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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 61 - No. 90 (1. März - 31. März)
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Juſ erate die geſpaltene Zeile in Petitſchri











E Eine Lebeusfrage.
Alles hienieden wird mit der Zeit alt, und was vor Jahrhunderten viels
leicht einnal das Beſte geweſen, das wird mit der Zeit allmählig mittel-
mäßig, werthlos und endlich ſogar ſchlecht. Das kommt, ſo zu fagen, ganz
von felbſt, oder vielmehr, es foͤlgt aus den Veränderungen, denen jedes Ding
an ſich unterworfen iſt und die in den es umgebenden Objelten ſeiner Wirk-
ſamkeit im Lauf der Zeiten vorgehen. Das eigenſinuige Verbarren des Einzel-
nen bei dem Altgewordenen, ſein ſtarres Feſthalten an dein längſt nicht mehr
in ſeinem urſpruͤnglichen Zuſtand und Verhaͤltniß Vorhandenen, dieſes ſtarr-
köpfige Stillſtehenwollen inmitten der allgemeinen Bewegung und naturge-
maͤßen Fortbildung und Umgeſtaltung nennt man die Orthodorie. Der Or-
thodoxe iſt ein Mann, der einmal etwas Gewiſſes, vielleicht mit Recht für
das Beſte gefunden und ſein ganzes Leben hindurch nicht mehr von dem lie-
ben Steckenpferde ablaſſen will, mögen in der Welt und au dem Stecken-
pferde ſelbſt auch noch ſo wichtige und weſentliche Veränderungen vor ſich ge-
gangen ſein. Mit der Orthodorie iſt daher auch in dem Neberzeugungskampfe
nicht gut ſtreiten; denn ſie kämpft eigentlich mit gutem Gewiſſen für eine
gute Sache, üämlich für die — wenigſtens der fuͤbjektiven Meinung des
Orthodoxen zufolge — einmal gut geweſene, die ſie ſich bei irgend einer Ge-
legenheit zum Idol erwählt hat.
Die Menſchenliebe gebietet, ſolche wohlgemeinte Schwärmerei für Schoͤn—
geweſenes und Veraltetes mit toleranter Rückſicht, ja mit zarter Schonung zu
bebandeln. Aber dieſe Schonung darf nicht bis zur Pflichtverletzung gegen das
Eemeinwohl gehen, und wo voͤllends eine dringende Gefahr für das
Vaterland vorhanden iſt, da muͤſſen alle Rückſicht u ſchwinden.
Etine ſolche dringende Gefahr iſt vor unſerer Thüre, wenn der Wel-
kerſche Antrag IV. membr: 1, in dem künftigen deutſchen Grundgeſetze Platz
fiudet, wenn die Geſchicke des kaum noch zu einem jungen Leben
erwachten Vaterlandes in die Hände einer erſten Kammer, ei-
nes Fürſtenhauſes gelegt werden. —
Das iſt vielleicht die einzige wirkliche Gefahr, die das deutſche Vater-

land bedroht. Nicht Frankreich wird oder will in unſer Gebiet einfallen; nicht
der Ezar von Rußland vermag uns mit ſeinen Koſacken zu ſchrecken, Deutich-


hier nur den wohlverdienten Lohn für ſeine Tyrannet gegen die Völker des
Oſtens holen könnte. Auch der bramarbaſirende Hohenzollern vermag in Deutſch-
land mit ſeinen Verheißungen wie mit ſeinen Drohungen nur Hoͤhngelächter
und Verachtung zu erlangen. Aber das Inſtitut einer Fürſtenkam-
mer, gleich der vorgeſchlagenen, würde Deutſchlandin die außer-


äberfpandenen atten Negime’s preiegeben und auf der einen
Seite der finſtern Seiff der Zwingberrſchaft, auf der andern
Seite aber den blutigen Geiſt der Zwietracht und Auarchie über
das unglüdlide Baterland heraufbeſchwören. (
Eine Fürſtenkammer! Habt Ihr auch wohl bedacht und überlegt,
was das für ein Ding iſt? Eine Kammer, in welcher zwar der Geſandte fich
nicht auf beſondre Vellmachten ſeines Gebieters oder deren Mangel foll bes
rufen konuen/ wo abex doch ſchon von vorn herein, da der Geſandte ein ab-
fegbarer /Staatoͤdiener⸗, alſo eigentlich Fürſtendiener iſt, der unbediugte Ge-
horſam gegen den fürſtlichen Willen, d. h. die Abhaͤngigkeit von der erhalte-


wichtigen Handlungen die Fuͤrſten perſonlich erſcheinen! und die Diener durch
die hohen Herrſchaften in höchſteigner Pexſon abgelöſt werden koͤnnen! Nun
freilich die werden ſich dann nicht „auf Vollmachten oder deren Mangel de


ihrer Stänt everlammlungen mitdringen; ſie werden frii und ſelbſtſtäudig wie
ihre erlauckten Borfahren jn Laͤtye flaen und ex anetoritale propriae majesta-
tis das Wort führen; ein Friedrich Wilhelm von Hohenzollern wird weder
einen Abgeſandten fchiefen, nody freinden Karb mit in die hohe Verſammlang
bringen und wenn er ſich {a irgendwo Raths erhbit, ſo wild es böchfteng bei
der Flaſche fein. Und, das ſeid gewiß, fein: Stimme wird ſich Einganz
werfhaffen, fie wird Sehör finden, ſeine Anträye werden mit entſchiebenet
Majorität zu Beſchlüſſen erhoben werden, darauf kbunt Ihr Euch feſt verlaf
ſen. Und bei befonders „wi®tigen Handlungen“ wird ohne Zweifel auch der
guimüthige und verſohnliche Jo rd an von feinem Herrn und Prinzipal ehren-
voll abgelöft werden und waͤhrend der wichtigen und anſtreagenden Verhaͤnd-

luugen dit Freiheit erhalten, an einem ſchoͤnen Kurorte feine Geſundheit von

ver Zerſtoͤrung zu erholen, welche die Tyrannei vieler Jahre darin augerichtet


Armes, unglückliches Vaterland! arme, betrogene Buͤrger Deutſchlands!
Der Abſolutismus, bisher ſich in veralteten Formen bewegend und daher end«
lich matt und kraftlos geworden, er ſteht im Begriffe, ſich zu reſtauriren und
mit verjüngter Kraft ſich getzen Euch zu rüſten! Er wirft das alte, ſchlep-


Mit dem einzelnen Furſten hat es die Kraft des Volkes aufnehmen koͤnnen,
oboleich es lange genug gedauert hat, bis endlich dazu der Muth erwachte;
mit dem Bundestag, dem nichtigen Strohpopanz, iſt mar endlich fertig gewor-

den, obbleich ein Menſchenalter vorher gepeinigt und erniedrigt werden mußte.
Verſuͤch es aber, d deutſches Voll, Dich auch mit der Gewalt des geſetzlich
kouſtituirten und zeitgemäß ausgerüſteten Fürſtenhauſes z u meſſen!

Du wirſt es freilich mit der Zeit, und wenn das neue Joch Dir gleich
dem alten unerträglich geworden, da wirſt Du es verfuͤchen, ob Du nichi am
Ende auch dieſer Fuͤrſtenkammer gewachſen ſeiſt. Und Qu wirſt ihr gewach-
ſen ſein; an Deinem Siege iſt durchaus kein Zweifel. Die Dir zugeſtandene,




Triumph über das „Fürfenhaus« verſchaffen Aber wich fOmerzen halt






Einrichtungen und einer gulmüthigen Oethodoxre zu Gefallen bei ung das
Revolutionsweſen verewigt werden fott, daß nach wenigen Jahren
wieder Handel, F.nanzen und Induſtrie in's Stocken gerathen und die Verar-
mung und Verwilderung der braven Volksklaſſen abermals herbeigeführt wer-
den follen. Ach deutſches Volk, mich rühren die Thränen der vielen Wittwen,
mich rührt die Noth der zahllofen Waiſen, die durch dieſe „Fürſtenkammer,“
und um ihrer wieder los zu werden, ihre Gatten und Väter verlieren wüſſent
Deutſchland, Deutſchland, es iſt en gefährlicher, ein fürchterlicher Feind, der
Dich bedroht; wögeſt Du doch Dich vor dieſer „Fürſtenkammer“ und ihren
entſetzlichen Folgen ſchützen und bewahren.

Das Fürſtenhaus“ wird nie aufhören, ein Haus des Widerſpruchs und
der Zwict aͤcht im Schooße Deutſchlands zu ſein. Es wird das Widerſtauds-
ſyſtem“ Caſimir Perrier's in Deutſchland repraͤſentiren. Das „Fürſten-
haus,“ welches, gleich dem Hauſe der Volksvertreter, Bundesgeſetze, Maͤhre-
geln und Einrichtungen vorſchlagen und mit entſcheidender Stimme be-
fchließen oder ablehnen kann, und dem noch das beſondere Recht zuſteht,
aus der Mitte der Fürſten, „das Bundesvaupt zu wählen,“ dieſes
„Fuͤrſterhaus“ wird ein Stein des Anſtoßes und des Aergerniſſes ſein, nicht
bloß für alle aufrichtigen Freunde des Vaterlandé, ſondern auch für die Wehr-
zahl ſeiner eignen Mitglieder; es wird ein Huus der Eiferfucht, der Ränke
und Umtriebe, ein Haus des Zwiſtes und des Brderbens ſein. Es wird
Opfer koſten bei ſeiner Entſtehung, es wird Opfer fordern für ſeine Erhaltung
und es wird Opfer dahinraffen bei ſeinem dereinſtigen Untergange. Das „Hüre
ſtenbaus? wird — und das iſt ſeine ſchlimmſte Seite — eg wird ein Haus
der Verführung und des Verderbniſſes ſein für Alle, die fich verführen und
verderben laſſen mögen; die Ueberredung, die Korruption und in deren Gefolge
alle Laſter, werden — ſobald nur einmal der erſte Rauſch der Neuheit und
die erſte Spannung patriotiſcher Wachſamkeit vorüber — ihr Neſt bauen in
dem „Fürſtenhauſe;“ es wird eine treffliche Muſterſchule für künf-
tige Verräther und Uebertaufer fein! — —

Das „Fürſtenhaus“ wird nie aufhören, ein Haus des Widerſpruchs und
der 3wietracht im Schooße Deutſchlands zu ſein. Es wird das Widerſtands-
ſyſtem⸗ Caſumir Perrter's in Deutſchland repräſentiren. Das / Fürſtenhaus“,
welches, gleich dem Haufe der Volkovertreter, Bundesgeſetze, Maͤßtegelu und
Einrichiungen vorſchlagen und mit beſcheidender Stimme beſchließen odet
ablehnené kann, und dem noch das beſondre Recht zuſteht, aug der Mürte
der Fürſten, „das Bundeshaupt zu wahlenn, diefe? Fürſtenhaus wird
ein Stein des Anſtohes und des Aegerniſſes ſein, nicht blos für alle auftichtigen
Freunde des Baterlands, fondern auch für die Medrzabl feiner eignen Mitglie-
der; es wird ein Haus der Eiferfucht der Ränfe und Umtriebe, ein Haus des
Zwiſtes und des Verderbens ſein. Es wird Opfer koſten bei feiner Euͤtſtehung,
fordern für ſeine Erhaliung und es wird Opfer dahtüraffen bei feinent Dereinz
ſtigen Untergange. Das „Fürftenhens« wird — das iſt ſeine ſchlimiſte Seite
— wird ein Haug der Verfübhrung und des Verderbniſfes für Alle, die ſich
verführen und verberben Icffen mochten; die Ueberredung, die Corruption, und
in deren Feige olle Lafter weiden — ſobald nur einmal der erſte Rauſch der
Neuzkit und die erfte Spannung potrivliſcher Wachſamkeit voruber — ibr Neft
bauen in dem „Sürftendaufe-; $ wird eine treffliche Muſterſchuͤte für


— Darum fort mit dem „Sirftenbar g“ fort! fort! Kein „Fürfenhaus“ !
ä‚)_?g‘r:_e‘tn Bolkshaus, eine Bolfafaummer ſoll, mit dem fe[bftgemäbftett
Präfiventen an der Spige, das S® lchick des Batcrkands entfcheiden! Mag feder
einzelne Deutfche Staat feine Stegteyungsformn Labım, wie es ibm Aufbünft, mö-
gen Hm Innern ihrer Lander die Sürften wie bigber des Souperänetätgrecht
na Borjgife (Drcr Berfaffungen ausüben; aber feine Madt auf Erden
nHenc Kber ben Steltvertreteru Der Deufiden Nafion, fein Kür-
Renbund Demme und hinbete flr {n der Yugübuwea {brer Deilie

Die Oxthoderle von den neunziger Yabren her bat ben bekten 2— —

Vafayerte werleitet, im Jabr 1830 dem franzöfifhen Wolfe einen Beucie ia

2



zu befeinen, daß er getäufht worden und daß er feinen Fehler bitler bereue:
O Ihr edlen deutfhen Männer aug den dreißiger Jahren, die Ihr 8*


ſchämen! Laßt ab von der hergebraͤchten orthodoren Meinuͤn ie vielleicht
in den dreißiger Jaͤhren ihr Guͤtes gehabt * mag, der * * 4
tion von 1848 nun einmal entwachſen iſt! Schließt euͤch ganz der Neuzeit:
an, befennt, daß auch Ihr aͤlter geworden und mit der Geſanumtheit forige-
Lritten feid. Kehret zurüd — nody iſt es Zeit, Fehret zurüd und verbannt-
auf ewig ein Beſtrehen, das nimmermehr zum Heile führen, das nur neue
Zerſplitteruug, neueg Undeil, neue Kämpfe hervorrufen fann! O gebt' nach
oͤckt nach dem allgemeinen Dranze, ſtunmt ein in den lauten donnernden *
Keiue Fürſtenkammer-! Das Prinzip der Legitimität - wird noch —2*
und genug vertreten bleiben im Junern Deuiſchlands, aber was das große ganze
das Geſammtvaterland betrifft, das ſoll nur Ein Haupt haben, und dieſes f
der einige deutſche Kongreß! Unſer Spruch laute: A
Fort mit allem alten Jammer!
Fort mit einer /Fürſteukammer!“ WMRuM.

A* Die Forderungen des Volks von Berlin.

Die erſte großartige geordnete Boltsverfa BA
lin hat ſtattgefunden. Geſtern Nachmittag um 224
die an den vorhergehenden Tagen ergangene Einladung, Taufende 8 *
Exercierplatze vor dem Schoͤnhauſer Thor eingefunden. Wie gkoß die An 7
der Berfammelten wat, vermag ich nicht zu fchaͤgen. Sie wird * *
15—20,000 angegeben. An einer Pappel waͤr die Rednerbuͤhne errichtet,







 
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