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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 187 - No. 208 (6. August - 31. August)
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1848.




196.



— — — —

E, Politiſche Reftexionen aus dem Gefängniß.

1. Feſtſtellung der Partheien. Politiſche und moraliſche Conſequenz.
Seit mehreren Wochen, während welcher Schreiber dieſer Zeilen, wie ſo
viele Andere, im Gefängniß ſich langweilte, kam mir kein Zeitungsblatt zu
Geſichte. Meine Gefangennehmung fiel gerade in die intereffante Zeit der Reichs-
werweferwahl, wo die Thätigkeit des Parlaments zu Frankfurt ihren Höhenpunkt
krreicht und die neueſte Geſchichte Deutſchlands ſich gewendet zu haben ſchien.
Von jedem Tage, von jeder Poſt, von jedem Zeitungoblatte erwartete man
neue, ungeheure Ereigniffe. In Paris, herxſchte zwar die Solvateska des Hru.
Cavaignac, aber aus dein grohartigen Junifampfe zweier entgegengeſetzter Welt-
prinzißien konnte jeden Augenblich eine neue Revolution eytſtehen, um an Tu-
gend und Heldenthaten, wie an Graͤueln und Schrecken alle bisherigen Erfah-
kungen der Geſchichte, zehntauſendfach zu üherbieten. Prag war zwar zuſam-
mengeſchoſſen, aber Wien ſtand auf der Schwelle der Demokratie. In Berlin
fuchte man ein neues, thatkräftiges Miniſterium, jedoch mußte man ſich mit den
Ueberbleibſeln des alten impotenten begnügen, während die demokratiſche Par-
thei große Erwartungen erweckte. Das Parlament zu Frankfurt hatte Johann
von Deſterreich zum Reichsverweſer gewählt; aber konnte Oeſterreich, durch die
Raͤtionalkämpfe der Slaven und Italiener an allen Enden zerfleiſcht und im
Innern moraliſch und finanziell zerrüttet, ſeines letzten ſchwachen Hoffnungs-

ankers entbehren? !
Ganz Europa war aus den Angeln, mehr denn Hamlets Dänemark; Al-
les voller Widerſprüche und Wirren. Da war viel zu hoffen, noch mehr zu
fürchten, Alles unentſchieden. In einer ſolchen bedeutſamen Zeit, abgeſchloſſen
von allem Verkehr, ganze Wochen zu verträumen, ohne durch Wort und Schrift
von dem Gange der Weltgeſchichte nur im Allgemeinſten unterrichtet zu werden,
war für Jemanden, welcher ſich gewöhnt hatte, in und mit dem Volksganzen
zu leben, in der That eine Tantalusqual. Doch hatte ich mich beſchieden, von
der nächſten Zeit nichts Großes zu hoffen. In der Einſamkeit des Kerkers iſt
man ohnehin nicht ſehr zu ſanguiniſchen Phantaſieen und Hoffnungen geneigt. —
Als ich daher endlich ein Paquet Zeitungen bekam, öffnete ich daſſelbe keines-
wegs mit der Erwartung und Spannung, mit welcher junge Mädchen ihre Lie-
besbriefe zu leſen pflegen. Ich fand mich in meiner Hoffnungsloſigkeit auch
ſehr wenig getäuſcht, und ſöhnte mich faſt mit meinem Kerker aus, der mich
vor dem Anblicke ſo vieler Trivialitäten behütet hatte. Indeſſen gab mir doch
die faſt unerwaͤrtete Entſchiedenheit der Reaktion Stoff zu ernſtem Nachdenken.
Die Ruhe kehrt wieder, jubeln die Zeitungen der Bourgeoiſie. O, ſie ah-


beide Vaͤzrtheien gezwungen ſind, folgen wird! Die Paar Prozente, um welche
die Courſe geſtiegen ſind, werden den Bulfan nicht zum Schweigen bringen,
auf dem die parlementariſchen Rednertribünen ſtehen. Die Welt ift jetzt zehn-


bilden, welches nicht nur für die allexnächſte Zukunft gilt, ſo muß man nicht
ſeine Wünſche und Leidenſchaften zum Funbamente feiner Kritik machen, ſondern


richtet. Ich denke, die Freunde der Freiheit dürfen die Philoſophie, ſſo ſehr
man auch Ruge in der Paulskirche deßhalb verlacht und verſpottet, ſelbſt in
unſerer thatſächlichen Zeit nicht ganz vergeſſen und verlernen.
prinzipiellen Grundſätze und Grundformen der Politik nie bei der Beurtheilung
der Ereigniſſe und dex Feſtſtellung der Partheien aus den Augen gelaſſen wer-
den.
trivialen Reden und Zeitungsartikeln verſchont! Deßhalb wird man es gerecht-
fertigt finden, daß ſelbſt in flüchtigen Zeitungsartikein wir näher auf die allger


uns in der Tagesgeſchichte orientiren zu können. — .

Unſere Bildung und Selbſterkenntniß, man kann ſich das nicht verhehlen,
iſt endlich ſo weit gediehen, daß wir bei der Beurtheilung menſchlicher Verhält-
niſſe vom Menſchen ſelbſt gusgehen, und nicht unſern Maßſtab auf dem Olymp,
im Himmel, in den religiöſen Sagen der dichteriſchen Vorzeit oder in den ge-
ſchichtlichen Ereigniſſen der Vergangenheit ſuchen. Unſere ganze Wiſſenſchaft —
Dank ſei e& der ſo viel geſchmähten und verläſterten deulſchen Philoſophie —
iſt menſchlich geworden, mit ihr die Politik. Der Menſch, das Ich, das In-
dividuum iſt für ſich ſelber Mittelpunkt der Welt: hier hat er, da er ſich ſelbſt
kennt und inne hat, einen feſten Punkt, von dem er ausgehen, und die
allgemein menſchlichen und politiſchen Verhältniſſe richtig beurtheilen und
hhaͤtkräftig auf ſie einwirken kann. Eine Politik, welche von dieſem rein menſch-
lichen, individuellen Standpunkte ausgeht, iſt die humane; wenn ſie aber nicht
von dem lebendigen Menſchen der Gegenwart, ſondern von den Träumen reli-
giöſer Dichter oder den Satzungen der Vergangenheit ihren Ausgangspunkt
nimmt, kann ſie auf dieſen Namen keinen Anſpruch machen. Hier haben wir
die Kluft zwiſchen beiden Partheien, hier die Kennzeichen, nach welchen man
ſie unterſcheiden kann. Die humané Politik iſt demokratiſch, Die x er
ligiöſe oder hiſtoriſche monaxchiſch und feudaliſtiſch.“

Der Menſch, welcher ſich, d. h. ſeine eigene Bildung, feine eigene Frei-
heit alg Ziel ſeines Lebens und Strebens erkennt, welcher deßhalb im Ailge-
m. inen auch die Freiheit aller Menſchen als das Ziel des menſchlichen Zuſam-
menlebens, der Staatenbildung, hinſtellt, iſt ſouverain. Er kenntkeinen andern
Zweck, alg ſich ſelbſt, deßhalb hat er keinen Herrn. Er iſt Egoiſt, im edlen
Sinne des Wortes, d. h. er will ſein Ich, ſeine Fähigkeiten, ſeine Talente,
die Fülle von Kraft, welche in ihm liegt, zur Geltung bringen, und ſie im
Zuͤſammenleben mit den andern Menſchen verwirklichen. Er will eine ſolche
Staatsform, welche ihm eine derartige freie Selbſtbewegung und Selbſtentwick-



















lung geſtattet. Er ſieht ein, daß er nur im innigen und ununterbrochenen Zu-
ſammenhang mit den andern Menſchen ſich erziehen und bilden und durch die
Bildung zum Bewußtſein ſeiner eigenen Kraͤft und Menſchenwürde kommen
kann; ferner, daß er nur in Diefem Zufammenleben mit der Menſchheit ſeine
eigenen Kräfte und Fähigkeiten gebühreud verwenden und gebrauchen kann. Sr
iſolirt ſich alſo nie von Andern! fondern wird immer ſuchen, dem humanen
Princip der Gemeinſamkeit und Brüderlichkeit nachzukommen. Die hohe Ach-
tung, welche er vor ſich ſelbſt, als Menſchen, hat, zwingt ihn, auch andere
Menſchen zu achten; da er ſelbſt keinen Hetrn über ſich anerkennt, darf er auch
Andern keinen Herrü ſetzen. Ebenſowenig, wie er ſich felbſt Vorrechte oder Pri-
vilegien anmaßt, weil diefes ſeine Menfchenwürde beeintraͤchtigen würde eben-
ſowenig darf er Andern dieſe geſtatten. Er will alſo, wie die Freiheit und
Brüderlichkeit, alſo auch die Gleichheit der Menſchen.
(Fortſetzung folgt.)



W. Bakunin.

Unter die achtungswertheſten Männer und unermüdlichſten Kämpfex für
die Freiheit, die wir kennen, gehört der Ruſſe Bakunin. Dem Defporismus
des Bürgerkönigs Ludwig Philipp erſchien die Freiheitsliebe dieſes Ruſſen für
den franzöſiſchen Boden altzugefährlich, er wurde aus Frankreich verbannt.
Bakunin wohnte dem Sla-
venkongreß zu Prag bei, einer ber vorderſten Verfechter der Volksherrſchaft ge-
genüber dem ariſtokratiſchen Pak. Deßhalb verfolgte ihn auch der berüchtigte
Windiſch-Grätz auf alle Weiſe, konnte aber ſeiner nicht habhaft werden. Der
Tyrann von Prag und ſeine Helfershelfer ſchleuderten ihm nun Verleumdun-


zu bahnen wußten und in dem entſchieden demokratiſchen Organ der zu Köln
erſcheinenden Neuen Rheiniſchen Zeitung unbegreiflicher Weiſe Platz fanden.
Zwei Briefe enthalten ſowohl die Anſchuldigung Bakunin's als Agenten des
Kaiſers Nikolaus, als auch Bakunin's Vkrtheidigung. Wir halten es für
Pflicht, die geſammte freiſinnige Preſſe hierauf hinzuweiſen, indem nichts nach-
theiliger fuͤr die Sache des Volkes wirkt, als wenn in entſchiedenen Volksblät-
tern ſelbſt jene Führer verdächtigt und verfolgt werden, welche ſich der Volks-
ſache mit Thätigkeit und redlichem Willen annehmen. Zu dieſen Führern aber
gehört, wie wir auf den Grund genauerer Beobachtung und Kenntniß zu be-
yaupten vermögen, Bakunin. *
Es bleibt uns nur zu wünſchen übrig: daß die wackere Neue Rheiniſche
Zeitung Gelegenheit ſucht, ſich unmittelbar von dem Irrthume ihres Pariſer
Korreſpondenten zu überzeugen. Eeebſhh

Deutſchhand.

‚$ Mannhein 16. Auguſt. Morgen früh um 9 Uhr wird der Prozeß
unſeres Mitbürgers Schimpff, Faktors in der Hoff ſchen Druckerei, vor dem
hieſigen Hofgerlcht zur Verhandlung kommen. Die Anklage lautet auf Ver-
breitung eines republikaniſchen Liedes, welches die Augsburger Allge-
meine Zeitung zuerſt bekannt machte.

Köln, 6. Auguſt. Das Zeugenverhör hat gegen Gottſchalk und Annecke
nichts Inculpirendes ergeben, und dieſelben werden nächſter Tage ihren Ver-
folgern zum Aergex und zur Schande wieder in Freiheit geſetzt werden. Die
Behandlung der Gefangenen iſt eine ſehr ſtrenge; Schreibmaterial, ja ſelbſt
Betten, werden ihnen verweigert. >

Berlin. Der Weſerzeitung wird von hier aus geſchrieben, daß die preu-
ßiſche Regierung den Entſchluß gefaßt habe, mit Dänemark ſich wegen Abſchluß
eines Separatfriedens in Unterhandlungen einzulaſſen. ;
— Die Zeitungen bringen fortwährend Berichte über die Einheitsfeier am

In Schleſien ſcheint dieſelbe überall mit Begeiſterung begangen worden
zu ſein, ſelbſt in Oberſchleſien. Die Od. Ztg. enthält darüber Mittheilungen
aug Oppeln, Ratibor, Gleiwitz, Grottkau 204 — In Münſter, berichtet ung
unſer Correſpondent, nahm die Feier mehr den Charakter einer Oppoſition ge-
gen das Preußenthum an. Preußiſche Fahnen wurden vom Volke zerriffen.
Auch hörte man die ganze Nacht auf den Straßen ſingen:

Vivat, vivat de Republik!
Hevvet wi erſt de Republik,
Dann ſyn wi de Preußen quit. ;

Bei der Illumination ſah man einen zweiköpfigen Adler trausparent mit

der Unterſchrift:
Nur der zweifache Adler ſoll leben!
Nieder mit dem, der den einfachen will erheben.

Bei dem Verbrennen der bei dem Zuge durch die Stadt gebrauchten Fak-
keln wurde der Oberpräſident Flottwell in effigie und die Schmähſchrift Gries-
heims feierlichſt den Flammen übergeben.

In Kiel flaggten die Schiffe neben der Reichsfahne die Tricolore der fran-
zöſiſchen Republik. ; )

Hamburg, 11. Auguſt. Das nächſte Hauptziel der demokratiſchen
Vereine iſt die Einberufung einer konſtituirenden Verfammlung. Das proviſo-
riſche Komite fordert alle Vereine dringend auf, ſonſtige Differenzen bis zur
Erreichung diefes Zweckes ruhen zu laſfen. An der Boͤrſe hat die Abftimmung
der geweſenen Verfammlung böſes Blut gemacht; und wenn es in der Macht
dieſer Herren läge, ſie würden den ſämmtlichen Vereinen ein ſicheres Gewahr
ſam anweifen laſſen. Geſchieht das, womit ſich das Publikum herumträgt, Daß
nämlich der Senat zum Montag einſchreiten wolle, ſo ſind die Folgen nicht
abzuſehen. Die Erbitterung gegen denſelben iſt groß.



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