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Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 126 - No. 153 (1. Juni - 30. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0621

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1848.












E Das Parlament im Momente der Entſcheidung.

Die nächſten Stunden werden uns die Entſcheidung des Parlamentes über
die Exekutivgewalt bringen. Wie dieſe ausfallen wird, läßt ſich ſchon mit ei-
niger Beſtimmtheit vorausſagen. Der Dahlmann'ſche Eutwurf wird mitf einer
unbedeutenden Modiftcation angenommen werden. Dieſer vormalige Märtyrer
der Freiheit hatte bekanntlich vorgeſchlagen, daß die Regierungen die drei unver-
antwortlichen diktatoriſchen Herrſcher Beutſchlands vorſchlagen, das Parlament
ſie ohne Diskuſſion durch einfache Abſtimmung annehmen und die Regierungen
ſie darauf förnilich ernennen ſollten. Es iſt nicht leicht zu finden, was eigent-
lich nach dieſem Vorſchlage dem Parlamente übrig gelaſſen iſt. Die Vertreter
Deutſchlands haben das Recht, Ja zu ſagen, wie die frühern preußiſchen Pro-
vincialſtände, das iſt Alles. Um wenigſtens etwas an dem herrlichen, volks-
beglückenden Entwurfe Dahlmann s zu ändern, will das Parlament auf den
Voͤrſchlag der Regierungen die Exekuͤtipgewalt ſelbſt ernennen und alſo dieſe
Formalität den Regierungen nicht überlaſſen, welchen man die Wahl über-
läßt. Dies iſt die waͤhrſcheinliche Entſcheidung der bedeutenden Frage, und hier-


entſchieden. Die Linke wird nicht austreten, wie dies mit Beſtimmtheit
verſichert wird, und ſich — man kann hierüber nicht zweifeln — dadurch
von der ganzen demokratiſchen Bewegung Deutſchlands losſa-
gen. Sie begnügt ſich mit einem Proteſte, einem Manifeſte, einer Proclamation
oder mit einer ähnlichen theoretiſchen, papierenen Oppoſition. Die Volksvereine
in allen Theilen Deutſchlands werden mit Petitionen, Adreſſen, Dankſagungs-
ſchreiben aller Art antworten. Während man dieſen friedlichen, papierenen Krieg
führt, ergreifen die Prinzen von Oeſterreich, Preußen und Baiern die Zügel
abſoluter Gewalt und fordern dadurch das deutſche Volk zu einer neuen Revo-
lution auf, die deſto erbitterter wird, je weiter man ſie hinausſchiebt.

Die Beſchlüſſe des demokratiſchen Kongreſſes haben gezeigt, daß die Partei
der Demokraten nicht nur im Prinzip entſchieden, ſondern auch zur That
entſchloſſen iſt. Einſtimmig waren die Mitglieder deſſelben von der Nothwen-
digkeit einer neuen Revolution überzeugt. Dieſe Partei (und bald wird ſie nicht
mehr Partei, ſondern ein ganzes Volk bilden) wird, dies kann man mit Be-
ſtimmtheit vorausſehen, ſich gegen die prinzliche Diktatur des Profeſſor Dahl-




Adreſſen, Betitionen und Proteſtationen in den conſtituͤtionellen Staaten bisher
nichts genützt haben. Indem der Kongreß ſelbſt es verſchmähte, in einem Ma-
nifeſte vor das deutſche Volk hinzutreten, weil er anerkannte, daß die Zeit des
Manifeſtirens und Proclamirens vorüber und der Augenblick der That gekom-


ten übereinſtimmen wird, die ſich blos mit theoretiſchen, papierenen Waffen ge-
gen den neu hereindringenden Abſolutismus vertheidigen wollen.



tritt, wenn dieſes Beſchlüſſe faßt, wodurch die Revolution negirt und die Volks-
ſouveränität mit Füßen getreten wird. Wenn Ein Mann von der Linken aus-
tritt, hat er das ganze Volk hinter ſich; wenn zweihundert im Parlamente blei-
ben, werden ſie den Haß des Volkes theilen, den das Parlament auf ſich ge-
laden hat. Es gibt nicht nur eine politiſche Klugheit, es gibt auch eine po-
litiſche Ehre. Und dieſe verbietet Jedem, in einer Verſammlung zu ſitzen, welche
durch einen entſcheidenden Schritt ſich treu- und ehrlos von dem Volke losſagt,
aus deſſen Schooße ſie hervorgegangen iſt. Dieſer entſcheidende Schritt iſt ge-
than, wenn man den Fürſten durch Parlamentsbeſchluß die Macht und Gewalt
zurückgibt, welche ſie bisher zum Unglück der Völker gebraucht und durch die
Revolution verloren haben. Wer nach dieſem Schritte, der an Frechheit und
Verwegenheit alle fruͤheren Maßregeln der Reaction überbietet, nicht Abſchied
von dem Parlamente nimmt, erhält ihn von der deutſchen Nation. Dieſes
möge ſich die Linke geſagt ſein laſſen. Die Demokraten würden ſich mit Schmerz
nur und mit Trauer von Männern trennen, die ſie bisher als Vorkämpfer ih-
rer Partei anerkennen und ehren mußten. Aber alter Ruhm und altes Ver-
dienſt gilt in unſern kritiſchen Tagen nichts mehr; man muß in jedem Augen-
blicke durch Entſchiedenheit und Entſchloſſenheit ſich die Achtung und das Ver-
trauen des Volkes neu erringen. Wenn das Volk ſchneller, wie ſeine alten
Führer, auf der Bahn der Freiheit vorwärts eilt, dann werden dieſe zermalmt
oder wenigſtens bei Seite geſchoben werden.

Der Austritt der Linken, welcher allerdings, wie geſagt, nur gewünſcht,
nicht aber erwartet werden kann, würde eine neue Revolution des deutſchen
Volkes provociren. Ueber die Nothwendigkeit dieſer wird wohl kein Mitglied
der Linken im Zweifel ſein. Aber viele Menſchen ſcheuen ſich vor der Ausfüh-
rung einer That, deren Nothwendigkeit ſie anerkennen. Dieſe Leute paſſen in
unſere Zeit ebenſowenig, wie ein deutſcher Kaiſer.

Wie geſagt, der Moment der Entſcheidung naht. Das deutſche Volk ſitzt
in demſelben zu Gericht und wird über Perſonen und Sachen ein ſtrenges, un-
erbittliches Urtheil fällen.

Deutſchland.

+ Mus dem Mittelrheinkreiſe, 23. Juni. So eben vernehmen
wir, daß in Folge höherer Auordnung die dem Auslande angehörigen, in
Kleinpenfylvanien inhaftirten Freiſchärler morgen entlaſſen werden ſollen.

Sie haben dies namentlich der entſchiedenen Verwendung Lamartines zu
verdanken, welcher auf der Auslieferung der Franzoſen beſtanden ſein ſoll. —
Ein weiteres Beiſpiel, wie ſehr dieſer Nation das Selbſtgefühl eigen iſt, wel-


ſale anheimfällt. Wie ſtand es dagegen bisher mit der Vertretung der Deut-
ſchen in ähnlichen, viel graſſeren Fällen? — Ja, wie wurde ſeiner Zeit dit


gegen ſeine erſten Vertreter, Itzſtein und Hecker, von dem preußiſchen Poli-
zeiſtaate gewagt wurde? — * ;
Diefer Tage vernahm ich, ein gewiſſer Dragoneroffizier R habe an einer
Wirthstafel geäußert, daß der Oberamtmann Stehle in Freiburg, als Re-
dakteur der oberrheiniſchen Zeitung Schläge bekömmen werde, es fet ſchon
alles ausgemacht! Wenn man nun auͤch ſolchen Mauhmachereien oft Feinen
Werth beilegen kann, ſo möge der Bedrohte doch für den Nothfall davon Notiz
nehmen, um ſo mehr, alg man nach jener Aeußerung auf eine geheime Verab-


Preßfreiheit fein dürfte, was mit der Mißhandlung des Dr. Loͤwenthal in Oggers-
heim große Aehnlichkeit hat. — Aber ich frage: Sind demn die Soldaten deß-
halb dn Oberland einquartirt, um auf folche Weiſe Schläge auszutheilen?


ſenhaftere Erwägung ziehen! *—
Wenn aber die Soldaten auch jetzt noch, wie früher in den Garniſo-
nen, ſich zu ſolchen Streichen mißbrauchen ließen, dann wäre es waͤhrlich
traurig, zu-feben, daß auch jede gute Wirkung des neuen Aufſchwungs an ihnen
ſpurlos vorübergegangen. C
Freiburg, 21. Juni. Am 16. d. fand hier die Wahl eines Akgeord-
neten in die 1L, Kanımer für den Bezirk Waldkirch und Landamt Freiburg ſtatt.
Der frühere Deputirte, Reichenbaſch von Buchholz, wurde mit allen Snm-
men gegen 3, worunter ſeine eigene, wieder gewählt. (Dhenb. 3)


er „gnäbdige Herr“ vom nahen Dorfe, und der Bauer, au
des Lebens und die ihm von ſeinem Gebieter täglich zuge-



alle Entbehrunge




ein Unterſchied fetz zu einer Zeit alſo, wo ſo viele, dem Volke, ſo zu ſagen,
angeborene und mit demſelben aufgewachſene Vorurtheile auszurotten warenz
ſo begreifen wir nicht, wie die deutſche National-Verſammlung, welcher die
Beiſpiele großer Nationen, der Geiſt der Zeit und die im Volke überall hin
verbreitete Aufklärung mächtig vorgearbeitet haben, einen ſo ſchwankenden, un-
ſichern und trägen Gang in ihren Geſchäften, wie den bis jetzt an den Tag
gelegten nehmen konnte. Man entgegne uns nicht, daß die Aufgabe der dama-
ligen franzöſiſchen Nationak-Verfanumtung eine leichtere war alg die der unf-
rigen, weil jene es nur mit einem Fürſten zu thun hatte, dieſe aber vier


gehen müſſe; wir wiſſen, daß Frankreich damals eben ſo gut wie Deutſchland
heute ſeine Hetzoge, Marquis, Grafen, Barone ꝛe. hatte, welche, wenn ſie


fehle deſſelben gewärtig ſein mußten, dieſe Befehle nicht gar hoch anſchlugen,


men. Seit Heinrich von Bearn ſaß kein Fürſt auf dem Throne Frankreichs,
der im Stande war, mit Manneskraft das Ruder dieſes Staates zu fuͤhren,
und Niemand war da, der die Ariſtokratie im Zaume halten, in ihren An-


ihre Gewalt von Jahr zu Jahr weiter ausdehnte; wir wiſſen, daß ſie auf ih-
ren Ländereien unumſchränkt und allmächtig war.
Die franzöſiſche National-Verſammlung haite damals nicht allein mit der
Macht des Thrones und der „durch die Zeit geheiligten“ Gewalt der mächti-
gen Thronvaſallen, ſondern auch mit den tief eingewurzelten Vorurtheilen ei-





ſich nicht verkennen läßt. Hat aber die deutſche National-Verſammlung eine
ſolche Aufgabe? Wir antworten mit Nein. Wir kennen die ewig denkwürdige
Nacht, in welcher ein Deputirter der franzöſiſchen National-Verfammlung den
andern an Hochſinn überbot, in welcher für Frankreich und viele Gauen Deutſch-
lands der Glanz der für alle Volksklaſſen gleichen Menſchenrechte in ſeiner höch-
ſten Glorie aufblitzte, die Ketten der Leibligenſchaft brachen, und das Feuͤdal-
weſen zuſammenſtürzte; und, wo in allzugroßer Ferne der Sturz ſelbſt nicht
Alles damals ſchon mit ſich fortriß, da wirkte ſeine Erſchütterung ſo mäch-
tig, daß es nur eines kleinen Anſtoßes bedarf, um das wankende Gebäude
zum Falle zu bringen. Die franzöſiſche National-Verſammlung von 1789 hatte
offenbar einen weit ſchwierigern Standpunkt, als heute die deutſche; aber, ihr
Ziel feſt im Auge, konnte kein Hinderniß ihrem raſchen, kraftvollen Fortſchrei-
ten hemmend in den Weg treten, und durch ihre richtige Auffaſſung des Voͤlks-
intereſſes, ihren Muth und ihre Beharrlichkeit in Verfolgung deſſelben hat ſte
daher den benachbarten Nationen, und beſonders Deutſchland, in dem Streben
nach Freiheit, Gleichheit vor dem Geſetze und Einigung mächtig vorgearkeitet.

Sind aber unſere Fürſten etwas anderes, als Vaſallen des deutſchen
Thrones? Sind ſie etwas anderes, als die Nachkommen urſprünglicher Beam-
ten, welche zu den Zeiten ſchwacher Kaiſer und in der tiefen Geiſtesfinſterniß
des Mittelalters ihre Selbſiſtändigkeit uſurpirten? Wurden nicht Pfalzgrafen,
Herzoge, Grafen ꝛc. von kräftigen Oberhäuptern des deutſchen Reiches ab- und
eingeſetzt, je nachdem ihre Treue wankte oder nicht, wie es heute mit den Be-
amken noch geſchieht? Die Weltgeſchichte zeigt uns auf ihren richtenden Blät-
tern nur zu oft, wie die Reichsfürſten allein es waren, die den guten Abſich-
ten des Reichsoberhauptes meineidig entgegen traten, ſtatt ſie zu unterſtützen,
was ihre dem Volle und dem Kaiſer angelobte Pflicht war, wodurch ſie viel-
fach das Intereſſe des Volkes und deſſen Wohlfahrt auf das Tiefſte verletzten,
wo nicht für ganze Generationen vernichteten; — wie ſie allein es waren, welche
die verwandten deutſchen Stämme auf blutigen Schlachtfeldern einander gegenü-
ber ſtellten, um ſich gegenſeitig zu zerfleiſchen. Kannſt Du vergeſſen, Naſſau,
was Oeſterreichs Fürſt, aufgereizt von den Lehrern einer, bis zur tiefſten Ver

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