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1848
anz Sader
No. 143 3,
‘ 8 Meber Gewiſſensfreiheit, Glaubensfreiheit, Denkfreiheit.
(Fortſetzung.)
Da nun der große Ruf nach Glaubensfreiheit u. ſ. w. zum Parlamente
gedrungen und die Lenker des deutſchen Schickſals in ihrem Enthuſiasmus dieſe Frei-
heit als Ur⸗ Grund⸗ Fundamentalmenſchenrecht alsbald erklärt haben werden, ſo
wird die große Frage zweifelnd ihr Haupt erheben, die Frage: Was iſt
denn die Glaubens⸗ die Gewiſſensfreheit? Es wird dieß eine große
brientaliſche Frage fein, denn Juden und „Chriſten“ allein werden wahrſchein-
lich die Objekte dieſes Freiheitsexperimentes abgeben. Man wird nur an den
Gtauben denken (und gedacht haben wollen;, und zwar nur an jenen Glau-
ben, der im Oriente ſeine erſten Wurzeln geſchlagen, ja ſogar nur an jene
orientaliſchen Glaubensblüthen, die bisher in den Grenzen deutſchredender Welt
gewachſen (und abgewelkt) ſind — nur was da beſchnitten und getaufet iſt,
wird begnadet ſein!
Wir fragen aber, ob in dem heutigen Rufe nach Gewiſſensfreiheit nicht
heit gefordert iſt? Ja! die Denkfreiheit! Nicht die Toleranz für das Den-
ken, das hieße ein logiſcher Unſinn, fondern die Freiheit desDenkens,
welche, wie die Glaubens freiheit jeden Kultus geſtattet, ebenſo ihre
Prarxis hat. Worin dieſe beſtehe, werden wir unten beſprechen.
Wir wiſſen, wie von Seiten der hochmüthigen Staatsweifen mit ſehr al-
bernex Stirne behauptet wird, das Denken ſei ja frei, ſei ıS auch von jeher
geweſen. Es ſei dieß ein Urrecht und wäre noch nie genommen worden. Wir
ſagen, man hat auch die Preß- und Redefreiheit genommen, trotz ihres Zeichens
als Urrecht, weil man die Macht dazu hatte. Die Freiheit des Gedankens
kann man freilich nicht verbieten, ſo wenig alg den Durſt und das Gefühl des
Hungers. Man muß aber unterſcheiden lernen. Denkfreiheit, in dem Sinn
wie ſie heute verlangt wird und werden muß, ſteht der Freiheit der Preſſe,
der Rede gleich (koordinirt), ſie hat eine Praxis. Sie ſoll nicht blos dasjenige
ſein, was die Regierungen, Kammern 2ꝛc. bisher die Anmaßung hatten, fuͤr
ein von ihnen ungeſchmaͤlert Recht auszugeben, was aber nur eine natuͤrliche
Erſcheinung im Leben iſt, wie das Gehen und Sitzen, und wozu wahrhaftig
keine Veranlaſſung war, ſich mit deſſen Gewährung liberal zu brüſten. Nein
vielmehr nur die Ausübung, im Leben ſelbſt, die That kann als Recht ga-
rantirt werden, kann in einer Verfaſſung erwähnt fein — und ein ' freies
Volk wird ſich dieſe Rechte geben.
das Eſſen und Trinken, nie aͤbex das Verlangen darnach, den Hunger und
Durſt verbieten können, Darum ſind die Phraſen von Denkfreiheit, wie bis-
her verſtanden, leere Albernheiten.
Ebenſo haben wir kein Bertrauen, daß das Parlament in ſeiner Majori-
tät es verſtehen wird, den richtigen Geiſt in ſeine Geſetze zu bringen und zu
ſeinen Geſetzen mitzubringen, um dem Volke klaren aͤchten Wein einzuſcheuͤ—
ken. Und zwar auch einen vollen Becher!
Was verlangt aber die Denkfreiheit für Alle?
Sie verlangt gleiches Recht dem Chriſten, dem Heiden, dem Juden und
Philofophen.
Wir fprachen ſchon davon, daß der chriſtliche Staat unmoͤglich geworden,
weil kein Menſch mehr ſagen kann, worin dieſer beſtehe. Man hat die Deutſch-
katholiken theils für Chriſten, theils für Unchriſten erklärt. Wer durfte das entſchei-
den heut zu Tag, wo der Staat keine Staatskirche mehr anerkenuͤt, welche die
Merkmale chriſtlicher Anſchauung inne hat, um jede auftauchende Selte alsbald
zu prüfen? Man mußte, was zugleich laͤcherlich und demuͤthigend war, gel-
ten laſſen, daß die Deutſchkath. ſagten, ſie ſeien Chriſten und wird ſie eihſt-
weilen jeßt den andern Bekenntnifſen gleichſtellen. Chriſt iſt heute, wer es
ſein will, und ob er an Apis glaͤubte! Jedes Jahrhundert batte ein anderes
Chriſtenthum, jeweils mit den modernſten Ideen verſetzt, oßne die Starren,
Konſervativſten ım Glauben ganz zu vertilgen. Jedes Jahrzehnd, jeder Kopf faſt
hat ſodann ein anderes Chriſtenthum. Nun gewährt man jenen Kraſſen ihre
vollſtändige Freiheit und politiſche Berechtigung, und den Denkern der Gegen-
wart wollte man ſie verſagen? Oder foll etwa von nun an allein die goldene
Freiheit und des politiſchen Rechts?
beglücken wollt. Ihr zwingt ihn z. B. Blasphemie zu treiben, die euch ein
SGräuel iſt. Ja, es iſt ſo zum Lachen nicht, denn wird der Mann, der' ſeine
Kinder taufen laſſen muß und innerlich darüber lacht oder lächelt (je nach Tem-
ptrament) nicht vor euch ein Sünder ſein? Der Kaufmann, der ſeinen Laden
ſchließen muß — wegen der kirchlichen Feiex, zwingt man ihn nicht, heimlich
zu verkaufen zur Heuchelei mit einem Wort? Acußerlich kein Anſtoß, aber
hinterrücke geſchieht, was euer Staatnicht will. Wan hat die Prozeſſionen
verboͤten (die Lihkralen glaubten aus Freiſinn). Iſt das nicht die gröbſte Ver-
Segung: der religiöſen Praxis? Laſſet die Gläubigen ihre Straße ziehen, wir
werden doch mit der Droſchke durchfahren und wenn ſſie der Berkehr geniert,
mögen ſie zu Hauſe bleiben — den georducten Staat geniert die Prozeifion
nicht. Jedem das gleiche Recht!! Laſſet den Mann, der den Segen der Sar
framente nicht einſehen will, den Weg feines Heiles gehen, feid demüthig nach
Pflicht, wie auch er es freiwillig gegen euch ſein wird. DerStaat aber ſoͤll
ihn ſeiner Anſicht wegen nicht kräuken, aus der eine ſolche Praxis fließt. Soll
der Ungläubige äußexlich irgend einer Religionsgenoſſenſchaft angehören müſſen,
wenn er doch innerlich ein Anderer iſt? Auch kie Konſequenzen ſeiner Au-
ſicht muß dex Sigatsbürger üben dürfen, vorausgeſetzt natürlich, daß er für
ewidrige Handlungen geſtraft wird. Dieß Letztere iſt die einfachſte Richt-
ſchuur für einen Staat, der wohlthun willL -
In wie Wweit der Einzelne durch ſeine Anſicht Kredit bei dex Maſſe erhalt, —
überlaſſe der Staat dem Einzelnen. Sollte ein Gottesläugner ſich kein öffent-
dauern, entziehe ihm jedoch nicht die politiſche Fahigkeit.
Gewiß iſt es unverantwortlich und wiederum lächerlich, Jedermann zuzu-
muthen, Chriſt oder Jude zu bleiben. Da ſetzen ſich z. B. auf Befehl Dreißig _
Kirchenräthe zuſammen, und machen aus Kaivinismus und Lutherthume und
einiger moderner Philoſophie eine großherzoglich badiſche Religion, die ſog.
Union. Dort machen einige Landgeiſtliche unter webrloſem Applaus eine ger-
mani⸗katholiko⸗philoſophiſche Gemeinde u. ſ. w. u. ſ. w. Der Zufall läßt die
leiten. Wem nun gar nichts Vorhandenes gefällt? — Darum iſt der zweck-
mäßigſte und freieſte Grundſatz: der Staat geht die Kirche Nichts an, oder die
Gewiſſen oder die Köpfe. Er befaßt ſich blos mit den Thaten der Menſchen
und ſieht, ob ſie ſtraffällig ſind. Ein Glaube, der dem Bekenner bürgerliche
Verbrechen zur Pflicht macht, würde gleich wie die Preſſe, nimmer der Präven-
tion, ſondern der Repreſſion unterliegen. Die Preſſe iſt auch frei; wer aber
vermittelſt ihrer ſich am Staatsgeſetz verſündigt, iſt dem Geſetz verfallen. —
Werden unſere Kirchen- und Staatsrechtslehrer nicht die Hände über den Häup-
tern zuſammenſchlagen, ob dieſer ungelchrten Theorie? Und doch glaube ich,
daß ſie ſich mit dem Glück der Menſchen verträgt, ja daß ſie ſein
Hehel ir ‚ '
So eben kommt mir der Entwurf der Grundrechte von Seiten des Aus-
ſchuſſes in die Hände, worin vollſtaͤndige Trennung der Kirche vom Staat
vorgeſchlagen iſt, Bildung neuer Bekenniniſſe erlaubt und der Zwang zu kirch-
lichen Handlungen gebrochen.
Attein es frägt fich hier dennoch zweierlei. Wird unter einer
ſo allgemeinen Faſſung auch unſere obige Denkfreiheit verſtanden werden (ſie.
fönnte wohl), oder wird die Nothwendigkcit fortdauern, irgend einer kirchlichen
Gemeinde gnzugehören? Zu Kirchenfeierlichkeiten wird Niemand gezwungen, ob
aber der Einzelne Religionsloſe ein voller Staatsbürger werden kann,
ohne ſich wenigſtens Chriſt oder Jude zu nennen, bleibt dahingeſtellt. —
Zweitens wiſſen wir gar nicht, eb die Verſammlung den Entwurf dergeſtalt
annehmen wird. Unſere Eroͤrterungen ſind daher noch am Platze. Wir ver-
langen den klaxen Paragraphen: „Der deutſche Staatsbürger braucht nicht ei-
ner religiöſen Genoſſenſchaft, Kirche, Bekenntniß anzugehörch.“
(Schluß folgt.)
Deut ſchland.
Z Karlsruhe, 18. Juni. In der geſtrigen Sitzung der 2, Kammer
wurde über den Antrag der Regierung:
Die Kammer moͤge zur Berhaftung Peters ihre Zuſtimmung geben, ab-
geſtimmt. Das Reſultat fiel, wie es bei dieſer Zuſammenſetzung unſerer„Volks-
kammer⸗ zu erwarten ſtand, zu Gunſten der Regierung aus, indem 28 Mit-
glieder für ihren Antrag, 16 dagegen ſtimmten.
Fur die Verhaftung ſtimmten! Aruͤsberger, Biſſing, Blankenhorn, Böhme,
Dennig, Fauth, Hägelin, Hildenbrand, Huber, Malſch, Litichgi, Mathy,
Mexer, Preſtinaxi, Oſter, Rettig, Schaaf, Schmitt, Seltzam, Siegele, Sypeyever,
v. Stockhorn, Stößer, Ulrich, Kiefer, Weller, Zentner, Zittel. ; 2*4
Dagegen ſtimmten⸗ Baum, Chriſt, Dörr, Lamey, Heimburger, v. Itzſtein,
4 Meg, Kiefer, Richter, Rieſterer, Sachs, Scheffelt, Berger, Wolff,
elte. ;
Frankfurt, 16. Juni. Der hier verfammelte Congreß hat nachſte-
hende Aufforderung an die deutſche Nationalverſammlung ergehen faſſen: Hoͤhe
Verſammlung! Der Congreß deutſcher Demokraͤten-Berein? zu Frankfurt for-
dert die Nationalxerſammlung auf, daß ſie, als eine Achtun obezeugung gegen
den Willen des Volkes und als Zeichen des Zutrauens 88 ſelber, den Ab-
geordneten Friedrich Hecker von Mannheim unverzüglich einlade, in ihrer
Mittte Platz zu nehmen.
Frankfurt am Main, den 15. Juni 1848.
Im Namen des Eongreſſes der deutſchen Demokraten:
Der erſte Praͤſident: Julius Fröbel.
Der erſte Sekretär: Friedrich Kapp.
Frankfurt, 17. Juni. Man erzaͤhlt ſich hier mit der größten Beſtimmt-
heit das Gexücht, daß der Großberzog von Heffen ſich ſeine Civilliſte ſchon für
A Bom Neckar. Das alte, nun groͤßtentheils eingefcharrte Negiment
hat uns eine ſchlimme Exbſchaft hinterlaffen ; ein kraͤftiges, urſprünglich geſun-
des und beinah unverwüſtliches Volk wurde in 33 Jahren der Finſterniß in
verſchlimmert und vervummt, als gebeſſert
und aufgeklärt. Die Füße wurden ihm gelähmt und die Beamtenzunft führte es
am fnechtifhen Gaͤngelbaud; die Beine waren ihm gewiffermaßeuͤ abgeſchlagen,
die Burcaukratie war ſeine Krücke. Hat es neuerdings die Feſſeln der Beyors
mundung auch abgeſchüttelt, noch bleiben ihm die wunden Stellen, die ſie ihm
gerieben, noch wagt es ſein Haupt nicht frei und bürgerſtolz zu erheben, noch
fehlt ihm die Selbſtſtändigkeit im Handeln und Wandeln. An den SGehorfam
und das Kommando gewöhnt, iſt es verlegen und befangen, wenn es nun
die errungene Yreiheit benüßen ſoll; es richtet ſeine Blicke nach oben, auf den
Bifehl, auf die Ordnung von oben wartend. Dieſer Mangel an bürgerlicher
— *) Anm. Der Staat wird ſich auch durch konſequente Durchfährung dieſer Grundſätze
eine bedeutende Laſt erſparen, welche die Verknüpfung der Firchlichen mit ver rein politi-
ſchen Verwaltung erzeugt. Jede Glaubensgenoſſenſchaft mag die Mittel zu threm Beſtand
ſelbſt aufbringen, dann werden alle Anfeindüngen det — — wegfallen, wie ſie nicht
ausbleiben, wenn der Jude chriſtt. Kirchen milbauen hilft, und die Ungerechtigkeit gerade fo
nur die Schule leiten.