von Mez wegen Pub-
likation der Reichsgeſetze zeigte ſofort Kapp der Kammer an, daß er dem-
nächſt eine Motion mit foͤlgenden zwei Hauptanträgen ſtellen werde:
1. Die Rechte, welche dér deutſche Reichétag dem Volkenge-
währt, werden als das Minimum der Bolksrechte betrach-
tetz feder einzelne Staaft ift berechtigt, feinen Bürgern
größere Freiheiten zu gewähren. ;
2. Gefege und Berfügungen der Reichsgewalt, wodurch be-
retts veſtehende Frethettsrechte einzelner Volksſtämme
beſchränkt werden können diefen gegenüber nicht in Kraft
treten.
So wäre denn endlich auf den rechten Fleck hingewieſen, bei welchem das
Verhältniß der Einzelſtaaten zur Centralgewalt erfaßt werden muß. Der rückſichts-
X
loſen Energie und politiſchen Umſicht Kapps blieb es vorbehalten, alsbald dieſe
Weiſung in der geſetzgebenden Verſammlung eines Landes zu ertheilen, welchem
das Daſein der Reichsgewalt ſich bisher vorzugsweiſe und nicht eben in volks-
thümlichem Sinne fühlbar gemacht. Die Berathung dieſer Motion, welcht ihres
Gegenſtandes wegen (fonft aber sans comparaison!) am ſchicklichſien
wohl zugleich mit der Biſſing'ſchen vorgenommen würde, wird ohne Zweifel
die bedeutſamſte dieſes Landtags werden.
Die Kammer fuhr ſodann fort, das Geſetz über die Verwaltungsbehörden
zu berathen. Der $. 30 gibt der Bezirksſtaatsbehörde, wenn ſie gegen den Be-
ſchluß des Bez Ausſchuſſes „im öffenttichen Interéſſe weſentliche Bedenken hegt,“
die Befugniß, Einfprache einzulegen und die Sache zur Entſcheidung an das
Miniſterium des Innern zu bringen; eine Beſtimmung, durch. welche unter Umſtän-
den das ganze Geſetz illuͤſoriſch werden könnte, worauf aber, Lehlbach ausge-
bommen, die Kammer noch bei weitem nicht das gehörige Gewicht legte. Auf
den Wunſch mehrerer Abgeordneten wurde die Diskuſſion auch über den folgen«
den $., der von dem Rekurs gegen die Ausſpruͤche des Bezirksausſchuſſes han-
delt. Da jedoch ſpäter auch Blänkenhorns Antrag die Bexathung heider Parar
graphen abgebrochen und auf die nächſte Sitzung ausgefeßt wurde, ſo werde ich
über ihren Hauptinhalt morgen im Zuſammenhang berichten. 2
+7 Freiburg 26. Set. Guſtav Sirube's Frau befindet ſich noch im-
mer hier im Gefängniß, und ihre Haft iſt keineswegs eine ſolche, wie ſie jeder
Unterſuchungsgefangenẽ billig beanſßrücheu fann. Raͤmentlich ıft ihr jede Be-
wegung in freier Luft unterſagt, ihren wiederholten Bitten, nur eine halbe
Stunde täglich im Gefängnißhofe ſpazieren gehen zu dürfen, nicht entſprochen
worden; ebenfo wird ihr nicht geftattet, eine Guitarre zu haben, um ſich die
traurigen einſamen Stunden mit dieſem ihrem Lieblingsinſtrumente zu verkürzen.
Wie läßt ſich dieß mit der gefetzlich geforderten humanen . Behands
Weibe den Genuß der freien Luft, den ſie fich an ihrem hohen Gitterfenfterchen
nicht verſchaffen kann, gänzlich vorzuenthalten? Ueberhaupt aber ſteht zu fra-
gen, wie man die Frau, die aus Pflichttreue und Begeiſterung für ſein edles
Streben ihrem Gatten gefolgt war, in dae Gefängniß werfen mag, währeud
ihre Einvernehmung zur gerichtlichen Unterſuchung gegen ihn auf andere Weiſe
geführt und überwaͤcht werden könnte? Sind der verfolgten Maͤnner nicht ge-
nug, ſoll auf die Gaͤttin noch das politiſche Martyrthum des Gatten im Ker-
ker theilen müſſen?
5 Neuſtadt, 25. October. Daß auch viele Beamie in unſerer Pfalz,
wenn auch nicht offen, doch insgeheim für die Herbeiführung dieſer goldenen
Zeit wirken, iſt eine ſchon längſt bekannte Thatſache. So laͤnge daher dieſen
Leuten mit ihren Creatuken noch ein nicht zu verfennender Einfluß eingeräumt
ſein wird, kann auch eine weſentliche Verbeſſerung in unſeren Verhältniſſen nicht
eintreten. Mit jedem Tage wird dieſe Wahrheit klarer und die ſich mehr und
mehr regenden Reactions und Polizeigelüſte tragen nicht wenig zur beſſern Er-
ſprüche auf dieſes Verdienſt zu ekwerben bemüht find. Statt aber, wie ſie
glauben, mit ihren Plackereien das Volk zu ermuͤden und einzuſchüchtern, ver-
mehren ſie nur noch den gegen dieſe beſtehenden Unwillen und bereiten dasſelbe
vor, ſich mit einem Male derſelben zu entledigen.
Auch bei uns ſind jetzt dieſe Polizei-Neckereien und Quälereien, ſo ziem-
lich an der Tagesordnung. Man muß aber wirklich im Zweifel ſein, ob der
ernſten oder der lächerlichen Seite derfelben mehr Bedeulung beizulegen iſt,
wenn ein ſolch niederer Beamte (der nemliche der durch Ihre Zeitung
ſchon einigen Ruf erhielt) nicht einmal geſtatten, ſondern durch Confiskation
und Einleitung von Unterſuchungen verhindern will, wie dies vor wenigen
Tagen hier der Fall war, daß feine Perfon in einein ganz harmloſen, einen
unſchuldigen Scherz darſtellenden Bilde eine keineswegs hergbwürdigende Rolle
ſpiele, waͤhrend doch die bedeutendften Männer täglich dem Volke ſogar in Ca-
rikaturen vorgeführi werden. Es iſt dies gewiß eine Ueberſchätzung der Perſon
unb Stellung und um ſo lächerlicher, je weniger derartige Unterfucdhungen
einen Erfolg haben können. Nur einem Manne, der auch nicht den geringfien
Degriff weder von den Anforderungen der Neuzeit, nach von dem Weſen der
Preßfreiheit und des Hausrechtes hat, kann es in den Sinn kommen mit Gen-
darmen und Polizeidienern in die Wohnung eines Bürgers zu dringen, um ſich
in Den Befiß eines ſolchen unbedeutenden Gegenftandes zu fegen, der auch nicht
das geringſte Strafbare enthält.
Dasj Ernfte bei der Sache iſt aber, daß trotz aller Verſprechungen und Zue
ſagen, wir iminer noch der rohen Polizeigewalt Überliefert und ohne Garanlien
gegen, ſolche Uebergriffe fein follen.
S3n unfern Gerichten, die ſich mit wenigen Ausnahmen bisher ſtets durch
Uapartheilichkeit und Freiſinnigkeit auszeichneten, ſetzen wir übrigens das Ver-
trauen, daß ſie uns für die Zukunft vor ähnlichen, man kaͤnn wohl ſagen,
Polizei-Plackexeien bewahren werden.
Frankfurt, 25. Oct. So eben wird mir aus guter Quelle mitgetheilt,
daß in das Reichsminiſtexium vorgeſtern ein ſtarker Riß gekommen ſei Der
Minifterrath ſol ſich um Mitternacht ſehr verftimmt getrennt haben. Mit der
bairiſchen Regierung ſoll es auch ein Zexwuͤrfniß geben. Dieſe verlangt näm-
lich ihren Antheil aus der Zollpereinstaͤſfe, um der voͤlligen Ebbe in ihren Kaſ-
ſen abzuhelfen. Ein hohes Reichsminiſterium bat aber Beſchlag auf dieſe Gel-
der gelegt/ um die laufenden Bedücfniſſe zu decken.
Nach Privatnachrichten aus Wien hat der permanente Ausſchuß endlich den
vernünftigen Beſchluß gefaßt, keine Adreſſe und Deyputationen mehr an den
Kaiſer abzuſenden. Endlich! Dem Reichstage war offiziell angezeigt, daß die
Ungarn wieder vorrücken. Jetzt werden hoffentlich die loyalen“ Bedenklichkei-
ten, welcht die Verhindung der beiden gleich heftig bedrohten „ Aufruhrparteien“
bis jetzt hinderten, für immer verſchwinden. (Nene Deuiſche 3.)
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