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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 287 - No. 313 (1. Dezember - 31. Dezember)
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. 1848,












— — —





Deutſch Land.

* Karlsruhe, 28. Novemker. Wenn wir in den 8 Monaten

ſeit 4 — — und ſeit der, Erhebung des deutſchen *2
nicht vorwärts gekommen, wenn wir uns vielnehe gleichſam in einem zir!
pewegt haben und ungefähr wieder auf dem alten Fleck angelangt ſind — wer
jrägt die Schuld? Bie Karlsruher Zeitung ſagt es uns in ihrex neueſten
Sountagsnummer: das ſind nicht eiwa die Machinationen des ven ſeiner au-
genblicklichen Beſtürzung ſich allmählig, exholenden Abſolutismus; das iſt nicht
die unzeitige Laugmuth, nicht die gutgläubige Blindhrit, nicht das Ungeſchick
des Bolks „ das die günſtigſten Momente unbenützt verſtreichen ließ, 4 wenn
es handelte, ſtets nur handelte, wenn e$ zu ſpaͤt war — nein, die Leute ſind
Schuld daran, die auf der Linken ſitzen, auf der Linken im Varlameht zu
Fraͤnkfurt, auf der Linken in den Reichsverſammlungen zu Berlin und Wien,


ift, wie alle Kleiuſtädter, gewohnt, nach dem pes im Bereich ihres nächſten
Geſichtskreiſes gelegen iſt, auch ferner liegende Gegeyſtände zu bemeſſen. Be-
trachlen wir alſo, wovon ſie ohne 3weifel auch hier ausgegangen, zunächſt,
was für Leute im Ständehaus zu Karleruhe auf der Linken ſitzen.

Da ſitzt der jugendliche Abgeordnete Lamey, der dem Miniſter Bekk eine
halbverdeckte Süßigkeit um die andere ſo geſchickt zu ſagen verſteht, daß das
miniſterielle Antlitz oft vor Vergnügen zu Teuchten ſcheint. Da ſitzt der ewige
Minoritäts-Candidat Buhl, der den Urquell alles Jammers in Deutſchlauid


grauenerregende Kammerredner Schmitt, der mit ſeinem endloſen „Dafürhal-
ren“ dem Hörer das Daſein verleidet. Da ſitzt, wenn er nicht gerade präſidirt,
der Abg. Weller, auch ein mehrfach verunglückter Parlaments-Candidat und
Protektoͤr des Mannheimer „Vaterlands“-Vereins. Da haftet nieth- und nagel-
feſt der Abg. Biſſing, der Erſte, der im vergangenen Frühjahr von der Re-
gierung die Vorlage eines Standrechtsgeſetzes forderte, und den der mehrfach
und deutlich ausgeſprochene Wille ſeiner Wähler noch immer nicht von ſeinem


des Republikaners Hagen bei der Parlamentswahl zu Heidelberg, um deſſen


murbe, dewit er ihm nicht am Ende auch bei der Durlacher Kammerwaͤhl das
Spiel verderbe. Dort ſitzen endlich, wenn ein wichtiges Vorkommniß ſie zu be-
wegen vermag, von dem größern Schauplatz ihrer „ſtaatsmänniſchen“ Wirk-
ſamkeit auf die Miniatur- Arena dieſer Kammer herabzuſteigen, die Apoſtaten-
führer Welcker, Mathy, Baſſermann und Soiren. — ZJa, dieſe „Cinke“ trägt
freilich einen großen, ſchweren Theil der Schuld an unfern troſtlofen Zuſtändeh,
und wer es bis jest noch nicht gewußt hat, der liest es nun ſogar in der
„Karlsruher Zeitung“.

Faſſen wir übrigens bei dieſer Gelegenheit einige der hervorragendſten
Größen dieſer „Linken“ etwas näher ins Auͤge.

In dem Vieepräſibenten Wellec präſentixt ſich eine große, ſtattliche Figur,
aber ohne alle Kraft und Würde, mit verdrießlichem Geſichi, ſchlaffer Haltung
und trägem Gang. Er bietet den Anblick einer wohlgeformten Fleiſchmaſſe, aus
der man das Knochengetüſt herausgenommen, und die man jeden Augenblick
zuſammenknicken zu fehen fürchtet. Wohl ſelten hat man Jemanden bet einem


zu ernſtern Zwecken mit ſo wenig Würde präſidiren ſehen, alg Herr Weller in
der gefetzgebenden Vexſammlung Badens zu thun pflegt. Unter fortwährendem,
die Verhaͤndlungen oft höchſt ärgerlich ſtörendem Raͤuſpern
Gähnt er und reckt er ſich,
Dehnt er und ſtreckt er ſich }

auf ſeinem Seſſel; der gedankenloſe Blick der trüben, halberloſchenen Augen
ſtarrt bald nach der Decke des Saales empor, bald irrt er an der Tribuͤne
auf und nieder. Kommt es dann zur Abſtimmung, ſo hat der Hr. Vicepräſi-
dent gewöhnlich mit halboffenen Augen einen Theil der Discuſſion auf ſeinem
Sitze verſchlafen und bietet nun bei der Frageſtellung ein jammervolles Bild
wahrhaft mitleidswürdiger Rathloſigkeit. In der Regel ſoufflirt ihm dann der
Sekretär Blankenhorn, der zu ſeiner Rechten ſitzt, und ſich auf dieſe Einhülfe
nicht wenig zu gute thut. Oft aber reicht auch dieſe nicht aus, dann erbarmt
ſich dieſer oder jener Abgeordnete des hülfloſen Vorſitzers und ſpricht ihm den
Antrag langſam und deutlich vor; dann macht ſichs Hr. Weller bequem, hört.
nur mit halbem Ohr oder gar nicht auf das Vorgeſprochene, ſonbern bequemt
ſich, nachdem der Beiſtand geſchloſſen, zu ſagen: „Wer dieſem Antrag beiſtimmt,
erhebe ſich.“ Nalürlich iſt dann hin und wieder ein Abgeordneter mit der Frage-
ſtellung nicht einverſtanden, Alles ſchreit durcheinander, der Präſident ſchaut
mit hülfeflehendem Blick im Kreis umher und in der Verſammlung der Ver-
treter des badiſchen Volkes erhebt ſich der kläglichſte Wirrwarr.

Herr Weller hat aber mit andern Weſen, die ein ruhiges Schläfchen zu
ſchätzen wiſſen, auch das gemein, daß er ſehr erbost wird, wenn man ihn un-
verſehens aus ſeiner ſüßen Ruhe aufſtört. Dann wird er unwirſch und fährt
den oft wohlmeinenden Unterbrecher in ſo barſcher Weiſe an, daß nicht nur
dieſer, ſondern Jeder, der nach hergebrachten Begriffen in einer Verſammlung
unſerer „patres conscripii‘ eine zewiſſe Würde vorausſetzt, ſich auf höchſt ver-
letzende Art berührt fühlt.

Wie es mit Hrn. Weller's Unparteilichkeit — dieſer Cardinaltugend eines
Präſidenten — beſchaffeg iſt, läßt ſich aus täglich wahrzunehmenden Thatſachen
abnehmen. Wenn das Publikum einmal zu lebhaft wird, und Brentano, Kapp
oder Kucnzer etwas lauten Beifall zollt — flugs hat der Präſident die Schelle
in der Hand und verweist jenes drohend zur Ruhe; beklatſcht es aber Hrn.
Bekk oder Lamey, dann hat die Kammer einen tauben Präſidenten. Wenn,












ſionsgeſetz die Richte auf das zügelloſeſte lärmt — der Hr. Präſident hat kein
Ihr dafür. Will ſich aber ein volksthümlicher 2— * * falſche
Veſchuldigung oder abſichtliche Verdrehung ſeiner eben geſprochenen Worte durch
ein Regicrungemitglied vexwahren oder über unanftäntıge Begegnung von Seis
ten Deffelben Beſchwerde führen — gleich fährt Hr. Wıler mit feinem Orde
NUNgSTur dazwiſchen. — In der neueſten Sitzung gab es aber Gelegenheit,
Hrn. W. im vollſten Glanze ſeiner Unfähigkeit zu bewundern. Der Miniſter
Bekt erlaubte ſich, dem Abg. Brentano ſeine zu Gunſten eines widerrechtlich
eingekerkerten Freundes geſproͤchenen Worte alg „unpaſſend“ zu verweiſen, wozu
ihm Brentano natürlich das Recht beſtritt. Was thut Hr. Weller? Er fordert
Brentane zum Schweigen auf, ruft ihn zur Ordnung, fuspendirt zuletzt ohne
allen geſchäftsordngngsmäßigen Grund die Sigung, — und — vergißt es
wieder, ehe drei Minuten verfloſſen ſind. Nach aͤusgeſprochener Suspenfion
Lämlich vexließen mehrere Abgcordnete ihre Sitze, auch Brentano ſchiaͤte ſich
dazu an. Da fiel dem erleuchieten Miniſter ein Ausweg bei; der Abg. Bren-


nung fort. — Ich bleibe, entgegnete Brentano; gehen Sie, wenn es Ihnen
gefällt. — Sie haben das Wort nicht, fuhr Weller Breniano an, der ihm
ruhig erriderte: „Sie auch nicht, Herr Präſident, denn die Sitzung iſt ja
aufgehoben!“ —
Aus dieſen Proben läßt ſich hinlänglich erſehen, was für die Würde der
Berathungen mit einem ſolchen Präſidenken gewonnen iſt. ;

Als Ihr hellſtes Licht, als ihren ſiegreichſten Verfechter aber verehrt dieſe
„Linke“ (Hın- Buhl natürlich ausgenommen, der ihm nur den zweiten Rang
einräumt) den hoffnungsvollen jungen Staatsdienſt-⸗Aſpiranten Lamey. — Man
erzäplt, ſich gon Cäſar, daß er, eines unanſehnlichen Dorfes anſichtig geworden,
gegen ſeine Begleiter äußerte: er wolle lieber der Erſte ſelbſt in dieſem Dorfe
jein, als der Zweite in Rom. — So ungefähr mag auch Hr. Lamey gevaͤcht
haben, als er ſich dieſer ſeiner Partei anſchloß, und wohl noch mit etwas aus-
gedehnterm Recht; denn bei einer andern wäre er wohl auch nicht der Zweite,
Lieber das beſte
Stück in einer Rumpelkammer voll antiquirler Mitielmäßigkeiten, als ein un
beachtetes in einer ordentlichen Gallerie.


ſetzgeber Anlage zu haben. Wie oben angedeutet, weiß er für den Hın, Mini-
ſter am geeigneten Oxt gar zuckerſüße Sächlein einzuſtreuen, ohne jedoch dab & ı
eine möglicherweiſe künftig aufgehende Sonne ganz außer Augen zu laſſen; wie
er 3. B. neulich, als von der politiſchen Geſinnungs-Controle der Staatodienſi-
Aſpiranten die Rede war, die exorbitante Anſicht des Abg. Boͤhme vertheidigte
und mit demſelben ſtimmte. Namentlich aber pflegt er ſich jedesmal zu erheben,
wenn er Brentano ſich zum Wort melden ſieht, um fodann nach Möglichkeit
wieder zu ebnen und zu glätten, was dieſer aufgeriſſen. Hat er dann fein
Penſum unter dem Beifallsgemurmel ſeiner Partiſanen hergeſagt, ſo ſchielt er
hinüber nach dem Miniſtertiſch und ſeine Miene ſcheint zu fragen: Hab' ich's
ſo recht gemacht?, Oder er ſpaziert auch zum feelenvergnügten Minifter - Chef
hinauf und empfängt ſeine Belobung an Ort und Sielle! — Wo aber der
Ernſt nicht ausreicht, um etwas plauſibel zu machen oder zu beſchoͤnigen, ſo
ſteht ihm wohl auch ein Späßchen za Gebot, und es iſt nicht ſchwer, die Lacher
auf ſeiner Seite zu haben, wo die Majo ität ſo genügſam in ihren An-
ſprüchen iſt.

Wer jedoch Lameh's Befähigung zur Geſetzgebung aus ſeinen poſitiven
Leiſtungen in dieſem Fach zu erkennen ſtrebt, der'erblickt in Bälde daͤraͤn die
Oberflächlichteit und Planlofigkeit des Dilettanten. Er ſieht, daß L, nicht von
einem Prinzip durchdrungen iſt, daß er ſeine Vorſchläge nicht vorher gründlich
und von allen Seiten erwogen hat. Oft wirft er in der Kammer geradezu
wieder um, was er in der Commiſſion durchſetzte. Das Penſionsgeſetz, das
ganz lediglich aus den Händen der Commiſſion, deren Berichterſtatter er waͤr,
hexvorgegangen, paralyſirte er in manchen wichtigen Beſtimmungen durch An-
träge, die er während dex Discuſſion ſtellte. So beantragte und erwirkte er
Der Commiſſions ent-
wurf des Geſetzes über die Gerichtsverfaſſung, worüber er gleichfalls berichtete,


der divergirende Anträge in Bereitſchaft, wodurch er abermals der Kammer
keinen feſten Haltpunkt an die Hand zu geben vermochte. So wanderte dieſer
Geſetzentwurf in die Commiſſion zurück, und wahrſcheinlich wird man dort be-
ſchließen, an der Strafgeſetzgebung, die man eben erſt beendigt, neue Aenderun-
gen vorzuſchlagen.

Das iſt der Führer des Zentrums, der Matador, der Triarier, der auf-
geſpart wird, um voͤrzurücken, wenn das Treffen zu ſchwanken beginnt, oder
dem geſchlagenen Feind noch den Gaadenſtoß zu verſetzen. Wie es demnach
um den von dieſen Kammergrößen ſo ſehr überragten übrigen Theil der Partei
ſtehen mag, iſt uyſchwer daran abzunchmen. Dieſe Partei welche ſich jetzt al-
ler Geſchaͤfte bemächtigt hat, bringt Nichts zu Ende und was ſie zu Stande
bringt, zeigt ſich in kurzer Zeit als unhaltbar. Was Wunder daher, wenn
das Volt ſich nicht länger von ſolchen Vertretern repräſentirt ſehen will? Bei
allem Dünkel erkennen auch dieſe Leute gar wohl, obſchon ſie es nicht geſtehen,
daß bei einer Neuwahl der Abgeordneten ſich ſehr geringe Chancen für ſie er-
geben werden. Darum ſträuben ſie ſich gegen die vom Volk verlangte Auflö-
fung der Kammer mit aller Macht, und aller Einfluß des Gelds und der Ge-
wall wird aufgeboten, um durch Petitionen gegen die Auflöſung die öffentliche
Meinung zu verfälſchen. — 2

Eiuͤe Stimine aus der Baar“, ruft in den „Seeblättern“: Waͤh—
rend das Land im Kriegszuſtand iſt, mit Reichstruppen überfüllt und ausgeſo-
gen wird, die Preſſe dürch Prozeſſe und Beſhlagnabme zermalmt, die Redal
keurs durch Gefängniß gemartert werden , Fickler ſchuldlos, 9 Monat im Käfig
ſchmachtet, 100—1000 republikaniſche Bürger geflüchtet, eingekerkert ſind, Hin-


 
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